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Sabeth schreibt

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Über den Pathologisierungswahn ... in der Therapiegesellschaft

 
update 11.10.2023
 
Depression, Angst, Ängste, Burnout ... Diagnosen und vermeintliche "Therapie, Behandlung"
 
Es ist unseriös. Es hilft Menschen nicht. Es ist ekelhaft manipulativ:
Zunehmend werden vermeintliche oder tatsächliche psychische Störungen, Erkrankungen diagnostiziert: Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und überwiegend medikamentös "behandelt". Big Pharma Pharmaindustrie.
 
Der Frau eines Anrufers, siehe unten verlinkte Bayern 2-Radiosendung " Notizbuch - Gesundheitsgespräch - Angst, Depression, Burnout" vom 11.10.2023 - die eine "bipolare Störung" haben soll, empfiehlt Reinhart Schüppel ausdrücklich Medikation und behauptet - auch diesbezüglich: bipolare Störung - es sei vor allem genetisch bedingt. Das wird gegenwärtig auch zu ADHS und ASS, Autismusspektrumstörung, behauptet.
 
Dazu nachfolgend verlinkt, siehe entsprechenden blog-Eintrag, einige Informationen, bspw. zum Zusammenhang zwischen ADHS und FASD ... .
 
 
Ebenfalls sei erneut auf das biopsychosoziale Modell und Medizin verwiesen, das/die n i c h t gleichbedeutend mit "Psychosomatik" ist.
 
Soziale, sozio-ökonomische, somit auch politische Aspekte blenden die meisten Ärzte, Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten jedoch nach wie vor gerne aus - man kann daran/diese vorgeblich ja nicht ändern.
Dann doch lieber Medikamente, Psychopharmaka verabreichen und diverse "Therapien" vollziehen - das ist für bestimmte Menschen, Wirtschaftszweige, sehr lukrativ, keineswegs auch hilfreich für "Patienten", Betroffene, Leidende.
 
Ich gehe nicht in allem mit Thorsten Padberg konform, bspw. definitiv nicht mit seiner Einstellung, seinen Äußerungen zur Impfpflicht (Corona), hier, siehe unten verlinktes Video, Gespräch mit Anne Otto, aber schon: Es sind soziale Verhältnisse als Ursachen für Leid weit mehr einzubeziehen: in "Therapie, Behandlung".
 
Was Angst bzw. Ängste, "Angststörungen" anbetrifft:
Selbstverständlich erzeugt abrupte oder dauerhafte Unsicherheit und langanhaltender Druck, Stress, das Fehlen einer sicheren Existenzgrundlage, vor allem aber der Mangel an mehreren Bezugspersonen, einem "sozialen Netz", an tragenden Beziehungen Angst, Ängste.
 
Zahlreiche Menschen - Kinder, Jugendliche, Adoleszente, kranke, alte, mittellose, materiell arme Menschen - haben in Zeiten von Ehe, Kleinfamilie, Scheidungen, Singledasein, Fremdbetreuung/Auslagerung - wegen/für Arbeit, Lohnarbeit, Erwerbstätigkeit - keine langjährig stabilen Bezugspersonen, Beziehungen, mehr.
 
Nein: Es reicht gerade nicht, überwiegend oder gar ausschließlich digital, virtuell in Kontakt zu sein - Menschen müssen regelmäßig physisch, leiblich mit anderen, ihnen vertrauten Menschen wohltuend zusammenkommen, zusammensein können: Bindung, Beziehung, Berührung.
Statt Einsamkeit, soziale Isolation, Isoliertsein, Ausgrenzung.
 
Es hilft deshalb auch keine "Telefonseelsorge", sondern direkter, auch spontan möglicher, leiblicher, zwischenmenschlicher Kontakt, Umgang - Freundschaften, Beziehungen. Wofür erforderlich ist, dass Menschen sowohl mobil sein, als auch näher zusammenleben, wohnen können müssen.
 
Cohousing gegen Einsamkeit, soziale Isolation - auch präventiv wirksam, schützend vor auch Ängsten, häuslicher Gewalt, Kindesmisshandlung, Vergewaltigung.
Unterschiedliche Generationen müssen wieder zusammenleben: gemeinschaftlich, selbstorganisiert, selbstbestimmt.
 
Die sogenannte "Telefonseelsorge" hilft nicht, sie ersetzt weder kurz- noch langfristig Austausch, Dialog, direkten, leiblichen zwischenmenschlichen Kontakt, Bindung, Beziehung, wohltuende, nicht-sexuelle Berührung, Gefährten, ein tragendes soziales "Netz", Familie, Freunde, Partner, Zugehörigkeit, Teilhabe, Verbundensein.
 
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11. Oktober 2023
 
In unten verlinktem Video - Gespräch zwischen Thorsten Padbert und Anne Otto "Machen wir aus Unglück eine Krankheit?" - nennt Thorsten Padberg gerade Alleinerziehende, die aufgrund ihrer sozioökonomischen Verhältnisse, aufgrund nicht selbstverschuldeter materieller Armut als F o l g e derselben u.a. Depression(en) haben/bekommen.
 
Sozioökonomische Verhältnisse, Armut und daraus resultierende, hinreichend bekannte Folgen - gerade auch für Alleinerziehende, die mehrheitlich, mit ihren Kindern, mit Armut belastet und biologische Frauen sind.
In Deutschland sind Alleinerziehende am intensivsten von materieller Armut betroffen, belastet, beschädigt - mit ihnen ihre Kinder. Kinderarmut ist weltweit immer Mütterarmut.
 
Weil aber Ärzte und Psychotherapeuten, auch Psychiater diese sozioökonomischen, d.h. die - global - politischen Verhältnisse, die Ursachen von/für Armut nicht beheben können, wird halt "beim Individuum angesetzt", das wieder funktional gemacht werden soll - nicht: geheilt.
So wird die Ursache nach wie vor beim Individuum gesucht und gefunden, aber es gibt eben - ohnehin global - unzählige dieser Individuen, die nicht-selbstverschuldet belastet, beschädigt (worden) sind/werden und: bleiben, weil ihnen gerade n i c h t angemessen geholfen wird.
 
Und das gilt auch für Kriminalität, auch Gewalttaten. Es wird kaum etwas bis nichts wirklich effektiv, wohltuend p r ä v e n t i v getan, denn das hätte, hat wiederum mit Politik, Regierungen, Kapitalismus, Armut und Folgen zu tun. Keine Prävention.
 
Warum "wollen" zunehmend mehr Menschen eine "psychische Diagnose" erhalten: Weil sie wiederholt oder auch langjährig erfahren, erlitten haben, dass ihnen sozial, politisch, durch Regierende und Gesellschaft n i c h t wohltuend, effektiv geholfen wird. Im Gegenteil.
Der einzige vermeintliche "Ausweg" scheint dann eine psychische Diagnose, eine psychische Krankheit zu sein, um wenigstens etwas Entlastung, Freiraum, ggf. Verständnis und Unterstützung zu erhalten. Durch Pathologisiertwerden.
Unerträgliche Verhältnisse. Staat. Macht. Gewalt.
 
Heilung nicht nur, aber vor allem auch durch Liebe, Beziehung, Bindung, nicht-sexuelle, wohltuende Berührung, Nähe, Vertrauen(können). Gilt für psychische als auch physische Erkrankungen.
 
Anmerkung:
Ehe, Kleinfamilie, Singledasein, oberflächlicher Sex, Glaube, Aberglaube, Religion, Esoterik, "Gott", Drogen (also auch Cannabis, Kiffen, Alkohol ...): heilen nicht.
Es ist all das bloße Krücke, Flucht, Selbstbetrug, "bestenfalls" stets nur oberflächlich und nur vorübergehend wirkende Symptombehandlung.
 
Es ist übrigens auch für Erkenntnis, Einsicht, Reflexion der Andere, das Du, das Gegenüber, das spiegelt, fragt, aber auch bestätigt und wertschätzt, wichtig - unerlässlich, unentbehrlich. Also gerade wiederum Bezugspersonen, denen man vertrauen kann, Beziehung: für Reifung (Persönlichkeitsreifung).
 
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11. Oktober 2023
 
Thorsten Padberg im Deutschlandfunk Kultur, siehe oben verlinkt: "Nicht jedes psychische Problem ist eine Krankheit."
 
Exakt. Wider den Pathologisierungswahn.
Aber etliche Menschen, auch Kinder, Jugendliche, leiden: psychisch - aufgrund sozialer, politischer, gesellschaftlicher Verhältnisse, Missstände.
 
