Overblog
Edit post Folge diesem Blog Administration + Create my blog

Sabeth schreibt

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Über Strafe, das Strafen, Schwarze Pädagogik, Straftäter, das Täter-Opfer-Verhältnis, Reue, Wiedergutmachung ...

13. November 2023
 
Kommentar zur oben verlinkten arte-Sendung "Was bringen Strafen?"
 
Zur Aussage von Daniel Levy, dass das Belohnungszentrum im menschlichen Gehirn durch/bei Bestrafung oder beim bloßen Zusehen von Bestrafung aktiviert wird und uns "die Evolution dazu erzogen hat", bitte ich um wissenschaftlich valide Belege.
 
Es ist in Menschen, auch anderen Primaten, Säugetieren und wohl auch anderen Tieren eine Anlage zu Fairness, prosozialem, kooperativen Verhalten und angeborenem Mitgefühl zu beobachten, siehe dazu bspw. Primatologen, Verhaltensforscher wie Frans de Waal oder auch Neurobiologie, Neurowissenschaften.
 
Bei widerfahrener Ungerechtigkeit, erlittenem, absichtsvoll zugefügten Schaden haben Menschen das Bedürfnis nach Ausgleich, Wiedergutmachung, nicht aber nach Strafe, die immer destruktiv ist, da es hierbei um Rache/Vergeltung, Machtdemonstration, Gehorsam-, Unterwerfung erzwingen, zumeist auch Ausbeutung geht, die psychische, oft auch physische Gewalt ist, sich auf Autoritarismus gründet und weder als Abschreckung noch zur "Resozialisierung" von Tätern wirksam ist noch Opfern hilft, nichts an der Situation der Opfer verbessert, aber jegliche Versöhnung verunmöglicht.
 
Menschen reagieren, wie auch Tiere, r e a k t i v aggressiv auf das Überschreiten ihrer Schmerzgrenze, das ist natürlich/biologisch, nicht aber Strafe, Rache, Vergeltung, Hass, Ideologie, Sadismus.
Mit Verweis auf Joachim Bauer, Erich Fromm, Arno Gruen sowie auch Thomas Galli und grundsätzlich auf Abolitionismus.
Allerdings hilft reiner Biologismus hier nicht weiter - Menschen sind eben keine Wespen oder Pinguine ... .
 
Es ist übrigens moralische Verurteilung und (staatliche oder persönliche) Bestrafung nicht dasselbe.
 
Menschen halten sich üblicherweise freiwillig an Regeln, die sie selbst in Gemeinschaft mitgestalten konnten, die modifizierbar bleiben, die ihnen nachvollziehbar sind, die sie für sinnvoll, richtig, wichtig halten, die nicht ausgrenzen, übervorteilen, beschädigen.
Es bedarf dafür übrigens keines Staates, keiner Staatsgewalt - eigenes komplexes Thema, siehe dazu u.a. David Graeber, kollektivistischer Anarchismus ... .
 
Alternative zu Strafe/Gewalt ist jeweils angemessene Wiedergutmachung, Täter-Opfer-Ausgleich, Restorative Justice. Es bedarf hierfür allerdings vorausgehend der Schuldeinsicht und Verantwortungsübernahme (rationale Ebene) und der "Reue", d.h. des Mitgefühls (emotionale Ebene) des Täters, sodann der angemessenen Wiedergutmachung (Ausgleich), nach der der Täter auf Basis von Schuldeinsicht, Verantwortungsübernahme und Mitgefühl ein eigenes Bedürfnis hat/entwickelt, die (Wiedergutmachung) gemeinsam zwischen Täter und Opfer, ggf. noch weiterer Begleitung (Mediation, psychologischer Unterstützung ...) in einem kommunikativen, dialogischen Einigungsprozess (braucht Zeit!) vereinbart wird, im Anschluss des Verzeihens des Opfers gegenüber dem Täter und dann der Versöhnung, um ein wieder friedliches, aggressions- und angstfreies Verhältnis herzustellen (Vertrauenkönnen).
 
Die basale, emotionale Basis von Moral (normative Ebene) ist das angeborene, intakte Mitgefühl - intrinsisch motivierte, nicht religiös, ideologisch oktroyierte Moral.
Die rationale, deskriptive Ebene ist Ethik - Teilgebiet akademischer Philosophie.
 
Siehe dazu auch Arno Gruen: "Der mitfühlende Mensch kann Kriege beenden."
Global leider nach wie vor aus Gründen verbreitetes Problem ist beschädigtes Mitgefühl.
Empathie ist btw nicht dasselbe wie Mitgefühl, das über Empathie (Einfühlungsvermögen) hinausgeht, eigenes Thema.
Die Gründe dafür finden sich in (internalisiertem) Autoritarismus, Hass, Sadismus, Ideologie(n) inkl. Religionen, sozialer, emotionaler und intellektueller Unreife, auch antisozialer Persönlichkeitsstörung, kompensatorischem Streben nach Macht, Herrschaft ... .
 
Ja: Prävention und Wiedergutmachung statt Strafe.
Prävention müsste allerdings bei weltweit jedem Menschen bereits in dessen Kindheit ansetzen, hat also mit "Erziehung" (siehe wiederum leider verbreiteter Autoritarismus), Familie, Bezugspersonen, Sozialisation sowie mit sozio-ökonomischen Verhältnissen, Gesellschaft, Kultur, Moralvorstellungen, Ideologien, Politik, Regierungen zu tun.
 
Es gibt übrigens auch (staatliche) Regeln, Gesetze, die destruktiv, unethisch oder unzeitgemäß sind, gegen die zu verstoßen sogar moralische, ethische Pflicht sein kann, die Geschichte hat dies bereits verdeutlicht.
Außerdem besteht bei staatlicher Strafe immer die Gefahr, dass Unschuldige bestraft, also intensiv, mit gravierenden negativen, existenziell beschädigenden Folgen belastet, beschädigt werden, siehe bspw. Fehlurteile, Justizirrtümer, auch Klassenjustiz.
 
Freiheitsentzug, Gefängnis i s t übrigens Schmerz. In der schlimmsten Form auch Folter: Isolationshaft. Siehe psychischen Schmerz, der im Gehirn genauso verarbeitet wird wie physischer Schmerz, nachlesbar bspw. bei Joachim Bauer, in seinem Buch "Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt".
Und zur Aussage: "Diebe konnten im Mittelalter nur schwer, selten bestraft werden." Hier sollte nach den Gründen, Ursachen für Diebstahl gefragt, diese genannt werden, bspw. Armut, Ausbeutung ... .
 
Mehr Geldstrafen, statt Freiheitsstrafen: ist ungerecht, da mittellose Menschen die Geldstrafen nicht zahlen können, ihnen wird die sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe aufgelastet.
Wer vermögend ist, kann sich somit gewissermaßen "freikaufen", wer arm ist, muss ins Gefängnis. Oder Arbeitsstunden ableisten: Arbeit als Strafe.
Aber klar: Der Staat profitiert von Geldstrafen, sogenanntem Bußgeld.
 
Keinem einzigen Opfer, auch nicht dessen Angehörigen, "Hinterbliebenen", ist mit Rache/Vergeltung, also Gewalt, geholfen.
Nichts wird durch Strafe, Rache, Vergeltung für ein Opfer besser, wohltuend: Der Schaden wird nicht ungeschehen gemacht, die Verletzung nicht geheilt, es wird durch Strafe, die immer psychische, oft auch physische Gewalt ist, nur noch mehr Schaden verursacht, beim Täter dadurch oft Trotz, Verweigerung und wiederum dessen Rache-, Vergeltungswunsch - weitere Gewalt, Destruktivität.
Opfer brauchen die Schuldeinsicht, Verantwortungsübernahme und "Reue", d.h. das Mitgefühl des Täters mit dem Opfer, aus dem beim Täter dessen eigenes Bedürfnis nach Wiedergutmachung resultiert, denn beim Mitfühlen fühlt ein jeder Mensch selbst, d.h. eigenen Schmerz. Dann geleistete angemessene Wiedergutmachung, soweit eben jeweils möglich. Im Anschluss Versöhnung. Anderenfalls wird der Konflikt endlos weitergetragen (siehe auch Blutfehde etc.), ist Frieden schaffen und erhalten nicht möglich.
 
Mit Strafe, Rache, Vergeltung geht es keinem Opfer besser, denn sein Leid wird dadurch nicht aufgehoben, nicht ausgeglichen, es wird nur noch weiteres Leid damit verursacht.
Das Opfer braucht einen möglichst angemessenen Ausgleich, Wiedergutmachung, die Erfahrung, dass der Täter eingesehen, selbst erkannt hat und nachfühlt (Mitgefühl), welches Leid er dem Opfer zugefügt hat, dass er dies wiedergutmachen will und weitere ähnliche Taten auf dieser Basis (Schuldeinsicht, Verantwortungsübernahme, Mitgefühl) zukünftig nicht mehr tätigt.
Ja, das hat erheblich mit Reflexionsfähigkeit, Persönichkeitsreife - auf beiden Seiten - zu tun. Daran mangelt es augenfällig zahlreichen Menschen: weltweit.
 
-
update 11. Januar 2021
 
Zum Unterschied zwischen Strafe und Verurteilung, warum Letztere für Opfer von beschädigenden Straf-, insbesondere Gewalttaten erforderlich ist:
 
Beim Strafen geht es darum, dem Täter seinerseits Schmerz, Schaden zuzufügen, er soll für seine Tat "Sühne leisten", indem er leidet - das aber hilft weder dem Opfer (für dessen Heilung, Rehabilitierung, zu dessen Schadensausgleich) noch dem Täter, der durch Strafe (Macht, Kontrolle, Druck, Zwang, Drohung, Unterwerfung, absichtsvolles Schmerz-, Leidzufügen durch bspw. Freiheitsentzug u.a.m.) niemals je zu einem "besseren Menschen", zu fairem, prosozialen Verhalten gebracht, dressiert werden kann. Denn durch Dressur erwirkt man keine tatsächliche Schuldeinsicht, "Reue", kein Mitgefühl beim Täter und keine Verantwortungsübernahme, sondern nur Unterwerfung, Gehorsam oder Trotz, Abwehr, Verweigerung und reaktive Aggression sowie infolgedessen ggf. neuerliche Gewaltanwendung.
 
Verurteilung ist wichtig dafür, dass das Opfer als geschädigte Person offiziell, öffentlich anerkannt wird, dass mittels Verurteilung bestätigt wird, dass eine Person (das/die Opfer) durch eine andere Person (den/die Täter) einen Schaden erlitten hat, diesen durch den/die Täter wissentlich, absichtsvoll zugefügt bekam.
Verurteilung ist wichtig, um dem Opfer und der umgebenden Öffentlichkeit damit zu zeigen, dass es einen Wert (Menschenwürde) und Rechte (Persönlichkeitsrechte und weitere Rechte) hat, die nicht verletzt werden dürfen, die aber nun durch eine Tat oder Taten verletzt wurden und dass das Opfer sich das nicht etwa "einbildete, einredete, erfand", dass das Opfer über die Tat nicht lügt, sondern dass tatsächlich diese Verletzung, Beschädigung durch andere getätigt wurde.
 
Verurteilung ist überdies wichtig, um dem Täter damit aufzuzeigen, dass seine Tat nicht unbemerkt bleibt, dass und aus jeweils welchen Gründen sie nicht hingenommen wird, nicht toleriert werden kann, dass und warum der Täter für diese Tat gegenüber dem Opfer einstehen, d.h. Verantwortung tragen und Wiedergutmachung - den notwendigen Schadensausgleich - leisten muss.
 
Hierfür ist Voraussetzung, dass der Täter diese Wiedergutmachung tatsächlich, wahrhaftig freiwillig und überzeugt - auf Basis von vorausgehender Schuldeinsicht und echtem Mitgefühl mit dem Opfer ("Reue") leistet - nicht, weil er dazu mittels Strafe (oder unter Androhung derselben) gezwungen, dazu dressiert wird, denn dann ist seine Schuldeinsicht, "Reue" nur vorgespielt und damit eine Lüge, nur Mittel zum Zweck - des Entgehens der Strafe, des mit ihr einhergehenden Schmerzes, Leids.
In letzterem Fall verhält sich der Täter nur deshalb "kooperativ", fügsam, folgsam, angepasst, weil es ihm um ausschließlich seine Person (den Schutz seiner Person, dem Entgehen der Strafe) geht - nicht um den Schmerz, das Leid des, seines Opfers, für dessen Leid, Schaden er verantwortlich ist, diese Verantwortung dann aber nicht tatsächlich trägt.
 
Voraussetzung für echte Wiedergutmachung, idealer-, eigentlich notwendigerweise auch Versöhnung, ist das echte Mitgefühl des Täters mit dem Opfer, nicht nur die rationale Schuldeinsicht.
Sodann die Schuldanerkenntnis gegenüber sich selbst und dem Opfer sowie der Öffentlichkeit, die Verantwortungsübernahme für die Tat und das eigene, echte Bedürfnis (!) des Täters nach Wiedergutmachung gegenüber dem Opfer.
 
Dieses dringende Bedürfnis nach von ihm zu leistender Wiedergutmachung und auch nach Versöhnung wird ein Täter nur/erst dann haben, empfinden, wenn er den Schmerz, das Leid des Opfers (das er diesem wissentlich, absichtsvoll zufügte) nicht nur rational versteht, nachvollzieht, sondern emotional fühlt - Mitgefühl.
 
Und noch einmal: Mitgefühl (Mitfühlen, Mitleiden) geht weit über Empathie (Einfühlen) hinaus.
 
Auch ein Psychopath muss sich bis zu einem gewissen Grade in sein Opfer einfühlen, um es manipulieren zu können.
Boris Cyrulnik unterscheidet (ggf. etwas anschaulicher) begrifflich zwischen Objekt- und Subjektempathie.
 
W i e dieses Mitgefühl beim Täter zu erwirken ist, bedarf eigener, umfassender Darlegung (gerne an anderer Stelle), ganz sicher jedoch ist es nicht durch Strafe, Zwang, Gewalt zu erwirken.
 
-
update 25. Oktober 2020
 
Sicher müsste, sollte man als erwachsener Mensch Verantwortung für sein Tun tragen, aber wer stark selbst beschädigt worden ist, benötigt zunächst Therapie, u m nicht weiterhin andere seinerseits zu schädigen.
Hier fehlt es zumeist an entsprechendem niedrigschwelligen (!) Angebot (für Unterstützung, Therapie) und an zuvor der Schuldeinsicht und Therapiebedürftigkeit (-seinsicht) der Täter, außerdem völlig an angemessener Prävention.
 
So lange der jeweilige Täter keine Schuldeinsicht hat, keine Reue empfindet, also: echtes Mitgefühl mit dem Opfer - somit eigenen (!) Schmerz über seine Tat - wird, kann er keine tatsächliche Verantwortung für selbige übernehmen.
 
Erst, nur dann, wenn der Täter selbst nicht nur rational erkennt, sondern emotional (nach-) f ü h l t, dass und "welchen" Schmerz er dem Opfer womit wie zugefügt hat, wird er selbst das Bedürfnis nach Wiedergutmachung und Verzeihung (-gewährtbekommen) haben: können.
 
-
Aktualisierung am 24. März 2020
 
Gefängnishaft, Freiheitsentzug, Strafe ist der falsche, weil n u r destruktive, schädigende Weg. Grundsätzlich immer und überall. Denn es geht dabei nicht um Resozialisierung, Prävention und Wiedergutmachung (restorative justice) sowie Versöhnung, Reintegration (in Gesellschaft, in ein selbstbestimmtes Leben mit Selbstwirksamkeit im Tun, Verhalten, Handeln), sondern um Demonstration und Vollzug von Macht, Rache, Unterwerfung, Erzeugen von Angst, Leid und Gehorsam. Es geht um Gefügigmachen und Ausbeuten.
 
All das hat nichts mit Gerechtigkeit, Reflexion, Besonnenheit zu tun, all das erwirkt keine echte Schuldeinsicht, kein Mitgefühl, kein prosoziales Verhalten bei Tätern, stattdessen zumeist Wut, Hass, Vergeltungswünsche, Abwehr, Verweigerung, Aggression und wiederum Gewalt, ggf. auch gegen sich selbst (bis hin zum Suizid) oder eben Unterwerfung.
 
All das hilft Opfern nicht im Geringsten. Opfer benötigen für ihren Heilungsprozess die ehrliche Schuldeinsicht, Schuldanerkenntnis, das Mitgefühl und die Verantwortungsübernahme sowie Wiedergutmachung des jeweiligen Täters - soweit als jeweils möglich und immer begleitet von versierter Unterstützung, bspw. durch Mediatoren, Therapeuten, Sozialarbeiter ... .
 
Nur wenn der Täter echtes Mitgefühl mit dem, "seinem" Opfer hat, f ü h l t, d.h. letztlich eigenen Schmerz erleidet, wird er auch zur Reflexion, Einsicht, (Selbst-) Erkenntnis bereit und fähig sein und auf Basis dieses Mitgefühls (des eigenen Schmerzes, des Zulassens desselben) selbst ein echtes Wiedergutmachungsbedürfnis und den Wunsch nach Verzeihung entwickeln.
Nur dann kann das jeweilige Opfer tatsächlich verzeihen, heilen.
 
Idealerweise schließt sich diesem Prozess auch Versöhnung an - um wieder ohne Angst, Groll, Wut, Hass, Rachegedanken oder gar -taten in derselben Welt leben zu können.
 
All das setzt natürlich eben dies voraus: Das Stärken des Mitgefühls des Täters sowie dessen Persönlichkeitsreifung (-sprozess). Hierbei sollte er je individuell angemessen, bedürnfisorientiert und respektvoll unterstützt werden. - Kein Mensch wird als Täter geboren, er wird aus Gründen dazu, die zumeist in seiner Kindheit und Jugend liegen sowie in Gesellschaftsstrukturen, politischen Verhältnissen und persönlichen Erfahrungen, die dies forcieren, statt dem vorzubeugen.
 
-
 
Siehe zu Selbstwirksamkeit, Autonomie, Vitalität und den Folgen von Repression, Strafe, Autoritarismus, Ausgrenzung - auch durch Armut - Depression und Sucht die Selbstbestimmungstheorie (SDT).
 
Daran ist erkennbar, dass und warum Strafe, Zwang, Dressur nicht, insbesondere nicht dauerhaft, langfristig, "funktionieren" können, stattdessen schaden.
 
 
Über Strafe, das Strafen, Schwarze Pädagogik, Straftäter, das Täter-Opfer-Verhältnis, Reue, Wiedergutmachung ...
 
Das Strafen hat wesentlich drei Aspekte, d.h. es soll aus Sicht des Strafenden alle drei oder jedenfalls einen dieser Aspekte funktional erfüllen; der das Strafen Tätigende (ich verwende bewusst diesen Ausdruck, da das – stets absichtsvoll ausgeführte - Strafen eine Tat, der Strafende ein Täter ist, was ich im Folgenden noch näher ausführen werde) möchte damit folglich eine oder alle der drei folgenden Wirkungen erzielen:

- Machtdemonstration - einhergehend zumeist Unterwerfung, Unterdrückung, auch Erniedrigung, Demütigung, Beschämung der Person(en), gegenüber welcher die Macht "demonstriert" wird
 
- Rache nehmen, Vergeltung ausüben bzw. erleben - einhergehend eine durch solches Denken, vor allem herzverengte Fühlen, Verhalten/Tun angestrebte Genugtuung, die sich allerdings nicht (insbesondere nicht langfristig) wohltuend auswirkt, kein Gefühl von Zufriedensein, von Frieden, Ausgeglichenheit, Ruhe, Loslassenkönnen evoziert
 
- Schmerz zufügen, Schmerz auslösen – einhergehend zumeist beide oder einer der beiden zuvor genannten Aspekte
 
 
Was sofort erkennbar wird, ist die Destruktivität, Negativität, Fremd- und Selbstbeschädigung, die das Strafen tatsächlich immer, wenngleich dem Strafenden häufig nicht bewusst, unweigerlich begleiten.

Durch das Strafen kann infolgedessen nie etwas Gutes, Positives, Zuträgliches, Wohltuendes, Konstruktives erwirkt werden, sondern das genaue Gegenteil dessen.

Insbesondere durch die psychisch-emotionale (Demütigung, Erniedrigung, Beschämung, Ignorieren, Entzug von Zuwendung, Ohnmachtsgefühl, Gefühl des Ausgeliefertseins, Verzweiflung etc.) und unter Umständen auch physische Schmerzerfahrung, die der Bestrafte grundsätzlich (mehr oder weniger intensiv, mehr oder weniger bewusst/reflektiert) beim Bestraftwerden - und zumeist auch noch längerfristig in dessen Folge - macht, werden beim Bestraften Trotz, Aggression, Abwehr, Verweigerung, Hass und/oder Traurigkeit oder Resignation, bis hin zu Gewaltanwendung gegen andere oder sich (den Bestraften) selbst ausgelöst, schließlich auch eine generelle emotionale Verhärtung, Abwehr, Verpanzerung, d.h. eine deutliche Abnahme von Empathie und Mitgefühl.

Genaueres hierzu findet sich in bspw. Joachim Bauers herausragendem Buch "Schmerzgrenze – Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt", das ich auch an dieser Stelle noch ein weiteres Mal zur Lektüre empfehle.
 
Nicht selten ist eine Gewaltspirale (in Form von psychisch-emotionaler, häufig auch physischer Gewalt) die Folge – wie sich rings um den Globus unzweifelhaft und leider nach wie vor wahrnehmen lässt – sowohl auf privater als auch politischer Ebene.
 
Was durch das Strafen hingegen – aus genannten Gründen – nie, insbesondere nicht dauerhaft, "nachhaltig", erreicht, erwirkt werden kann, folglich auch nicht wird, ist eine dauerhafte, intrinsisch motivierte (statt nur oktroyierte) Verhaltensänderung des Bestraften im Sinne von wünschenswertem, gebotenem, angemessenen, d.h. vor allem rücksichtsvollen, umsichtigen, fairen, also kooperativen, prosozialen Verhalten.
 
Dem Strafenden geht es zumeist auch gar nicht um dieses Ziel, d.h. ein solches Verhalten, eine solche Verhaltensänderung des Bestraften; der Strafende möchte viel mehr mittels des Strafens erreichen, dass der Bestrafte sich in einer Weise verhält, die vorrangig bis ausschließlich dem persönlichen Willen, den Vorstellungen, den Interessen des Strafenden entspricht; dem Strafenden geht es also keineswegs um eine tatsächliche, echte Klärung und Konfliktlösung, schon gar nicht auf Augenhöhe, d.h. respektvoll, empathisch bzw. mitfühlend, im Sinne und zum tatsächlichen Wohle aller Beteiligten, sondern es geht ihm recht selbstsüchtig um eigentlich nur das Durchsetzen seiner eigenen Interessen, Vorstellungen, seines persönlichen Vorteils - und sei dies "nur", dass er sich als der "Stärkere", vermeintlich Überlegene, Mächtige, "Herrschende" fühlen kann, jedenfalls: will.    
 
Was sich angesichts dessen offenbart, ist die Schwäche des Strafenden, dessen ureigene Unzulänglichkeit, dessen charakterliche Defizite – indem er straft, das Strafen tätigt, bringt er demonstrativ zum Ausdruck, dass er der eigentlich Unterlegene, der Schwache, der Hilflose ist, der mittels des Strafens nur kompensatorisch handelt und damit seine eigenen Unzulänglichkeiten zu übertünchen, zu verbergen versucht – dies ist im Übrigen grundsätzlich typisch für das Machtgebaren, für Machtwünsche: sie sind immer kompensatorisch.
(An dieser Stelle sei auf bspw. Erich Fromm verwiesen.)
 
Vor dem Hintergrund all dessen zeigt sich nun auch, dass der Strafende selbst ein Täter, ein Straftäter ist – in zweifacher Wortbedeutung also:
Er tätigt bewusst, absichtsvoll, vorsätzlich Strafe - somit fügt er wissentlich, absichtsvoll Schmerz zu, tätigt also eine Beschädigung des Bestraften: absichtsvoll/vorsätzlich – und indem er diesen Schmerz zufügt, diese Beschädigung wissentlich, absichtsvoll vornimmt/ausführt, macht er sich selbst zum Täter im Sinne einer häufig auch rechtlichen Straftat.
 
Was der Strafende mittels des Strafens beim Bestraften grundsätzlich nicht erwirkt (aus genannten Gründen nicht erwirken kann), sind echte, ehrliche Reue, auch nicht Wiedergutmachung (-sbedürfnis).

Hierfür ist ganz anderes erforderlich – siehe Schuldeinsicht, Reue auf Basis von Mitgefühl, Um-Verzeihung-Bitten-Können bzw. –Wollen und Verzeihen-Können bzw. –Wollen.

An anderer Stelle im blog habe ich dies bereits ausführlicher dargelegt, siehe bei Interesse dort (blog-Eintrag "Über Täter, Opfer, das Vergeben").
 
Der Strafende will gegenüber dem Bestraften (oder erst noch bestraft Werdenden) im Übrigen auch auf lange Sicht gerade kein Verhältnis auf Augenhöhe (kein Verhältnis gegenseitigen Respekts, gegenseitiger Wertschätzung) erzielen – der Strafende möchte den Bestraften viel mehr gerade absichtsvoll in eine unterlegene, in eine Bittsteller-, Büßerposition bringen, er möchte bei ihm Schuldgefühle, auch Scham, Sich-beschämt-Fühlen auslösen, ihn also erniedrigen, unterwerfen, beherrschen – nicht selten: um über ihn, den Bestraften, verfügen, ihn instrumentalisieren und ausbeuten zu können, um ihn zum Gehorsam zu zwingen, um ihn sich Untertan zu machen (siehe wieder die kompensatorischen Machtwünsche).
 
Aus dem hier Dargelegten erklärt sich, warum am Strafen, an Sanktionen, an Bestrafung dennoch (leider weltweit und nach wie vor) festgehalten wird: um Macht damit zu demonstrieren, um Menschen zu unterwerfen, sie instrumentalisieren, ausbeuten zu können, vermeintlich zu dürfen, um Menschen beschädigen, brechen zu können, vermeintlich zu dürfen, um egomane Interessen, Verhältnisse, Vorteile durchzusetzen bzw. zu erhalten oder (wieder-) zu erlangen und um sich selbst – als Strafender/Sanktionierender – damit selbstschonend dem Selbstbetrug hingeben, d.h. überlassen zu können.
 
Letztlich hat das also sehr viel mit Mangel, mit Mangelhaftigkeit, mit Defizitärsein, mit mangelnder Herzens- und Charakterbildung, mit insbesondere fehlendem bzw. unzureichenden Mitgefühl zu tun – Schwarze Pädagogik: Druck, Zwang, Kontrolle, Schikane, Härte, Strenge, Kälte, Verweigerung, Entzug, Erniedrigung, Strafe, Schmerz – Gewalt.
 
Dies ist dem sich in solcher Weise Verhaltenden, dem Strafenden, gar nicht so selten durchaus bewusst, wenngleich er es immer wieder auch vor sich selbst zu leugnen, zu verdrängen, zu rechtfertigen versucht - denn:
Es generiert dies Scham in ihm, wenn er sich seiner Unzulänglichkeit(en), seines tatsächlichen Fehlverhaltens bewusst wird und gerade diese Scham ist ihm unerträglich. Er fühlt sich durch sie klein, falsch, hässlich, schwach, gedemütigt und bedürftig – all das, das er selbst ja gerade nicht fühlen will (also: Schmerz), daher abwehren "muss" und es "stellvertretend"/kompensatorisch an anderen ausagiert.
 
Es ist dies alles andere als Ausdruck psychisch-emotionalen "Gesund-", d.h. Heilseins.
 
Nein, das habe ich mir nicht angelesen oder irgendwo abgeschrieben – zu diesen Einsichten und Erkenntnissen gelangt man im Lebensverlauf üblicherweise (früher oder später) selbständig.
 