Diese gesellschaftlichen, politisch verursachten Missstände, die daraus resultierenden Belastungen, Beschädigungen, das daraus resultierende Leid gilt es angemessen, wohltuend zu ändern, zu beheben. Nicht durch "Diagnosen" beim je Einzelnen, durch psychische Pathologisierung von Individuen diese Misstände zu individualisieren.
 
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Aktualisierung am 20. Februar 2019
 
Psychische Pathologisierung - Ursachen, Folgen: Entmündigung "Betreuung", Berentung ...
 
"Psychische Behinderung" scheint aktuell ja der Diagnoserenner zu sein, wie es sich grundsätzlich so mit psychischer Pathologisierung von Menschen verhält, die im kapitalistischen System nicht f u n k t i o n i e r e n wie sie sollen, die also nicht mehr oder noch nicht oder nie je kapitalistisch - als Erwerbstätige, als Lohnarbeitssklaven - intensiv und langfristig verfügbar, verwertbar, ausbeutbar sind und/oder dies legitimerweise nicht sein wollen. Menschen also, die sich nicht als Menschenmaterial verheizen lassen wollen.
 
Solche Menschen sind mehrheitlich von materieller Armut betroffen, beschädigt, jedenfalls nicht vermögend, stattdessen aus diversen Gründen nicht-privilegiert, denn sie werden für ihre vorgeblich mangelnde Leistungsfähigkeit (was man damit gängigerweise bezeichnet), die ihnen üblicherweise als Leistungsverweigerung ausgelegt wird, intensiv und auf vielfache Weise bestraft. Oder auch einfach für ihre ethnische und/oder kulturelle, religiöse oder soziale Herkunft bzw. Hintergründe oder ihr Geschlecht oder eben dafür, dass sie nicht bestimmten Normen entsprechen, sich bestimmten Konventionen nicht unterwerfen lassen (wollen und/oder können) .
 
Wer sich nicht obdachlos machen lassen will, wer nicht aufgrund materieller Armut und Benachteiligtseins in intensive Verschuldung und/oder auch in Gefängnishaft, in Ausgrenzung, in soziale Isolation gezwungen, genötigt werden will, m u s s sich "alternativ" scheinbar unausweichlich psychisch pathologisieren lassen, um damit vordergründig eine Art Schonraum zu erhalten, bspw. auch so etwas wie sogen. "Eingliederungshilfen" oder Erwerbsminderungsrente.
Denn meines Wissens sind die meisten Menschen, die Letztere erhalten, bewilligt bekommen, aufgrund von p s y c h i s c h e r Erkrankung berentet, nicht wegen physischer Erkrankungen.
 
Frage nur ich mich, ob den Leuten eigentlich bewusst ist, warum das so gehandhabt wird und welche weitreichenden, wahrscheinlich überdies irreversiblen Folgen das für diese Menschen haben "kann" ... ?
 
Ist anderen Menschen tatsächlich nicht ersichtlich, wie leicht und weit dem Missbrauch damit Tür und Tor geöffnet sind, wie schnell sie "unter Umständen" auf eben dieser Basis - des psychisch Pathologisiertseins - e n t m ü n d i g t werden können?
Man nennt es heute nicht mehr so, sondern euphemisiert "Betreuung" oder "Geschäftsunfähigkeit", aber es ändert die relativierende, verharmlosende, manipulative Änderung der Bezeichnung nichts am Inhalt, an den faktischen Auswirkungen, siehe hierzu unten verlinkte Informationen.
 
Statt also wenigstens zu erkennen, wie schnell, wie leicht einem Menschen auf solcher Basis - des psychisch Pathologisiertseins, Pathologisiertwerdenkönnens - unterstellt und attestiert werden kann, man sei nicht (mehr) urteils-, nicht handlungs-, nicht geschäfts-, nicht rechtsfähig, wie schnell einem unterstellt und attestiert werden kann, man stelle ein Gefahr für sich und/oder andere dar und müsse deshalb vermeintlich vor dieser (vorgeblichen) Selbst- und/oder Fremdgefährdung "geschützt" werden, siehe auch Psychiatrisierung, stattdessen l a s s e n die Leute sich nur allzu bereitwillig und in offenbar hohem Ausmaße psychisch pathologisieren und halten das überdies sogar noch für eine hart und langwierig erkämpfte "Errungenschaft", für eine Verbesserung ihrer gesellschaftlichen, politischen, rechtlichen und persönlichen Situation. - Ich kann es regelmäßig nicht fassen, w i e naiv, arglos, kognitiv minderbemittelt (?), wie jedenfalls unerträglich leicht manipulierbar, indoktrinierbar und instrumentalisierbar diese Menschen sind.
Oder sind sie mehrheitlich (?) so verzweifelt und psychisch-emotional oder auch gerade doch p h y s i s c h entkräftet, geschwächt worden, dass sie diese Pathologisierung mehr oder minder freiwillig bzw. letztlich gezwungenermaßen mitvollziehen?
 
Zeigen denn nicht die "Psychisch Krankengesetze", PsychKG der Bundesländer, siehe auch Unterbringung und Zwangsbehandlung, wie schmal der Grat ist, wie begrenzt bis aussichtslos die Abwendungs-, Verteidigungsmöglichkeiten Betroffener hiergegen sind, insbesondere auch, da diese mit, wie üblich, erheblicher, intensiver Bürokratie (-bewältigenmüssen) einhergehen und/oder auch mit gerichtlichen Vorgängen, Verfahren, denen viele der Betroffenen jedoch eben gerade nicht (mehr) gewachsen sind, weil diese gezielt errichtete Bürokratiemauer grundsätzlich zermürbend ist, ein schier unüberwindliches Hindernis gerade sein s o l l, es oft auch ist und auch "normale, gesunde, leistungsfähige Durchschnittsmenschen" (sollte es solche geben) in den sprichwörtlichen Wahnsinn treiben kann. So bekanntlich auch alle Bürokratieschikane rund um Hartz 4, Jobcenter, aber eben auch im Zusammenhang mit Versicherungen, Steuern, Pflege, Erwerbsminderungsrente und-so-weiter.

Erkennen denn nicht auch andere Menschen, dass und warum etliche Menschen an unserer schädigenden Gesellschaft, Politik und dem zugrundeliegenden kapitalistischen Wirtschaftssystem - siehe Primat der Wirtschaft statt des Sozialen - intensiv kranken, weltweit auf vielfache Weise massiv beschädigt und auf Raten, sukzessive vernichtet werden?


Denn eben dies steckt hinter dem psychischen Pathologisierungswahn:

Würde als Ursache oder Auslöser zahlreicher verbreiteter Belastungen, Beschädigungen und auch gerade physischer (chronischer) Erkrankungen und psychisch-emotionaler Überforderung nicht nur unser "ungesunder Lebensstil" - siehe bspw. falsche, ungesunde Ernährung, Vialstoffmangel, Bewegungsmangel, "zivilisationsgeschädigte" Wohlstandsleiber, Übergewicht, zu viel negativer Stress, häufig auch Schlafmangel, zu wenig Zeit in der Natur, mangelnde Entspannungs- und wirklich wohltuende Regenerationsmöglichkeit (statt Freizeitstress, Selbstoptimierungsaktivitäten ...), fehlende Beziehungen, Bindungen, notwendige wohltuende Sozialkontakte, zunehmende Einsamkeit, soziale Isolation, Berührungsmangel, zunehmende Angst, Aggression, Abwehr usw. - erkannt und benannt, sondern gerade auch das, das diesen "ungesunden Lebensstil" und dessen Folgen überhaupt erst hervorbringt und aufrechterhält: der global destruktive Kapitalismus inklusive Leistungsideologie, Ausbeutung, Zerstörung von Natur, Tieren, Menschen, Rohstoffraubbau (siehe auch geplante Obsoleszenz zur Konsumsteigerung, also Profitsteigerung, zum "Wirtschaftswachstum"), Zerstörung, Verunreinigung von Boden, Luft, Gewässern, Biodiversität, außerdem Klimawandel, Müllberge, Giftmüll (Atommüll, Plastikmüll nicht nur in den Meeren, inzwischen sogar Müll im Weltraum), psychische und physische Gewalt, Militarisierung, Rüstung, lukrative Kriege, Waffen-, Drogen- und Menschenhandel u.v.a.m., so wäre die zwangsläufige, unausweichliche Folge dieser Erkenntnis, dass man eben diese Ursache - den global destruktiven Kapitalismus - angemessen bewältigen, beheben muss und das so zeitnah und umfassend als irgendmöglich.