-
 
Ich wiederhole noch einmal: Es ist eine natürliche Reaktion, als selbst Betroffene(r) Wut, Abgestoßensein, Schmerz, Trauer zu empfinden. Aber wir sind gerade keine Tiere, sondern Menschen, die reflektieren können, die sich Moralsysteme geben, die sich ethisch verhalten - wollen und können, außerdem: für ein friedliches Zusammenleben müssen (Kooperation statt Kampf, Mitgefühl statt Gewalt).

Wenn Menschen zu Tätern werden, hat das immer Ursachen, es ist also die Frage zu stellen nach der Veranwortlichkeit - wer hat welche Taten letztlich tatsächlich aufgrund welchen Verhaltens, welcher gesellschaftlichen und politischen Umstände, Verhältnisse und daraus resultierender persönlicher Lebensbedingungen, Lebenserfahrungen und Beschädigungen zu verantworten?

Die zu stellende Frage müsste sein, wie dem vor allem vorgebeugt werden kann, statt weiterhin Menschen zu Tätern werden zu lassen bzw. zu machen - durch bestehende gesellschaftliche, politische und infolgedessen je persönliche Verhältnisse, Missstände ... .


Und wenn Täter zu Tätern werden, weil sie selbst Opfer waren/sind, weil sie aufgrund eigener massiver Beschädigungen (Beschädigtwordenseins) gewalttätig werden, ist es dann nicht infam, all die Hintergründe, Ursachen, Zusammenhänge nun plötzlich vollständig außenvorzulassen, die zur Tat letztlich führten und nur die Einzelperson (den Täter) für all das als allein verantwortlich zu erklären? - Wie bequem, wie perfide ist das letztlich tatsächlich?
 
Man macht es nur sich selbst sehr leicht, wenn man einen Täter selbstgerecht, ignorant, emotional verpanzert/verhärtet (also selbstschonend, selbstbetrügend) rein nur als "Bestie" sieht/sehen will, ihm somit das Menschsein abspricht - was unterscheidet solches Denken von dem anderer Täter, die ihre Opfer ebenfalls entmenschlichen (müssen)?
 
Anmerkung zur Rückfälligkeit:
 
So lange mit Tätern nicht je individuell angemessen (siehe Täterpersönlichkeit ...) umgegangen wird, wird die Rückfälligkeit hoch sein und bleiben (müssen).
Ich habe die Äußerungen von Dr. Thomas Galli bereits verlinkt, der Gefängnisleiter war und es folglich wissen muss . Was in Gefängnissen an "Therapie" stattfindet - im Rahmen auch der Haftverhältnisse - kann nicht hilfreich sein.
 
Noch einmal: Es geht nicht darum, Täter als nicht verantwortlich darzustellen oder sie zu schonen, es geht darum, wie mit Tätern aus welchen Gründen angemessen umzugehen ist und wie mit Opfern.
 
Strafe hilft niemandem - auch den Opfern nicht. Heilen würde nur Reue, Einsicht, also Mitgefühl auf Seite des Täters, ehrliches Um-Verzeihung-Bitten (das zu können, dies zu wollen, es zu lernen), angemessene Wiedergutmachung (Täter-Opfer-Ausgleich).
 
Nur wenn der Täter diesen Reifungs- und Heilungsprozess durchläuft (meist nur mit Unterstützung möglich), ist das zugleich Prävention vor weiteren Straf-, Gewalttaten durch ihn.
 
Strafe heilt auch das Opfer nicht, es bleibt beschädigt (verletzt, angstvoll, wütend, auch hilflos, ohnmächtig, verzweifelt) zurück und Rache- und/oder Hassgefühle belasten es weiterhin.
 
-
Nochmal - Warum Prävention, Mediation, Wiedergutmachung, statt Strafe:
 
Strafe bewirkt nachweislich grundsätzlich kein prosoziales Verhalten. Strafe hat keine abschreckende Wirkung, bekanntlich nicht einmal die Todesstrafe.
Strafe verhindert also keine Straf-, keine Gewalttaten und beugt diesen auch nicht vor.
 
Durch Strafe wird nichts besser, keine Verletzung, keine Beschädigung lässt sich durch Strafe beheben, gar heilen.
 
Dem Beschädigten, Verletzten geht es nicht minimalst besser, wenn der ihn Schädigende bestraft wird/wurde, im Gegenteil: Rache, Vergeltung, Hass, stets kompensatorisches Machtstreben, Machtdemonstrieren und eigenes Gewalttätigen (psychisch-emotionale oder physische, auch sexuelle oder auch soziale und strukturelle Gewalt) sind ihrerseits negative Handlungen, die mit negativen, destruktiven, un- und asozialen, somit belastenden, beschwerenden Gedanken, Gefühlen, Verhaltensweisen einhergehen.
 
Der Strafende beschämt sich durch sein Strafen, d.h. durch das von ihm getätigte absichtsvolle, vorsätzliche, gezielte Schmerz-, Leidzufügen selbst - er erniedrigt sich damit selbst: sowohl vor dem Bestraften als auch und insbesondere vor sich selbst, denn er zeigt mit dem Strafen und dem Willen zum Strafen eines in aller unmissverständlichen Deutlichkeit: s e i n e Schwäche, seine Unzulänglichkeit, sein eigenes Überfordertsein, seine mangelnde Sozialkompetenz, seinen Mangel an Mitgefühl, seinen Mangel an Souveränität - seine ureigene Unreife.
 
Was ein beschädigter, verletzter Mensch braucht, ist Wiedergutmachtung - vom Täter. Er braucht d e s s e n Verständnis, Mitgefühl, Schuldeinsicht, Erkenntnis und Bitten um Verzeihung sowie Bemühen um das Beheben der Schäden, soweit jeweils möglich.
 
Was ein Täter braucht, ist das Verzeihen des Opfers, das Bewältigen seiner Scham, seiner eigenen Verletzungen, bedürfnisorientierte Unterstützung hierbei, Wiederherstellung oder auch erstmaliges Ausbilden seines Selbstwertgefühls, seiner Würde - er braucht Verständnis, Mitgefühl, Anerkennung, Wertschätzung und eigene Heilung.
 
Denn kein Mensch wird als Täter, wird "böse, schlecht" geboren. Jeder Täter war und ist selbst Opfer - nicht selten seiner sozialen, familiären Herkunft, seiner prekären Lebensverhältnisse, materieller Armut, Benachteiligtseins - somit gesellschaftlicher, politischer Verhältnisse, Missstände und persönlicher, familiärer Beschädigungen.
 
Warum nicht einfach "wegsperren"? Weil man nicht alle Täter nur wegsperren kann (schon aus logistischen, organisatorischen, rechtsstaatlichen, ethischen und auch finanziellen Gründen nicht) und weil das beim jeweiligen Täter nicht zu Einsicht, Erkenntnis, Reue oder Wiedergutmachung, auch nicht zu prosozialem Verhalten führt, siehe oben.
 
Warum Mediation, Wiedergutmachung?

Weil es für das zwischenmenschliche Neben- und Miteinander in jeglicher kleinen und großen Gemeinschaft, Gesellschaft - auch in Familie, Freundschaften, in zwischenmenschlichen Beziehungen - eines Vertrauensfundaments bedarf, da anderenfalls kein friedliches Miteinander möglich ist, keine Interaktion. - Kein Mensch ist eine Insel.
 
Diese Mediation sollte grundsätzlich angeboten, geleistet, durchgeführt werden, statt Strafjustiz.
 
Ja: Das kostet viel Kraft, Stärke, es verursacht Schmerzen - insbesondere beim Täter, der mit seiner Scham über seine Tat, mit seinen negativen Gefühlen, seiner Wut, seiner Hilflosigkeit, seiner Haltlosigkeit nochmals konfrontiert wird - immer wieder, denn mit einem Einzelgespräch ist es nicht getan. Grundsätzlich ist auch an ganz andere Interaktion zu denken, nicht nur an Gespräche in Bezug auf Mediation, sondern auch an bspw. gemeinsames Tun (welcher Art auch immer - siehe bspw. auch verschiedene Therapieformen).
 
Es kostet auch das Opfer Kraft und verursacht auch ihm zumeist unangenehme Gefühle - Angst, Wut, Trauer, Hilflosigkeit, Haltlosigkeit, vielleicht sogar Hass, Ekel, Abscheu.
Es wird dadurch ebenfalls auf sich selbst zurückgeworfen, mit sich selbst, seinem Selbst konfrontiert - mit eigenen Schwächen, Unzulänglichkeiten, mit eigener Verletzlichkeit, Verwundbarkeit, Fragilität.
 
Aber nur das ist angemessenes Bewältigen von Verletzungen, Beschädigungen - seien es eher harmlose oder auch schwerwiegende.
 
Unabdingbar ist hierfür das jeweilige Mitgefühl auf beiden Seiten, eine gewisse Reflexionsfähigkeit und das Überwinden (-wollen) des selbstschonenden, kompensatorischen Selbstbetrugs. Denn der Selbstbetrug verhindert jegliches Aufeinanderzubewegen, jegliches Brückenbauen, jegliche Einsicht und Erkenntnis, jegliches Reifen (-können) und somit: jegliche tragende Beziehungsbasis, also das oben erwähnte Vertrauensfundament, dessen es jedoch unabdingbar bedarf - gleich, ob es sich bei Opfer und Täter um einander bisher fremde oder bekannte, vertraute Personen handelt.
 
Durch die Tat sind sie unabänderlich in einen "Kontakt" geraten, der nicht mehr ungeschehen zu machen ist, mit dem fortan zwangsläufig gelebt werden, der folglich bewältigt werden muss. Alle Verdrängungsversuche sind zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. - Man wird so lange nicht vergessen können, es wird so lange im Untergrund schwelen, als es nicht aufgelöst ist. Und es ist für dieses Auflösen gerade erforderlich, dass Opfer und Täter einander (wieder) als Menschen, als Persönlichkeiten sehen und respektieren, anerkennen und behandeln können. - Kein Mensch ist eine Insel.
 
Leider fehlen in unserem Rechtsstaat, in unserer Gesellschaft die erforderlichen Strukturen, Gesetze, Mittel für solche Mediation, für angemessene, so wichtige Prävention und für Wiedergutmachung. Insbesondere auch die Einsicht, Erkenntnis in deren Notwendigkeit und das erforderliche Mitgefühl, Bewusstsein, die Sensibilität, die Reflexionsfähigkeit.
 
Nach wie vor setzt der Staat, die Gesellschaft, Regierungspolitik auch in Deutschland noch immer auf eine barbarische, vorzivilisatorische Strafjustiz - statt auf Wiedergutmachung, restorative justice. Und richtet damit weitere massive Schäden an - oft irreversible.
 
-
Aktualisierung am 29. September 2019
 
Was ist die Grundlage für Rache, für Rachegedanken, Rachewünsche?
 
Es gibt sicher auch sadistische, nicht wenige persönlichkeits- und leider zahlreiche bindungsgestörte Menschen weltweit - mit entsprechenden Folgen. Auch die persönlichkeitsgestörten Menschen allerdings kommen nicht als pathologische Narzissten oder Psychopathen, nicht als Gewalttäter zur Welt.
 
Für die meisten Menschen dürfte es sich folgendermaßen verhalten, siehe Schmerzgrenze, Aggression, Ausgrenzung, fehlende Kommunikation, fehlende Mediation, Gewalt:
 
Wenn ein Individuum für erlittenen (intensiven) Schmerz, erlittenes, d.h. durch andere zugefügtes (!), beschädigendes Leid nicht Ausgleich, Wiedergutmachung - auf Basis des ehrlichen, wahrhaftigen, authentischen Mitgefühls, der Reue des Täters - erfährt, erhält, kommt es auch beim jeweiligen Opfer zu Aggression: i n F o l g e des erlittenen Schmerzes, Leids und der "ausbleibenden", nicht geleisteten Wiedergutmachung des Täters, des Beschädigenden. Daraus (!) resultiert beim Opfer der Rache-, Vergeltungswunsch.
 
Dieser Rachewunsch oder gar eine Rachetat kann nur abgewendet bzw. ihm/ihr zeitnah (!) vorgebeugt werden, wenn der Beschädigende, der Täter, d.h. der Schmerz-, Leidzufügende - sei dies eine Einzelperson oder auch bspw. ein Staat, eine staatliche Institution wie Polizei, Justiz, Behörden ... - eine angemessene, bedürfnisorientierte, respektvolle Wiedergutmachung zeitnah leistet.
 
"(...) Wenn die Schmerzgrenze eines Lebewesens tangiert wird, kommt es zur Aktivierung des Aggressionsapparates und zu aggressivem Verhalten. (...)
 
Demütigung und Ausgrenzung werden vom menschlichen Gehirn wie körperlicher Schmerz erlebt, sie tangieren die Schmerzgrenze. (...)
 
Jeder Tat geht eine langsame, konsequente Entwicklung voraus. (...) Jede aggressive Tat, und sei sie noch so unmenschlich, folgt einer verborgenen Logik. (...)
 
Schwere physische Gewalt tritt vor allem dort auf, wo die verbale Kommunikation zwischen dem (späteren) Täter und seiner Umgebung zum Erliegen gekommen ist. (...)

Erfolgreich kommunizierte Aggression ist konstruktiv. Aggression, die ihre kommunikative Funktion verloren hat, ist destruktiv. (...)
 
Menschliche Aggression ist ein kommunikatives Signal, welches der Umwelt anzeigt, dass ein Individuum nicht in der Lage oder nicht bereit ist, einen ihm zugefügten physischen oder seelischen Schmerz oder eine entsprechende Bedrohung hinzunehmen. (...)
 
Dort, wo Kontrahenten nicht mehr miteinander sprechen, verliert die Aggression ihre kommunikative Funktion. Sie wird dann zu einem rein physichen und in der Regel ausschließlich destruktiven Geschehen. Eine letzte Rettungschance in einer solchen Situation ist die Mediation, d.h. die vermittelnde Einschaltung Dritter, die versuchen, zwischen den jeweiligen Kontrahenten zu vermitteln. (...)"
 
Quelle der zitierten Passagen: Joachim Bauer - "Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt"
 
-
 
update 14. Februar 2021
 
Strafe, Gefängnis, Haft abschaffen. Abolitionismus
 
Verantwortung, Wiedergutmachung und tatsächliche Prävention: in, durch Gesellschaft, Politik, Kindheit, soziale Verhältnisse.
Armut effektiv beheben, Kapitalismus überwinden.
 
Es gibt keine "Resolzialisierung" im Knast, auch keine Resilienz. Das Fehlen von Beziehung, Nähe, Berührung, die Isolation führen nur zu mehr Aggression, Gewalt, Abwehr, Abstumpfen, nicht zu Reflexion, Reifung, Heilung und prosozialem Verhalten.
 
"[...] Das grundsätzliche Problem sehe ich aber darin, dass die Leute, sobald sie draußen sind, wieder mit den gleichen Verhältnissen konfrontiert sind wie vorher. Da kann man sich noch so doll im Knast überlegen, dass das alles falsch war und dass man jetzt geläutert ist, aber das wird halt draußen nicht funktionieren. Du merkst schon meine Interpretation, die dahintersteckt: Die Leute, die im Knast sitzen, sind das Symptom von gesellschaftlichen Problemen, die damit individualisiert werden. [...]
 
Bei fast allen Projekten ist es so, dass der Frauenknast irgendwie keine Rolle spielt. Argumentiert wird das damit, dass dieser zahlenmäßig nicht relevant wäre. [...]
Ich kann daher auch wenig dazu sagen, wie es für Frauen ist, im Knast zu sitzen. Wir wollen das gerne, aber da kommen wir nicht ran. Wir dürfen da nicht rein. Sie sind nicht wichtig. [...]
 
Dazu müsste man am sozialen System der Menschen anknüpfen. Was der Knast jedoch macht, ist, die Leute noch mehr von ihrem sozialen System zu isolieren. Zusätzlich schwächt er auch noch die Familie oder das soziale Umfeld – zum Beispiel dadurch, dass einfach jemand fehlt, aber auch dadurch, dass die Familienversicherung und die Krankenversicherung pausiert wird, wenn Inhaftierte im Knast arbeiten. Familien müssen sich um eine eigene Versicherung kümmern, das ist teuer. Allgemein ist es ja auch stark mit Scham behaftet, in den Knast zu gehen. Das ist ein Schock für die Familie.
Solange man nicht da ansetzt, wird man es nicht hinkriegen, dass Leute weniger straffällig werden. Im Gegenteil. Die Art und Weise, wie der Knast heute funktioniert, führt dazu, dass Leute es noch schwerer haben, nicht nochmal straffällig zu werden. [...]
 
Knast hat die Funktion, die kapitalistischen Verhältnisse zu schützen und die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse in dieser Form beizubehalten, die Leute zu schützen, die von diesen Verhältnissen profitieren. Aus meiner Sicht hat Knast nicht das Ziel, einzelnen Menschen in irgendeiner Form zu etwas zu verhelfen… [...]
 
Anschließend an restorative justice-Ansätze sollte man eher schauen, wie man diese Probleme systemisch lösen kann, anstatt jetzt eine individuelle Person wegzusperren. Auf den ersten Blick sehen diese Ansätze so ein bisschen soft aus – also Leute werden jetzt nicht mehr bestraft. Ich glaube aber, dass es viel schwieriger ist, sich mit einer Tat auseinanderzusetzen und tatsächlich reflektieren zu müssen. Und das ist etwas, was durch das aktuelle Knastsystem verhindert wird. Es wird dafür gesorgt, dass die Verurteilung das Thema ist und dass man gegen ein Gesetz verstoßen hat. Wenn es betroffene Personen von der Tat gibt, geraten diese total aus dem Blick. Eine Alternative wäre, diese Personen miteinzubeziehen und dafür zu sorgen, dass der Täter oder die Täterin in dem Fall Verantwortung übernimmt. Also kurz, von der Schuld zur Verantwortung zu kommen. Und ich finde Strafe vermittelt eher Schuld und vermittelt auch, dass man die absitzen kann. Man kann aber das Leid, das man jemandem zugefügt hat, nicht absitzen. Und das ist jetzt nur die Perspektive der Täter. Es kommt ja noch hinzu, dass die Betroffenen auch ein Recht darauf haben, selbstbestimmt daran teilzuhaben. [...]
 
Die Leute werden ja erst durch den Knast de-sozialisiert. Sie werden ja aus ihren sozialen Beziehungen herausgerissen. Dann zu sagen, „jetzt fangen wir an, euch wieder zu resozialisieren, das machen wir aber an einem Ort außerhalb der Gesellschaft“, das ist doch absurd! Und noch abwegiger wird es, wenn man sich die Arbeitsverhältnisse im Knast anschaut: Viele Firmen lassen ganz normal produzieren in Gefängnissen. Und es gibt einen ganz normalen 8-Stunden-Arbeitstag, nur dass man keine Arbeitsrechte hat, überhaupt nicht mitbestimmen kann. Inhaftierte werden extrem schlecht bezahlt, weit unter dem Mindestlohn und das Argument dafür ist, dass es keine Arbeit ist, was sie da leisten, sondern Resozialisierung. Ich verstehe nicht, wie das jemand ernsthaft behaupten kann.
 
Das ist moderne Sklaverei eigentlich.
 
Ja genau, ist es. Es ist auf jeden Fall nicht menschenwürdig, unter diesen Verhältnissen zu leben und zu arbeiten. Das Ding ist, dass Leute auch draußen menschenunwürdig leben müssen und es deswegen auch im Knast eine relativ große Akzeptanz dafür gibt. [...]
 
Es gibt die Solidarität nur in den alltäglichen Dingen und nicht in den strukturellen. Wenn man draußen ist, dann unterstützt man nicht die Familien von anderen Inhaftierten. Es hätte schon eine krasse Kraft, wenn Gefangene sich mehr solidarisieren würden.
Wir sprachen ja schon über staatliche Gewalt oder systemische Gewalt. Spielt das in deiner Arbeit eine Rolle? Gibt es bei den Inhaftierten ein Verständnis von Staatsgewalt?
Bei einigen schon. Aber eher bei denjenigen, die dieses Verständnis auch vor der Inhaftierung schon hatten. Es sitzen ja zum Beispiel viele Menschen im Knast, weil sie der PKK zugeordnet werden. Die haben dieses Verständnis sicherlich. Aber ich habe das bisher jedenfalls noch nicht mitbekommen, dass Leute das in der Haftzeit entwickelt haben. [...]
 
Es ist ja schmerzhaft, sich bewusst zu machen, wie ausgeliefert man ist und wie ungerecht das alles ist. Da hat niemand etwas davon, wenn da eine kleine Revolte blutig niedergeschlagen wird. [...]
 
Aber kann das nicht auch eine Entlastung-Funktion haben? Ein Bewusstsein über die Macht des strafenden Staats?
 
Das stimmt, kann es auch. Und wenn du es jetzt so sagst, dann spielt das tatsächlich auch eine Rolle, also wir thematisieren das auch. Gerade diese Reflexion der Verhältnisse, in denen man vor der Inhaftierung gelebt hat, und was dazu geführt hat, dass man diese und jene Probleme hat. [...]
 
Gibt es in deiner Arbeit Ansätze, die schon so in die Richtung transformative oder restorative justice weisen?
 
Nicht wirklich. Klar, wenn ich mit meiner Überzeugung und meiner Haltung meine Arbeit mache, dann spielt das natürlich eine große Rolle in allem, was ich tue. Das lässt sich davon gar nicht trennen. Aber das System ist so restriktiv, dass es unmöglich ist, da Konflikte so zu klären. [...]
 
Tragisch ist, dass man im Knast eigentlich am besten durchkommt, wenn man so richtig stumpf ist. Also, dann fällt man nicht auf, wenn einem alles egal ist, wenn man irgendwie keine Emotionen mehr hat oder die so sehr verdrängt, dass sie keine Rolle mehr spielen. Selbstreflexion macht wütend und traurig und verzweifelt und dann wird man vielleicht bei einem Streit superschnell hochkochen. Aber eigentlich ist das etwas Gutes, weil man gerade eine heftige Selbsterkenntnis hatte. Aber dafür gibt es keinen Raum. Da schließt sich der Bogen wieder zu einer Kritik am Resilienzbegriff, weil dieser schnell so interpretiert werden kann: Alles ist scheißegal und man funktioniert weiter, ohne großartig aufzufallen. Das ist ein Verhalten, das eher zu Gewalt führt, denke ich. Es hängt auch mit manchen Idealen von Männlichkeit zusammen, die viele Leute in den Knast gebracht haben: Einer krassen Idealisierung von Härte und die Unfähigkeit, sich Hilfe zu holen. Wir versuchen sehr viel, das aufzuarbeiten. Da geht es dann aber auch wieder um kollektive Lösungen. [...]
 
Wenn man überzeugt ist, dass es niemanden gibt, der einem hilft, dann braucht man auch gar nicht erst danach zu fragen. Ich habe das schon auch erlebt, dass viele Personen, mit denen ich zu tun habe, selber auch krasse Isolation und Gewalt erfahren haben. Was sie dann selber an Scheiße gebaut haben, war keine direkte Reaktion darauf, aber es hat auf alle Fälle dazu beigetragen, dass sie niemanden hatten, an den oder die sie sich wenden konnten.
Noch einmal zu der Frage, ob es in unserer Arbeit solche Ansätze gibt, mit denen sich die Inhaftierten mit ihren Taten und den Betroffenen auseinandersetzen. Mal abgesehen davon, dass es zu dem Zeitpunkt, an dem die Leute verurteilt werden, schon zu spät ist dafür. In Haft ist es schwer und hängt damit zusammen, dass man im Knast, wenn man zu emotional ist, damit überhaupt nicht durchkommt. Es ist viel verlangt, sich emotional zu öffnen, und das muss man für eine Reflexion. Und dann kommen auch die anderen Gefühle mit. Ich weiß nicht, wie verantwortungsvoll das ist, Leute dazu zu überreden, diese Emotion zuzulassen und dann geh ich und sie werden in die Zelle gesperrt und sind dann da mit sich alleine. [...]
 
Würdest du sagen, das System Strafe und das System Knast sind reformierbar?
 
Nein, absolut nicht. Aus allen Gründen, die ich bisher genannt habe. Die Hoffnung auf Reformierbarkeit setzt einfach an der falschen Ebene an, die ganze Grundlage davon ist falsch. Man müsste komplett neu ansetzen, nämlich an kollektiven Lösungen. Deswegen ist das nicht reformierbar. Und auch aus dem Grund: Das einzige, was ich jetzt noch nicht genannt habe, ist der körperliche Aspekt sozusagen. Knast würde immer bedeuten, Leute, von denjenigen, denen sie nahe sind, wegzusperren. Und alleine das: jahrelang, ohne körperliche Nähe zu leben, ist schon eine ganz schon große Herausforderung. Sich konkret etwa vorzustellen, dass man irgendwie Jugendliche von 17 bis 21 jahrelang einsperrt – und dann erwartet, dass sie eine Form der Sexualität danach haben, die irgendwie cool ist für irgend jemanden. Dieses Konzept ist aus meiner Sicht nicht reformierbar. [...]"
 
 
Aktualisierung am 20. Mail 2019
 
Wann sprechen wir darüber, dass es weltweit mehrheitlich Männer sind, die vor allem Gewalttaten tätigen? Warum wird hier so gar nicht angesetzt? Weil es wiederum weltweit nach wie vor mehrheitlich Männer sind, die sich in (politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen) Macht-, Entscheidungs-, Verantwortungspositionen befinden und weltweit ein patriarchales, reaktionäres, autoritäres Menschenbild verbreitet, üblich ist.
 
Wann sprechen wir darüber, dass "das Konzept Strafe" ein durch und durch patriarchales ist bzw. w a r u m sprechen wir darüber nicht?
 
Ja, es ist erforderlich, die eigentlichen Ursachen für global bestehende Misstände zu benennen, damit man sie tatsächlich angemessen bewältigen, beheben kann und nicht nur einzelne Symptome "behandelt".
 
Denn was wir auch sehen, wissen, ist, dass gerade bei Vergewaltigung, die im Rahmen von Beziehungen und Bekanntschaftsverhältnissen - von mehrheitlich bis fast ausnahmslos Männern - getätigt wird, d i e s e Täter mehrheitlich n i c h t verurteilt werden. Was wiederum auf die patriarchalen Strukturen zurückzuführen ist.
 
Und was wir überdies sehen, ist eine Klassenjustiz, maximal bürokratische Strafjustiz, die die tatsächlichen (zumeist wiederum männlichen, vermögenden) Täter (ohne Migrationshintergrund) entkriminalisiert, schont, schützt und die tatsächlichen Opfer bestraft, somit zusätzlich beschädigt - sekundäre Viktimisierung, Täter-Opfer-Umkehr.
Ja, ich spreche bekanntlich aus Erfahrung und bin ebenso bekannterweise kein Einzelfall.
 
Davon ab ist es selbstredend ein weiterer unverzichtbarer Artikel ("Neuordnung des Strafrechts mit sanfter Vernunft" von Thomas Galli, oben verlinkt). - Danke.
 
-
 
Auch ich halte den "Vergeltungsdrang" für einen Mythos, der seine Ursprünge in patriarchalen Gesellschaften, Ideologien und Religionen hat, siehe bspw. das Alte Testament.
 
Menschen, die geschädigt werden, empfinden sicher Wut, Empörung, ggf. auch Angst, Ekel, Abgestoßensein, Fassungslosigkeit, Haltlosigkeit, Hilflosigkeit, fehlende Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmungsmöglichkeit (je nach Art, Umfang und Intensität der jeweiligen Beschädigung und des je persönlichen Hintergrunds, Persönlichkeit).
Sie wünschen sich, dass der Täter seine Schuld einsieht und zugibt, also Schuldeinsicht, Mitgefühl, dass es dem Täter selbst leid tut, ihn schmerzt, was er verursacht hat - obgleich er es nicht notwendigerweise auch selbst oder allein zu verantworten hat.

Sie brauchen für ihre Heilung diese Schuldeinsicht, das Mitgefühl, die "Reue" des Täters und dessen ehrliches, echtes Bedürfnis nach Wiedergutmachung und Verzeihen - nicht nur, aber auch um seiner eigenen psychisch-emotionalen Heilung, Auflösung seiner Scham und seiner Rehabilitierung wegen.
 
Es empfinden Opfer natürlicherweise Gefühle von Wut etc. (siehe oben ausführlich dargelegt), diese ist aber nicht gleichbedeutend mit Rachewünschen. Insbesondere ist zwischen einem Wunsch und einem Bedürfnis unbedingt begrifflich zu unterscheiden.
Und die Wut hat wiederum mit erlittenem Schmerz zu tun - siehe abermals Joachim Bauer: "Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt" zu den neurobiologischen Grundlagen, Hintergründen, Ursachen dieser Wut und Aggression.
 
Was also "befriedigt" wird, ist der Wunsch, wohl das Bedürfnis nach Wiedergutmachung - nicht jedoch nach Rache. Rache beschränkt sich gerade n i c h t auf Wiedergutmachung, sondern Rache ist motiviert durch das Streben nach absichtsvollem Schmerz-, Leidzufügen - wer Rache üben will, w i l l seinerseits den Täter schädigen, verletzen und nicht dessen Wiedergutmachungsleistung.
 
Wer auf Rache sinnt, will keine Versöhnung, sondern absichtsvoll Schmerz zufügen und gerade keine Wiedergutmachung.
 
Vielleicht sollte einmal untersucht werden, welche Menschen (Charakter, Persönlichkeit, politische Einstellung Sozialisation, Prägung ...) aus welchen Gründen Rache wollen und welchen Menschen aus welchen Gründen an Wiedergutmachung und Versöhnung gelegen ist.
 
-
Mit unten verlinktem Artikel sehe ich meine Einordnung bestätigt.
 
Ich denke, es wird nicht ausreichend differenziert zwischen natürlicher Aggression und Wut als eben natürlicher Folge von Schmerz (-grenzüberschreitung), von Verletzt-, Beschädigtwordensein (ich kann diesbzgl. immer nur auf Joachim Bauer, "Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt", verweisen, siehe die neurobiologischen Grundlagen dessen) und Rache, die offensichtlich niemandem "nützt" oder "gut-, wohltut" und die, wie es der unten verlinkte Text "Rache ist bitter" bestätigt, eigentlich dazu dienen soll, das "Racheopfer" darauf aufmerksam zu machen, dass und warum es "etwas falsch gemacht", d.h. jemand anderen verletzt, benachteiligt, beschädigt hat - es geht somit letztlich und eigentlich also doch um genau das, das ich bereits darzulegen versuchte:
 
Das jeweilige Opfer braucht für seine (psychisch-emotionale) Heilung und sein Wieder-Vertrauen-fassen-Können die echte, tatsächliche Schuldeinsicht des Täters, d.h. dass der Täter erkennt und anerkennt, d a s s er das Opfer verletzt, beschädigt hat und auf welche Weise er das tat, dass er erkennt und zugibt, dem Opfer Schmerz, Leid verursacht zu haben und dass er, der Täter, eben dies - auf Basis seines eigenen Mitgefühls (so intakt - was ja häufig bei Tätern aus Gründen gerade nicht der Fall ist) - "bereut", es ihn selbst schmerzt und er d e s h a l b (nicht aufgrund von äußerem Druck, Zwang oder Dressur/"Erziehung") selbst das echte Bedürfnis nach Wiedergutmachung und Verzeihung hat, womit auch er selbst rehabilitiert würde/wäre - was voraussetzt, dass der Täter über entsprechendes Mitfühlenkönnen, ausreichende (Selbst-) Reflexionsfähigkeit und Courage/Rückgrat/Stärke (siehe Selbstwertgefühl ...) verfügt, seine S c h a m zu überwinden, seine Scham nicht zu verdrängen, zu unterdrücken (die Scham über seine Tat und seine Schuldgefühle), da dies mehrheitlich nur weitere Aggression (auch Autoaggression) zur Folge hat.
 
Idealerweise besteht beim Opfer früher oder später - je nach Tat und Intensität der Beschädigung und je nach Persönlichkeitsstruktur des Opfers und eben nach Verhalten des Täters, siehe oben: Schuldeinsicht etc. - dann auch der Wunsch oder sogar das Bedürfnis nach Wiedergutmachung und Verzeihen, idealerweise auch Versöhnung mit dem Täter.
 
Nur dieses "Aussöhnen" ermöglicht eine weitere, wiedererlangte, wiedergeschaffene Vertrauensbasis, dass Opfer und Täter also wieder "in derselben Welt" neben- oder miteinander leben können.

Geschieht dieses Versöhnen nicht, schwelt die Verletzung in der Tiefe weiter, insbesondere beim Opfer, da sein Schmerz offensichtlich (noch) nicht aufgelöst , bewältigt ist.
 
Ich denke, gerade weil unsere Gesellschaft(en) nach wie vor so wenig bis keine Möglichkeit zu tatsächlicher, je angemessener und leicht zugänglicher Mediation und Wiedergutmachung bieten, sondern auf Strafe gesetzt wird, auf Gewalt also und es an Mitgefühl und Integrität, Gewissenhaftigkeit, Verantwortungtragen mangelt, somit an fairem, prosozialen Verhalten, verfallen die Leute auf Rache - eben w e i l Mediation, Wiedergutmachung, Aussöhnung nicht oder nur ausnahmsweise stattfinden und nicht gefördert, unterstützt werden - weder politisch noch gesellschaftlich noch privat und insbesondere nicht durch die/in der Justiz, die nach wie vor eine Strafjustiz ist.
 
Die je individuellem Fall angemessene, bedürfnisorientierte, qualitativ gute und niedrigschwellig zugängliche Mediation müsste jedoch grundsätzlich schon auf basaler Ebene stattfinden, gefördert werden - siehe in der Familie, in Beziehungen, in Schule, Beruf ... .
Davon sind wir in der Praxis weit entfernt. Hier wird, wenn überhaupt, erst agiert, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen, der Konflikt schon zu ausgeprägt ist, es bereits zu intensiven Verletzungen, Beschädigungen gekommen ist. - Es gibt bspw. keine kostenfrei und niedrigschwellig, unbürokratisch zugängliche Mediations"anlaufstelle" oder Ähnliches.
 
Unsere kapitalistische, narzisstische, patriarchale Leistungs-, Verwertungs-, Konkurrenz- und Ausbeutungsgesellschaft mit entsprechender "Erziehung" (siehe "Frühförderung", Schule, aber auch Elternhaus ...) fördert überdies nicht Mitgefühl, Integrität, Solidarität und Kooperation, schon gar nicht Persönlichkeitsreifung.
 
Im Grunde lässt sich immer wieder auf v.a. Erich Fromm und Arno Gruen verweisen.
 
-
 
Es geht bei Therapie von Tätern im Übrigen gerade nicht darum, sie zu prosozialem Verhalten quasi zu erziehen - zu dressieren. Es geht stattdessen tatsächlich darum, ihr Mitgefühl zu fördern, zu stärken bzw. gewissermaßen wiederzubeleben.

Denn jeder Mensch wird als mitfühlendes Wesen geboren (ich verlinke die wissenschaftliche Grundlage hierzu unten als blog-Eintrag, in welchem Quellen hierzu gesammelt sind).

Das Mitgefühl wird jedoch beschädigt - im Verlauf des Lebens, insbesondere durch (früh-) kindliche Erfahrungen, Beschädigtwerden in dieser Lebensphase.
 
Täter können durchaus empathisch sein, anderenfalls gelänge ihnen (insbesondere narzisstisch persönlichkeitsgestörten Tätern) die "virtuose" Manipulation gar nicht.

Empathie ist jedoch gerade nicht gleichbedeutend mit Mitgefühl, leider wird das noch immer häufig gleichgesetzt.

Beim Mitgefühl geht es darum, das Leid, den Schmerz des Anderen nachzuvollziehen, mehr oder weniger mitzuerleben und es genau deshalb vermeiden zu wollen, ihm also gerade kein Leid zufügen zu wollen, zu können - auf Basis eben dieses Mitgefühls.

Therapie im Rahmen der Haft ist dann auch nochmal zu hinterfragen:
Wer arbeitet hier auf welche Weise mit Tätern - mit welchem tatsächlichen Ziel, mit welchen Voraussetzungen, Umständen ... ?
Unter Haftbedingungen kann Heilung nicht "gelingen", ist sie nicht möglich, denn Heilung kann grundsätzlich nur ganzheitlich geschehen und nicht, wenn ein Mensch während der Therapie weiterhin permanent einer Schmerzsituation ausgeliefert ist (der Haft, der Strafe).

Und doch, ja, ich finde die Zustände in usa - die sich immerhin als aufgeklärte, westlich-abendländische "Demokratie" bezeichnen - als abschreckendes, warnendes Beispiel durchaus geeignet. Denn dass es auch in Deutschland "Missstände" hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit gibt, ist ja nun kein Geheimnis. Auch hierzu verlinke ich nachfolgend eine kleine Info-/Quellensammlung ("Exekutivgewalt").

Und auch in Deutschland geht man noch immer mehrheitlich irrigerweise davon aus, Strafe sei ein probates Mittel mit Straftätern angemessen umzugehen.
 
Bei Strafe geht es um die Genugtuung derer, die sie befürworten, anwenden - und diese Genugtuung besteht darin, dass es dem Strafenden gefällt, einem anderen Menschen absichtsvoll Schmerz zuzufügen, ihn zu erniedrigen, zu demütigen, zu beschämen, zu quälen - psychisch-emotional und/oder physisch.

Es geht also um nichts anderes als um Rache - ein niederer Beweggrund, ein destruktives Gefühl, das auf keiner Seite (Opfer, Täter) zu Heilung führen kann.

Und indem Strafenwollende diese niederen Gefühle nicht nur haben, sondern sie ausagieren (wollen und es auch tun) und dabei überdies sogar noch überzeugt sind, damit das moralisch Richtige, gar Gute zu tun, moralisch im Recht zu sein, indem sie mittels Strafe die Destruktivität absichtsvoll, vorsätzlich fortsetzen (denn Strafe ist destruktiv, erzeugt Schmerz, führt infolgedessen nicht zu echter, dauerhafter Schuldeinsicht, Reue, führt gerade nicht zu (mehr) Mitgefühl, sondern zu weiterer Aggression, Abwehr, Trotz, Verweigerung, Hass, Gewalt ...), machen sie sich selbst zu Tätern.
 
-
 
Generell stimme ich Karoline Klemke zu, leider widerspricht sie sich jedoch in einem Punkt und lässt anderes Wichtige außen vor:
 
Nein, es wird nicht jeder Mensch zum Gewalttäter, vor allem nicht grundlos, es gibt immer Gründe, Ursachen, Auslöser - denen durchaus vorgebeugt werden könnte: durch angemessene Prävention.
 
Diese Prävention bestünde insbesondere in niedrigschwellig, unbürokratisch, idealerweise kostenfrei und rund um die Uhr zugänglicher, qualifizierter Mediation. Denn zumeist wird dann gerade physische (und damit immer einhergehend auch psychisch-emotionale) Gewalt getätigt, wenn die Kommunikation zum Erliegen kommt, wenn Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Ausgeliefertsein, aber auch Hass, Rache/Vergeltungswünsche vorhanden, entstanden sind (was wiederum unterschiedliche Ursachen hat).
 
Solche Mediation gibt es nach wie vor nicht, jedenfalls nicht in von mir oben beschriebener Form.
 
Klemke aber sagt, Zitat:
 
"Jeder, wirklich jeder Mensch kann einem anderen Menschen gefährlich werden. Man bedenke nur: Drei Viertel aller sexuellen Missbrauchshandlungen an Kindern finden im sozialen Nahfeld statt, während vor den Toren einer JVA eher gar nichts passiert. Viele sind Ersttäter, unbescholtene Männer und Frauen, die gerade noch neben Ihnen bei Rossmann an der Kasse standen."
 
Das ist so nicht richtig, sie selbst nennt weiter unten im Text, welche Menschen mehrheitlich zu Gewalttätern werden:
 
" Unser prognostisches Hauptproblem sind nach wie vor Männer zwischen 15 und 30, besonders wenn sie in Gruppen auftreten. Die haben − kulturübergreifend − das höchste Kriminalitätsrisiko."
 
Auch hier könnte man präventiv ansetzen: In Schulen, in Vereinen, in Kindergärten - durch entsprechende Sozialisation von Jungen und jungen Männern - also nicht erst dann ("Täterarbeit", Antigewalttraining ...), wenn der jeweilige Jugendliche oder erwachsene Mann bereits zum Gewalttäter geworden ist, sondern eben präventiv.
 
Eine Menge hat das mit Kultur, Religion, Gesellschaft, nach wie vor verbreiteten patriarchalen, konservativen Rollenbildern, Menschenbild, Frauenbild und Vorstellungen von Männlichkeit zu tun.
 
Es gab zwar eine Emanzipation der Frau(en), es sind jedoch global noch immer zu viele Männer, die einem konservativen, auch gerade patriarchalen Frauen-, Männerbild, Rollenklischees, Geschlechtervorstellungen anhängen und auch intensiv gegen gender studies vorgehen, also leugnen, dass es ein soziales Geschlecht gibt, wie es aus welchen Gründen mit welchen Folgen geprägt wird usw..
 
Wir wissen auch - aus der PKS sowie von Opfern, siehe bspw. netzwerkB - dass viele Täter eine antisoziale PKST haben, also pathologischer Narzissmus vorliegt und/oder noch weitere Persönlichkeitsstörungen vorhanden sind. Die wiederum Entstehungsursachen, Hintergründe haben, denen vorgebeugt werden könnte.
 
Die Täter, die den Opfern mehrheitlich bekannt, gerade nicht fremd sind, kennzeichnet, dass sie zumeist Täter-Opfer-Umkehr anwenden, keine Schuldeinsicht, Reue zeigen, empfinden, sich selbst als Opfer betrachten und bezeichnen, dem Opfer (auch Kindern) unterstellen, es habe sie provoziert, verführen wollen und dass es den Tätern erheblich an Mitgefühl mangelt.

Auch dem ließe sich vorbeugen. Die Täter waren/sind selbst zumeist Opfer: bereits in ihrer Kindheit geworden.
 
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Alkoholkonsum - auch hier könnte weit intensiver präventiv - politisch, gesellschaftlich - angesetzt werden, denn bekanntlich spielt enthemmender Alkoholkonsum fast immer eine Rolle, wenn/wo es zu Gewalttaten kommt. Nach wie vor ist Alkohol jedoch die Gesellschaftsdroge Nummer eins, obwohl Menschen damit nicht nur sich selbst auf vielfache Weise intensiv schädigen, sondern auch andere, auch Unbeteiligte (siehe Verkehrsunfälle, Gewalttaten, die Folgen von Alkoholismus für Beziehungen, Familie, Kinder ...).
 
Schließlich wäre zu fragen, w i e Menschen, die schon biographisch, qua Geburt/Zufall, aufgrund von Zugehörigkeit bspw. einer bestimmten sozialen Schicht oder kulturellen oder ethnischen Gruppe benachteiligt, ausgegrenzt, belastet bis beschädigt und somit als Opfer "prädestiniert" sind, selbst irgendwann zu Tätern zu werden, angemessen einbezogen und unterstützt werden könnten: nicht-paternalistisch, respektvoll, bedürfnisorientiert und tatsächlich effektiv.
 
Hier könnte hilfreich sein, wenn diese Menschen vor und umso mehr nach der Haft nicht alleine leben, sondern bspw. in WGs, mit ggf. ambulanter sozialer Betreuung, Unterstützung, ggf. auch psychotherapeutischer.
 
Der global wichtigste vorbeugende Aspekt ist jedoch immer die Kindheit, auch hinsichtlich der Prävention von Extremismus jeglicher Art, d.h. der Umgang - in Familie, von Bezugspersonen - mit Kindern und gerade hier liegt weltweit, auch in Deutschland, vieles erheblich im Argen, auch jenseits offensichtlicher Schwarzer Pädagogik.
 
Auch materielle Armut spielt hier eine gravierende Rolle, da Kinder aus armen Familien vielerlei Belastungen, Benachteiligungen, Ausgrenzung etc. ausgesetzt, dadurch bereits frühzeitig psychisch, nicht selten auch physisch beschädigt sind - sie haben "weniger" Urvertrauen, weniger Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, weniger Resilienz, "weniger" Chancen, Möglichkeiten, Perspektiven für ihre Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung, für Teilhabe, Mitgestaltung, Selbstbestimmung ... .
 
Abhilfe schafft hier nicht immer frühere, immer längere Fremdbetreuung und auch nicht mehr Bildung alleine, sondern vor allem gute, verlässliche, idealerweise langjährig vorhandene Bezugspersonen unterschiedlichen Alters und Geschlechts - realisierbar ist das durch cohousing - gemeinschaftliches, partizipatives, selbstverwaltetes, soziokratisches Wohnen, Miteinanderleben: geschlechter- und generationenübergreifend, in Gemeinschaften von maximal 80 bis 100 Menschen, inklusive Privatsphäre, idealerweise mit veränderbaren, flexiblen Modulen.
 
Hier müsste Politik die Voraussetzungen schaffen, dies fördern durch entsprechend erforderliche Architektur, Infrastruktur, finanzielle Zuschüsse bzw. Kostenübernahmen, durch angemessene Information usw..
 
Was wiederum voraussetzt, dass Menschen erkennen, welche Vorteile diese Wohn-, Lebensform für sie (nicht nur als Eltern und nicht nur/erst im Alter) - im Vergleich zur Kleinfamilie oder dem Singledasein - hat, es spart überdies Wohnraum, -fläche.
 
-
Aktualisierung am 08. August 2019
 
Versteht das denn wirklich niemand?:

"Resozialisierung" durch Ausbildung, "Arbeit" - es ist hiermit immer nur Erwerbstätigkeit gemeint, Therapie, "frühe Hilfen, Jugendamt ... kann und wird nicht funktionieren, gleich ob bei Sucht oder Kriminalität, denn:

Was diese sämtlich und stets seit Kindheit intensiv beschädigten Menschen (Täter, die selbst Opfer sind) brauchen, ist tatsächlich nichts weniger als Beziehung, Bindung, d.h. wenigstens eine stabile, verlässliche, langjährig "verfügbare", erreichbare Bezugsperson, die sie jeweils selbst (!) als solche idealerweise aussuchen können, die sie anerkennen, tatsächlich respektieren, wertschätzen und zu der sie Vertrauen haben (können).


Heilung erfolgt i m m e r durch Beziehung.

Erst n a c h d e m dieser - oft langwieirige, langjährige! - Heilungsprozess durchlaufen ist, ist anschließend (nicht parallel, schon gar nicht davor) ggf. mit Ausbildung und anderweitiger Integration in Gesellschaft zu beginnen.

Eben deshalb haben diese Menschen so große innere Widerstände, sich selbst als Täter, Schädigende und Verantwortliche zu sehen, w e i l sie selbst Opfer und vielfach, intensiv geschädigt (worden) sind und zunächst einmal das und der Schmerz hierüber sowie die natürlicherweise (!) einhergehende Wut und Aggression von anderen Menschen anerkannt werden und Raum erhalten muss!

Erst danach kann man auf Selbstreflexion und Reifung hinwirken.

Diese Menschen sind maximal h a l t l o s und was ihnen den notwendigen Halt verschafft, ist Anerkennung, Wertschätzung, Mitgefühl und mindestens/jedenfalls eine verlässliche Bezugsperson, die das dauerhaft verlässlich g i b t, garantiert. - Nein, das ist kein leichtes Unterfangen, denn es funktioniert gerade nicht über Personen, die das beruflich nur vermeintlich tun, geben, sondern es muss sich um eine e c h t e emotionale (!), freundschaftliche Beziehung handeln.

Jeder, der mit suchtkranken/substanzabhängigen Menschen (längere Zeit) "Umgang" hatte, weiß, wie zermürbend, aufreibend ... das ist, denn ja: eigentlich ist das eine jahrelange Vollzeittätigkeit, die ein einzelner Mensch (mit "eigenem" Leben, Verantwortung, Verpflichtungen, eigenen Bedürfnissen, Belastungen , nur begrenzten Kräften und Möglichkeiten ...) nicht leisten kann - eben deshalb bedarf es mehrerer echter Bezugspersonen und genau d a s muss politisch, gesellschaftlich, institutionell, finanziell gefördert werden bzw. überhaupt erst einmal ermöglicht.

Was es bei diesen Menschen behutsam und respektvoll aufzubauen gilt, ist Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, außerdem muss das auch ihnen angeborene Mitgefühl reaktiviert, gestärkt werden. - Funktioniert alles nur über echte Beziehung/Bezugsperson.
Wenn solche Bezugsperson(en), so vorhanden, wieder wegbrechen, entzogen werden, ist das für die Betroffenen eine Vollkatastrophe - eine nicht verkraftbare Erschütterung - wieder wird ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen ... .

Was ist hieran so schwer zu verstehen ... ?
 
Und wie soll das mit den Bezugspersonen und dem Selbstwertgefühlaufbau vonstattengehen?

Indem man den Menschen, also auch Straftätern, Kontakte zunächst einmal ermöglicht - bei Männern (und es sind mehrheitlich Männer inhaftiert, insbesondere wegen Gewalttaten) finden sich solche Freundschaften bzw. Mentoren möglicherweise über sportliche Aktivitäten, aber auch ggf. in Sozialarbeitern, Streetworkern sowie über Menschen, die in auch kulturellen, kreativen Bereichen tätig sind - man denke an so etwas wie Kunst-, Musik-, Theaterprojekte oder auch ökologische Projekte, Umgang mit Natur und Tieren ... .

Die Betroffenen/Beschädigten müssen die E r f a h r u n g - wiederholt und langfristig, also stabilisierend - machen können, dass sie etwas Sinnvolles tun können und dürfen, das ihren je persönlichen Stärken und Interessen sowie auch Einschränkungen entspricht, wofür sie sich begeistern (!) können, wofür sie Anerkennung, Wertschätzung erhalten und eben in Kontakt mit Menschen kommen, die sie ihrerseits anerkennen, respektieren, schätzen und denen sie vertrauen, auf die sie sich wirklich einzulassen bereit sind. Hierbei darf ihr Selbstbestimmungsrecht gerade nicht übergangen werden, auch wenn es der praktischen, alltäglichen Unterstützung und anfänglichen Anleitung sicher häufig bedarf.

Daneben ist sicher immer auch analytische bzw. tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie erforderlich, denn die in der Kindheit prägend erlittenen Beschädigungen, Verletzungen, entsprechenden "Sozialisation" bis hin zur Indoktrinierung, dem in der Kindheit vermittelten Menschen- und Weltbild ..., sind zumeist leider lebenslang eingeschrieben und nur sehr schwer aufzubrechen, zu bewältigen und durch ein realistisches, offenes, vertrauensvolles, wohlwollendes Menschen- und Selbstbild zu "überschreiben".

All das kann jedoch nur auf Basis von Vertrauen, Respekt und Beziehung vonstattengehen, Erfolg haben - nicht durch Zwang, Druck, Strafe, Gewalt, also weiteres absichtsvolles Schmerzzufügen.

Die Betroffenen müssen zunächst "aufgebaut", im Grunde geheilt werden (so weit möglich), sodann geht es vor allem darum, ihr (jedem Menschen angeborenes) Mitgefühl (intrinsische Moral) zu reaktivieren, zu stärken, denn nur das wird zukünftige Gewalttaten zuverlässig verhindern: Wer selbst tatsächlich leidet, wenn andere leiden, kann ihnen nicht seinerseits absichtsvoll Schmerz, Leid zufügen.
 
-
Da ich gefragt wurde, ob es um Reintegration von Tätern gehe:

Sicher geht es um "Reintegration" (oder überhaupt um erstmals Integration in eine - marode - Gesellschaft).

Noch einmal zu den Begriffen:
 
Empathie ist Einfühlungsvermögen, das haben auch einige Täter (jene, die mittels Manipulation vorgehen vor allem, die also bspw. psychisch-emotionalen Missbrauch tätigen, in Deutschland ist dieser kein Straftatbestand, anders verhält es sich wohl in Frankreich ...).

Mitgefühl geht über Empathie gewissermaßen hinaus - bedeutet, wirklich selbst am Schmerz, Leid des anderen Anteil zu nehmen, also selbst in diesen Momenten, Situationen Schmerz (eigenen!) zu fühlen.
Und genau darum kann es daher nur gehen: Das zu fördern, dieses Mitfühlenkönnen, Mitfühlenwollen, denn genau das spalten Täter ab, verdrängen es oder es ist bei ihnen massiv "eingeschränkt", beschädigt - was immer Ursachen hat, gravierende zumeist (Täter waren/sind immer selbst Opfer).

Es geht bei - je individuell angemessener! - Therapie also darum, das Mitgefühl in Tätern zu fördern, zu stärken - erst auf dieser Basis erleben (erleiden, ja) sie dann echte Reue - die sehr schmerzvoll sein kann, zumeist ist (je nach Schwere der Tat und eigener Schuldeinsicht und je nachdem, ob und inwieweit Wiedergutmachung noch möglich ist - oder eben nicht mehr ...). Dieser Reueschmerz kann lebenslang massiv belastend sein - daher ist Therapiebegleitung, besser noch: Beziehung so wichtig.

Erst wenn der Täter den Schmerz des Opfers wirklich, ehrlich selbst nachfühlen kann, selbst infolgedessen Schmerz, Leid erlebt, also: Reue, erst dann wird er zu echter, angemessener Wiedergutmachung selbst bereit sein und diese vornehmen wollen - niemals kann das durch Erziehung, Dressur, Zwang, Strafe erwirkt werden: diese echte Reue, dieses Mitgefühl.

Durch Zwang, Strafe spielt der Täter allenfalls das vor, das von ihm erwartet wird - es verändert dies aber in seinem Denken und vor allem Fühlen nichts und er wird möglicherweise weitere Straft-, Gewalttaten tätigen. Dem lässt sich nur auf oben beschriebene Weise vorbeugen: indem man sein Mitgefühl wiederbelebt - das ist die einzig wirkliche, tatsächliche Prävention.

Und gerade das Opfer braucht für seine eigene Heilung diese echte Reue, Schuldeinsicht und die Wiedergutmachung des Täters
- und der Täter das (ehrliche, respektvolle, nicht herablassende) Verzeihen des Opfers. Nur das heilt beide von Groll, Wut, ggf. Hass, Rachewünschen, Verhärtung, Abwehr, Verweigerung, nur das überwindet den Abgrund, der durch die Tat zwischen Täter und Opfer aufgerissen wurde.

Und d a r u m geht es letztendlich und grundsätzlich:
Gewalttaten vorzubeugen (hier ist übrigens immer Kommunikation immens wichtig - wo die Kommunikation zum Erliegen kommt, besteht höchste Gefahr für Gewalt), ein friedliches, kooperatives Miteinander zu erwirken - ganz gleich, wo in der Welt.

Was wir sehen, ist das genaue Gegenteil dessen. Warum es sich so verhält, haben u.a. Erich Fromm und Arno Gruen längst wunderbar dargelegt.

Eines der schwerwiegendsten Probleme, Hindernisse ist, wie wir mit Kindern umgehen - wie falsch, was sich im Grunde leider täglich in der Öffentlichkeit beobachten lässt (diverse Szenen mit gerade Kleinkindern, die vorgeblich "trotzen" etc.).
Indem wir sie ebenfalls häufig strafen, sie zu Gehorsam zwingen - nach wie vor auch heute, wenn auch auf subtilere Art als früher, dennoch häufig in einer Art Schwarzer Pädagogik: mittels Druck, Zwang, Kontrolle, auch Härte, Strenge, Kälte und eben Strafe - das alles ist Gewalt.
 
Und dies findet auch in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen statt.
 
Leider reflektieren noch immer viele Erwachsene ihr eigenes Fehlverhalten nicht und/oder sie sind selbst so unter Druck, Stress, Belastung, häufig selbst so von klein auf beschädigt und indoktriniert, dass sie mit Kindern nicht angemessen, d.h. bedürfnisorientiert umgehen können, jedenfalls nicht dauerhaft.

Daher ist die Kleinfamilie ja auch völlig kontraproduktiv, Kinder brauchen mehrere, langjährige Bezugspersonen (verschiedenen Geschlechts und Alters, ja), kein wechselndes Betreuungspersonal, keine "Frühförderung", kein Getrimmtwerden auf Leistung, Verwertbarkeit, Funktionalität - als seien sie leblose Gegenstände.