Auf gar keinen Fall darf das jedoch die Schlussfolgerung einer (je regionalen oder gar globalen) Bevölkerungsmehrheit sein oder je werden, jedenfalls so lange nicht, als es p r i v i l e g i e r t e Menschen - der (oberen) Mittel- und Oberschicht (des Bürgertums) - in u.a. Führungs-, Entscheidungs-, Verantwortungs-, Machtpositionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gibt, die von diesem destruktiven Kapitalismus und Neoliberalismus, inklusive sozialer Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Hierarchien, patriarchalen Verhältnissen und Gewalt profitieren und dieses katastrophale System daher mit allen Mitteln und um jeden Preis (!) aufrechterhalten wollen.

Man muss die vermeintliche "Schuld", die vorgebliche Ursache der Probleme, Sorgen, Nöte, Belastungen und Beschädigungen von Menschen also bei ihnen je persönlich suchen bzw. finden - indem man sie als faul, unmoralisch, undiszipliniert, asozial, dumm ... diffamiert und/oder: zu psychisch Kranken, Gestörten, Behinderten diskreditiert. Und sie auf genau dieser Grundlage schließlich nur noch intensiver bevormunden, kontrollieren und letztlich ausschalten k a n n, indem man ihnen (Grund-) Rechte und Freiheiten systematisch (und bürokratisch) entzieht und das vermeintlich, vorgeblich legal (-isiert).

Nein, das ist keine "Verschwörungstheorie einer psychisch Gestörten". Mitnichten.
Es war bekanntlich immer schon so: Unbequeme, Lästige, sogenannte Taugenichtse, "Irre", "Behinderte", Unbemittelte, materiell Arme, "Asoziale", "Ballastexistenzen" (NS-Terminologie und -Ideologie) und Dissidenten hat man stets entweder pathologisiert, als "wahnsinnig, irre" diskreditiert und/oder sie als "Verbrecher" inhaftiert, weggesperrt, aus dem Verkehr gezogen - also auch eliminiert, getötet.
Und so läuft es nach wie vor und nachweislich noch immer rings um den Globus.
 
Anderenfalls wäre bspw. die us-amerikanische Gefängnisindustrie nicht möglich, nicht aufrechtzuerhalten, nicht zu "legitimieren" und auch nicht die Todesstrafe in ausgerechnet einem vorgeblich so freiheitlich-demokratischen Land (usa).
Und wie es in diversen anderen Staaten um "Rechtsstaatlichkeit" und/oder demokratische bzw. faktisch diktatorische, gewaltgeprägte, autoritäre, patriarchale Verhältnisse bestellt ist, ist hinlänglich bekannt.
 
Es geht global nach wie vor um Macht, Kontrolle, Unterwerfung - mittels Strafe.
 
Daher: Einfach weiterhin freiwillig psychisch pathologisieren und sich "berenten" lassen und gerade (unter anderem) exakt auch damit dieses tatsächlich kranke System aufrechterhalten, stützen. - Weiter so. Denn das ist alternativlos.
 
Sollte man (mich) nun ernstlich fragen, worin denn eine angemessene, bessere Alternative bestünde, wie diese aussähe, so kann ich nur nochmals und immer wieder auf all das verweisen, das es bereits gab und/oder nach wie vor oder wieder gibt - ja, es wird dies allgemeinhin unter den Begriffen Sozialismus, Anarchismus, Feminismus, Selbstbestimmung, Parität, insbesondere auch Geschlechterparität, bedürfnisorientierte (nicht oktroyierte!) Gemeinwohlökonomie, Solidarwirtschaft, Wirtschaft der Fürsorge, Regionalität und kooperative Transnationalität, fairer Handel, Handelsabkommen, Soziokratie (Konsentprinzip statt Mehrheitsprinzip) etc. subsumiert.
 
Siehe in Lebenspraxis umgesetzt bspw.
 
- gemeinschaftliches Wohnen:
generationenübergreifend, ökologisch, soziokratisch, cohousing, entsprechend erforderliche Architektur und Infrastruktur, außerdem Selbstverwaltung, Entbürokratisierung
 
- anderes Arbeiten und Wirtschaften sowie Handel treiben:
NPO (Nonprofit-Organisationen, siehe Gemeinnützigkeit, Bedarfsdeckung), Syndikalismus, weltweit unentbehrliche, unersetzliche, menschliche, empathische, bedürfnisorientiert-fürsorgliche, nicht-paternalistische "häusliche" Sorge-Arbeit und weitere kreative, soziale, handwerkliche, künstlerische, intellektuelle ... Tätigkeiten als gemeinwohlförderliche Arbeit gesellschaftlich, politisch anerkennen und existenzsichernd monetär honorieren, siehe bspw. in Form eines Sorgegehalts und/oder eines emanzipatorischen Grundeinkommens, siehe aufgrund von Digitalisierung ... .
 
- anders Lernen:
demokratische Bildung, Schule, Persönlichkeitsentwicklung, -reifung unterstützen, Mitgefühl, Solidarität, Kooperation fördern, statt Bulimie-Lernen, Bevormundung und vermeintliche "Allgemeinbildung", statt Aussortieren, auf "Leistung" trimmen, Kinder bereits auf Spur bringen, sie kapitalistisch instrumentalisierbar, verfügbar machen, sie zu indoktrinieren, zu Gehorsam und Unterwerfung zu zwingen (siehe freiwillige Knechtschaft). Bindung, Beziehung, Ur- und Selbstvertrauen sowie Resilienz "fördern", zulassen, ermöglichen, geben - statt gerade genau dies aggressiv zu unterbinden, zu zerstören, bspw. durch immer frühere, immer längere Fremdbetreuung
und diverse "Erziehungsratgeber", "Schlaf- und Esstraining" etc., statt Bedürfnisorientiertheit, durch überlastete Eltern, durch zu wenige Bezugspersonen: durch fehlende Gemeinschaft in Kleinfamilie, Ehe ... .
 
Wenn ihr die global wie je regional augenfällig und unabweisbar bestehenden Missstände nicht fortgesetzt sehen und nicht selbst mitunterstützen, miterhalten wollt, dann macht das öffentlich erkenntlich, wahrnehmbar, durchsetzbar: durch entsprechende Forderungen, Proteste, Demonstrationen, Aktionen, durch Streik, Sabotage, Boykott, durch solidarisieren und kooperieren und durch Austausch, Auseinandersetzung, Diskussion nicht nur auf social media, sondern couragiert auch und insbesondere in eurem je persönlichen Umfeld: in Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis und selbstverständlich auch in eurem Arbeitsumfeld, bei eurem Job, in eurem Beruf und in eurem Alltag, eurer Freizeit (so vorhanden), in eurer Art zu konsumieren und Beziehungen zu "führen", zu gestalten, zu leben.

Nein, es wird sich nicht innerhalb kurzer Zeit angemessen überwinden, bewältigen, beheben lassen und viele werden etwaig zukünftige positive Veränderungen selbst gar nicht mehr erleben (!), aber wenn nicht jeder Einzelne auf Basis seiner persönlichen Möglichkeiten, Gegebenheiten, auf Basis von Verantwortung, Ethik, Idealen, Integrität, Mitgefühl und Vernunft wenigstens anfängt, je persönlich den angemessenen, wohltuenden Weg zu gehen (und bspw. auch Kindern vorzuleben), sondern stattdessen einfach weitermacht wie bisher, sich irgendwie nur je persönlich durchzubringen versucht, ausweicht, sich anpasst, fügt, weil es bequemer, weniger anstrengend, weniger mühevoll, weniger frustrierend oder stellenweise vielleicht sogar "Spaß bringender" ist und weniger Konflikte und Kämpfe mit sich bringt, so lange wird und kann es nur so - miserabel, destruktiv, ungerecht, schädigend - bleiben, wie es derzeit ist.
 
Und nein, daran ändern auch Hinweise auf "frühere schlechtere Zeiten" und bereits teilweise erreichte Verbesserungen nichts, sie dienen nicht als Ausflucht- oder Verharmlosungslegitimation, sie entbinden das Individuum nicht von seiner je persönlichen Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft der Menschen, gegenüber dem Anderen, dem Du.
 
Abschließend nochmal der Verweis auf Gramsci: Pessimismus des Verstandes, Optimimus des Willens - das ist, das nach wie vor geboten ist.
 
Kritisch und realistisch sein, aber nicht Schwarzmalerei betreiben, nicht Resignieren, sich nicht auf seine "innere Emigrationsinsel" selbstschonend-bequem-selbstgerecht zurückziehen, nicht in den Selbstbetrug flüchten, nicht ausweichen, sondern sich stellen - gerade auch sich selbst, den eigenen Defiziten, Unzulänglichkeiten, Schwächen. Wahrhaftigkeit, Authentizität, Selbstkritik, Reflexion, Mitgefühl, Integrität. Und der lebenslange Prozess, daran zu arbeiten, dies zu entwickeln, persönlich zu reifen - gerade trotz aller Rückschläge und Widrigkeiten.
 