Die auf solche Weise beschädigten Kinder von heute sind die Täter von morgen.
 
Je nach Beschädigung auf unterschiedliche Weise, manche richten die Aggression, die Gewalt auch gegen sich selbst, wie wir wissen.

Ja, dem wäre Abhilfe zu schaffen - so es (politisch) gewollt wäre und Menschen nicht mehr patriarchal indoktriniert würden - durch diverse Ideologien, insbesondere die patriarchalischen, gewaltvollen, alttestamentarischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam).
 
-
"[...] Schwere physische Gewalt tritt vor allem dort auf, wo die verbale Kommunikation zwischem dem (späteren) Täter und seiner Umgebung zum Erliegen gekommen ist. [...]"

Quelle: Joachim Bauer "Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt"
Nachtrag, da an anderer Stelle Einwände gegen meine Ausführungen vorgebracht wurden:
 
Dass dies der "Idealzustand" wäre - macht es das (meinen Ansatz) irgendwie weniger akzeptabel? - Ich denke, es geht doch genau darum:
Einen Zustand, d.h. Verhältnisse zu erreichen, die ein weitgehend gewaltfreies, kooperatives Zusammenleben möglich machen, sein lassen - nein?

Was den Kontaktabbruch zum Täter anbetrifft: Dieser allein ist zumeist nicht hilfreich, nicht entlastend, denn du hast als Opfer je nach Schwere, je nach erlittenen Folgen, also auch Langzeit-, Spätfolgen, dauerhaften (physischen und/oder psychisch-emotionalen) Beshädigungen der Tat damit letztlich immer wieder zu tun: physisch, psychisch, u.U. alltäglich.

Auch bleibt ggf. die Angst - wenn der Täter nach Haft wieder freikommt oder Angst vor anderen, "neuen" Tätern - dass dir selbst oder anderen (die dir nahestehen) Ähnliches (nochmal) widerfahren könnte ... . Es bleibt häufig auch Groll, Wut oder gar Hass gegenüber dem Täter auf Opferseite.

All das lässt sich nur mittels echter Heilung, nicht bloßer  Symptombehandlung - in Form von Strafe und/oder Kontakt-, Kommunikationsabbruch, Aus-dem-Weg-Gehen - beheben.

In eine Tat und/oder ihre Folgen sind üblicherweise mehrere Menschen einbezogen, von ihr beeinträchtigt, getroffen, eben auch beschädigt - es kann daher nur durch die Interaktion, d.h. durch gemeinsames "Lösen des Konflikts" all dieser (hauptsächlich) Involvierter zum "Verarbeiten und Bereinigen" des Geschehenen kommen, es müssen alle angemessen - je nach persönlichen Hintergründen, Motiven, Interessen, Verhältnissen und eben gerade auch je nach Beschädigungen und deren Ursachen! - einbezogen sein, mitwirken (können, dürfen).
 
Wenn einige übergangen, gewaltsam behandelt, erniedrigt, ignoriert werden, löst das bei ihnen nur wiederum Schmerz, also Aggression und möglicherweise wieder Gewalt aus, jedenfalls keine Reue auf Täterseite und kein Zur-Ruhe-Kommen-Können auf Opferseite.
 
Eben deshalb ist m.E. Reue und Wiedergutmachung auf Täterseite sowie ehrliches Verzeihenkönnen, -wollen auf Opferseite unabdingbar und daher dieser Weg jenem der Vergeltung - Strafe, Gewalt, neuem Schmerz also - vorzuziehen.
 
-
11. April 2019
 
Zum Artikel "Mit 85 Jahren hinter Gitter", FAZ
 
Aus mehreren Gründen macht dieses Vorgehen von Staatsanwaltschaft und Richtern, vom Rechtsstaat, fassungslos:
 
1. Es muss eine alte Frau also wenigstens Nahrung stehlen, wenn schon, damit sie glaubwürdig erscheint - sie darf keine anderweitigen Bedürfnisse haben, bspw. ein gepflegtes Äußeres, auch (oder gerade) in fortgeschrittenem Alter, betreffend, das in dieser Gesellschaft für Respekt und soziokulturelle Teilhabe unabdingbar ist, da Menschen nach wie vor und in den ersten Sekunden - zumeist unbewusst - üblicherweise gerade durch ihre äußere Erscheinung bewertet, einsortiert sowie entsprechend behandelt werden.
 
2. Dass einer offensichtlich alten, wohl auch kranken, gebrechlichen, überdies materiell armen, unbemittelten Frau überhaupt durch diesen Rechtsstaat zugemutet wird, eine Haftstrafe erleiden zu müssen, ist schon so ungeheuerlich, so selbstbeschämend und abstoßend, ethisch durch nichts zu rechtfertigen, dass es demonstrativ für sich steht: als Schandtat, sei sie auch juristisch "legitimiert" - gerade d a s ist das Problem, insbesondere in einem vorgeblich freiheitlich-demokratischen Rechts- und Sozialstaat.
 
3. Dass diese Frau ihr Verhalten grundsätzlich nicht in Folge der Strafe, der Gefängnishaft ändern wird, ist - hoffentlich - gerade auch den zuständigen Staatsanwälten und Richtern vollumfänglich bekannt, sollte dies nicht der Fall sein, stellte dies ein weiteres Armutszeugnis für diesen Rechtsstaat und deren, der Staatsdiener, je persönliches Bildungsniveau, deren Reflexions- und Urteilsvermögen dar.
 
4. Kein Mensch kann durch Strafe zu prosozialem, fairen Verhalten gebracht, schon gar nicht motiviert werden. Nirgendwo je - wie wir wissen. Nicht einmal die Todesstrafe hat bekanntlich abschreckende Wirkung.
 
Menschen werden mittels Strafe - also absichtsvollem, vorsätzlichen Schmerz-, Leidzufügen, somit Sadismus, ausschließlich, überdies gewaltvoll zu Gehorsam, zu Unterwerfung gezwungen, da die Bestraften üblicherweise, wenn sie keine Masochisten sind, Schmerz und Leid vermeiden wollen. Nur deshalb, aufgrund von Angst und um Leid zu vermeiden, "unterwerfen" sie sich dem Zwang, der Strafe, d i e s e r ethisch nicht legitimierbaren, barbarischen, inhumanen, vorzivilisatorischen Gewalt.
 
Personen, insbesondere Staatsbedienstete, die solche psychisch-emotionale, soziale, auch physische, strukturelle Gewalt "anwenden", sie überdies sogar politisch, legislativ, juristisch legitimieren, legalisieren, sind je persönlich selbst Gewalttäter: e t h i s c h nicht legitimierbar.
 
-
Warum glauben Menschen, mittels Schwarzer Pädagogik (Druck, Zwang, Kontrolle, Dressur, Strenge, Härte, Strafe, emotionaler Kälte - also absichtsvollem Schmerzzufügen, Sadismus, physischer und/oder psychischer Gewalt) bei anderen Menschen prosoziales Verhalten erwirken zu können - aus welchen Gründen hängen sie diesem Irrglauben an, wie kommt es zu diesem Irrglauben?
 
Die Antwort auf diese Frage findet sich in ihrer eigenen, erlebten, erlittenen Prägung und "Erziehung":
 
Eben weil diese Menschen selbst auf solche Weise be-, d.h. misshandelt wurden - zumeist und insbesondere in der Kindheit und Jugend, in lebenslang prägenden, sensiblen Entwicklungsphasen also - bekamen sie diesen Glauben im Grunde unvermeidlich, unabwendbar indoktriniert.
Sie kennen es selbst nicht anders, es ist für sie daher völlig "normal", selbstverständlich; es wird gar nicht erst je wirklich aktiv, intensiv, eigeninitiativ hinterfragt, reflektiert, sondern blind und folgsam, gehorsam übernommen, internalisiert und infolgedessen zwangsläufig wiederum auf diese Weise weitergegeben, angewandt.

Das bedeutet:
Auf solche Weise selbst - bereits zumeist in frühester Kindheit, somit einer Lebensphase der Wehrlosigkeit, Ausgeliefertheit, Schutzbedürftigkeit - prägend geschädigten Menschen wurde das ihnen angeborene Mitgefühl so intensiv und schmerzhaft abtrainiert, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen können, es könne Menschen geben, die über - sich auf eben dieses Mitgefühl gründende - intrinsische Moral verfügen.
 
Stattdessen gehen die Geschädigten davon aus - eben weil sie nichts anderes kennen, erlebt haben, in sich tragen - es müssten alle anderen Menschen gleichermaßen, jedenfalls auf sehr ähnliche Weise fühlen, denken und folglich handeln/sich verhalten wie sie selbst.
Woraus sich dann verbreitete, irrige Überzeugungen ableiten wie "Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf" - also ein entsprechendes Menschenbild, wonach ausnahmslos jeder Mensch letztlich eigentlich (in seinem inneren Wesenskern) grundsätzlich schlecht, verdorben, gewissenlos, selbstsüchtig, böse - ein "Sünder" - sei.
Und dieses Niedere, Schlechte, Böse sei nur durch erneute, weitere, intensivere Härte, Strenge, Dressur, oktroyierte Moral in Schach zu halten oder gar der "böse Mensch" mittels dessen "von allem Schlechten zu befreien, zu reinigen" - indem man ihm also noch mehr Gewalt antut, ihm wissentlich, absichtsvoll, vorsätzlich noch mehr Schmerz, Leid zufügt - ihn somit noch intensiver beschädigt (als er es augenfällig bisher schon ist).

Damit jedoch "heilt" man einen Menschen nicht - man bricht, man zerstört ihn - man macht ihn (zuvor) erst recht zum Täter (von Gewalt), zum Hassenden, Rachsüchtigen. Dies ist natürliche Folge des Überschreitens seiner Schmerzgrenze.
 
Es halt also nichts mit "dem Bösen" im Menschen zu tun - kein Mensch wird "böse", wird als Täter geboren - sondern damit, wie früh, intensiv, häufig, wiederholt Menschen Schmerz, Leid, Beschädigung zugefügt wurde bzw. wird - ganz besonders wirkmächtig ist hierbei die frühkindliche Beschädigung, die lebenslang prägt - mit wiederum entsprechenden Folgen. So schließt sich der (Teufels-) Kreis.

Das ist, wie wir wissen, seit ca. 10 000 Jahren das Urprinzip des Patriarchats: Machtdemonstration, Kontrolle, Unterwerfung, Unterdrückung, Demütigung, Ausbeutung, Konkurrenz, Kampf, Folter, Mord, Strafe - Gewalt. Sadismus.

Und eben deshalb findet sich genau dieses Urprinzip in allen drei monotheistischen, alttestamentarischen Religionen - Judentum, Christentum, Islam - die sich sämtlich auf das patriarchalische, maximal gewaltvolle, von Sadismus triefende Alte Testament gründen.

Davor und "daneben" gab und gibt es jedoch auch das jedem Menschen von jeher tatsächlich angeborene Mitgefühl, das sich auch bei anderen Primaten findet.
Es gibt die Fähigkeit, die Anlage des, d.h. eines jeden Menschen zu Mitgefühl, Kooperation - auf solche Weise lebten die Menschen, inklusive Geschlechterparität, v o r der neolithischen Revolution (somit vor Beginn des Patriarchats) Millionen Jahre lang zusammen.

Es gibt das (weibliche, mütterliche) Urprinzip des Umsorgens, der Fürsorglichkeit, der Bedürnisorientiertheit - nicht zu verwechseln mit Fremdbestimmung und Bevormundung in Zusammenhang, in Folge von Paternalismus.
 
Es ist keineswegs der Mensch dem Menschen ein Wolf - sondern eigentlich ein Gefährte.
 
Anderenfalls wären Menschen längst ausgestorben, gäbe es nicht das Füreinander-Sorgen, das Kooperieren - das Mitgefühl, die Schmerz"fähigkeit", die diesem Mitgefühl stets zugrundeliegt.
 
Indem man jedoch Menschen von klein auf mittels Schwarzer Pädagogik lebenslang prägt, d.h. beschädigt, versehrt, sorgt man genau damit dafür, dass sie diesen erlittenen Schmerz - die damit einhergehend internalisierte Härte, Kälte, Abwehr (emotionale Verpanzerung, Hass, Selbsthass), Gewalt - weitertragen, an anderen Menschen kompensatorisch ausagieren und sich nicht ansatzweise auch nur vorstellen können, dass es auch ganz anders möglich ist, miteinander umzugehen; und dass diese andere Art des Umgangs (mitfühlend, bedürfnisorientiert, fürsorglich, respektvoll - prosozial, kooperativ) sowohl Ursache als auch wiederum Folge für ein tatsächlich mögliches, friedvolles Miteinanderleben von Menschen ist und nur sein kann.

Stattdessen projizieren die durch Schwarze Pädagogik beschädigten Menschen, die es leider weltweit nach wie vor in großer Zahl gibt, ihre eigenen Unzulänglichkeiten, Defizite, ihre indoktrinierten, internalisierten Überzeugungen (vom "bösen Menschen") auf andere und unterstellen ihnen damit Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen, die keineswegs die der anderen, sondern die ihre ureigenen sind, welche aus ihrem ureigenen Beschädigtwordensein resultieren.

D a s ist der Grund dafür, warum das Hässliche, Gewaltvolle, Sadistische, "Böse" vorhanden ist und weitergetragen wird.

Überwunden werden kann dies einzig durch Mitgefühl - und dem daraus mehr oder minder zwangsläufig resultierenden Verhalten: einem bedürfnisorientierten, respektvollen, fürsorglichen, mitfühlenden Umgang miteinander, insbesondere mit Kindern - weltweit.
 
-
18. Februar 2018
 
Es müsste viel mehr ins Bewusstsein gerückt werden, w a r u m Menschen "straffällig" werden, wer welche Straftaten aus welchen Gründen begeht (mit welcher Intention, auf Basis welchen persönlichen, aber auch poltischen, gesellschaftlichen Hintergrunds - mit welchem Ziel aus welcher Absicht heraus) und was in welcher Gesellschaft zu welcher Zeit überhaupt aus welchen Gründen als strafbar gilt und wer dafür auf welcher ethischen Rechtfertigungsgrundlage welche Strafen setzt.
 
Es müsste folglich viel mehr um Prävention und statt um Strafe um Therapie gehen - um nicht paternalistische, bevormundende, dressierende, funktionalisierende, sondern um tatsächlich (!) je individuell bedürfnisorientierte Therapie - nur auf diese Weise lässt sich weiteres Leid, lassen sich Opfer (ganz gleich, ob sie zu Tätern schon geworden sind oder (noch) nicht) vermeiden, weitere "Straftaten" vorbeugen - und selbstredend braucht es entsprechende gesellschaftliche, somit politische - gerechte, faire, freie/freiheitliche, prosoziale, kooperative, (basis-) demokratische - Verhältnisse, da nur auf einer solchen Grundlage das jeweilige Individuum den erforderlichen Entwicklungs-, Entfaltungs-, Reifungs- und Gestaltungs- sowie Handlungs(spiel)raum hat.
 
Es fängt im Übrigen die "Prävention" immer bei den Kindern an (ganz gleich, wo auf der Welt) - im angemessenen (bedürfnisorientierten) Umgang mit ihnen - jenseits jeglicher Schwarzen Pädagogik (Druck, Zwang, Kontrolle, Härte, Strenge, emotionale Kälte, Dressur, Strafe - also absichtsvollem Schmerzzufügen, Sadismus, Gewalt). Denn nur durch den Erhalt des jedem Menschen angeborenen Mitgefühls und das Stärken desselben ist intrinsisch gelebte Moral (statt religiös/ideologisch oktroyierte), ist also prosoziales Verhalten, Handeln möglich.
 
Eltern können jedoch nur dann nicht schädigend Eltern sein, wenn sie selbst nicht beschädigt werden, wenn sie den Raum, die Zeit, die Möglichkeit, die Kraft, den Rückhalt haben, mit Kindern bedürfnisorientiert umgehen zu k ö n n e n. - Das hat eine Menge mit der Art dessen zu tun, wie wir arbeiten, wirtschaften, Handel treiben, konsumieren und wohnen (die Kleinfamilie ist da so wenig hilfreich wie die Fremdbetreuung schon der Kleinsten in Krippen - hilfreich wäre ein Zusammenleben in familiären Strukturen, generationenübergreifenden "Wahlverwandschaften" - dafür erforderlich wäre eine entsprechende Architektur, Städteplanung, Infrastruktur ...).
 
Statt kompensatorischen Konsums, Konsumismus´ (in Folge des Nicht-Befriedigtwerdens immaterieller Bedürfnisse) und narzisstischer Egomanie wie gleichermaßen narzisstischen (stets kompensatorischen) Machtstrebens (inklusive Kontrolle, Unterwerfung, Zu-Gehorsam-Zwingen, Ausbeutung), sollte das tatsächliche Gemeinwohl das Ziel einer jeden Gesellschaft sein - und entsprechende Entscheidungen auf politischer Ebene mit entsprechender Wegbereitung, "Duldung", Ermöglichung zur Umsetzung desselben (des Gemeinwohls) sollten eigentlich längst vonstattengegangen und wenigstens ansatzweise in Praxis umgesetzt sein - authentisch, nicht in Form von Augenwischerei, Symptombehandlung, Flickwerk - nicht auf Basis von Manipulation, Dressur (Lob oder Strafe), sondern auf Basis von Humanismus, Menschenwürde, universellen Menschenrechten, Reflexionsfähigkeit, Umsicht, Besonnenheit, Gewissenhaftigkeit, Integrität und (ich wiederhole mich): Mitgefühl.
 
-
"[...] Restorative Justice
Im Rahmen dieser kurzen Abhandlung beschränke ich mich zur Begründung dieser Überzeugung auf einige wenige Aspekte, die oft unter dem Begriff „Restorative Justice“ gefasst werden. Strafe als Akt massiver staatlicher Gewalt und als Zufügung von Schmerzen kann nur gerechtfertigt sein, wenn damit noch größerer Schmerz, noch größerer Schaden verhindert wird.
 
Strafrecht muss der Schadensminimierung dienen, sonst wird es selbst zum Unrecht. Es gilt, den Schaden von Opfern so weit es geht wieder gut zu machen, zu heilen, und den Schaden von potentiellen künftigen Opfern abzuhalten. Das funktioniert allerdings im derzeitigen System nicht bzw. nur scheinbar und sehr oberflächlich betrachtet.
 
Nehmen wir die durch Vermögensdelikte Geschädigten. In erster Linie haben die Geschädigten ein Interesse daran, dass der Vermögensschaden wieder gut gemacht wird. Was aber hat das Opfer eines Betruges davon, wenn der/die TäterIn für viel Geld der SteuerzahlerInnen also auch des Opfers selbst, eingesperrt wird, und so keine Möglichkeit hat, ausreichend Geld zu verdienen, um den Schaden wieder gut zu machen?
 
Nehmen wir die vielen Drogendelikte. Es soll verhindert werden, dass Menschen Drogen nehmen. Durch Bestrafung funktioniert das nicht, und aus den Gefängnissen kommen mehr Drogensüchtige heraus, als hineingegangen sind. Nehmen wir andere Straftaten, bis hin zu den schlimmsten Gewaltdelikten. Der Schaden etwa bei der Tötung eines Angehörigen kann nie gut gemacht werden.
 
Der Anspruch des Staates muss aber sein, dazu beizutragen, ihn zumindest möglichst gut zu machen. Sehr oft erleiden Opfer einen Schaden, der über den körperlichen oder finanziellen hinausgeht. Wer ungerecht behandelt wird, ohne dass er sich ausreichend zur Wehr setzen konnte, wessen Wille gebrochen wurde, wessen auch elementarsten Rechte missachtet worden sind, der kann nicht nur eine Kränkung, sondern auch eine erhebliche Beschädigung des Gefühls von Sicherheit, Vertrauen und Selbstwirksamkeit erleiden.
 
Einsicht und Reue durch Strafe?
Das Gefühl, dass der/die TäterIn nun bestraft wird und hinter Gitter kommt, ist für manche Geschädigten hilfreich. Manche wollen mit dem/der TäterIn auch nichts mehr zu tun haben. Anderen aber wäre es sehr wichtig, sich mit ihm auseinanderzusetzen. „Er/Sie hat mir das angetan, wenn ich das Gefühl hätte, er/sie würde einsehen, was er/sie Schlimmes getan hat, würde mir das helfen.“
 
Mit der Strafe soll beim/bei der TäterIn auch gerade diese Einsicht und Reue bewirkt werden. Aber gegenüber von wem? Gegenüber dem abstrakten, anonymen Staatswesen? Kein gesunder Mensch kann Schuld und Reue gegenüber einem Staat empfinden, sondern nur gegenüber von Personen, denen man einen Schaden zugefügt hat. Wenn der Staat sie einsperrt, dann fühlen sich viele Inhaftierte vom Staat angegriffen.
 
Das Gefühl, selber jemanden verletzt zu haben, gerät dabei oft völlig in den Hintergrund. Das Gefühl, auch wirklich Verantwortung übernehmen zu müssen für den Schaden, den man einem/einer anderen zugefügt hat. Auch das wird einem/einer vom Staat genommen. Der/Die StraftäterIn wird in unserem jetzigen System seiner/ihrer Verantwortung gerecht, indem er/die seine Schuld absitzt. Damit allein wird jedoch nichts wieder gut.
 
Notwendig: Zeitgemäßes Strafrecht
Der Staat mischt sich in die (oft durch den/die TäterIn gewaltvoll aufgebaute) Verbindung zwischen Individuen ohne Rücksicht auf die Interessen der Individuen, und oft genug zu deren Schaden, ein. Konflikte werden so nicht gelöst, sondern oft neue geschaffen.
 
In einem zeitgemäßen, aufgeklärten Strafrecht sollte sich der Staat dagegen auf die Rolle eines Mediators und Schiedsrichters beschränken, der einsieht, dass er selbst ein gewisses Recht auf die Einhaltung von Spielregeln („Sicherheit“) hat, und der seine Pflicht und Berechtigung ansonsten darin sieht, dazu beizutragen, den Schaden, den Einzelne anderen zugefügt haben, möglichst wiedergutzumachen.
 
Es gibt in Deutschland bereits den nicht sehr weitgreifenden Täter/in-Opfer-Ausgleich. In Österreich gibt es den Tatausgleich. Diese Institute sollten deutlich ausgebaut und zum Grundsatz des Strafrechts gemacht werden. [...]
 
Dann entscheidet eine Kommission aus Fachleuten verschiedenster Disziplinen unter maßgeblicher Einbindung von Opfer und TäterIn, wie es innerhalb dieses eröffneten Rahmens weitergeht. Wie der Schaden wieder gut gemacht werden kann, welche Maßnahmen zur Sicherung der Allgemeinheit notwendig sind, wie dem Opfer am besten gerecht werden kann, und wie bei dem Straffälligen interveniert werden könnte, damit er/sie künftig keine Straftaten mehr begeht. Dazu muss der Straffällige als Mensch (dem oft genug selbst Unrecht widerfahren ist) und nicht nur reduziert auf seine Straftat betrachtet werden.
 
Das Gefängnis ist wie ein Verband, der alle Wunden verdeckt, kaum eine heilt, und viele verschlimmert. Wenn wir diesen Verband langsam lockern und abnehmen wird der Blick frei für das, was tatsächlich getan werden müsste."
 
Quelle: blickpunkte.co - "Raus aus dem Gefängnis: von einem repressiven zu einem heilenden Strafrecht"
29. Juni 2018
 
Nochmals meine Hochachtung für Dr. Thomas Galli - seine Haltung, sein persönliches Engagement, den Weg, den er gegangen ist (Abkehr von der Tätigkeit im Justizvollzug), seinen Mut, sein Durchhaltevermögen, seine Widerständigkeit und Konsequenz - seine Integrität, seine Souveränität. 
 
Gäbe es doch noch viel mehr Menschen in ähnlichen Entscheidungs-, Machtpositionen mit dieser seiner Überzeugung, Haltung, Menschlichkeit und Reflektiertheit.
 
Bei der Sequenz, in der er äußert, dass die damals in "seiner" JVA Inhaftierten im Grunde alle (!) sofort hätten entlassen werden können und sollen, kamen mir schon wieder die Tränen - denn: Was bedeutet das für all die Inhaftierten?!

Wieviele Existenzen, Menschen, Persönlichkeiten werden durch Haft, durch Strafe noch z u s ä t z l i c h beschädigt, gebrochen - viele wohl lebenslang auf vielfache Weise und wie schädlich ist all das insgesamt für die Gesellschaft, da hierdurch gerade nicht Straftaten vorgebeugt und Opfer nicht vermieden, ihnen auch nicht wirksam/tatsächlich geholfen wird. (Keine Frage - eine Aussage.)
 
Eine Anmerkung zum Suizid im Strafvollzug:
 
Man wird sich darüber kaum wundern, dass jemand sich das Leben nimmt (einige es vlt. nicht tun, obgleich sie es auch möchten), der keinerlei Lebensperspektive mehr für sich sieht, sie aufgrund der Umstände (lebenslange Haft z.b.) nicht sehen k a n n.

Meine grundsätzliche Haltung zum Suizid ist inzwischen wohl hinreichend bekannt. Sie gilt selbstverständlich auch für Straf-, "sogar" für Gewalttäter.

Das generelle Problem, die Herausforderung ist, dass man auch solche Täter stets als Menschen, nicht als reine "Monster" sehen muss - wenn: man dem Menschenwürdeprinzip folgt, wenn man also jedem (!) Mensch Würde und damit für jeden Menschen geltende universelle Menschenrechte zuspricht, die durch nichts verwirkt werden können, denn dann hätte das Menschenwürde- und Menschenrechtsprinzip gerade keine universelle Gültigkeit mehr, unterläge nicht mehr dem als absolut gesetzten (gesetzt werden müssenden) Anspruch der Unantastbarkeit (menschlicher Würde und universeller Menschenrechte).

Zurecht wird aber von der Gesellschaft - nicht "nur" von Opfern solcher Täter - erwartet, dass die Täter für die Allgemeinheit keine Gefahr darstellen sollen/dürfen und dass Opfer soweit als irgendmöglich geschützt bzw. g e h e i l t werden müssen - was nicht über Strafe erwirkt werden kann, sondern nur durch Wiedergutmachungsleistung (und vorausgehen müssendes Wiedergutmachungsbedürfnis, siehe Schuldeinsicht, Reue, Mitgefühl) des Täters.

Für diese Täter, die zu solcher Reue möglicherweise lebenslang (?) nicht m e h r fähig sind (dies zumeist, wenn nicht ausnahmslos aufgrund eigenen massiven Beschädigtwordenseins), die außerdem insgesamt in der Minderzahl sind, hat Thomas Galli auch bereits realisierbare, praktikable Vorschläge gemacht, die genau das garantierten, würden sie umgesetzt: die Menschenwürde, ein würdevolles Leben auch solcher Täter.


Wenn wir eine zivilisierte, kultivierte auf Gerechtigkeit, Humanismus, Ethik, Mitgefühl und Vernunft basierende Gesellschaft und entsprechend sich mehrheitlich in solcher Weise verhaltende, verhalten wollen und könnende Individuen sein wollen, so müssen wir uns von niederen Beweggründen wie Rache, Vergeltung, Strafe, Sadismus (absichtsvolles Schmerzzufügen und darüber empfundene Befriedigung) und stets kompensatorischem Macht- und Unterwerfungsstreben (siehe Ausbeutung, Zwang zu Gehorsam ...) abwenden - genau das macht uns - als Primaten, die wir auch sind - zu Menschen: die Anlage und Fähigkeit, die Möglichkeit zu Mitgefühl und Vernunft, zu Kooperation, Zivilisiertheit und Kultur.
 
-
 
Nochmal: Allen Respekt und Dank für diese Haltung, Konsequenz, Engagement - Persönlichkeit, Integrität von Thomas Galli.
 
Man kann auch allem in diesem oben verlinkten Video (Buxus Stiftung) Geäußerten nur uneingeschränkt zustimmen.
 
Anzumerken erlaube ich mir noch, dass es sich ähnlich auch mit dem offenen Hartz-Vollzug verhält - auch das ist keine Hilfe/Unterstützung/"Förderung" (Hartz 4, Agenda 2010 und ihre gravierend negativen Folgen für betroffene Individuen, aber auch Gesellschaft und Demokratie), sondern zusätzliche Beschädigung, die weitere Opfer, weitere Missstände ... nach sich zieht - zwangsläufig (und übrigens nicht "nur" Wohnungslose, armutsgeschädigte, ausgegrenzte, in ihrem Selbstwert beschädigte, lebenslang irreversibel so geprägte Kinder, sondern auch eine erhebliche Anzahl Suizid"opfer" - über die jedoch nicht berichtet wird, da auch der Suizid nach wie vor aggressiv tabuisiert wird - aus Gründen ... eigenes Thema, Suizide finden jedoch bekanntlich auch im Strafvollzug statt).
 
02. Mai 2018
 
Nochmals herzlichen Dank für diese brillante Darlegung der bestehenden Missverhältnisse ("Aufklärung vs. Gefängnis: eine Nagelprobe unserer Zeit" von Dr. Thomas Galli), die - ganz grob heruntergebrochen/zusammengefasst - auf einer schädigenden, kapitalistisch-neoliberalen (Sozial-) Politik sowie einem nach wie vor verbreitet bestehenden Rachebedürfnis leider noch immer nicht weniger Zeitgenossen beruhen.
 
Ich erlaube mir hierzu folgende Anmerkungen:

Meines Erachtens hat diese "Überzeugung" vieler Menschen, dass Rache, Vergeltung wichtig sei, dass Strafe unentbehrlich, richtig sei auch mit insbesondere den drei monotheistischen Buchreligionen (Judentum, Christentum, Islam) zu tun, die sich sämtlich auf das sehr gewaltvolle, patriarchalische Alte Testament (als gemeinsame Basis) gründen.
Es ist ein Hindernis auf dem Weg zum Primat des Sozialen, statt jenem (bestehenden) der Wirtschaft, der stets kompensatorischen (!) Rache, Machtausübung, damit einhergehend der Unterwerfung, Ausbeutung, Knechtung, Beschädigung, folglich nicht nur der Kapitalismus, der Primat der Wirtschaft (wenngleich dies ein unzweifelhaft erheblich wirksamer Faktor und ein Hindernis ist), sondern nach wie vor ist es auch die Religion und leider sind noch immer gerade die drei genannten alttestamentarischen, abrahamitischen, monotheistischen Religionen weltweit noch immer sehr verbreitet.
 
Unmittelbar offensichtlich wird daher, dass es folglich - wie letztlich immer, in allem, so auch bei fairem, kooperativen, prosozialen, also wünschenswerten Verhalten von Menschen im gesellschaftlichen, gemeinschaftlichen Miteinander - um Moral geht.
 
Hierzu lässt sich letztlich nur immer wieder feststellen, dass Moralsysteme zwar veränderlich sein und bleiben müssen, dass auch die verstandbasierte, reflektierende, analysierende Ethik unverzichtbar ist, das Fundament jeglicher längerfristig lebbarer, "praktizierbarer" Moral aber das Mitgefühl ist, das jedem Menschen (wie auch anderen Primaten) angeboren ist, dass Moralsysteme ohne dieses gefühlsbezogene Fundament gefährlich, destruktiv sein können, sind und waren - siehe nicht nur, aber gerade auch diverse religiöse Ideologien.

Nur auf Basis dieses Mitgefühls, das insbesondere bei Kindern und Jugendlichen gestärkt, befördert werden sollte (statt beschädigt) ist es möglich, sich freiwillig, aus eigener Überzeugung und einem emotionalen Impuls heraus prosozial, rücksichtsvoll, hilfsbereit, kooperativ, fair zu verhalten - auf Basis also intrinsisch motivierter, statt (ideologisch) oktroyierter Moral.
 
Es bedarf folglich für solches Verhalten keinerlei religiösen Glaubens, keiner Religion, Ideologie, sondern des Mitgefühls und des Reflexionsvermögens/Verstandes - im Verbund.
Denn auch Religionen haben u.a. die Funktion, Macht erhalten, ausüben zu können.
 
Auf Basis solchen Reflexionsvermögens und Mitgefühls wird dem Einzelnen dann auch bewusst, dass Rache, Strafe ihm im Falle des absichtsvollen Geschädigtwordenseins nicht hilft, sondern dass er der Wiedergutmachung bedarf, dass nur durch Reue und Wiedergutmachung (so weit möglich) sowohl Opfer als auch Täter "heilen" können - zumeist ist hierfür angemessene Begleitung, bspw. auch bedürfnisorientierte Therapie erforderlich.
 
Ganz besonders jedoch müsste es weit mehr um Prävention gehen und hierfür bedürfte es wiederum anderer gesellschaftlicher, politischer Verhältnisse - eben des Primats des Sozialen.
 
Es soll keinesfalls den Anschein erwecken, als kritisierte ich Thomas Gallis Text, im Gegenteil - ich bin sehr dankbar für selbigen und für seine Haltung sowie sein Engagement. Ich versuche lediglich, ihn (den Text) durch meine Gedanken (auf Basis von Erfahrungen ...) zu ergänzen, sofern dies gestattet ist.
 
Ganz am Ende irritierte mich allerdings der Vergleich, die Vorstellung von Schuld. Statt es als allgemeinmenschliche Schuld (in wiederum religiös geprägtem Verständnis) zu bezeichnen, zu betrachten, könnte man es möglicherweise auch (positiver konnotiert) als Aufgabe und Herausforderung sehen.
 
Und dass es möglich ist, kooperativ und friedlich miteinander leben zu können (übrigens auch geschlechterparitätisch, was tatsächlich ein weiterer entscheidender Aspekt in diesem Zusammenhang ist), zeigen eben die auch von Herrn Galli genannten Verhältnisse vor der neolithischen Revolution, somit vor Beginn der uns bekannten Besitz-, Eigentumsverhältnisse, also auch vor Beginn des Patriarchats.
 
Und dass das Zusammenleben sogar gewaltfrei möglich ist, demonstrieren die wenigen noch heute bestehenden sogenannten "Matriarchate" (bspw. die Khasi, Mosuo und die Minangkabau).
 
-
02. Mai 2018
 
Hm, ich sehe das ein bisschen anders.
Ich denke, letztlich wird solche auferlegte gemeinnützige Arbeit ja auch als Strafe empfunden, im Vergleich zur Haft wohl deutlich weniger belastend, beschädigend, aber es ist dann trotzdem Arbeit a l s Strafe.
 
Meines Erachtens müssten wir eigentlich dahin gelangen, dass es gegenüber den Opfern und/oder Angehörigen, jedenfalls den durch einen Täter - von diesem - absichtsvoll Geschädigten eine direkt geleistete Wiedergutmachung gibt, was des Täters vorausgehende ehrliche, gefühlte Schuldeinsicht und Reue, somit sein ureigenes Wiedergutmachungsbedürfnis voraussetzt und auf Opferseite ein Verzeihenkönnen durch/nach geleisteter Wiedergutmachung des Täters, eine Bereitschaft des Zulassens solcher Wiedergutmachung (statt auf Strafe, Rache zu beharren).
 
Es wird nicht immer möglich sein, solche direkte, idealerweise auch zeitnahe angemessene Wiedergutmachung zu leisten und wer was unter welchen Bedingungen für angemessen befindet, müsste wohl auch durch "Mediatoren" vermittelt, eruiert, begleitet werden.
 
Letztlich hilft aber den Opfern die geleistete gemeinnützige Arbeit des Täters so wenig wie dessen Haftstrafe und es besteht m.E. auch die Gefahr, Straftäter auch auf diese Weise (mittels gemeinnütziger Arbeit) auszubeuten, sie überdies mittels dessen, solcher Arbeit nicht wirklich zu rehabilitieren, denn oftmals werden die Gründe, die Ursachen, die die jeweilige Straftat "ausgelöst" haben, mittels solcher Arbeit (als letztlich eben doch Strafe) nicht behoben. Das aber ist wiederum für den Täter wichtig - meist also andere gesellschaftliche, politische, somit auch persönliche Verhältnisse, Umstände und/oder auch Therapie, Heilung (eigener Beschädigungen, eigenen Opferseins).
 
Ich denke, es ist wichtig, dass es zwischen Täter und Opfer ein direktes Verhältnis gibt, das durch angemessene Begleitung hergestellt werden kann, jedenfalls sollte.

Allerdings hängt es sowohl vom Opfer als auch vom Täter ab, wann beide jeweils bereit hierfür sind - für solche Konfrontation, solchen Kontakt, für also die persönliche Auseinandersetzung und den Umgang mit Schuld(gefühlen), Reue- und Wiedergutmachungsbedürfnis, mit Verzeihenwollen/-können, mit Regeneration und, soweit möglich, Heilung - auf beiden Seiten idealerweise.
 
Wenn es diesen persönlichen Bezug zwischen Täter und Opfer nicht gibt, bleiben letztlich beide "im Regen stehen", auf sich selbst zurückgeworfen.
Dann bleibt beiden im Grunde nur Verdrängung, Selbstbetrug. Auf dieser Basis ist Heilung (psychisch-emotionale vor allem) nicht möglich.
 
Es mag eine "normale", natürliche Reaktion sein, dass Opfer und Täter zunächst womöglich Abstand voneinander, Distanz zueinander brauchen, auf lange Sicht gesehen ist beiden aber mit Verdrängung oder vermeintlichem "Vergessen" (-können, -wollen) nicht geholfen und eben auch nicht mit "Ersatzstrafen".
 
-
03. Mai 2018

Mir fehlt da sicher sowohl die Geduld als auch das Verständnis. Denn wie gesagt: Mit Strafe(n) ist keinem einzigen Opfer tatsächlich in zuträglicher, wohltuender Weise geholfen.

Es werden nur eigene niedere Bedürfnissse (Rachsucht) bedient und auf diese Weise demonstriert das Opfer, dass es dem Täter in gewisser Hinsicht gleichgestellt ist - es steht aufgrund seiner Rachsucht weder moralisch noch intellektuell noch in Bezug auf persönliche Reife über diesem, sondern begibt sich im Grunde auf dasselbe niedere Niveau - drückt damit also ureigene charakterliche Defizite aus. Klar, so sehen das die Opfer nicht, wollen sie nicht, man muss sich ja das eigene positive Selbstbild erhalten - ich bin die/der Gute, der Täter ist der Böse. Das ist allerdings sehr primitiv, nicht besonnen, nicht reflektiert und eben "nicht einmal" moralisch anerkennenswert, sondern schwach.

Ich halte daher nichts davon, eine Strafart durch eine andere (ggf.) mildere zu ersetzen, sondern es müsste m.E. deutlich gemacht werden, dass und warum Strafe per se nicht hilfreich ist, niemandem zuträglich, dass sie weder Sicherheit erhöht oder garantieren kann noch dem Opfer hilft und dass sie nicht einmal präventiv wirkt.

Zugleich, parallel müssten Konzepte ausgearbeitet werden (durch bspw. Psychologen, Soziologen, idealerweise auch Philosophen - siehe Ethik, vlt. auch Anthropologen, jedenfalls interdisziplinär), die es ermöglichen, Straftaten auf andere Weise als durch eben Strafe zu behandeln, zu regulieren, vor allem: ihnen vorzubeugen. Das wiederum hat, wie wir immerhin erkannt haben (jedenfalls einige von "uns"), eine Menge mit Politik, Gesellschaft, mit Vorstellungen von Erziehung, Pädagogik, mit vor allem auch je persönlichen sozialen Umständen, sozioökonomischen Lebensverhältnissen zu tun, die wiederum durch Gesellschaft, Politik geprägt, auch hervorgebracht sind.

Ja, letztlich ist auch hier nichts weniger als ein Bewusstseinswandel vonnöten. Und ja, dieser wird sich nicht innerhalb kurzer Zeit vollziehen, nur leiden "in der Zwischenzeit" eine Menge Menschen intensiv - sowohl Täter als auch Opfer und d a s ist das Unerträgliche am Status quo.
 
Im Grunde ist es doch so, dass die Staaten, Gesellschaften, Politik(er) die Misere wissentlich (!) selbst produzieren und auch erhalten, dass s i e also Täter wissentlich hervorbringen.

Eben w e i l sie nicht in angemessener, gebotener, erforderlicher Weise gesellschaftliche, soziale Missstände durch entsprechende (Sozial-) Politik beheben, sondern sie befördern und das überdies absichtsvoll, vorsätzlich. Siehe Prekarisierung, Ausgrenzung (siehe auch das Abschulen von Kindern, Jugendlichen), Einsparung von Geldern im sozialen Bereich (Kinder, Alte, Kranke, Inhaftierte, Geflüchtete, Obdachlose, Pflegebedürftige, Niedriglohnerhaltende), dabei Investition in immer mehr Überwachung, "Sicherheits"technik, -technologie, Rüstung. Immer nur Zwang, Druck, Kontrolle, Strafe, Paternalismus, keine Bedürfnisorientiertheit.
 
Es fängt übrigens immer und überall bei den Kindern an, genau da gälte es anzusetzen. Und nicht erst bzw. nicht einmal dann, wenn Jugendliche bereits straffällig geworden sind, sondern gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen, die es Eltern ermöglichen, nicht schädigend Eltern sein zu k ö n n e n. Wir sind nicht auf diesem Wege, im Gegenteil - siehe allein die immer frühere Fremdbetreuung, die Bindung zerstört, verhindert.
Siehe materielle Armut, "soziale Ghettos/Brennpunkte" ... .

Diese Menschen sind neoliberalen Regierungen schlicht nichts wert, d e s h a l b lässt man sie in ihrem Elend allein und bestraft sie dann, wenn sie a u f g r u n d ihres Beschädigt(worden)seins früher oder später aggressiv, gewalttätig und eben auch straffällig werden. - Im Grunde ist das nicht bloß Ignoranz, das ist Sadismus.
 
Wie soll man damit zurandekommen - moralisch, emotional?
 
Wir können das übrigens erweitern um Umweltprobleme, Klimawandel, Tierschutz, unfaire Handelsabkommen, Ausbeutung nach wie vor von "Entwicklungs-" und "Schwellenländern" ... .
 
Du siehst täglich, was in welchem Ausmaß wie immens falsch läuft und w a r u m es sich so verhält und dass überdies auch jene noch bestraft, unterdrückt, misshandelt, beschädigt werden, die hiergegen aufbegehren, rebellieren, demonstrieren.
 
Nein, ich will nicht vom Thema ablenken, relativieren, sondern ganz im Gegenteil: hängt das alles unweigerlich miteinander zusammen - insbesondere eben auch all die globalen Einflüsse, Verflechtungen, Abhängigkeiten.
Es wird jedoch permanent allenfalls vorübergehende Symptombehandlung vorgenommen oder auch nur Augenwischerei, Täuschung - statt Bewältigung der "Misstände" und Regeneration.
 
W i e soll man das ertragen?
 
-
 
08. Mai 2018
 
Was ich mir wünsche, ist, dass mehr psychologisch, psychoanalytisch begründet würde, denn ich denke, damit ließe sich erreichen, dass den Gegnern "alternativer Strafmaßnahmen" der Wind aus den Segeln genommen würde, dann nämlich, wenn man ihnen bspw. deutlich macht, dass ihr eigener Rache-, Vergeltungswunsch (von Bedürfnis kann die Rede hier nicht sein) ein niederer ist, ein moralisch, charakterlich unreifer, der folglich nur negativ auf sie selbst zurückfällt.
Denn der Strafende schwingt sich ja gerne gerade moralisch über den Bestraftwerdenden auf.
 
Gleichermaßen könnte man, wie ich meine, in Bezug auf das fadenscheinige "Argument" reagieren, das verlautbart, es würden die Opfer "verhöhnt", gäbe es keine (Haft-) Strafe mehr.
Auch hier lässt sich auf psychologischer Basis veranschaulichen, dass und warum Opfer keinerlei Entlastung, Entschädigung, Wiedergutmachung, Heilung erfahren, wenn/nur weil Täter weggesperrt werden (ihnen die Freiheit entzogen wird) oder sie anderweitig bestraft werden.
 
Es müsste m.E. weitflächiger deutlich gemacht werden, dass Strafe kein angemessenes Instrument ist, um unerwünschtes, schädliches Verhalten zu vermeiden (denn Strafe wirkt nicht präventiv), dass außerdem die Opfer außer ihrer kurzfristigen "Genugtuung" ihres Vergeltungswunsches von dieser Strafe keine für sie, die Opfer, zuträglichen, wohltuenden, heilsamen Folgen zu erwarten haben, diese sich durch Strafe nicht einstellen (können).
 
Überdies sollte ebenfalls unmissverständlich aufgezeigt werden, dass durch Strafe (also physische und/oder psychische Gewalt) kein prosoziales Verhalten - dauerhaft - erwirkt werden kann, weil Gewalt immer weitere Gewalt, Aggression, Abwehr, Verweigerung, Angst, Trotz und erneute Rachewünsche beim Täter evoziert, da dem Täter durch Strafe ja absichtsvoll Schmerz zugefügt wird, auf welchen jeder (gesunde) Mensch natürlicherweise (Selbstschutz) mit Abwehr, Aggression etc. reagiert.
 
Vor allem sollte offengelegt werden, dass Strafe folglich ein Machtinstrument ist, dass es bei letztlich jeglichen sogen. Disziplinierungsmaßnahmen um Macht, Kontrolle, Unterwerfung und Gehorsamerzwingen geht - nicht also um Wiedergutmachung, Entschädigung der Opfer (für selbige) und auch nicht um eine "Veränderung" der Täter, die erwirken sollte, dass diese ihre Tat bereuen, sie aus eigenem Wunsch, soweit jeweils möglich, wiedergutmachen wollen und zukünftig keine weiteren Straftaten mehr begehen. All das: ist mittels wie auch immer gearteter Strafe nicht zu erwirken - aus genannten Gründen.
 
Wenn man den Menschen also deutlicher vor Augen hielte, dass und warum ihr Rachewunsch sowie ihr Streben nach Macht, Unterwerfung, Kontrolle, Gehorsam nur ihre eigenen charakterlichen Defizite offenbaren und gerade nicht Ausdruck eigener moralischer Überlegenheit oder charakterlicher Reife sind, würden sie möglicherweise nicht mehr ganz so laut nach Strafe rufen.
 
Selbstverständlich müssten parallel Alternativen erarbeitet, verbessert, weitflächig eingesetzt werden können, was sicher wieder eine Menge mit Geld zu tun hat, wer es wofür auszugeben, zu investieren bereit ist.
 
Und schließlich sollte auch gerade hinsichtlich Prävention weit intensiver das Augenmerk auf Ursachen, Gründe für jeweils welche Straftaten gerichtet werden, denn häufig legen diese Taten bekanntlich nur offen, was in einer Gesellschaft wie falsch läuft, dass die Täter häufig selbst Opfer dieser "Fehler", Missstände - siehe bspw. und insbesondere sozialpolitische - waren bzw. sind und/oder dass sie selbst bereits in Kindheit und Jugend Opfer waren, keine angemessene Unterstützung zeitnah, bedürfnisorientiert (statt paternalistisch) erhielten und man sie, indem man sie als spätere Täter dann noch ein weiteres Mal oder mehrmals noch zusätzlich bestraft, maximal beschädigt. - Es scheint bei solcher Praktik folglich nicht um Rehabilitierung, "Resozialisierung", "Reintegration" (in Gesellschaft) zu gehen, sondern um vor allem Ignoranz und Sadismus, darum "unbequeme" Menschen aus dem Sichtfeld zu entfernen, sie zu brechen, sie zu entsorgen - statt f ü r sie so zu sorgen (!), dass sie (bestimmte) Straftaten nicht mehr begehen, siehe insbesondere Gewalttaten, aber auch Straftaten, die auf materieller Armut basieren oder die sich gegen strukturelle Gewalt richten.
 
-
 
16. Oktober 2018
 
Ein großes Übel, viel Leid verursachend ist, dass es in dieser Welt zu viele Menschen gibt, die lieber sterben und andere sterben, leiden l a s s e n, als ihre ureigenen Fehler, Defizite, Unzulänglichkeiten zuzugeben und dafür (für zugefügtes Leid, Schmerz, Verletzung, Beschädigung) um Verzeihung zu bitten sowie um Wiedergutmachung bemüht zu sein.
 
Sie verdrängen, leugnen stattdessen lieber, tätigen die Täter-Opfer-Umkehr, beschädigen andere "kompensatorisch", missbrauchen sie, stilisieren s i e zu Tätern und sich selbst zu "Opfern", bauen Feindbilder auf - um den Schmerz, den sie aufgrund eigenen (einstigen) Beschädigtwordenseins nicht fühlen wollen, stellvertretend, kompensatorisch an anderen auszuagieren.

Sie sind emotional taub, versehrt, es mangelt ihnen intensiv an Mitgefühl und Selbstreflexion.
 
Eine gewichtige Rolle spielt auch die Scham, die angesichts der eigenen charakterlichen Defizite, Unzulänglichkeiten, gemachten Fehler, verursachten Schäden empfunden, jedoch mit allen Mitteln zu verbergen, auch vor sich selbst zu unterdrücken versucht wird.
Denn diese Scham ist zumeist schwer erträglich, konfrontiert sie doch nochmals so intensiv mit eben den eigenen, vorhandenen, augenfälligen Defiziten, Unzulänglichkeiten, Fehlern oder auch sogar Verbrechen - Verletzungen, Beschädigungen, die man anderen zugefügt hat: aus niederen Beweggründen, aus Selbstsucht, Ignoranz, Bequemlichkeit, Überheblichkeit oder auch auf Basis, als Folge von Hass.
 
Solches Verhalten findet sich auf basalster Ebene - in Familie, Beziehungen, Freundschaften - sowie auf politischer Ebene und überall auf der Welt verbreitet. Und Folge dessen ist stets nur weiteres, noch intensiveres Leid.
 
-
 
update 11. April 2021
 
Frage zu §46 Abs. 1 Satz 2 StGB:
"Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen"
 
Damit ist vom Gesetzgeber aber nicht irgendeine etwaig positive "Wirkung" von Strafe gemeint oder? Wäre absurd.
 
Was §46 Abs. 2 StGB, die Strafzumessung anbetrifft:
"sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen."
 
Seit wann ist Wiedergutmachung wie, wo rechtlich ermöglicht?
 
Und was die "persönlichen Verhältnisse des Täters" anbelangt: Was wird da von wem wie genau "berücksichtigt" - mit welchen Folgen?: Strafe, Knast also für all jene Täter noch zusätzlich, die als Kinder selbst Opfer waren? Super Sache! Zweifelsohne.
 
Das deutsche Recht ist wirklich ganz großartig. Nun kenne ich mich im Strafrecht nicht aus, aber allein §46 StGB ist ja schon der Brüller.
Und im Zivilrecht sieht es kaum besser aus. Es ist ohnehin die reinste Bürokratie. Gerechtigkeit, Wiedergutmachung, Ausgleich und effektive Prävention bleiben da sämtlich und vollends auf der Strecke.
 
§57 StGB - "verbüßte Strafe" - wenn ich das schon lese, kriege ich Krämpfe. Warum muss in einem säkularen Staat etwas "verbüßt", gebüßt werden?! Was soll der religiös verbrämte Dreck? Als ginge es dem Opfer ansatzweise besser, wenn/weil der Täter im Knast vegetiert. Als würde durch Strafe irgendetwas besser, leichter, erträglicher, schmerzloser für das Opfer und als würde der Täter im Knast zum "besseren Menschen".
 
Muss man das im Jahr 2021 ernstlich diskutieren?! Das ist unterirdisch-barbarisch, unzivilisatorisch, einfach: dumm.
 
Entscheidet in Strafsachen eigentlich auch ein Einzelrichter, wie in Zivilsachen?
Und wie tatsächlich unabhängig sind und urteilen Richter eigentlich wirklich - ohne ihre berufliche Karriere ... zu "gefährden"? Rhetorische Frage. ;)
 
Was Auslöser für diesen Eintrag ist, ist der nachfolgend verlinkte Text - ich saß kopfschüttelnd davor und dachte nur "Was für eine Scheisse" - nicht der hervorragende Text, sondern die Faktenlage: lebenslange Freiheitsstrafe.
 
Immer wieder und immer öfter in letzter Zeit, den vergangenen Jahren, frage ich mich, ob ich einfach bloß furchtbar unwissend, blind, naiv (selbst mit ü40) war und bin oder ob in diesem Rechts- und Sozialstaat unfassbar vieles unerträglich falsch, schlecht, schädigend "läuft".
 
Und dann noch §211 StGB - was bitte ist "Mordlust"? Wo ist dieser Begriff durch wen wie - rechtlich?, ethisch?, psychologisch? - definiert, bestimmt? "Lust" zu morden, am Quälen und Töten dürften allenfalls Sadisten haben.
 
Kann mir bitte jemand §216 StGB erklären?
Wenn jemand bspw. krankheitsbedingt sich selbst nicht (mehr) töten kann, jemand anderen darum bittet, ihn zu töten, ist das ggf. eine ethische Herausforderung, vielleicht auch eine Zumutung für den Gebetenen, aber wenn unzweifelhaft bei dem um seine Tötung Bittenden ein intensiver, ggf. auch begründeter, nachvollziehbarer "Todeswunsch" ernstlich und unzweifelhaft besteht, warum wird der "Tötende" dann mit Freiheitsstrafe belegt? Er ist kein Mörder, er tötete: auf Verlangen, Bitte, Wunsch.
 
Und dann §213 StGB Totschlag, "minder schwerer Fall":
Wenn ich also aus Notwehr, um Leib und Leben - meines oder das anderer tätlich, ggf. tödlich Bedrohter, Gefährdeter, Angegriffener - schützen will/muss und dies nicht anders vermag, als durch gezielten oder absichtslosen Totschlag, werde ich auch dann mit Freiheitsentzug "von einem bis zu zehn Jahren", mit Strafe belegt?!?
WAS IST DAS FÜR EIN IRRSINN.
 
Zitat aus dem Grundrechtekomitee-Artikel, den Anmerkungen am Schluss:
"Entlarvend auch folgende Statements: »Schäden aufgrund langer Inhaftierung, die gegen die Verhängung dieser Sanktion sprechen würden, seien bislang empirisch nicht erforscht«"
 
Es ist "empirisch nicht erforscht" (?), ob/dass Inhaftierung grundsätzlich und umso mehr jedenfalls eine langandauernde Inhaftierung, Freiheits"entzug" ... Schäden verursacht? Bitte?? Oder gelten diese Schäden aufgrund der "Schwere der Schuld" als vertretbar, gar angemessen?
 
Es scheint, als stamme dieses Rechtssystem aus dem tiefsten, dunkelsten Mittelalter.
Rache, Vergeltung, Strafe, Gewalt, Autoritarismus, Repression - maximale Destruktivität.
 
-
 
Allen Respekt für diese großartige, starke, couragierte Haltung und Tat - der Aufklärung, des Widerstands, des Solidarisierens, unerträglich, dass solche Missstände überhaupt nach wie vor bestehen und geduldet, gebilligt, sogar gewollt werden: Strafe,  Gefängnis,  Ersatzfreiheitsstrafen,  Armut,  Ausgrenzung, willige Vollstrecker, Beamte, Exekutive.
 
Und noch einmal: Ja: die "Alternative", der gebotene, richtige Weg ist Wiedergutmachung (restorative justice), statt Strafe, Mediation, Kommunikation.
 
"[...] Dass ich das Geld nicht bezahlen wollte, ist in erster Linie eine politische Entscheidung gewesen. Ich wollte damit zeigen, dass der Staat sogar so weit geht, Menschen für kreative Proteste gegen die "Alternative für Deutschland" (AfD) und deren rassistische, sexistische und homophobe Politik einzusperren. Jetzt könnte entgegnet werden, dass ich mich durch meine Entscheidung selbst in den Knast gebracht habe. Meine zuständige Rechtspflegerin erklärte mir sogar bei einem Telefonat, dass „sie mich ja gar nicht für eine Straftäterin hält, aber sie ja leider trotzdem die Strafe vollstrecken muss.“. Damit leugnet sie, dass sie sich selbst für diesen Job entschieden hat und täglich neu dafür entscheidet. Ich könnte nicht in den Knast gehen, wenn es nicht Menschen wie sie gäbe, die aus „Erfüllung ihrer beruflichen Pflicht“ heraus Strafen vollstrecken und die Türen der Gefängnisse geschlossen halten.
 