Wozu "das Ganze"? Um mit seiner persönlichen Existenz die Welt ein Stück besser zu machen. D a s ist der Sinn.

Das rechtskonservative, patriarchal-autoritäre Menschen- und Weltbild überwinden - die gesteigerte, irrationale, häufig hysterisierte Angst, Abwehr (Neophobie, Xenophobie ...), den Mangel an Vertrauen und Mitgefühl, die Unterkomplexität, Provinzialität des Denkens, die bequemen, selbstschonenden, selbstgerechten Vorurteile und das infantil-magische "Denken" (siehe religiöser Glaube, Aberglaube, Esoterik, Mystik ...), das emotional verengte, verpanzerte Fühlen.
 
Verantwortung übernehmen, selbst tragen, statt sie für ein bisschen Bequemlichkeit ignorant, egoman oder naiv abzugeben - an "Führer", an Regierende, an "Götter", an "übergeordnete Instanzen". Selbstbetrug, Selbstverrat - und Verrat am Anderen, am Du, demgegenüber ich als Mensch jedoch grundsätzlich ethisch verpflichtet bin - nicht gegenüber einem "Gott".
 
Selbstbestimmt leben wollen - Freiheit und Verantwortung sind bekanntlich die beiden Seiten derselben Medaille.
 
Kein Herr, kein Gott - keine Unterwerfung, keine Selbstverknechtung, freiwillige Knechtschaft, kein Selbstbetrug.

Übrigens abschließend noch ein weiteres Mal der Hinweis auf eine aus Gründen noch immer zu wenig bekannte Tatsache:

Sämtliche sogenannte Matriarchate, auch die wenigen noch heute bestehenden (siehe bspw. die Khasi, Mosuo, Minangkabau), kennzeichnet eines spezifisch: Gewaltlosigkeit.
 
Es ist also keineswegs utopisch oder illusorisch, was ich oben aufgeführt habe - es ist möglich, realisierbar und bereits vorhanden; aus bekannten Gründen wird es jedoch unterdrückt, attackiert, zerstört.
 
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Es gibt ungezählte Menschen in genau dieser Situation, sie sind aus eben diesem Grunde auch häufig erwerbslos und irgendwann ggf. auch obdachlos: weil sie aus unterschiedlichen Gründen persönlich auf vielfältige, vielfache Weise beschädigt sind.
Man kann, man muss das in unserer Gesellschaft stets und leichtgängig pathologisieren, denn nur wer irgendwie psychisch und/oder physisch "krank" ist, wird irgendwie vielleicht noch akzeptiert, wird gesellschaftlich als "unterstützungsbedürftig" anerkannt. Voraussetzung ist eben, dass man sich pathologisieren lässt, dass man sich bescheinigen lässt, man sei "krank", dass man sich also stigmatisieren und instrumentalisieren lässt.
Menschen sind verschieden. Sie hatten, haben unterschiedliche, je individuelle Hintergründe: genetische Anlage, Sozialisation, Prägung, Biographie, Erfahrungen und was in ihrem bisherigen Leben sie auf Basis dessen wie intensiv, weitreichend beschädigt hat oder auch nicht. Wir sind alle vor allem Gewordene.
Dem wird nach wie vor nicht angemessen begegnet. Menschen werden stattdessen pathologisiert oder/und anderweitig ausgegrenzt, marginalisiert, häufig diffamiert - verachtet, abgewertet, lächerlich gemacht, vorgeführt; sie gelten als Schmarotzer, Nichtsnutze (dieser Begriff drückt im Grunde schon alles aus), Asoziale usw..
Das grundsätzliche Problem ist, dass wir nach wie vor der kapitalistischen Leistungs-, Verwertbarkeits-, Funktionalitätsdogma anhängen, hinterherhecheln und entsprechender Indoktrination, insbesondere bereits in der Schule bzw. bereits in Kindergärten getätigt, unterworfen sind .
Menschen haben gerade keine Würde: um ihrer selbst willen, einfach, weil sie existieren, sondern sie haben nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie etwas leisten, womit wiederum vor allem bis ausschließlich Erwerbsarbeit gemeint ist - und nicht all die andere Arbeit, die auch geleistet wird - siehe unentbehrliche Sorge-Arbeit, anderweitig soziale Arbeit, Tätigkeiten, prosoziales Verhalten (Zugewandtsein, Sensibilität, Mitgefühl ...), siehe auch geistig-intellektuelle, kreative, handwerkliche Arbeit.

Gesellschaftlich anerkannt ist man jedoch auch, wenn man gar nicht arbeitet, nicht durch eigenes Tun, Verhalten, zum Gemeinwohl beiträgt, sondern schlicht vermögend ist - dann: ist es ok, wenn man n i c h t erwerbstätig, also kein Lohnarbeitssklave ist.
Alle anderen jedoch, die aufgrund von je individueller Anlage und/oder Beschädigtwordenseins (in der Kindheit häufig, auch im weiteren Lebensverlauf - durch verschiedene Umstände, Widerfahrnisse, Erlebnisse ...) n i c h t mehr oder je funktional, wirtschaftlich verwertbar, instrumentalisierbar, ausbeutbar sind, müssen in einer solchen kapitalistischen Leistungsgesellschaft als minderwertig gelten, müssen abgewertet, an den Pranger gestellt, ausgegrenzt, bestraft, beschädigt, gequält werden - damit alle anderen sich brav weiterhin unterjochen lassen bzw. es vermeintlich freiwillig selbst tun.
Dressur, "Edukation", Brot und Spiele - Manipulation, Indoktrination, Kontrolle.
Und genau das passiert: Menschen werden gerade dann noch zusätzlich massiv bestraft, verletzt, beschädigt, diskreditiert, ausgegrenzt, vorgeführt, als Sündenbock missbraucht und pathologisiert - durch Mitmenschen, durch aber auch gerade den Staat, seine verschiedenen Institutionen, Exekutivorgane, auch Behörden wie Jobcenter, Jugendamt, durch Gefängnis, Psychiatrie - wenn bzw. weil sie ohnehin bereits geschwächt, weil sie häufig wehrlos sind: materiell arm, ggf. auch nicht gut gebildet, d.h. nicht informiert, somit manipulierbar, missbrauchbar.
Für jedenfalls mich persönlich ist solche Beschädigung, die unter dem manipulativen Deckmantel scheinbarer, geheuchelter, vorgegaukelter "Hilfe, Unterstützung" oder gar "Förderung" getätigt wird, Ausdruck unerträglicher Infamie, Perfidie.
 
Auch Depression hat im Übrigen nie nur genetische oder neurobiologische Ursachen, sondern immer auch psychosoziale Ursachen, Auslöser.
Und diesen ließe sich vorbeugen. Wir sehen weltweit, dass, wie und warum das Gegenteil dessen "passiert", getätigt wird: psychisch-emotionale und physische Gewalt, schon von Kindern erlitten, Armut, Ausgrenzung, Traumatisierung ... .

Umgekehrt gibt es aber sehr wohl "Lebensüberdruss" ohne "klinische" Depression.
 
Und auch Melancholie ist nicht gleichbedeutend mit Depression und nicht zu pathologisieren, auch nicht zu therapieren (bedürftig) - trotz "Leidensdrucks"!
Es gäbe, alte Binsenweisheit, bekanntlich kaum Kunst ohne diesen Leidensdruck, ohne Schmerzerfahrung und den Versuch, damit und mit dem allgemeinen wie je persönlichen (biographischen) Menschsein zurandezukommen.
 
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"[...] "DSM-5 fügt der Psychiatrie neue Diagnosen hinzu und verringert die Schwellwerte einiger bestehender Störungen. Das wird aus der gegenwärtigen Inflation eine Hyperinflation machen. Und wenn Menschen unzutreffende Diagnosen erhalten, stigmatisiert man sie und behandelt sie mit Medikamenten, die gefährliche Nebenwirkungen haben können. Das Problem besteht darin, dass die Grenze zwischen milden psychiatrischen Krankheiten und der Normalität völlig unscharf ist. Wir müssen daher die Kriterien diskutieren, die wir für Störungen benutzen." [...]
 
Psychiatrische Störungen haben viele Gesichter und wandeln sich. Die Kriterien für Diagnosen müssen diesem Sachverhalt Rechnung tragen. Das ist die Philosophie, die dem DSM-Prozess zu Grunde liegt. Schon jede einzelne psychische Störung, unterstreicht Professor Peter Falkai, unterscheide sich von Individuum zu Individuum. Er ist Direktor des Psychiatrischen Universitätsklinikums München und war bis Ende 2012 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde.
 