Dass es überhaupt möglich ist, für einen Tortenwurf ins Gefängnis zu kommen, deutet auf die Absurdität von Knästen hin. Noch deutlicher wird diese, wenn man sich anschaut, wofür andere Menschen eingesperrt werden. Menschen, die beispielsweise nur ihr Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit ausleben und damit gegen die Residenzpflicht verstoßen, „illegal“ Grenzen überquerten oder einfach nur ohne Fahrkarte Zug gefahren sind. Bei all dem soll das Individuum den Fehler bei sich selbst suchen und wird dadurch von gesamtgesellschaftlichen Missständen abgelenkt.
 
Gesetze sorgen dafür, dass Menschen aufhören, selbst darüber nachzudenken, was für sie persönlich moralisch legitim ist. Die Verantwortung dafür wird auf den Staat und sein Gerichtssystem abgeschoben. Gleichzeitig führen Gerichte und ihre Strafen dazu, dass in der Gesellschaft die Fähigkeiten zur Konfliktlösung verkümmern. Dabei gibt es in diesem Bereich so spannende Ansätze und Ideen. Methoden wie „restorative justice“ oder Mediation werden heute schon in vielen Bereichen erprobt und erfolgreich angewendet.
 
Im Gegensatz zu diesen Methoden sind Strafe und Knast nicht dazu geeignet, gesellschaftliche Konflikte zu lösen. Denn die Ursachen für Kriminalität werden nicht angegangen. Um beim Beispiel Schwarzfahren zu bleiben: Wer schon vorher das Zugticket nicht bezahlen konnte, wird es auch nach dem Absitzen der Strafe nicht bezahlen können. Stattdessen droht die Gefahr, dass Menschen bei einem längeren Knastaufenthalt ihren Job oder ihre Wohnung verlieren und sich danach in einer noch prekäreren Situation befinden. Die Bedingungen der Haft verstärken die Gefahr einer weiteren Verarmung. Bei derzeitigen Protesten in der JVA Neumünster beschweren sich Gefangene zum Beispiel darüber, dass es für ihre dortige Arbeit keinen Mindestlohn und keine Einzahlung in die Rentenkasse gibt und sie gleichzeitig überteuerte Einkaufspreise zahlen müssen. Ein bis zwei Euro Stunden­lohn sind im Knast trauriger Normalzustand.
 
Meine Strafe wird auch nichts daran ändern, dass die Politik der AfD homophob, rassistisch und menschenfeindlich ist. Während ich im Knast bin, werden weiterhin Menschen im Mittelmeer ertrinken und fast täglich Flüchtlingsheime angegriffen werden. Daher werde ich auch in Zukunft mit allen Mitteln, die ich selbst für notwendig halte, Widerstand gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck leisten.
 
Wenn ich Menschen aus meinem politischen Umfeld von meinem Knast-Aufenthalt erzähle, höre ich häufig, wie „mutig“ sie meine Entscheidung finden. Natürlich freue ich mich über die solidarischen und unterstützenden Reaktionen. Aber für mich hat meine Inhaftierung nichts mit Mut zu tun. Ich bin unsicher, nervös und angespannt-neugierig auf die Erfahrung. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, in einer unglaublich privilegierten Situation zu sein. Denn — im Gegensatz zu den meisten Inhaftierten — kann ich im Notfall jederzeit das Geld zahlen und habe ein Netzwerk aus solidarischen Menschen im Rücken. Die meisten Gefangenen werden von ihrem sozialen Umfeld stigmatisiert und ausgegrenzt.
 
Ich stattdessen weiß, dass es Menschen gibt, die Briefe schreiben, Gerichtsprozesse begleiten, Pressemitteilungen schreiben, Flyer designen, Transparente malen, mir durch ihre Musik Kraft geben, sich um nervigen „Orga-Kram“ kümmern oder bis spät in die Nacht wach bleiben, um sich meine Ängste anzuhören. Ohne all dies wäre es für mich nicht möglich in den Knast zu gehen. Eigentlich ist es eher beliebig, dass ich diesmal diejenige bin, die im Knast landet. Denn die meisten dieser Aufgaben habe ich bei anderen Aktionen schon einmal selbst übernommen. Es ist für mich ein wichtiger Teil politischer Arbeit, jedes Mal neu auszuloten, mit welcher Aufgabe ich mich gerade wohlfühle und mit welchen Fähigkeiten und Ressourcen ich mich einbringen kann. Jetzt trifft es mich, aber gemeint sind wir alle. Diesmal ist mein Platz im Knast, aber bald schon werde ich wieder hinter den Barrikaden stehen. Hoffentlich gemeinsam mit euch. [...]"
 
Quelle: antifainfoblatt.de - "`Warum ich meine Geldstrafe im Knast absitze ... ´"
 

Dr. Thomas Galli - "Das Böse im Täter. Un(be)greifbar?", Vortrag an der Hochschule Mittweida, 24.05.2018

25. Mai 2018
 
Sehr informativer Vortrag, Danke ein Mal mehr an Dr. Thomas Galli.
 
Was mir allerdings nicht nachvollziehbar ist: Dass man den Begriff oder das Phänomen des "Bösen" vorgeblich braucht, um mittels dessen Gemeinschaft zu konstituieren oder gar zu konsolidieren.
 
Grundsätzlich stört mich, dass permanent vom Bösen gesprochen wird im Zusammenhang mit moralisch, ethisch als unerwünscht, verurteilenswert, jedenfalls inakzeptabel geltenden Verhalten, Taten.

Selbstredend ist der Referenzpunkt immer die je nach Zeit, Kultur, Gesellschaft geltende Moral, die gerade gängigen Normen, Regeln, Gesetze, die bekanntlich veränderlich sind und es auch bleiben müssen.
(Noch etwas anders verhält es sich mit Ethik, die zwar auch wandelbar ist, aber die Metaebene bedient und für den "Alltagsgebrauch" und das "Alltagsverständis" wohl der meisten Menschen eher weniger greifbar ist, auch weniger bekannt - welche unterschiedlichen ethischen Ansätze, Richtungen etc. es gibt, was diese besagen, was sich daraus ableiten lässt usw..)
 
Schon diese Bezeichung "böse" ist m.E. problematisch, eben weil sie doch stark auf religiöse Moralvorstellungen, religiöses Verständnis und Interpretation rekurriert und ja, das halte ich in einem eigentlich aufgeklärten, säkularen Staat und einer ebensolchen ("freiheitlich-demokratisch" aufgeklärten) Gesellschaft (jedenfalls einer solchen, die den Anspruch hat, dem zu entsprechen) für problematisch.

Daher fände ich es hilfreicher, von moralisch unangemessenen, "verwerflichen", zu verurteilenden Taten zu sprechen.
"Das Böse" kann es, wie auch aus diesem Vortrag hervorgeht, nicht geben, denn es ist stets der Mensch, der nur Werte setzt, der sich und anderen Moral "gibt", der für das zwischenmenschliche, gesellschaftliche Zusammenleben, Interagieren Regeln und Gesetze hervorbringt, dieses Zusammenleben auf u.a. auch diese Weise gestaltet, formt.
 
Wir würden Tieren, die andere Tiere jagen, töten, bei auch lebendigem Leibe fressen nicht als "böse" bezeichnen, weil wir ihnen kein höheres Bewusstsein, kein Reflexionsvermögen, keine Fähigkeit, Möglichkeit zu bewusstem Willensentschluss und einhergehender Verantwortung für ihr Tun, ihr Verhalten zusprechen (jedenfalls nach heutigem Kenntnisstand und auf bestimmte Tiere wie bspw. Insekten bezogen).
 
Ich würde mir daher wünschen, generell nicht von "dem Bösen" zu sprechen, eher vom "Schlechten", vielleicht auch Hässlichen, Unerwünschten, Inakzeptablen - in Bezug auf das Verhalten, vielleicht aber auch das Denken und Fühlen von Menschen, das selbstverständlich nicht strafrechtlich verfolgt werden darf (Freiheit der Gedanken ...), das jedoch einem Verhalten und Taten voraus- und mit diesen auch einhergeht, daher nicht völlig unberücksichtigt sein darf/sollte.
 
Auch würde ich mir wünschen, dass noch stärker der Fokus auf den Zusammenhang zwischen Ursachen, Hintergründen (sozialen, gesellschaftlichen, biographischen) und Taten (also auch Straf-, Gewalttaten) gelegt wird sowie auf das Verhältnis von Schuld bzw. Verantwortung und Willensfreiheit - hierzu empfehle ich den wunderbaren Essay von Michael Schmidt-Salomon "Können wir wollen, was wir wollen?" (siehe unten verlinkt) als Anregung bzw. zum besseren Verständnis dessen, worum es mir geht. Das hier auszuführen, würde zu viel Raum beanspruchen, es sei daher auf den genannten Essay verwiesen.
Nur so viel: Nein, Schmidt-Salomon spricht dem Menschen Willensfreiheit nicht generell ab und er äußert sich am Ende des Essays explizit auch zum Verhältnis von Verantwortung und Strafe - vor dem Hintergrund der Willensfreiheit.
 
Was mir außerdem nicht nachvollziehbar ist, ist dass wir ein Problem hätten, wie der letzte Fragende (der Herr, der ganz vorne saß) äußerte, wenn es keine bösen Taten bzw. keine Täter mehr gäbe, weil wir "das Böse" bzw. die bösen Taten für die Gemeinschaft, den gesellschaftlichen Zusammenhalt bräuchten - siehe, was ich eingangs hierzu schrieb.
Mir ist es tatsächlich völlig unverständlich, wie man auf einen solchen Gedanken bzw. eine solche Behauptung, ein solches Postulat überhaupt kommt?

Es besagt ja, es müsse immer diese Polarität geben, diesen Dualismus von "Gut und Böse". Selbst wenn dem so sein sollte, bedeutet das eigentlich "nur", dass feststellbar sein muss, was aus welchen Gründen (vor welchem gesellschaftlich jeweils geltenden moralischen, ethischen und rechtlichen Konsens) "gutes", wünschenswertes, faires, prosoziales Verhalten ist und was aus welchen Gründen unerwünschtes, "schlechtes", schädigendes.
Aber daraus lässt sich nicht ableiten, dass es "Täter" geben muss, schon gar nicht "das Böse" oder "böse" Täter oder Taten, sondern eben schlechte, unerwünschte - es muss also nicht immer etwas extrem Grausames, massiv Schädigendes geben, um erkennen zu können, was "gut, richtig, angemessen" ist.
 
Hierzu möchte ich anmerken, dass dem Mensch das Mitgefühl nachweislich, wissenschaftlich belegt angeboren ist - jedem Mensch sowie auch anderen Primaten.
(Was übrigens sowohl Nietzsche als auch Kant allenfalls gegebenenfalls vermuten, aber damals noch nicht wissen konnten.)
 
Wenn wir also davon ausgehen, dass kein Mensch "böse, schlecht", als Gewalttäter geboren wird, dass Menschen sich hingegen schon als Kleinkinder (vor Wirksamwerden von Erziehung!) prosozial, kooperativ, jedenfalls mitfühlend und hilfsbereit verhalten (hierzu gibt es wissenschaftliche Belege), bedeutet das, dass der Mensch eigentlich keiner oktroyierten Moral, keiner religiösen oder anderweitig ideologischen Dogmen bspw. bedarf, sondern ihm intrinsische Moral (faires, kooperatives, prosoziales, hilfsbereites Verhalten) tatsächlich genetisch angelegt, angeboren ist - und eben auf Basis des Mitgefühls wirksam wird, gelebt wird - weil bei intaktem (!) Mitgefühl - nicht gleichbedeutend mit Empathie btw - das Leid des anderen einem selbst unerträglich ist, man ihm daher nicht absichtsvoll Leid, Schmerz zufügen möchte bzw. k a n n, da man anderenfalls selbst litte, man deshalb sein, des anderen Leid (das man wahrnimmt) sogar mildern oder gänzlich abwenden möchte. Das ist die ganz basale Ebene intrinsisch moralischen Verhaltens und m.E. ist Moral dauerhaft gerade und eigentlich nur auf Basis solcher intrinsischen Moral lebbar - eben weil das Verhalten auf eigener, tiefer Überzeugung beruht, von innen heraus an den Tag gelegt wird und gerade nicht deshalb, weil Regeln befolgt werden, um entweder Lob zu erhalten oder Strafe, Tadel, Ausgrenzung zu vermeiden. Es ist also ein völlig anderer Ansatz als der oktroyierter Moral.
 
Ich meine, es wäre wichtig, genau diese intrinsische Moral, d.h. das Mitgefühl zu stärken, statt es - wie in u.a. unserer neoliberal-kapitalistischen, auf Konkurrenz und Kampf sowie Ausbeutung, Macht und Unterwerfung basierenden, somit nach wie vor patriarchalischen, auch autoritären Gesellschaft (inklusive Repressionen, struktureller Gewalt, Exekutivgewalt, schlagseitiger Machtverhältnisse ...) zu beschädigen - und das tatsächlich bereits bei Kindern, siehe schon das Konkurrieren, der Wettbewerb und Leistungsdruck in Schulen, inzwischen sogar schon in Kindergärten, siehe die wirtschaftliche Verwertbarkeit, Funktionalisierbarkeit von Menschen(material), um die es vorrangig in einem solchen System geht - und gerade nicht um den Primat des Sozialen, sondern den der Wirtschaft.
 
Es wäre folglich unabdingbar, den Fokus weit mehr auf eben das Soziale, auf Bedürfnisorientiertheit und Kooperation, statt Konkurrenz und Kampf sowie Macht und Unterwerfung zu legen - eigentlich längst überfällig.

Dass es möglich ist, lässt sich in kleinerem Rahmen beobachten, außerdem auch in den wenigen noch heute bestehenden sogenannten "Matriarchaten", die offenbar tatsächlich eines sind: gewaltfrei.
 
Daher würde ich mir auch einen feministischen Ansatz wünschen, der in auch die Justiz einfließen sollte, siehe bspw. die Feministische Kriminologie.
 
-
 

Sternstunde Philosophie im Gespräch mit Reinhard Merkel, Schweizer Fernsehen: "Verbrechen, Schuld und Strafe", vom 24. Juli 2011

11. Juli 2018
 
Herr Merkel, mir fehlt da die wohl erforderliche Geduld, denn
 
1. Nein, Strafe hat nachweislich keine abschreckende Wirkung, nicht einmal die Todesstrafe.
 
Er widerspricht sich also selbst in diesem Interview, in welchem er zu Anfang selbst sagt, es gehe bei Strafe nicht um Prävention, sie funktioniere n i c h t präventiv und soll es auch nicht; später behauptet er dann jedoch, Strafe habe abschreckende Wirkung (Zitat: "wie wir annehmen"), wirke also doch präventiv. Was denn nun, Herr Merkel?
 
2. Ich gehe völlig konform mit seinen Ausführungen zur Willensfreiheit, Verantwortung, zum Determiniertsein und zur Schuld - hierzu kann ich ausdrücklich nur nochmals auf Michael Schmidt-Salomons brillanten Essay "Können wir wollen, was wir wollen?" (unten verlinkt) verweisen, in welchem er hervorragend darlegt, wie es sich aus welchen Gründen damit verhält - siehe die Fragen: Gibt es Willensfreiheit? Wie ist diese möglich, beschaffen, definierbar? Was resultiert daraus in Bezug auf Verantwortung für eigenes Handeln und Schuldfähigkeit sowie Strafe? ...).
 
3. Nein, wir brauchen Strafe auch nicht zur Vorbeugung von Normenerosion, denn hierfür ist Wiedergutmachung nicht nur vollständig ausreichend, sondern überdies die bessere, die gebotene Alternative, weil sie konstruktiv und heilsam (für alle Beteiligten, für die Gesamtgesellschaft letztlich) ist, nicht destruktiv und schädigend wie Strafe.
 
Und nein, Wiedergutmachung ist nicht das Gleiche wie, nicht eine Form von Strafe, sondern ihr konträr gegenüberstehend. Wiedergutmachung kann auch nicht durch Zwang, Gewalt, Druck erwirkt werden, wäre auf diese Weise auch nicht tatsächlich hilfreich, entschädigend (!), heilsam, sondern eben nur eine Variante von Strafe.
 
Tatsächlicher Wiedergutmachung kann nur echte empfundene (!), im Grunde: erlittene Reue vorausgehen; aus dieser gefühlten (!) Reue des Täters resultiert sein eigenes Wiedergutmachungs b e d ü r f n i s - erst und nur dann, wenn dieses vorhanden ist (und es kann folglich nur ein intrinsisches sein), handelt es sich in Folge um tatsächliche, echte Wiedergutmachung.
 
Wie diese im jeweiligen Einzelfall aussieht, vonstattengehen kann, ist je individuell zwischen Opfer(n), Täter(n) und jeweils geeigneten "Vermittlungspersonen" (Mediatoren verschiedener Profession, Qualifikation, siehe bspw. Therapeuten etc.) zu ermitteln und entsprechend zu praktizieren. Ja, das erfordert vor allem Zeit, Heilung passiert zumeist nicht im Hauruckverfahren.

Es erfordert die Auseinandersetzung zwischen Opfer und Täter und jene sowohl des Täters mit sich selbst (seiner Persönlichkeit, seinen Motivationen, seinen biographischen Hintergründen, seinen eigenen Beschädigungen, seinem eigenen Beschädigtwordensein) als auch die Auseinandersetzung des Opfers mit sich selbst (seinem ggf. vorhandenen spontanen Rache-/Vergeltungswunsch, seiner Wut, Trauer, seinem Schmerz, seinem Selbstbild, seinen Nöten, Bedürfnissen, seinem Wiedervertrauenfassenlernen) - mit geeigneter, bedürfnisorientierter Unterstützung auf beiden Seiten: der des Opfers wie auch der des Täters.
 
Diese "erfolgreiche", je angemessene Wiedergutmachung kann nur das Ziel sein und ersetzt Strafe vollständig.
 
Zur Prävention hilft hingegen vor allem, gerechte soziale und freiheitlich-demokratische Verhältnisse rings um den Globus zu schaffen, materielle Armut angemessen zu beheben, insbesondere:
 
Kinder nicht absichtsvoll, wissentlich oder aus Gründen eigener Überlastung, Not und/oder Unwissenheit (der Eltern und weiterer einflussreicher Personen im Umfeld des Kindes) physisch und psychisch-emotional zu beschädigen - auch nicht durch religiöse oder anderweitig ideologische Indoktrination, schon gar nicht durch Schwarze Pädagogik (Druck, Zwang, Kontrolle, Härte, Strenge, emotionale Kälte, Dressur, absichtsvolles Schmerzzufügen - physische und oder psychische Gewalt also, zu der auch Vernachlässigung, abweisendes, nicht bedürfnisorientiert fürsorgliches Verhalten gehört).
 
Denn die Opfer von heute sind meist die Täter von morgen.
 
Eltern müssen nicht schädigend Eltern sein k ö n n e n.
 
Kinder und auch Eltern brauchen mehrere Bezugspersonen (idealerweise unterschiedlichen Alters und Geschlechts) - also eine familiäre Gruppe (auf Basis von Wahlverwandtschaften), keine Kleinfamilie, keine Fremdbetreuung, keine "Frühförderung" (zur ökonomischen Verwertbarmachung, Funktionalisierung). Eigenes Thema.
 
Präventiv wirksam kann und muss also vorrangig eine entsprechende globale (Sozial-) Politik, daraus resultierend eine entsprechende Gesellschaft sein - in der Menschen so wenig als möglich beschädigt werden, vor allem nicht in der lebenslang prägenden Phase ihrer Kindheit und Jugend, sondern in der (dieser Phase) sie gestärkt werden hinsichtlich des Mitgefühls, des Selbstwertgefühls und ihrer Reflexionsfähigkeit.
 
Möglich ist dies nur durch ein entsprechendes Lebensumfeld, Lebensbedingungen, die all das ermöglichen, zulassen und es fördern.
 
Anzumerken ist abschließend, dass der Gewaltanwendung üblicherweise Aggression vorausgeht, dass Aggression wiederum ein Kommunikationsmittel (!) ist, dass "persönlichhe" (nicht strukturelle!) Gewalt zumeist dann getätigt wird, wenn die Schmerzgrenze eines Menschen überschritten wird; dies wissen wir heute aus den Neurowissenschaften (Hirnforschung, Neurobiologie) - siehe bspw. ein weiteres hervorragendes Buch, in dem dies anschaulich erläutert ist:
 
"Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt" von Joachim Bauer (darin nimmt er auch Stellung zum Zusammenhang zwischen Gewalt und Mobbing, Ausgrenzung, Armut, Amokläufen ...).
 
Und im weiteren Interviewverlauf liegt der Fokus auf den Tätern, wie man sie frühzeitig als Täter vermeintlich oder tatsächlich auf wissenschaftlicher Basis mit wissenschaftlichen (?) Methoden erkennen, identifizieren kann - siehe "tickende Zeitbomben" (alleine dieser Ausdruck ist völlig unangemessen). Es geht also nur - wie stets - um Symptombehandlung, nicht um die notwendige Prävention.

Es geht nicht um die Ursachen, Hintergründe, Zusammenhänge, die Menschen - zumeist selbst Opfer - zu Tätern machen.
Es geht n i c h t darum, dem vorzubeugen: dass Menschen - häufig schon als Kinder und Jugendliche - Opfer und infolgedessen irgendwann wahrscheinlich zu Tätern werden.

Merkel geht n i c h t auf die Ursachen von Aggression und Gewalttätigkeit ein, er hängt sich nur an neuronale Vorgänge im Gehirn, die möglicherweise aufzeigen, was wie im Gehirn bei oder kurz vor Gewalttätigkeit vor sich geht, aber nicht, was es ausgelöst bzw. was dazu geführt hat, welchen sozialen, biographischen je persönlichen Vorlauf es vor (Gewalt-) Taten gab. Er streift das nur randläufig. Und bleibt dann der Idee verhaftet, man könne und solle Täter (in Zukunft) auf Gehirnebene "therapieren", d.h. sie wieder auf materieller/physischer Ebene gesellschaftlich und wirtschaftlich funktional machen - und das nur so, wie es die jeweilige Zeit, Epoche, der jeweilige Stand der Wissenschaft und Ethik für angemessen, für passend hält. - Wie kurzsichtig, wie ignorant kann man sein?!

Und er geht vor allem auch nicht auf die Opfer ein - auf deren Bedürfnisse, was für Opfer tatsächlich wohltuend, ggf. sogar heilsam sein könnte, kann. Eben das kann nur die Wiedergutmachung des Täters sein - niemals: ihn wegzusperren, zu bestrafen, ihm also absichtsvoll Schmerz zuzufügen.


Man kann keine schlimme, schädliche, verletzende Tat durch weitere Gewalt, durch weitere Verletzungen, Schädigungen beheben, "reparieren".

Es geht bei der Wiedergutmachung nicht um Buße, nicht um "Bezahlen"müssen/-sollen, sondern um Heilung eines Schadens, einer Schädigung - so weit und tief wie jeweils möglich. Und diese Schädigung erleiden i m m e r beide: das Opfer, aber auch der Täter der jeweiligen Tat - d u r c h seine Tat. Beide bedürfen der Heilung. Nicht der Gewalt.
 
-
 

Können wir wollen, was wir wollen?

schmidt-salomon.de

Hervorragend.
 
Alle relevanten Faktoren und zugrundeliegenden, ursächlichen politischen (!) Missstände benannt und dargelegt. Danke. - Ganz weit runtergebrochen geht es letztlich um Macht, Kontrolle, Unterwerfung, Gehorsamerzwingen und Ausbeutung - letztlich auch um Sadismus, absichtsvolles, als lustvoll/befriedigend empfundenes Schmerzzufügen - durch Rache, Vergeltung, Strafe.
Mit Gerechtigkeit, tatsächlichem Gemeinwohl, Mitgefühl, Menschenwürdeprinzip, Rehabilitierung und vor allem Prävention (die nur auf und in breiter gesellschaftlicher, politischer Grundlage möglich ist), hat all das nichts zu tun - s o l l es auch nicht. Eben drum ... .
 
"[...] 2017 erschien in deutscher Sprache das Buch des französischen Soziologen Geoffrey de Lagasnerie »Verurteilen. Der strafende Staat und die Soziologie«. De Lagasnerie, in der wissenschaftlichen Tradition von Michel Foucault und Pierre Bourdieu stehend, besuchte monatelang Strafprozesse. Das Ergebnis seiner Analyse ist desillusionierend. Es bleibt nämlich nicht viel übrig von der erhabenen Rhetorik der Moral des Strafrechts, seinen Mystifikationen und den dem Strafrecht zugeschriebenen präventiven Zielen. Es ist bekannt, dass härteres und längeres Strafen keinen nennenswerten Einfluss auf die Kriminalitätsstatistik besitzen. So fand beispielsweise der norwegische Kriminologe Nils Christie durch Analyse der Gefangenenzahlen in verschiedenen Industrieländern und ihres Verhältnisses zur jeweiligen Kriminalitätsrate heraus, dass sich beide unabhängig voneinander ändern.
Oder: Die Strafschärfung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl 2017 erfolgte mit der gleichen Begründung wie bei der Anhebung der Mindeststrafe für dieses Delikt 1998. Das Eindringen in die Privatsphäre sei unerträglich, äußerte der Minister. Die Ineffizienz der 98er-Verschärfung wurde mit keiner Silbe erwähnt. Die Kriminalität geht ihre eigenen Wege, umschrieb der Strafrechtslehrer Winfried Hassemer das Phänomen. Strafjustiz bedeutet demnach zuerst, so die Erkenntnis de Lagasneries, Gewalt auszuüben und Leiden aufzuerlegen, indem der Staat Menschen einsperrt oder ihnen ihre Güter wegnimmt. Das Verbrechen wird in Zeit und Geld umgewandelt. Eine Demonstration der Macht des Staates.
 
Woher kommt dann aber das Hohelied auf die repressive Funktion des Strafrechts, das allerorten angestimmt wird? Um sich dieser Frage anzunähern, müssen Strafrecht und Kriminalpolitik im Modus der Macht diskutiert werden. Vier Bemerkungen seien dazu gestattet:
 
Erstens: Fast alle politischen Parteien haben die Nützlichkeit des Strafrechts in unsicheren Zeiten für den Machterhalt oder zur Gewinnung derselben erkannt. Das Strafrecht wird durch die Politik kommunikativ instrumentalisiert. Mit der Kriminalpolitik wird um die Gunst der Wähler gebuhlt. Krimalisierungsforderungen versprechen eine hohe politische Rendite. Die höchste wirft dabei die nach Verschärfung des Sexualstrafrechts ab. Erinnert sei hier nur an den Ausspruch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Bild: »Wegsperren – und zwar für immer« (2001). Dabei sind die Parteien kaum unterscheidbar. Es gibt keinen Streit mehr um die richtige Kriminalpolitik. Alle Positionen kommen mehr oder weniger im Gewand einer Politik des »Law and order« daher. Eine totale Entpolitisierung der Kriminalpolitik nannte das der Kriminologe Fritz Sack 2003. Die wissenschaftliche Expertise ist immer weniger gefragt. Akteure der politischen, medialen und demoskopischen Öffentlichkeit bestimmen die Richtung der Kriminalpolitik.
 
Hierbei können die Parteien an ein in der Gesellschaft verbreitetes Syndrom der Unsicherheit und Bedrohung, das jedoch nicht mit der realen Kriminalitätsrate korrespondiert, anknüpfen. Die tieferen Ursachen für dieses Syndrom liegen vielmehr in dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturwandel, der u.a. mit einem wachsenden Heer von Niedriglohnbeschäftigten, dem Ausbau von befristeten Arbeitsverhältnissen und verfestigten Hartz-IV Milieus verknüpft ist. Die mit der »Abstiegsgesellschaft« (so der Titel eines Buchs des Soziologen Oliver Nachtwey) verbundenen Ängste werden teilweise in Kriminalitätsfurcht kanalisiert. Die wiederum zieht Gewalterwartungen nach sich und befördert die gesellschaftliche Straflust. Die Politik ihrerseits bestärkt, ja schürt und instrumentalisiert dieses Vergeltungsdenken im Interesse ihrer Macht. So reagierte die CDU im Brandenburger Landtag im Februar mit heftiger Kritik auf den Umstand, dass trotz sinkender Gefangenenzahlen die resozialisierungsfördernden Freigänge und Hafturlaube in den Gefängnissen Brandenburgs gestiegen sind. Das verstoße, so ihr rechtspolitischer Sprecher Danny Eichelbaum, gegen das Rechtsempfinden vieler Bürger. Daher wolle die CDU, dass die Verbrecher ihre gerechte Strafe verbüßten und nicht frühzeitig Lockerungen erhielten (B.Z. vom 15.2.18: »Weniger Knackis, mehr Ausgang«). Vergeltung, die Fritz Bauer (1903–1968), der frühere Generalstaatsanwalt in Hessen, als Erbe aus der Affenzeit gekennzeichnet hatte, statt Resozialisierung ist angesagt. [...]
 
Zweitens: Der Ruf nach dem Strafrecht ist auch der Ruf nach der Individualisierung gesellschaftlicher Probleme. Der Bestrafungsapparat begründet seine Anklagen und Urteile immer individualistisch. Persönliche Verantwortung ist hier der Schlüsselbegriff. Der soziale, ökonomische und politische Kontext der kriminellen Handlung, der sich unter anderem an solchen Variablen wie der Klasse, des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Biographie, der Bildung oder des Alters des Täters festmacht, wird in der Regel ausgeblendet oder lediglich formal berücksichtigt.
 
Der Ausblendungsmechanismus des Strafrechts besitzt für die Politik einen hohen Gebrauchswert. Indem soziale Problemlagen auf individuelle Normabweichungen reduziert werden, erspart sie sich strukturpolitische Interventionen. Es werden im Strafrecht Lösungen für Probleme angeboten, deren originäre Zuständigkeiten bei ganz anderen politischen Ressorts angesiedelt sind. Insofern macht sich die Politik den von der Strafjustiz betriebenen Ritus der Entpolitisierung, Enthistorisierung und Entsozialisierung zu Nutze. Zugleich demonstriert sie mit der Strafrechtsproduktion Handlungsfähigkeit. Ein Beispiel dafür ist der vor wenigen Jahren eingeführte Straftatbestand der »Genitalverstümmlung«.
Bis zu 13.000 Frauen sind nach Angaben der Frauenrechtsorganisation »Terre des femmes« vom Juli 2017 davon in Deutschland bedroht. Eine Strafbarkeit war jedoch bereits vor der Einführung des neuen Tatbestandes durch den der gefährlichen Körperverletzung gegeben.
Nichtregierungsorganisationen forderten deshalb bessere Präventionsarbeit, die Schaffung von Zufluchtsstätten und den Ausbau der Rechtsberatung. Der Gesetzgeber hingegen setzte auf die symbolträchtige und billigere Verabschiedung einer wirkungslosen neuen Strafrechtsnorm.
Auch im gegenwärtig in München geführten NSU-Prozess ist die Tendenz der Entpolitisierung und Enthistorisierung zu sehen. So geht die Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift davon aus, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ein allein agierendes, symbiotisch und ideologisch miteinander verflochtenes Trio gewesen seien. Eine Behauptung, die selbst im Schlussplädoyer nach einer umfänglichen Beweisaufnahme durch die Ankläger aufrecht erhalten wurde. Dabei ist bekannt, dass das Trio in gewaltbereite Neonazistrukturen eingebettet war und der Rechtsradikalismus schon lange seine Tentakel bis in die Mitte der Gesellschaft ausstreckt. Allein etwa 40 Spitzel der Geheimdienste umgaben die Terroristen. Doch die Strategie der Anklagebehörde spielt die Verantwortung der Staatsapparate herunter und blendet die gesellschaftlichen Ursachen des Rechtsradikalismus aus.
 
Drittens: Der Fokus des Strafrechts liegt primär auf dem »Crime in the streets«, nicht auf dem »Crime in the suites«. Die Mehrzahl der einsitzenden Strafgefangenen verbüßt kurze oder mittlere Freiheitsstrafen wegen Eigentums- bzw. Vermögensdelikten. Überwiegend sind es »Rückfall­täter«, die den sozialen Unterschichten angehören. Bis zu zehn Prozent der Inhaftierten sitzen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab, weil sie eine auferlegte Geldstrafe nicht bezahlen können. Der französische Soziologe Loic Wacquant charakterisierte das Gefängnis in diesem Kontext in seinem 2009 auf Deutsch erschienenem Buch »Bestrafen der Armen« als eine Art »Sozialstaubsauger, der den menschlichen Abfall der derzeitigen ökonomischen Transformation beseitigt«. Hingegen wird die kriminogene Potenz des Reichtums, seine Entstehung, Verwendung und Wirkung von der Kriminalpolitik kaum in den Blick genommen. Dabei wusste schon Bertolt Brecht: »Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«
 
Viertens: Das Denken der Kriminalität aus einer individuellen Logik ist heutzutage eng verknüpft mit dem neoliberalen Strukturwandel der Gesellschaft und den ihm zugrunde liegenden Menschenbild des »homo oeconomicus«. Die Theorie der Weltbank ist die Individualisierung der Armut, schrieb der Dichter Volker Braun. Zu beobachten ist, dass parallel zur Renaissance des Strafrechts und zur Steigerung gesellschaftlicher Straflust das Politikfeld sozial- und wohlfahrtsstaatlicher Leistungen an Bedeutung einbüßt. Staatstheoretisch ist ein Übergang vom sozialintegrativen Wohlfahrtsstaat der 70er Jahre zum präventiven Sicherheitsstaat zu konstatieren. [...]
 
Erosion des Rechtsstaats
Die skizzierte Inanspruchnahme des Strafrechts durch die Politik führt zu einer Erosion des rechtsstaatlichen, des den Eingriff des Staates begrenzenden Strafrechts. Der Rechtsstaat lässt strafende Repression lediglich in gesetzlich ausgegrenzten Einzelfällen von grundsätzlicher Bedeutung zu. Dabei muss die Kriminalisierung geeignet und angemessen sein. Angeklagten- und Beschuldigtenrechte sind »die einzige Waffe des Angeklagten gegenüber der Heiligen Allianz von Staatsanwälten und Richtern« (so der Rechtshistoriker Uwe Wesel 1994 in seinem Buch »Der Honecker-Prozess«). Die Strafe bemisst sich nach Tatschwere und Schuld. Demgegenüber werden nun wieder täterstrafrechtliche Ansätze, die nicht die Tat, sondern die vermeintliche Gefährlichkeit des Täters zum Anknüpfungspunkt für die Sanktion nehmen, salonfähig. Bestes Beispiel dafür ist der Ausbau der von den Nazis 1933 eingeführten Sicherungsverwahrung zwischen 1998 und 2007. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte setzte dem 2009 ein Stoppzeichen. Weitere Merkmale jener Erosion sind der Abbau prozessualer Garantien, was auch der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD vorsieht, oder die weite Vorverlagerung dessen, was strafbar ist.
 
Parallel dazu verdrängt auch im Polizeirecht das Prinzip einer scheinbaren Effektivität das der Rechtsstaatlichkeit. Was man sich im Strafrecht noch nicht wagt, nämlich die Sanktionierung völlig losgelöst von einer rechtswidrigen Handlung, wird im Polizeirecht nun mit der elektronischen Fußfessel für »Gefährder«, (im April 2017 mit der »Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes« vom Bundestag beschlossen) in Angriff genommen. Und Bayern führte im Sommer 2017 nicht nur die elektronische Fußfessel ein, sondern regelte sogar in seinem Polizeigesetz die unbestimmte Präventionshaft. War bis dahin ein polizeilicher Gewahrsam von maximal 14 Tagen möglich, so ist jetzt eine Obergrenze für die Haft bei »drohenden Gefahren« durch beliebige Personen nicht mehr vorgesehen. Der präventive Freiheitsentzug, also eine Einsperrung ohne Anklage, ohne Prozess und ohne Urteil, kann jetzt in Bayern theoretisch bis ins Unendliche ausgedehnt werden. Er muss lediglich von einem Richter oder einer Richterin alle drei Monate genehmigt werden. Das »Komitee für Grundrechte und Demokratie« charakterisierte diese Entwicklung Ende Juli 2017 als einen nächsten »Schritt in Richtung Guantánamo«. Aber auch die Erfahrungen mit der »vorbeugenden Verbrechensbekämpfung« durch die Polizei unter der Naziherrschaft, der politische Gegner, »Berufsverbrecher«, »Arbeitsscheue«, »Gemeinschaftsfremde«, Prostituierte, Homosexuelle oder unangepasste Jugendliche zum Opfer fielen, sollten an dieser Stelle sensibilisieren.
Die hier angerissene Entwicklung der Kriminalpolitik ist jedoch nicht von naturgesetzlichen Zwangsläufigkeiten bestimmt. Die Kriminalpolitik ist der Gestaltung durch politische und gesellschaftliche Akteure zugänglich. Dafür gilt es aber eine konkrete Utopie in Stellung zu bringen. Zunächst ist es eine politische Aufgabe, den Versuchungen einer Politik des Populismus zu widerstehen. Eine konsequente Anti-Ressentiment-Politik ist gefragt. Zu skandalisieren ist das Ausweichen der Gesellschaftspolitik auf die Kriminalpolitik und die gleichzeitige Relativierung der Grundrechte.
Dem Juristen und Sozialwissenschaftler Bernd Maelicke zufolge gehören 70 Prozent der in Deutschland Inhaftierten nicht ins Gefängnis (»Das Knast-Dilemma«, 2015). Für den ehemaligen Gefängnisdirektor Thomas Galli sind es sogar 90 Prozent (»Die Gefährlichkeit des Täters«, 2017). Ihre Taten sind nicht der schweren Kriminalität zuzurechnen. Da das Gefängnis als totale Institution per se kein Ort des positiven sozialen Lernens ist, sondern ein Ort der Entindividualisierung, der Machtdemonstrationen, der Anpassung, Gewalt, Unterordnung, der unterdrückten Sexualität, der Verrohung, ist es für die meisten der Einsitzenden präventiv unwirksam. Der Knast wird für viele Gefangene zum »Drehtürvollzug«. Daraus ergibt sich, konsequent für eine Reduktion der Gefangenenzahlen einzutreten.
 
Ein Weg dahin ist die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten (z.B. Schwarzfahren) und im Drogenstrafrecht. Es sind nämlich überwiegend gerade die Opfer, die das Drogenstrafrecht in ihrer ausweglosen Situation kriminalisiert. 80 Prozent der wegen entsprechender Delikte Eingesperrten sind suchtabhängige Kleindealer. Die repressive Drogenpolitik ist sozialschädlich und gescheitert. Das Drogenproblem ist aus dem strafrechtlich-polizeilichen Bereich in den sozial-gesundheitlichen zu verlagern. Darüber ­hinaus sollte die Ersatzfreiheitsstrafe abgeschafft werden. Das sozialpolitische Problem der Zahlungsunfähigkeit muss auch sozialpolitisch gelöst werden. In die kriminalpolitische Debatte ist in diesen Bereichen in den letzten Monaten Bewegung gekommen. Motor sind dabei weniger Argumente einer rationalen, humanen Politik, sondern eher ökonomische Kosten-Nutzen-Erwägungen.
 
Alternativen der Rechtspraxis
Grundsätzlich müsste das Ziel – einer Sentenz des großen Rechtsphilosophen Gustav Radbruch folgend – nicht in einem besseren Strafrecht, sondern in etwas Besserem als dem Strafrecht bestehen. Eine frühe Konfliktlösung im und durch das soziale Umfeld von Schädiger und Geschädigtem, orientiert an Wiedergutmachung und Entschuldigung, wäre für viele der zu einer Gefängnisstrafe Verurteilten allemal sinnvoller gewesen. Dafür gibt es Ansatzpunkte. Maelicke verweist auf das Konzept der »Restorative ­Justice«, nach dem insbesondere das Opfer an der Suche nach alternativen Formen der Konfliktlösung, jenseits des gerichtlichen Strafverfahrens, beteiligt wird. Untersuchungen ergaben, dass dadurch der Rückfall reduziert und die Zufriedenheit der am Konflikt Beteiligten erhöht wird. [...]
 
Auch der Ausbau des bereits praktizierten Täter-Opfer-Ausgleichs als Möglichkeit der Konfliktlösung ohne Strafe würde in die richtige Richtung gehen. Denkbar wäre auch die Erweiterung des Rechtsinstituts der tätigen Reue, um eine Haftstrafe zu vermeiden.
 
Da »die Welt seit Kain durch Strafen weder gebessert noch eingeschüchtert worden ist« (Karl Marx), muss nach sozialeren Regulierungsmitteln gesucht werden. Solche liegen auf dem Feld der Sozialpolitik oder im Aufbau konkreter gesellschaftlicher Ressourcen zur Bewältigung schwieriger Situationen. Frauenhäuser sind dafür ein gutes Beispiel. Letztlich geht es bei einer Alternative zur vorherrschenden Kriminalpolitik um eine Politik, die auf allen Gebieten gegen den sozialen Ausschluss gerichtet ist. Wohl wissend, dass der Kapitalismus »auf die Ausgrenzung und auf das Vergessenmachen der Ausgegrenzten« (Heiner Müller) zielt."
 
Quelle: jungewelt.de - "Der strafende Staat"
 
03. April 2018
 
Bei aller Zustimmung zur Bedeutsamkeit, Unentbehrlichkeit emotionaler Bindungen, Beziehungen (auf Basis von Respekt, Mitgefühl, Liebe) für Menschen - generell, aber gerade auch in Haft - kann ich das Betonen und Befürworten von Ehe nicht nachvollziehen oder gutheißen. - Es bedarf für stabile Bindungen und Beziehungen keineswegs der Ehe.
 
Was die fehlenden Väter anbetrifft: Den Kindern fehlen vor allem mehrere verlässliche, verfügbare, sie dauerhaft (über Jahre) begleitende Bezugspersonen (siehe wiederum Beziehung, Bindung) - idealerweise unterschiedlichen Geschlechts und Alters.
 
Es wachsen auch viele Kinder von/mit Alleinerziehenden ohne (biologischen, jedoch nicht zwangsläufig ohne sozialen) Vater auf, sie nehmen davon nicht zwangsläufig Schaden; schädlich ist für Kinder, für alle Beteiligten, wenn es an eben mehreren Bezugspersonen fehlt, wenn Mütter (oder alleinerziehende Väter) aufgrund diverser belastender Lebensumstände (siehe materielle Armut, fehlender sozialer Rückhalt, fehlende Regenerationsmöglichkeiten, ausbleibende Anerkennung, Wertschätzung für die geleistete Sorge-Arbeit, für das Bewältigen der belastenden Umstände ...) dauerhaft/langfristig überlastet sind - das wirkt sich zwangsläufig mehr oder weniger, früher oder später negativ auf die Kinder aus.
 
Und schädlich ist die Haft, der Strafvollzug unbestritten für Kinder Inhaftierter, weil diese Kinder häufig nicht nur ein Problem mit der fehlenden/beschädigten oder auch zerstörten Beziehung und Bindung (zur inhaftierten Person) haben, darunter leiden (wie auch die Inhaftierten selbst), sondern auch deshalb, weil sie sich mit einem Strafgefangenen nicht identifizieren wollen - die Identifikation ist jedoch für Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung unverzichtbar (eigenes, umfassendes Thema).

Dass sie sich nicht identifizieren wollen/können, liegt zweifelsohne am schlechten, beschädigten Ansehen inhaftierter Menschen - es soll ja im Strafvollzug aber genau darum gehen: um Beschämung, Erniedrigung, um Gehorsamerzwingen, Unterwerfung, das Zerstören des Selbstwertgefühls, das Ausgrenzen - und das demonstrativ und "nachhaltig".
 
Thematisiert werden müsste also generell(er), dass dem Strafvollzug, dem Prinzip des Strafens grundsätzlich psychisch-emotionale (nicht selten auch physische) Gewalt und Sadismus zugrundeliegt - absichtsvolles Schmerzzufügen, das wiederum mit dem Menschenwürdeprinzip, mit Werten des Humanismus, der Aufklärung, mit Mitgefühl unvereinbar ist.
 
Es reicht nicht aus, einzelne Missstände vermeintlich und isoliert zu "verbessern" - das gesamte Strafsystem kann nur vollständig abgeschafft/ersetzt werden - durch Therapie und Prävention, wenn es tatsächlich darum geht (ginge), Menschen zu "resozialisieren", Täter/weitere Straftaten und Opfer zu verhindern.
 
Bindung, Beziehung sind hierfür unentbehrliche Voraussetzung, insbesondere frühkindliche Bindung, bedürfnisorientierter (!) Umgang mit Kindern - gerade dieser ist in vielen Gesellschaften und Kulturen jedoch nicht möglich bzw. wird aktiv torpediert (hierzulande durch bspw. immer frühere Fremdbetreuung, durch die Ökonomisierung von Familie im Sinne/zum Wohle des Kapitalismus, Neoliberalismus, des Primats der Wirtschaft - statt des Sozialen, Kooperativen).

Es wäre infolgedessen ein anderes, bedürfnisorientiertes Arbeiten, Wohnen, Leben und Wirtschaften erforderlich - das am tatsächlichen Gemeinwohl orientiert ist (auch ein eigenes Thema). - Ehe ist dafür nicht erforderlich, eher hinderlich, wie die Kleinfamilie grundsätzlich.

Bedürfnisorientiert wäre, wenn Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts (generationenübergreifend) in familiären Strukturen, Wahlverwandtschaften zusammenlebten (das bedürfte einer entsprechenden Politik, Städteplanung, Architektur, veränderten Arbeitsstrukturen, eines veränderten, zeitgemäßen Arbeitsbegriffs).
 
-
 

Eine Gesellschaft kommt ohne Gefängnis nicht aus

solinger-tageblatt.de

18. März 2018
 
Ausdrücklichen Dank nochmals an Thomas Galli - bitte nicht aufgeben oder nachlassen, wenngleich "einsamer Rufer in der Wüste"!
 
Es hat übrigens weniger mit Hoffnung (wie ein Kommentierender an anderer Stelle (facebook) meinte) als mit Beschädigung zu tun.
 
Kein Mensch wird als Täter geboren. Nicht einer - nirgendwo je auf diesem Globus.
 
Es gibt also Ursachen dafür, die Menschen zu Tätern werden lassen - diese liegen nicht in ihrer "Natur", sondern in ihrer Sozialisation, Gesellschaft und zumeist (früh-) kindlichen Beschädigung begründet. In all den miserablen, ungerechten, massiv belastenden, beschädigenden Lebensumständen, die unzählige Menschen auf dieser Welt - auch in Deutschland - zu ertragen, zu erleiden haben.
 
Wessen Schmerzgrenze überschritten wird (ganz gleich, ob es sich dabei um physischen oder/und psychisch-emotionalen Schmerz handelt), wird mit Aggression, früher oder später auch mit Gewalt (gegen sich selbst und/oder andere) reagieren - eine ganz natürliche Reaktion und Schutzfunktion (Selbsterhalt ...). - Nachlesbar u.a. bei Joachim Bauer (Neurobiologe, Arzt, Psychotherapeut) in seinem hervorragenden Buch "Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt".
 
Es müsste folglich vor allem - global! - um angemessene Prävention, um entsprechenden Umgang mit Kindern (bedürfnisorientiert!) und entsprechende Gesellschaften (Gemeinwohl) gehen - das müsste global Aufgabe von Politik und allen Menschen (Mitgliedern von Gesellschaften, Gemeinschaften) sein.
 
Mit Neoliberalismus, Ausbeutung, Unterwerfung, Gehorsamerzwingen, Dressur ist all das nicht zu erreichen - im Gegenteil, durch all das wird die Beschädigung von Menschen nur fortgesetzt, verstärkt - denn es geht de facto n i c h t um tatsächliches Gemeinwohl (und hier kann es stets nur um das globale, nicht je nationale gehen), es geht nicht um den Menschen und seine materiellen wie insbesondere auch immateriellen Bedürfnisse (nach Zugehörigkeit, Anerkennung, Wertschätzung, Teilhabe, Freiheit, Nähe, Liebe ...) - es geht um Ausbeutung, Unterwerfung, den Privilegienerhalt einiger Weniger zu Lasten von Vielen - und dabei geht "man" wissentlich, absichtsvoll über Leichen und tätigt Sadismus (nicht nur in Form von Kriegen und Folter, sondern letztlich durch jegliche Bestrafung/Strafe).
 
Das grundsätzliche Problem ist hierbei das konservative Menschenbild, das den Menschen als quasi von Natur aus "schlecht, falsch, böse, egoman, nieder ..." betrachtet, bewertet - und das wiederum ist F o l g e entsprechender eigener Beschädigung(en), denn es liegt hier weniger ein Denken, als ein bestimmtes Fühlen zugrunde - das Denken folgt erst im nächsten Schritt als quasi theoretischer Rechtfertigungsüberbau des eigenen Fühlens - es handelt sich dabei um Gefühle und Verhaltensweisen wie Neid, Unterlegenheit, Minderwertigkeit, Unsicherheit, Abhängigkeit, Angst, Gier, Geiz, Herzens- und Horizontverengtheit und Scham über all das - die daher zu überdecken, zu verbergen versucht wird.
 
Und diese Menschen projizieren dann ihre ureigenen Defizite und Unzulänglichkeiten auf andere - die Sündenböcke und Feindbilder.
 
Es fehlt ihnen erheblich an Mitgefühl - das die Urbasis jeglicher intrinsischer - nicht oktroyierter - Moral und letztlich auch Ethik ist.
Das Mitgefühl ist keine Erfindung von Religionen, sondern dem Menschen (wie auch anderen Primaten btw) angeboren - es wird nur im Lebensverlauf, besonders in der Kindheit und Jugend leider zumeist erheblich beschädigt.
 
Und so schließt sich der Kreis: Siehe, wie wir mit Kindern umgehen, siehe all die Schwarze Pädagogik (Druck, Zwang, Kontrolle, Härte, Strenge, emotionale Kälte, Strafe, Dressur - also absichtsvolles Schmerzzufügen vulgo Sadismus ergo Gewalt - psychische oder/und physische).

Siehe all die Leistungsideologie in gerade auch staatlichen Schulen, sogar schon Kitas ("Frühförderung"), Elternhäusern - denn es geht nicht um das je individuelle Kind, dessen eigene Persönlichkeit und Entfaltung, sondern darum, es für die neoliberale Meritokratie, für die Wirtschaft (deren Wachstum) verfügbar, funktionalisierbar, verwertbar zu machen - es auf Spur zu bringen.

Die tatsächlichen - gerade also auch immateriellen (s.o.) - Bedürfnisse von Menschen, von sogar schon und gerade Kindern, werden dabei gewaltsam übergangen. Mit entsprechenden Folgen.
 
Und "natürlich" fängt jegliche Indoktrinierung immer in der Kindheit an - so ja deshalb auch bekanntermaßen in Religionen, denn die im Kind angelegte, ihm aufgebürdete Indoktrinierung p r ä g t zumeist lebenslang, häufig irreversibel.
 
Wenn unser Anspruch nicht basalst jener ist, dass es allen Menschen einigermaßen gutgeht, können wir unser Menschenwürdeprinzip und jegliche Ethik in die Tonne treten.

Ja, dieser "Anspruch" ist ein genuin "sozialistischer", linker - basierend auf Mitgefühl.
 
Es wäre längst eine ganze Menge zu verändern möglich und es gibt längst ausgearbeitete Konzepte hierfür - es fehlt allein am politischen Willen zur Umsetzung. Und das hat wiederum mit Macht, Kontrolle, Unterwerfung, Ausbeutung zu tun, siehe oben ausführlich dargelegt.
 
Und was die Justiz anbetrifft - diese ist weisungsgebunden und Recht und Gerechtigkeit waren bekanntlich auch bisher nicht "zwangsläufig" dasselbe.
 
-
 
12. August 2018
 
Wenn jemand wissentlich, absichtsvoll misshandelt wird, gibt es drei Reaktionsmöglichkeiten seinerseits:
 
1. Er verkriecht sich ängstlich, unterwürfig, w e i l schmerzgeplagt, wehrlos, hilflos.
D a s: ist die üblicherweise erwünschte, beabsichtigte Reaktion, das Ziel des Misshandelnden, des Strafenden.
 
2. Er schlägt - auf welche Weise auch immer - aggressiv, verzweifelt zurück (so lange es ihm irgendwie oder überhaupt möglich ist).
Siehe dazu die natürliche, gesunde (!) menschliche Reaktion auf erlittenen physischen und/oder psychisch-emotionalen Schmerz, auf das Überschreiten der SCHMERZGRENZE eines Individuums: Aggression, bis hin zur Gewalt - Joachim Bauer: "Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt".
 
3. Er versucht, den Konflikt zu klären - kommunikativ, zugewandt, offen, wahrhaftig, sich selbst dabei als verletzlich "preisgebend", aber eben auch als versöhnlich, offen - ggf. mittels qualifizierter, versierter, bedürfnisorientierter Unterstützung unabhängiger Dritter (Mediatoren) - und ist somit um Handreichung, Aussöhnung, Frieden schaffen bemüht.
 
Wer als Misshandelnder die dritte, die letztgenannte Reaktion diskreditiert, behindert, verweigert, legt damit nur demonstrativ offen, d a s s er selbst nicht fähig ist zu Aussöhnung, Schuldeinsicht, Wiedergutmachung. Und das zumeist deshalb, weil er durchaus sehr genau weiß, dass e r selbst sich - intensiv und/oder wiederholt und/oder langfristig - fehlverhalten hat, was er jedoch um keinen Preis zugeben will, weil: er dann s e i n Verhalten ändern müsste - was er nicht will, weil es ihm zu unbequem ... ist und er sich zuvor seinen eigenen Selbstbetrug eingestehen müsste, außerdem sein Fehlverhalten, die Misshandlungen damit zugeben würde - es käme (für ihn) einem Schuldeingeständnis gleich, er will aber weiterhin so tun, als sei er unschuldig, als habe er sich nichts vorzuwerfen, als habe er sich nicht fehlverhalten, nicht andere misshandelt.
 
Wie gesagt: Das Problem ist der Selbstbetrug - und all die katastrophalen, aus ihm resultierenden Folgen.
 
-
 
"[...] „Wenn Jugendliche in Gefängnissen landen, hatten sie eine Kindheit, die wir uns alle nicht wünschen“, sagt Klaus Priechenfried , Leiter des Vereins Neustart. Vernachlässigung, Misshandlungen oder Missbrauch gehen dem voraus.
 
Die Zeit hinter Gittern ist für sie verloren. Speziell, was das soziale Lernen betreffe, sagt Priechenfried. „In Haft gibt es zwar Ausbildungen, Schule, Freizeitgruppen und psychologische Betreuung – aber eines darf man nicht vergessen: Am Freitag um 15 Uhr werden die Zellen zugesperrt und gehen erst wieder Montagfrüh auf.“
 
Was sich dann in den Hafträumen abspielt, sei vor allem eines: Gewalt. „Hier finden wir impulsive, triebgesteuerte Jugendliche. Es entsteht automatisch eine Hackordnung. Und Gewalt ist die wichtigste Währung. Jugendliche lernen im Gefängnis Fähigkeiten, die man vielleicht im Krieg oder bei der Mafia braucht – aber nicht im zivilen Miteinander.“ [...]
 
Direkt nach der Haftentlassung gibt es die höchste Suizidrate – und die höchste Drogen- und Alkoholrückfallsquote. Der Experte spricht sich aus diesen Gründen klar gegen Haftstrafen für Jugendliche aus. „Der einzig sinnvolle Weg ist die intensive Betreuung und Strukturen. Nur so können Jugendliche sozial lernen statt verlernen.“ [...]"
 
Quelle: kuriert.at - "Eine Jugend im Gefängnis: `Gewalt ist die wichtigstes Währung´"
 
Bedürfnisorientierte (!) Unterstützung ("Betreuung, Strukturen" ...) sollte es allerdings nicht nur für jugendliche Straftäter geben.
 