"Nehmen wir zum Beispiel mal Depression, dann gibt es innerhalb der Depression natürlich verschiedene Ausprägungen. Nicht jeder mit der Depression hat eine Störung des Antriebs, hat eine gravierende Veränderung der Stimmung. Ein Teil der Patienten hat ausgebreitete Konzentrations-und Aufmerksamkeitsstörungen, ein Teil der Patienten hat ausgebreitete körperliche Beschwerden und ein Teil der Patienten hat sehr starke Unruhe."
 
Das DSM-Klassifikationssystem soll daher offen und flexibel sein. Es beansprucht, Symptome so neutral wie möglich nach klaren Regeln zu erfassen. Jemand ist etwa dann depressiv, wenn er zwei Wochen lang mindestens fünf von neun möglichen Symptomen aufweist: zum Beispiel Stimmungsveränderung, Schlaflosigkeit, Konzentrations- und Denkstörungen, Gefühle der Wertlosigkeit und Suizidgedanken. Die Diagnose ist rein beschreibend, sie verzichtet darauf, nach den Ursachen zu fragen. Tatsächlich sind die genetischen und neurobiologischen Ursachen psychischer Krankheiten auch kaum bekannt.
 
Wenn Heribert Pinzek einem Patienten in seiner großräumigen Bonner Praxis gegenüber sitzt, hat natürlich auch er die Klassifikationsschemata im Hinterkopf. Aber selbst wenn er sie streng anwenden würde, erzählt er, würde das nicht genügen.
"Wir selber können mit diesen Schematas für die Krankenkassen schon arbeiten. Für unsere Gutachter, die dazu nötig sind, dass eben Psychotherapien bei den Krankenkassen dann auch genehmigt oder nicht genehmigt werden, kämen wir mit diesen deskriptiven Diagnoseschemata nicht weiter."
 
Ein psychotherapeutisch arbeitender Psychiater wie Heribert Pinzek muss über die Diagnose von Symptomen hinaus auch angeben, wie die zu behandelnde Störung entstanden ist. Und er will das das auch. Heribert Pinzek sucht in den therapeutischen Gesprächen nach der lebensgeschichtlichen Ursache, die hinter den Symptomen steht. Das braucht Zeit, Geduld und viel Vertrauen. [...]
 
Der Vorteil der DSM-Diagnosen, sagen ihre Befürworter, bestünde gerade darin, dass sie so neutral und nur beschreibend seien. Sie definieren nicht, wie der einzelne Psychiater die Störung zu erklären und zu therapieren hat. Sie seien reine Konstrukte, mit deren Hilfe Therapeuten auf unterschiedliche Weise drei Dinge zusammenbringen können: die Vielfalt und Wechselhaftigkeit der Symptome, die Lebensgeschichte und das subjektive Erleben der Betroffenen. Da Symptome so vieldeutig, individuell, unscharf und wandelbar sein können, meint dagegen Allen Frances, dürfe man eben auch nicht alles unter eine Störung zwängen wollen. Das DSM-5 weite das Reich der Störungen weiter aus und verstärke die Macht der Diagnosen über die facettenreiche Wirklichkeit. Das sei gefährlich, weil auch leichte Probleme erfasst würden. Zum Beispiel im Fall der Depression. [...]
 
"Bei der Depression fangen wir an, immer weiter zu spannen, was alles depressiv ist - wenn man in die Leitlinien guckt, steht bei leichten Depressionen "zuwarten". Wofür brauche ich dann eine Diagnose, wenn ich zuwarte? Bei mittleren Diagnosen weiß ich, dass Placebos dieselbe Wirkung haben wie Medikamente, wofür brauche ich dann eine Diagnose? Schwere Diagnosen reicht."
 
Ähnlich geht der Streit auch um andere Veränderungen in DSM-5. Die Kritiker monieren unter anderem, dass auch die Diagnose für ADHS ,die Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung’ auf Erwachsene ausgeweitet werden soll: "Hyperaktives Arbeiten" wird zur Störung. Oder sie beanstanden, dass jemand, der drei Monate lang einmal pro Woche eine Fressattacke hat, unter eine neue "Komafressstörung" fällt. Kinder, die häufig unerklärliche Wutanfälle bekommen, erhalten künftig die neue Diagnose "Gemütsregulationsstörung mit Verstimmung"
 
"Wutanfälle, die für die Kindheit typisch sind, werden so zu einer psychischen Krankheit erklärt. Auch wenn jemand im Alter vergesslich wird, bekommt er nun schon das Etikett "milde neurokognitive Störung" aufgeklebt."
 
Es gebe aber weder klare Tests und Kriterien für diese Störungen noch gute Therapien. Ähnliches gelte für Diagnosen in DSM-5, die das Horten und Hamstern, die prämenstruelle Verstimmung und weitere körperliche Störungen vorschnell pathologisierten. [...]
 
"Die wissenschaftliche Literatur sagt sehr klar, dass eine Schizophrenie aufgrund früher Risikosymptome nur zu 30 Prozent sicher vorhergesagt werden kann. Zwei Drittel aller Menschen mit solchen Risikosymptomen werden also niemals schizophren. Die Sache ist aber noch schlimmer: Wenn man von den guten Kliniken in die Praxen der Hausärzte und niedergelassenen Psychiater geht, dann werden die Zahlen noch viel schlechter. Schätzungsweise werden dann nur 10 Prozent aller Risikopatienten richtig eingeschätzt. 90 Prozent der Betroffenen werden also vermutlich als potenzielle Psychotiker stigmatisiert. Sie leben in Angst vor einer Störung, die sie nie haben werden. Und das Allerschlimmste ist, dass sie starke antipsychotische Medikamente erhalten, die sie nicht brauchen."
 
Vor allem die Pharmaindustrie sorge dafür, meint Allen Frances, dass Menschen mit Risikosymptomen Medikamente verschrieben bekämen. Vor allem hätte sie riesigen Einfluss auf die Hausärzte, zu denen solche Risikopatienten meist zuerst kommen. Schon heute würden 50 Prozent der psychiatrischen Medikamente im Wert von 18 Billionen Dollar in den USA alljährlich von Hausärzten verschrieben. [...]
 
Peter Falkai vom Münchner Psychatrieklinikum gesteht zwar zu, dass leichte Störungen von selbst oder auf Grund positiver sozialer Umstände vergehen können. Er sieht auch das Problem, dass Menschen falsche Prognosen erhalten können. [...]
 
Thomas Brock vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf verweist wie Allen Frances jedoch auf den ganz normalen Psychiatriealltag.
 
"Diese Vorstellung, wir gehen dann nicht mit Medikamenten dran, sondern machen das mit anderen Methoden, das ist wieder diese Naivität, die jenseits der psychiatrischen Wirklichkeit in Deutschland ist, das gilt für erwachsene Psychosen auch: tatsächlich werden sie aber mehr oder weniger singulär mit Neuroleptika behandelt, und es gibt ganz wenige stationäre psychotherapeutische Möglichkeiten, das ist fast exklusiv, dass sie bei einem Psychotherapeuten jemand mit Psychosen hinkriegen, weil der sich mit Burnout lieber beschäftigt und weil die Zulassungsbedingungen falsch gestellt sind. Das ist die Wirklichkeit, und es ist naiv, zu sagen "Wir wollen es aber ganz breit". Wenn das so definiert wird, dann öffnet das die Türen für Neuroleptikabehandlungen, und das wird mehr oder weniger ausschließlich passieren mit all den Nebenwirkungen, die da dran hängen."
 
"Ein großes Problem ist, dass diese Selbstwirksamkeit von Diagnosen nicht unterschätzt werden darf. Das hat noch einmal seinen ganz eigenen Krankheitswert, einen ganz eigenen Störungswert für sein Leben und ist gegenüber dem, was die Krankheit selber zum Teil für eine Person bedeutet, nicht zu unterschätzen."
Der Chef von Arno Neuhaus im Solinger Trägerverein für Sozialpsychiatrie, Martin Vedder, hat viele Erfahrungen mit Menschen gemacht, die mit den verschiedensten Diagnosen zu ihm kamen.
 
Es waren nicht immer die besten. Deshalb ist er besonders vorsichtig, wenn es um frühe und milde Diagnosen geht. Natürlich sei Prävention wichtig, sagt er, aber es komme eben stark auf die Umstände an.
 
"Ich sehe das Problem, dass wenn jemand sehr früh eine Diagnose bekommt, dann fühlt er sich sehr früh darauf festgelegt. Und ich glaube ehrlich gesagt nicht daran, dass mehr als die Hälfte der arbeitenden Psychiater sich dann Zeit nimmt, daraufhin genau danach zu gucken "Wie können wir ihm therapeutisch helfen?", sondern die Erwartung der Familie, dass jetzt Hilfe kommen möge, so beantworten wird, dass er Medikamente gibt. Und die Auswirkung von Medikamenten auf das Leben ist oft eines, was das Leben verlangsamt, was das Leben behindert, was die eigenen kognitiven Fälligkeiten behindert Diese Wirkungen sind gegenüber der Erkrankung überhaupt nicht zu vernachlässigen, die haben in der Regel nach meiner Erfahrung, was die Ressourcen dieses Menschen anbelangt, eine viel größere Auswirkung als die Erstsymptome einer Erkrankung selber."
 
"Also die Ressourcen in der Psychiatrie und der sozialpsychiatrischen Versorgung sind begrenzt."
 
Thomas Bocks Alternative lautet
 
"Also ich würde eher noch weiter gehen und sagen: Prävention im Sinne von Bemühen um seelische Gesundheit und die Stärkung von resilienten Kräften ist selbstverständlich sinnvoll und nötig, ist aber keine urmedizinische Aufgabe. Dafür brauche ich keine Diagnose, dafür brauche ich keine Prodromalphase. Natürlich kommen Menschen in Krisen, gerade in diesem Alter, natürlich nehme ich auch wahr, dass bestimmte Schülerinnen und Schüler in Konflikten festhängen, und im Teufelskreis drin hängen und dann ist es sinnvoll, Programme zu haben, Hilfsmöglichkeiten zu haben, gute Lehrer zu haben, die das Thema thematisieren um präventiv zu wirken, aber ich sehe wenig Heil darin, das alles zur Aufgabe der Medizin zu erklären." "
 
Zitiert aus oben stehendem Manuskript "Störungswahn" des Deutschlandfunk; farbliche Hervorhebungen habe ich vorgenommen.
Dass sich Umweltfaktoren (gut) verändern lassen, wie es im Artikel heißt, können viele leidende Menschen in "prekären" Verhältnissen (siehe bspw. materielle Armut, Ausgrenzung, Repression ...) sicher nicht bestätigen, ihnen bleibt kaum bis keine Möglichkeit zu Selbstwirksamkeit.
 
"[...] Sie stellten fest, dass verschiedene Erkrankungen wie Schizophrenie, bipolare Störung oder Depression ihre Spuren in den gleichen Hirnregionen hinterließen. Schaut man sich das Gehirn eines Betroffenen an, kann man also schon sagen, dass er an einer psychischen Störung leidet. Unklar bleibt aber, an welcher.
 
Selbst wenn man im Gehirn auf scheinbar markante Auffälligkeiten stößt, ist lange nicht klar, ob diese der Ursprung der Erkrankung sind. »Psychische Störungen sind keine Hirnerkrankungen«, sagt Herta Flor. Sie ist wissenschaftliche Direktorin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Bei einer neurologischen Störung wie einem Schlaganfall sei eine eindeutige Schädigung im Gehirn schuld. Nicht so bei psychischen Störungen: »Wenn ich auf einem MRT-Bild Hirnveränderungen sehe, heißt das nicht, dass diese die Ursache für eine psychische Störung sind.« Es könne sein, dass die neuronalen Veränderungen lediglich die Begleiterscheinungen einer Störung sind. Wenn jemand auf Grund von Überforderung in der Familie und im Beruf eine Depression entwickelt, wird sich das mit der Zeit im Gehirn niederschlagen. Keineswegs sind die biologischen Veränderungen allerdings die Ursache der Depression.
Die entscheidende Frage ist demnach: Sind die Auffälligkeiten in den grauen Zellen schon vorhanden, bevor die seelische Störung auftritt? Das wäre ein Indiz dafür, dass sie die Ursache sind.
 
Hippocampus hilft bei Rätselsuche
Um dieses Rätsel zu lösen, können Daten zum Hippocampus weiterhelfen. Dieser Teil des Gehirns ist für das Langzeitgedächtnis wichtig. Schon seit den 1990er Jahren ist bekannt, dass Patienten mit schweren Depressionen oft einen kleineren Hippocampus haben. Schrumpft der Hippocampus also wegen der Depression, oder bekommt man eine Depression eher, wenn der Hippocampus klein ist? Diese Frage stellte ein 60-köpfiges internationales Forschungsteam in einer Veröffentlichung, die 2016 erschien. Geleitet wurde die Forschung von der Neurowissenschaftlerin Lianne Schmaal, die am VU University Medical Center in Amsterdam arbeitet. Die Wissenschaftler führten eine groß angelegte Metaanalyse durch, für die sie MRT-Bilder von mehr als 1700 Patienten mit Depression durchforsteten. Diese verglichen sie mit den Daten von knapp 7200 gesunden Personen.
Schmaal und ihre Mitstreiter stellten fest, dass der Hippocampus bei Patienten mit wiederkehrender Depression am stärksten schrumpfte. Nach einer ersten depressiven Episode konnten die Forscher bei Patienten hingegen nicht nachweisen, dass sich der Hippocampus verkleinert hatte. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass der schrumpfende Hippocampus die Folge – und nicht die Ursache – der Depression ist. Das könnte am Stress liegen, unter dem viele Depressive leiden.
 
Ganz geklärt ist das Phänomen um den schrumpfenden Hippocampus noch nicht. Um die Frage nach Folge oder Ursache abschließend zu beantworten, müsse man Langzeituntersuchungen durchführen, so der Psychiater Henrik Walter. Er arbeitet an der Berliner Charité und war an der Metastudie beteiligt. Er glaubt, dass man hier Unterschiede finden wird. Es komme sowohl auf die jeweilige Störung an als auch darauf, wie stark Umweltfaktoren oder die Genetik eine Rolle spielen. Depressionen seien etwa in sich schon äußerst verschieden. »Ich würde schwere Depressionen, die ohne äußere Anlässe auftreten, eher in Richtung Hirnerkrankung einordnen«, sagt Walter. »Verstimmungen, die durch äußere Faktoren wie Stress bedingt sind, eher nicht.« [...]
 
Ob psychische Erkrankungen biologisch bedingt sind oder von Umweltfaktoren abhängen, ist nicht nur von akademischem Interesse. Es ist auch entscheidend für die Behandlung. »Wenn man psychische Störungen lediglich als biologische Hirnerkrankung betrachtet, besteht durchaus die Gefahr, die Behandlung einseitig an Medikamenten auszurichten«, sagt Herta Flor. [...]"
 
Quelle: spektrum.de - "Ist das Gehirn krank, wenn die Seele leidet?"
 
Diese reduktionistische, folglich hochgradig manipulative Darstellung - siehe tagesschau-Kurzvideo zu den Symptomen von Depression: "Wie erkenne ich eine Depression", aktuell leider nicht mehr verfügbar) - wäre zum Lachen, wäre es nicht so widerwärtig.
 
Es werden Menschen zunehmend pathologisiert - seien es Trauernde (nach Verlust durch Trennung oder Tod eines nahestehenden Menschen), Kinder (siehe AD(H)S-Diagnosen u.a.), Schwangere und Gebärende (siehe, wie Schwangerschaft überwacht wird, wer alles aus welchen Gründen als "Risikoschwangere" gilt, siehe die Technisierung von Geburten in Krankenhäusern, die Zunahme von Kaiserschnitten etc.) und eben ganz besonders auch all jene Menschen, die auf massiv belastende Lebensumstände bzw. gesellschaftliche (und politisch gemachte, gewollte) Strukturen und Missstände tatsächlich völlig "normal", d.h. menschlich reagieren - mit Aggression bis hin zur Gewalt (siehe dazu Joachim Bauers großartiges Buch "Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt") und/oder mit Traurigkeit, Rückzug, Abwehr, Ängsten (!), "Unruhe, Nervosität", Reizbarkeit, Verzweiflung, Resignation, Sucht oder anderen Kompensationsversuchen, bis hin zu Amoklauf und Selbstaufgabe, zum Suizid.
 
Es fängt in der Tat häufig bereits in der "je individuellen" Kindheit an, wer wie stark ausgeprägtes Selbstwertgefühl entwickeln k a n n, wie ausgeprägte Resilienz jemand "hat", wie starke oder schwache Zuversicht, Vertrauen in die Welt (und eben dafür vor allem vorausgehend: in sich selbst) jemand ausbilden konnte oder eben dies gerade - aus Gründen - nicht.
 