28. Mai 2018
 
Was im taz-Artikel ("Jugendgewalt und der Code der Straße: Die Währung heißt Respekt") zu lesen ist, ist mir vollumfänglich bekannt, leider wird auch in diesem Text das Geschlecht vollständig ausgeblendet.
Dass Ursachen soziale Faktoren und katastrophaler Umgang mit Kindern ist: keine Frage. Das erklärt jedoch nicht, warum gerade Männer unter solchen Umständen mehrheitlich bis fast ausnahmslos gewalttätig werden (und jeder physischen Gewalt geht bekanntlich psychisch-emotionale Gewalt einher und Letztere Ersterer zumeist auch voraus) und Frauen nicht.

Was der Artikel tatsächlich demonstrativ zwischen den Zeilen offenlegt, jedoch leider nicht ausdrücklich benennt, ist das durch und durch patriarchalische Männer- und Frauenbild solcher Männer. D a r a n müsste gearbeitet werden - in Elternhäusern, in Schulen, in Vereinen, auf der Straße (streetworker ...).
 
Und eines der Hauptprobleme ist Religion, d.h. die gleichfalls maximal patriarchalischen, monotheistischen, abrahamitischen, alttestamentarischen Religionen Judentum, Christentum, Islam sowie der stets kompensatorische Konsum und ebenso kompensatorisch-narzisstisches Macht- und Unterwerfungsstreben.

Es lässt sich nicht alles auf "nur" die sozialen, politischen Missstände schieben, erheblich müsste e n d l i c h das patriarchalische und konservative, autoritäre, hierarchische Menschen- und Weltbild viel intensiver kritisiert und verändert werden. Davon sind wir sogar in Deutschland weit entfernt - siehe nicht nur Söders Kruzifixfeldzug, den totalitären Polizeistaat, strukturelle Gewalt, häusliche Gewalt usw..

Und ja: Es fängt letztlich immer bei den Kindern an - beim Umgang mit ihnen. Siehe, wie Kinder in staatlichen Schulen schon auf Spur gebracht werden: Konkurrenz, Leistungsdruck, statt Mitgefühl und Kooperation.
 
-
 
Aktualisierung am 27. Februar 2019
 
Auch hier: Strafe bewirkt nicht das Gewünschte, aber:
 
Wieviele solcher Raser sind Frauen?
 
Und meint man ernstlich, mehr Verkehrskontrollen änderten daran etwas, dass mehrheitlich bis fast ausnahmslos (bestimmte) Männer sich in u.a. solcher Weise verhalten?
 
Wo man ansetzen müsste, wäre, ist grundsätzlich und weltweit in der Kindheit, in der "Erziehung", im Frauen- und Männerbild, Weltbild solcher Männer und Jungen und dem ihrer Eltern sowie der Gesellschaft.
 
Sieht man noch immer politisch (?) keinen Zusammenhang zwischen weltweit bestehenden patriarchalen Strukturen in Gesellschaften, im Alltag, in Verhaltensweisen und im Selbstverständnis, Rollen-, Geschlechterbild von Männern?
Wir müssen dazu nicht erst auf pathologische Narzissten in Machtpositionen blicken, wir sehen das überall im Alltag - wenn wir es denn wahrnehmen und nicht länger verharmlosen, verniedlichen wollen.
 
Es lässt sich gerade nicht mit Biologismus, nicht mit "männlichen Hormonen/Testosteron" erklären - es hat mit Sozialisierung, Selbst-, Menschen-, Weltbild, somit mit Ideologien, patriarchalen Religionen zu tun.
 
Und es lässt sich auch nicht auf nur persönlichen Frust auf/durch belastende Lebensverhältnisse und vermeintliche Kompensationshandlungen, kompensatorische Verhaltensweisen (siehe auch Alkohol-, Drogenkonsum, Sucht ...) reduzieren, denn diesen sind auch unzählige Frauen weltweit unterworfen, sie werden trotzdem nicht zu "Raserinnen", sie vergewaltigen mehrheitlich auch nicht.
 
Es hat nach wie vor seine Ursache im weltweit nach wie vor verbeitet patriarchalen, k o n s e r v a t i v e n Männerbild und damit auch dem Frauenbild.
 
Wir - Gesellschaften - erwarten von Männern und Jungen (!) noch immer zu wenig bedürfnisorientierte Fürsorglichkeit, Empathie, Mitgefühl, respektvolles Verhalten gegenüber Frauen, Minderheiten, anderen Menschen, zu wenig Verantwortungtragen für gerade auch andere, Reflexionsfähigkeit, Selbstkritik, Sich-Zurücknehmen, Sich-Hinterfragen (Selbstreflexion).
 
Noch immer scheint es stattdessen hip zu sein, als Mann "Macht", vermeintliche (physische) Stärke und/oder Ansehen, "Ruhm", Reichtum zu demonstrieren. - Als sei all das nicht vielmehr abstoßend, lächerlich und zu ächten, da gerade dies so augenfällig kompensatorisches Verhalten ist, das über die je persönliche charakterliche, d.h. psychisch-emotionale und soziale Schwäche, Unreife demonstratives Zeugnis ablegt.
 
Wenn Frau oder Mann eigene physische und mentale Grenzen ausloten möchte, so kann sie/er dies bspw. beim (Extrem-) Sport oder im ehrenamtlichen oder humanitären, zivilen Engagement (siehe bspw. in der Seenotrettung, bei Ärzte/Reporter ohne Grenzen etc.).
Sie/er kann den Adrenalinsausstoß auch durch Bungeejumping, Highlining (ohne Sicherung) oder Soloklettern (ebenfalls ohne Sicherung) erzielen oder mittels Survivaltouren durch (Eis-) Wüsten, Urwald etc..
 
Selbstredend darf jeder erwachsene, urteilsfähige Mensch sich, seine physische und psychische Gesundheit, seine gesamten Existenz selbst gefährden und m.E. auch vernichten (so lange er nicht Verantwortung für andere, bedürftige Menschen zu tragen hat wie bspw. Kinder) - er darf nur nicht andere dabei, damit gefährden, beschädigen oder gar töten, weder bewusst, gar vorsätzlich noch auch nur "grob fahrlässig".
 
Wenn wir nicht endlich weltweit wenigstens intensiv anstreben, patriarchales, konservatives Verhalten und Strukturen zu überwinden, wird sich nichts zum Positiven, Wohltuenden, Friedvollen, Prosozialen verändern k ö n n e n - auch nicht hinsichtlich des Umgangs mit bzw. des Überwindens von Strafe.
 
-
 
Sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen (bspw. wegen Schwarzfahrens) sind Armutsstrafen. Wer materiell arm ist, ist, w i r d noch zusätzlich bestraft, beschädigt - aus Überzeugung Konservativer, die haben´s bekanntlich nicht so mit Mitgefühl und sozialer Gerechtigkeit.
 
Und: "Arbeit statt Strafe" ist nichts anderes als Arbeit a l s Strafe. Das hatten wir in Deutschland doch zur Genüge und haben es im Hartz-Vollzug nach wie vor/wieder. - Menschen, die Suchtprobleme haben, die psychisch meist seit der Kindheit bereits belastet, beschädigt sind und sich d e s h a l b entsprechend verhalten (haltlos sind!), brauchen k e i n e r l e i Strafen, sondern je individuell angemessene, bedürfnisorientierte Unterstützung.
Alles andere beschädigt sie zwangsläufig nur noch mehr - mit wiederum entsprechenden Folgen (materielle Armut, Sucht, Aggression, Verzweiflung, Gewalt, Straftaten oder auch Suizid).
 
Gerade in Bezug auf das Schwarzfahren ließe sich selbiges vermeiden, wenn materiell arme Menschen Zugang zu Mobilität, zum ÖPNV tatsächlich hätten, statt in die soziale Isolation verbannt oder eben zum Schwarzfahren gezwungen zu werden.
"Man" (politisch Verantwortliche) w i l l jedoch diese lästigen "Asozialen, Ballastexistenzen" (siehe NS-Ideologie) absichtsvoll ausgrenzen, quälen, beschädigen - vernichten. Das ist nichts Neues. In Deutschland.
 
Da wird von Privilegierten über Fahrverbote in Städten (Abgasskandal, Dieselaffäre) lamentiert und vehement dagegen protestiert - diese verwöhnten Leute können sich gar nicht vorstellen, wie es ist, aufgrund materieller Armut lebenslang ohne Führerschein und Auto u n d ohne Zugang, Nutzungsmöglichkeit des ÖPNV unfreiwillig vegetieren zu müssen: sozial isoliert, ausgegrenzt - verbannt. Wenn es die Privilegierten selbst betrifft, einschränkt, dann ist das Lamento groß - von Solidarisieren mit Ärmeren, wirtschaftlich Schwachen, Benachteiligten nicht die Spur. Das Problem ist, ich wiederhole mich, das konservative, patriarchalische, alttestamentarische, neoliberale Menschenbild solcher Zeitgenossen - insbesondere ihr Mangel an Mitgefühl.
 
"[...] Mehr als 200 Millionen Euro muss die öffentliche Hand jedes Jahr für die Haftkosten der so genannten Ersatzfreiheitsstrafen ausgeben. Die Zahl der in der Fachwelt schon lange umstrittenen Strafen ist in den vergangenen zehn Jahren um fast 25 Prozent angestiegen, berichtet »Monitor« in der ARD am Donnerstagabend. Rund 10 Prozent aller Inhaftierten in der Bundesrepublik sitzen eine Ersatzhaft ab.
Damit ist jeder zehnte Gefangene praktisch ein Armutshäftling. Denn: Die Betroffenen haben sich in aller Regel nur kleine Delikte zuschulden kommen lassen, können aber aufgrund ihrer sozialen Lage die Geldstrafe nicht zahlen. Ersatzfreiheitsstrafen sind Haftstrafen, die Menschen antreten müssen, wenn sie eine verhängte Geldstrafe nicht bezahlen – in den allermeisten Fällen wegen Bagatelldelikten wie wiederholtes Schwarzfahren, einfacher Diebstahl. [...]
 
Die Ersatzhaft habe »keinerlei positive Auswirkungen (›Resozialisierung‹), führt im Gegenteil regelmäßig zu weiterer Ent-Sozialisierung«. Die Bundesrepublik sei mit den Ersatzfreiheitsstrafen »einsame Spitze in Europa, mit weitem Abstand zu Frankreich, England/Wales, Spanien und den skandinavischen Ländern«.
 
Teuer, sinnlos, rechtspolitisch falsch und sozial fragwürdig – das regt an der Ersatzfreiheitsstrafe nicht nur Experten auf: »Es ist skandalös, so viel Geld zu verwenden, um Menschen aufgrund von Armut und einem Mangel an sozialen Kompetenzen wegen kleinerer Delikte wegzusperren«, zitiert das Magazin den Berliner Juristen und Kriminologen Heinz Cornel.
Nicole Bögelein vom Institut für Kriminologie der Universität Köln sagte dem Sender: »Die Betroffenen haben oft multiple Probleme wie hohe Verschuldung, Suchtbelastung und sehr ungeregelte Lebenssituationen bis hin zur Obdachlosigkeit.« Durch die Haft werde die Lage der Betroffenen häufig sogar noch verschlechtert, zum Beispiel durch soziale Isolierung, den Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung. Die grundsätzlich mögliche Alternative gemeinnützige Arbeit zieht in vielen Fällen nicht – was mit der prekären Lage der Betroffenen zutun hat.

Rechtspolitisch ist die Ersatzhaft ein Riesenproblem
Zu einer 2014 erschienenen Studie über Ersatzfreiheitsstrafen heißt es: »Die soziale Lage der Betroffenen zeichnet sich durch hohe Verschuldung aufgrund von Arbeitslosigkeit, fehlende familiäre Bindungen, geringere Sozialkompetenz, oft suchtbedingte psychische Störungen und überdurchschnittliche Wohnungslosigkeit aus. So wird zu Recht kritisiert, dass Verurteilte aus prekären wirtschaftlichen Verhältnissen ein ungleich höheres Risiko tragen, auch bei leichterer Kriminalität eine Freiheitsstrafe zu verbüßen, und damit wiederum Opfer sozialer Ungerechtigkeit werden.«
 
Der Hamburger Experte Bernhard Villmow hat für eine Konferenz im Jahr 2016 weitere Fakten zur sozialen Lage und den Problemen von Menschen zusammengetragen, die Ersatzfreiheitsstrafen absitzen müssen. Rechtspolitisch ist die Ersatzhaft ein Riesenproblem, weil es kaum möglich ist, einen Gefängnisaufenthalt zu rechtfertigen, wenn die Verurteilung ursprünglich auf Geldstrafe lautete.
 
Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig von der Linkspartei war im Frühjahr 2016 als Vorsitzender der Justizministerkonferenz mit dem Vorstoß gescheitert, von den Ersatzfreiheitsstrafen abzukehren. Die Debatte hat nun neuen Wind bekommen, da sich mehrere Justizminister der Länder für Reformen offen zeigen. Auch der Deutsche Richterbund hat sich dafür ausgesprochen, zumindest Schwarzfahren als Tatbestand im Strafgesetzbuch zu überprüfen – ein beträchtlicher Teil derer, die Ersatzhaft absitzen, ist dazu gezwungen, weil Geldstrafen für das »Erschleichen von Leistungen« nicht bezahlt werden können."
 
Quelle: oxiblog.de - "Teuer, sinnlos, ungerecht: Ersatzfreiheitsstrafen kosten über 200 Millionen Euro im Jahr"
 
Aktualisierung am 24. Februar 2019
 
Wann thematisieren "wir" eigentlich endlich, dass und w a r u m mehrheitlich Männer Täter physischer - und damit immer (!) zwangsläufig einhergehend (zumeist auch vorausgehend) psychisch-emotionaler - Gewalt sind - dass es weltweit seit Jahrtausenden mehrheitlich bis fast ausnahmslos Männer sind, die foltern, vergewaltigen, morden - insbesondere auch Frauen und das nach wie vor - siehe #metoo, siehe bspw. Indien, Mexiko, Russland, Polen, letztlich: weltweit, siehe sogen. häusliche "Beziehungstaten", siehe, dass die meisten Vergewaltigungen von den Frauen bekannten Männern, oft ihren (Ex-) Partnern oder auch Verwandten, Vorgesetzten, Arbeitskollegen, Nachbarn, Trainern, Bekannten ..., getätigt werden.
 
W a r u m wird dieses Faktum eigentlich noch immer nur von Feministinnen benannt und außerhalb feministischer Kreise gesellschaftlich, politisch weitgehend bis vollständig übergangen, totgeschwiegen? - Mit den bekannten Folgen: weltweit. Jeden Tag. Immer noch.
 
Weiter so?
 
Übrigens: Mit Leugnen, Relativieren oder Derailen kommen wir nicht weiter und offenbar ist das von zahlreichen Männern auch nicht gewollt. Denn:
Der erste wichtige Schritt wäre, zuzugestehen, dass es sich faktisch so verhält (wie oben dargelegt), statt es zu leugnen, zu relativieren, sich darüber lustig zu machen etc. und dann jeweils an sich selbst, seinem eigenen Verhalten in seinem Lebensalltag, in Familie, Beruf, im öffentlichen Raum - als Mann, Vater, Bruder, Sohn, Freund, Nachbar, Partner (auch Sexualpartner), Arbeitskollege ... - zu arbeiten, sein Verhalten zu reflektieren, sein Menschen- und Geschlechterbild, seine Rollenstereotype, sein S e l b s t b i l d ... .
 
Siehe hierzu auch den verbreiteten pathologischen Narzissmus (anti-, dissoziale PKST).
 
Ja: Es geht letztlich immer um Macht und Unterwerfung, Ausbeutung - oder aber um Parität, die möglicherweise zunächst mühevoller ist und die erfordert, bestimmte eigene Privilegien (als Mann, als vermögender Mann, als weißer Mann ...) aufzugeben. Aber ist es das nicht wert? Verfügen so viele Männer also über so wenig Gerechtigkeitssinn und Integrität, Gewissenhaftigkeit, Mitgefühl - dass sie lieber nach wie vor den bequemen, egomanen, selbstschonenden Weg des Selbstbetrugs und der Unterdrückung, der Gewalt gehen w o l l e n?
 
Und nochmal:
Sämtliche sogenannte "Matriarchate", matrilinear und matrifokal lebende Gesellschaften, auch die wenigen noch heute bestehenden (bspw. die Khasi, Mosuo, Minangkabau) kennzeichnet spezifisch eines: Gewaltlosigkeit.
 
Faktencheck - kleine Quellensammlung:
Du kannst über all die weitflächig verbreitete Hässlichkeit und charakterliche Niederheit so ungezählter Selbstgerechter, Konservativer, Herzverkrüppelter nur noch verzweifeln. Sie erkennen nicht im Ansatz, dass sie Ursache, Verursacher zahlreicher Probleme selbst sind (meist schon als Eltern, Lehrer ...) bzw. wissen sie es im Grunde durchaus, ertragen aber die Scham über ihre ureigenen Niederheiten und Unzulänglichkeiten, die sie selbstschonend, selbstbetrügend auf andere (Sündenbock, Feindbild) projizieren, nicht, weshalb sie sie leugnen, verbergen, überdecken, verdrängen - schlicht: um sich selbst überhaupt ertragen zu können.
 
"[...] Das Lamentieren über zu viel Knast für Steuerhinterzieher, vor allem aber über zu geringe Haftstrafen für Sexualstraftäter oder straffällig gewordene Immigranten, stellt gegenwärtig eine wichtige Facette des gesellschaftspolitischen Diskurses dar. Denn wer bestimmt, als was Gefängnisse genutzt und gesehen werden, hat auch Kontrolle über eines der mächtigsten und symbolkräftigsten sozialen Disziplinierungsinstrumente. Ziel des Strafvollzugs ist immerhin Resozialisierung – und diese ist eng gekoppelt an die Praxis der Sozialisierung. Das Gefängnis wird zwar auch in seinem Selbstverständnis nicht zur Schule der Nation, zeigt aber, wie weit Herrschaft reichen und formen soll.
 
In der feindseligen gesellschaftlichen Stimmung, die für die Ausgrenzung das Gefängnis braucht, ist die abolitionistische Kritik, die schon das System der Freiheitsstrafen ganz allgemein, in stärkerem Maße aber die konkreten Verhältnisse in den Haftanstalten ins Visier nimmt, inzwischen weit zurückgedrängt. Es gelingt höchstens noch punktuell, den Fokus zu verschieben, beispielsweise wenn ein Leiter einer Justizvollzugsanstalt wie Thomas Galli die Seiten wechselt, Rechtsanwalt wird und den Freiheitsentzug als »allermeistens schädlich« charakterisiert. Dem Ressentiment gegen verurteilte Straftäter und der wachsenden Begeisterung für ein vergeltendes und sicherndes Strafrecht kann so eine gelegentliche Attacke aber wenig anhaben.
 
1977 erschien Michel Foucaults Buch »Überwachen und Strafen – die Geburt des Gefängnisses« auf Deutsch und brachte den Gedanken in die Diskussion, dass Gefängnisse nicht nur ein Disziplinierungsort für Gefangene sind, sondern dass die Gefängnisordnung das gesamte moderne Dasein als »Kerkergewebe der Gesellschaft« bestimmt. Die Situation in den Gefängnissen war – auch maßgeblich dank der radikalen und militanten Linken – ein ge­sellschaftliches Thema. Der Ansatz einer »sozialen Strafrechtspflege« erziehlte mit dem am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen ersten deutschen Strafvollzugsgesetz einen wichtigen Erfolg. Die im Kampf gegen die militante Linke eingeführten Maßnahmen wie Isolationshaft, Kontaktsperre oder Zwangs­ernährung verschärften gleichzeitig die Möglichkeiten der Feinderklärung im Vollzug. [...]
 
Linke und militante Gruppen griffen damals den Foucault’schen Ansatz auf: »Auch wenn die Mauern hoch sind, Knast ist kein abgeschlossenes Gebilde außerhalb der eigentlichen Gesellschaft, sondern kann nur funktionieren, indem gesellschaftliche Institutionen, Firmen, Personen Knast von außen aufrechterhalten: von Ärzten, Psycho­logen, Bullen, Schließern, die sich nach ihrem Tagwerk in ›nette‹ Nachbarn verwandeln und so tun, als wäre nichts gewesen.« Mit dieser Begründung verübten die »Revolutionären Zellen« und die »Rote Zora« 1984 Sprengstoffanschläge auf zwei, wie sie sich ausdrückten, »honorige Firmen, die mit unsichtbaren Abteilungen in fast alle Knäste der BRD investiert haben und sich an der Knastarbeit bereichern«. Die in Bonn und Gütersloh ansässigen Firmen vergaben Arbeitsaufträge in Haftanstalten.
 
Knapp zehn Jahre später sprengte die RAF den fast fertiggestellten Neubau der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt in Hessen – und verzögerte damit deren Inbetriebnahme um vier Jahre. Dass in der RAF-Erklärung zum Anschlag der Justizvollzug selbst kaum ein Thema war, zeigte aber auch, dass der Knastkampf längst aufgegeben worden war. Das Anschlagsziel hatte trotz der erheblichen Auswirkungen nur noch eine symbolische Dimension. Während sich die RAF 1998 auflöste, ist die wiederaufgebaute JVA Weiterstadt heute die größte Strafanstalt des Landes Hessen.
 
Der Strafvollzug ist durch die Förderalismusreform gegen den Widerstand der Strafrechtspraktiker und vieler Strafrechtswissenschaftler 2006 in die Regelungskompetenz der Länder ge­geben worden. An die Stelle des bundesweit geltenden Strafvollzugsgesetzes von 1977 sind mittlerweile 16 Landesstrafvollzugsgesetze getreten, die zwar viele Übereinstimmungen aufweisen, ebenso aber auch grundlegende Unterschiede. Das erschwert einen effektiven Rechtsschutz für die Gefangenen. Mehr Normen schaffen schwierigere Bedingungen für Anwälte, die sich spezialisieren müssen. [...]
 
Auch heute noch versagen Strafvollstreckungskammern Gefangenen den Zugang zu Büchern, weil in ­ihnen Gefängnisse »durchgängig als Knast« bezeichnet werden oder, wenn es sich um Ratgeber für Gefangene handelt, »suggeriert« wird, »dass effektiver Rechtsschutz auch bei einem berechtigten Interesse weitgehend nicht erreicht werden könne und teilweise ein kollusives Zusammenwirken zwischen der Anstalt, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten bestehe«. So begründete das Landgerichts Arnsberg am 22. Januar die Nichtaushändigung des Buches »Wege durch den Knast«. Das Oberlandgericht Karlsruhe hat noch Ende vorigen Jahres entschieden, einem »fremdsprachigen Untersuchungsgefangenen« stehe kein Rechtsanspruch auf Teilnahme an einem Deutschkurs zu. Auch das wirft die Frage auf, was die Verhältnisse hinter Gittern heute von dem bloßen Wegsperren in früheren Zeiten unterscheiden soll. [...]
 
Dass das Bundesverfassungsgericht ebenfalls Ende vorigen Jahres einem schleswig-holsteinischen Strafgefangenen Recht gab, der sich gegen überteuerte Telefontarife wehrte, ist nicht wirklich ein Trost: Es dauerte fast zweieinhalb Jahre vom Antrag des Gefangenen bis zur Entscheidung der Verfassungsrichter – die das Verfahren zudem ans Schleswig-Holsteinische Oberlandgericht zurückverwiesen. Für einen Gefangenen, für den die Telefonate eine zentrale Verbindung mit der Welt sind, ist das eine sehr lange Zeit. Auch der Anspruch der Gefangenen auf physische Unversehrtheit ist nicht gewährleistet. In den Anstalten ist Gewalt an der Tagesordnung, mindestens jeder vierte Strafgefangene wird Opfer physischer Gewalt.
 
Betrachtet man die Haftanstalten, so wird rasch klar, dass sie ein durch und durch erfolgsloses Modell sind. Sie sind ein Relikt aus dem 18. und 19. Jahrhundert, das sich schon längst überlebt hätte, wenn es wirklich nur darum ginge, Straftäter möglichst erfolgreich (wieder) in die Gesellschaft einzugliedern. Es fällt auf, welche Bevölkerungsgruppe den Großteil der Insassen ausmacht. Während sogar in der Bundeswehr mittlerweile zwölf Prozent Frauen Dienst an der Waffe leisten, sind in den Gefängnissen ganz überwiegend junge bis mittelalte Männer in einer ganz besonderen, hierarchisch-archaischen Institution zusammengezwungen. Der Frauenanteil liegt unter sechs Prozent. [...]
 
Während hier etwa 77 von 100 000 Menschen die Freiheit entzogen wird, sind es in Schweden und Finnland zwar nur 57, in Frankreich aber 101 und in den USA sogar 666.
Der Trend ist allerdings umkehrbar, da er nicht durch eine Abkehr von der Idee des Gefängnisses als Institution der Abschreckung und Disziplinierung und durch die Entwicklung alternativer Bestrafungs- und Resozialisierungsmodelle vorangetrieben wird."
 
Quelle: jungle.world - "Stillstand und Volksempfinden", farbliche Hervorhebungen (dunkelblau markiert) habe ich vorgenommen.
 
 
Fragt sich eigentlich keiner, was das für Menschen - bspw. Polizisten - sind: die so "normal" mit solchen Waffen, mit solcher Gewalt umgehen, für die sie und auch deren Einsatz so "alltäglich" ist und/oder von denen einige sogar regelrecht begeistert sind?

Fragt sich keiner, warum sie das Menschenbild haben, das sie haben? Warum sie es für "normal" und richtig befinden, solche Gewalt gegen Menschen - gerade auch friedlich Demonstrierende - anzuwenden und Strafe für nicht nur richtig, sondern für erforderlich oder gar gut zu halten?
 
Glaubt man allen Ernstes, man würde ein positives, wünschenswertes, prosoziales, kooperatives Verhalten evozieren können, indem man Menschen absichtsvoll - physischen und/oder psychisch-emotionalen Schmerz (also auch Ausgrenzung, Demütigung, Isolierung, Entziehen der Existenzgrundlage, Freiheitsentzug, Haft ...) zufügt?
 
... Wie psychisch-emotional schwerst beschädigt müssen jene Menschen selbst sein, die das glauben.
 
"[...] Die Normalität, mit der Waffen, Ausrüstung und Software verkauft werden, ist eine der schwer erträglichsten Eindrücke dieser Messe. Uniformen für Polizei und Militär neben Funktionsunterwäsche, Helmen, Schuhen. Fast wie auf einer Modemesse. Eine Modemesse, auf der es keinen Laufsteg gibt, sondern eine Demonstration der neuesten Anti-Riot-Ausrüstung für die Aufstandsbekämpfung. Mit einem Alu-Baseball-Schläger prügelt jemand auf einen voll gepanzerten Polizisten ein. Der zuckt nicht einmal, sein Gesicht bleibt ausdruckslos. Ein anderes Team simuliert eine eskalierende Demonstration. Die Gruppe, die Demonstranten spielt, wirft mit Flaschen, droht mit Messern und gibt provozierende Laute und Posen von sich. Sie erinnern mehr an aggressive Affen als an Menschen. Das Schauspiel verrät viel über das Bild, das die Gruppe von diesen „gefährlichen Menschen“ hat. Dann rennen die „Polizisten“ die „Demonstranten“ um, entwaffnen sie, drücken sie auf den Boden, fesseln sie.
 
In mir zieht sich alles zusammen, ich zwinge mich, dennoch hinzuschauen. Die Menge um mich herum filmt das Spektakel, wirkt sichtlich gut unterhalten. Währenddessen breitet sich in mir Leere aus. Leere ist ein Gefühl, mit dem sich mein Zustand während der Tage auf der Messe am besten beschreiben lässt. Ohne eine innere Mauer, die das Gesehene von mir fernhält, ließe sich das hier nicht sieben Stunden am Tag ertragen. [...]"
 
Quelle des zitierten Textes: netzpolitik.org - "Unter Waffenhändlern und Smartphone-Knackern"
 

Diesen Post teilen

Repost0
Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:

Kommentiere diesen Post