Und es spielt im weiteren Lebensverlauf genau das die ausschlaggebende Rolle: Womit werden Menschen (auf Basis also ihrer Grundausstattung durch genetische Anlage und Prägung, Sozialisation ...) dann im weiteren Lebensverlauf auf welche Weise wie intensiv, langandauernd oder wiederholt "konfrontiert" - auch also belastet und eben "sogar" beschädigt. Was sind die Auslöser hierfür?
Sind sie tatsächlich stets nur beim je Einzelnen und in seiner "individuellen", persönlichen Biographie zu suchen - bzw. zu finden (weil dies bequemer und lukrativer ist)? Oder wird nicht viel mehr umgekehrt ein Schuh daraus - und war dies nicht schon immer so:
 
Dass die meisten psychischen "Störungen", Erkrankungen Resultat dessen sind, das Menschen bereits in ihrer Kindheit erleiden mussten, was dies dann zur Folge für ihre eigenen Verhaltensweisen und Einstellungen (Menschen-, Welt-, Selbstbild!) hat(te), siehe bspw., dass Schwarze Pädagogik "früher" als gut, als richtig galt und was für Menschen sie hervorgebracht hat ..., und was zusätzlich dann im Lebensverlauf an Belastungen auf sie einwirkte, wie wenig Selbstbestimmtheit und Selbstwirksamkeit Menschen oft haben können/dürfen. Siehe bspw. im Grunde alle weltweit von materieller Armut betroffenen, beschädigten Menschen, gerade auch dadurch lebenslang geprägt werdende Kinder, siehe all die Menschen, die in repressiven bis diktatorischen Gesellschaften existieren müssen - siehe dazu nicht nur politische Hintergründe, Gegebenheiten, sondern auch den noch immer indoktrinierenden, ideologischen, häufig gewaltgeprägten bzw. Gewalt generierenden Einfluss von patriarchalischen Religionen. Man besehe sich nicht nur die Unterdrückung von Frauen in muslimisch geprägten Ländern, sondern auch, was in katholisch geprägten Ländern Südamerikas mit Frauen "passiert" oder auch in China oder auch in Indien ... .
 
Es kommt kein Mensch "psychisch krank" zur Welt. Kein Mensch wird "böse, schlecht", als Täter, als Mörder, als Terrorist ... geboren.
 
ABER: Pathologisierung ist eine einträgliche und bequeme Sache: Die Pharmaindustrie verdient daran, Mediziner und diverse (andere) Therapeuten verdienen daran und es gibt damit überdies immer eine unglaublich bequeme Ausrede, einen "Grund", auf den man die gesellschaftlichen, die politischen Missstände schieben kann: auf den je Einzelnen bzw. seine "Krankheit".
Und so kann man Menschen indoktrinieren, manipulieren, mentizidieren, instrumentalisieren und ausbeuten.
 
Wir wissen inzwischen bspw., dass Anti-Depressiva nicht aufgrund ihrer "Wirkstoffe" helfen (können - oder oft auch nicht), sondern dies auf dem Placebo-Effekt beruht.
Ja, "wer heilt, hat Recht", aber fragwürdig ist das Wie - denn die Leute werden im Grunde nicht geheilt, sondern erhalten lediglich eine Symptombehandlung - wie es in der Schulmedizin üblich ist und Heilung (insbesondere chronischer Erkrankungen) schulmedizinisch tatsächlich zumeist gerade nicht erreicht wird - werden kann.
 
Denn Heilung kann nur ganzheitlich erfolgen - und das bedeutet gerade nicht "nur" "Körper, Seele, Geist", sondern gerade auch das Lebensumfeld, in dem ein Mensch sich bewegt - oder eben nicht bewegen, entfalten kann/darf, das Lebensumfeld, in das er gestellt, geworfen ist, das auf ihn einwirkt - und das ihn also auch massiv schädigen kann.
 
Ich meine: Heilung kann nur bedeuten, die krankmachenden Ursachen zu beheben - generell. Nicht ausschließlich oder überwiegend nur Symptome zu "behandeln".
 
Und ja: Immer dann, wenn Ursachen weitflächig wirksam und fest verankert, zementiert sind, sich gesellschaftliche Gegebenheiten aufgrund politischer Verhältnisse also nicht zeitnah (auf "den Kranken" zuträgliche Weise) verändern lassen, sich gesellschaftliche und politische "Missstände" nicht direkt und zeitnah verändern, beheben lassen, immer dann findet die bequeme Pathologisierung und/oder auch Diskreditierung von Individuen statt - und gerne also auch von vielen Individuen. - Man (Politik, Machthabende) wendet sich absichtlich nicht d i e s e n Krankheiten auslösenden Ursachen in gebotener Weise zu und versucht sie zu beheben, weil "man" davon profitiert.
 
Siehe Kapitalismus, Neoliberalismus und seine globalen, zerstörerischen bis tödlichen Folgen - durch Ressourcenraub, Landraub, Patentierung von Nahrungsmitteln, GVO (siehe vor allem Saatgut, das nicht mehr genutzt werden darf, siehe die Macht multinationaler Konzerne), Umweltzerstörung, Klimawandel, "unfaire" Handelsabkommen, Rohstoffkriege, Stellvertreterkriege, in Folge noch mehr Beschädigung, materielle Armut/Elend, "soziale" Ungerechtigkeit, in Folge noch mehr Aggression und Gewalt (weil Menschen ihre Lebensgrundlage entzogen und/oder sie zerstört, verseucht ... wird - siehe Erdölpipelines, Grundwasser- und Bodenvergiftung ... - und sie sich nicht dagegen wehren, sie dies nicht verhindern k ö n n e n/dürfen, sondern dann selbst gewaltsam misshandelt und auch getötet werden).
 
D a s ist krank. Immer wieder. Immer noch.
 
Was ist eine "psychische Störung" - wann (siehe in welcher Epoche) gilt was als "psychische Störung" bzw. Erkankung, auf welcher wissenschaftlichen (?), ausschließlich "medizinischen" (?) Definitionsbasis?
Wer legt das also auf welcher Basis fest - für wie lange? Siehe Falsifizierbarkeit als erforderliches Kriterium für Wissenschaftlichkeit.
Warum gelten die Übergänge zwischen "eigenartig" und "psychisch gestört" zumeist als fließend?

Warum kann auch der Leidensdruck alleine nicht als Kriterium für das Vorhandensein einer "psychischen Erkrankung" herhalten? Weil der Leidensdruck bspw. auch bei Trauer sehr ausgeprägt und "mitunter" langanhaltend sein wird/kann/ist.

Vielleicht sollte man "psychische Erkrankungen" und ihr Diagnostiziertwerden grundsätzlich unter Einbeziehung von Soziologie, Philosophie, Anthropologie und auch (Kultur-) Geschichte betrachten.

Und sich insbesondere ihren Entstehungsursachen und -einflussfaktoren zuwenden. Außerdem: ihrer Prävention.

Welche psychische Erkrankung ist "angeboren"?
 
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"[...] Und wir sehen da auch eine Gefahr, dass eben an der Stelle überdiagnostiziert wird und dass normales menschliches Empfinden, Befindlichkeitsstörung dann zu schnell gelabelt wird.
 
von Billerbeck: Und das heißt, dass die Leute, die wirklich Hilfe brauchen, dann die Hilfe nicht mehr bekommen?
Hauth: Das ist ein wichtiges Thema, ja. Dass zum Teil auch die Psychotherapieplätze besetzt sind von Menschen, die ja vielleicht auch in früherer Zeit das mithilfe von Freunden, von Familie geschafft hätten. Aber das sind natürlich auch Dinge, die heute oft nicht mehr vorhanden sind bei unserem Singleleben.
 
von Billerbeck: Und das muss die Psychotherapie dann ausgleichen?
Hauth: Wenn man das kritisch sieht, ist das sicher in manchen Fällen so, ja. [...]
 
Hauth: Eine generelle, universelle Prävention gibt es eigentlich wenig, gibt es wenig Studien drüber außer den Dingen, die man sowieso weiß: genügend schlafen, dreimal in der Woche Sport machen, möglichst nicht rauchen, gute Live-Work-Balance mit auch Freizeit zu haben. Aber es gibt da nichts, was man generell sagen kann außer eben gesund leben im Allgemeinen. Aber es ist natürlich so, dass, wenn, sagen wir mal, erste Befindlichkeitsstörungen auftreten, also zum Beispiel längere Zeit Schlaflosigkeit da ist, Konzentrationsstörungen auftreten, die Stimmung über längere Zeit schlecht ist, oder wenn so ansatzweise Veränderung im Befinden da ist, dann sollte man natürlich gezielter Prävention machen mit entsprechenden Achtsamkeitsübungen, mit Entspannungsübungen, also sich auch beraten lassen. Es gibt ja da auch eine ganze Menge an Beratung mittlerweile, Zeitcoaching, solche Dinge zu tun, um da achtsamer mit sich und seiner Psyche umzugehen. Und wenn dann wirklich längere Zeit solche Störungen wie Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Antriebsstörungen, depressive sind, dann sollte man auch rechtzeitig sich Hilfe holen. Die muss dann manchmal gar nicht so ausgedehnt sein, aber bevor dann eine echte psychische Erkrankung entsteht.
 
von Billerbeck: Nun haben Sie es vorhin auch schon in so einem Nebensatz erwähnt, dass wir ja alle in einem Arbeitsumfeld tätig sind, das sehr stressig ist. Wir sind vielen Medien ausgesetzt, müssen also multitaskingfähig sein, machen viele Dinge parallel. Was kann man denn tun, um sich dem ein bisschen zu entziehen in der modernen Welt. Das werden Sie ja mit vielen Patienten auch erleben?
Hauth: Das ist ja das Thema Burnout, was auch jetzt immer durch alle Medien geht. Sicher ist wichtig, dort für sich selber einen Rhythmus zu finden, also einen Rhythmus zwischen Anspannung, Arbeit, was Spannendes tun, aber auch Entspannung. Das Wort "Muße" ist ja heute sehr unmodern geworden, aber solche Zeiten der Muße sich auch in den Alltag einzutakten, Zeiten, wo man eben nichts tut, wo man einfach entspannt - viele machen ja auch in der Freizeit dann noch Thema und entsprechend viele Termine. Und es ist auch sicher wichtig, darauf zu achten, dass man genügend soziale Kontakte hat, dass man Freunde hat, dass man im Austausch ist, dass man emotional auch irgendwo angebunden ist und sich wohlfühlt. Und letztlich natürlich auch Sinngebung. Dass man in seinem Privatleben, aber auch im Beruf das Gefühl hat: Das, was ich tue, ist richtig für mich, und ich tu das gerne und das gibt meinem Leben auch Sinn. [...]"
 
Quelle: deutschlandradiokultur.de - "Universelle Prävention gibt es eigentlich wenig"
 
PRÄVENTION ist erst und nur dann möglich, wenn unsere gesellschaftlichen, somit politischen Verhältnisse und Strukturen sich ändern (lassen) - hin zu Mitgefühl, Kooperation, Verantwortung, Gewissenhaftigkeit, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, Altruismus, Reflektiertheit, Besonnenheit - Bindung und Beziehung - und das: von klein auf, also gerade nicht immer frühere Fremdbetreuung, immer intensiveres Fremdbestimmtsein durch Konsum und sinnlose, nicht existenzsichernde "Arbeit", d.h. Erwerbstätigkeit und einhergehend immer ausgeprägtere Kompensationsbedürfnisse - siehe Machtstreben, Unterdrückung, Ausgrenzung, Feindbilder, Sucht (Substanzabhängigkeit ...), Narzissmus, Depression ... .
 
Das globale, kapitalistische System befördert jedoch all das, hat es zur Voraussetzung, "lebt" davon, kann nur auf dieser Basis funktionieren - und lässt gerade nicht Bindung, Beziehung, soziale Gerechtigkeit, Mitgefühl, Kooperation, Nachhaltigkeit zu - oder nur sehr eingeschränkt und in kleinen Bereichen.
 
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"[...] Wenn die Suizide abnehmen, kann das schlicht an besseren Behandlungsmöglichkeiten liegen und entlastet nicht die wirtschaftlichen Verhältnisse. Für eine Gegenprobe sollten die Autoren neueste Zahlen aus Griechenland betrachten ("Es ist kein Geheimnis, dass aufgrund der Krise längst Menschen sterben").
Abseits solcher wissenschaftstheoretischer Scharmützel über Korrelation und Kausalität begehen Dornes und Altmeyer aber einen schwerwiegenden logischen Fehler: Sie scheren viele verschiedene Bedeutung des Begriffs "Depression" über einen Kamm und bringen diese so in einen Zusammenhang, dass sie zu ihrer verneinenden Antwort kommen. [...]
 
Der Autoren-Irrtum besteht in der Annahme, es gäbe so etwas wie eine "echte" Depression und unterschiedliche, mehr oder weniger zutreffende Weisen, ihr Auftreten zu messen. Selbst hartgesottene Biopsychiater leugnen aber nicht, dass die Kriterien psychischer Störungen von Fachleuten am Konferenztisch festgelegt werden und sich auch im regelmäßigen Abstand von zehn bis zwanzig Jahren verändern. Diese Änderungen werden in medizinischen Handbüchern wie dem amerikanischen DSM oder dem internationalen ICD kodifiziert und beeinflussen medizinische Forschung wie Praxis.
Epidemiologen, deren Forschung Dornes und Altmeyer als Belege anführen, verwenden aber eigene Kriterien und Methoden, Stichwort Forschungsfreiheit. Wenn diese keine Zunahme psychischer Störungen feststellen, dann heißt dies aber nicht zwingend, dass es keine Zunahme gibt. Allein die Tatsache, dass Emil Kraepelin, Vorreiter der heutigen wissenschaftlichen Psychiatrie, einst zwei Störungen für hinreichend hielt, die neueste Auflage des DSM aber schon 400 unterscheidet, sollte einen zur Vorsicht mahnen. Die Häufigkeit nur einer psychischen Erkrankung auf die Entwicklung des Kapitalismus zu beziehen ist dann so aussagekräftig, wie die Inflation am Preis nur eines einzigen Produkts festzumachen. [...]
 
Denn selbst wenn die Häufigkeit bestimmter psychischer Symptome in Europa noch so gut gezählt wird, gibt dies wenig Aufschluss über die klinische Signifikanz im Einzelfall. Die Feststellung dieser Epidemiologen, jährlich würden ca. 40 Prozent der europäischen Bevölkerung mindestens einmal an einer psychischer Störung leiden - und dies wohlgemerkt nur auf Grundlage der Untersuchung von 27 der 400 nun schon unterschiedenen Störungen! -, sollte einem zu denken geben.1
Denn offensichtlich kommen ganz viele dieser als psychisch krank gezählten Menschen auch ganz gut ohne medikamentöse oder psychotherapeutische Hilfe zurecht. Deshalb sollte man aber nicht übersehen, dass es umgekehrt Menschen gibt, die von solcher Hilfe deutlich profitieren würden, sie aber aus verschiedensten Gründen nicht in Anspruch nehmen (können). [...]
 
Allerdings widersprechen Teile der von Dornes und Altmeyer zitierten epidemiologischen Studien sogar ihrer Erklärung. So hat sich nämlich das altersabhängige Muster der Häufigkeit bei Gefühlsstörungen einschließlich Depressionen zwischen den großen Erhebungen in Deutschland von 1998 und 2013 umgekehrt: Während damals die Befragten im höheren Alter häufiger betroffen waren, fanden die Forscher bei der neueren Untersuchung in der Altersgruppe 18 bis 29 Jahre mit 10 Prozent eine höheres Aufkommen depressiver Symptomatik als in allen anderen Altersgruppen (6 bis 8 Prozent).2
Diese Unterschiede könnten sehr wohl durch zunehmende Zukunftsunsicherheit oder Leistungsdruck bedingt sein. In dieselbe Richtung weisen Befunde der Techniker-Krankenkasse, die allein für die Jahre 2006 bis 2010, also parallel zur Einführung des Bachelor-Master-Systems, fast eine Verdopplung der verschriebenen Antidepressiva für Studierende und gleichaltrige Nicht-Studierende dokumentieren. Dabei bekommen die Studierenden insgesamt wesentlich mehr Antidepressiva verschrieben. [...]
 
Jenseits der zum Scheitern verurteilten Suche nach der "echten" Depression gibt es jedoch aussagekräftige Gesundheitsdaten, die sich mit Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen interpretieren lassen. So sind die Zahlen diagnostizierter psychischer Störungen und verschriebener psychopharmakologischer Medikamente insgesamt in den letzten Jahrzehnten angestiegen. Da es sich dabei um sozial institutionalisierte Akte handelt - ein Arzt oder Psychologe diagnostiziert und behandelt im Rahmen des vorhandenen Abrechnungssystems -, lassen sich diese auch vergleichsweise leicht zählen.
 
Unter dem Stichwort "versorgungsbedingte Verzerrungen" diskutieren Dornes und Altmeyer den Effekt, dass sich in wohlhabenden Städten wie Würzburg mehr Gesundheitsdienstleister niederlassen und dort auch mehr psychische Störungen diagnostiziert werden. Mit der Einführung des marktwirtschaftlichen Modells für das Gesundheitssystem wurden sogar öffentlich-rechtliche Universitätskliniken zu profitorientierten Unternehmen gemacht. Dass diese anschließend die Anzahl ihrer "Kunden" erhöhen wollen oder gar müssen, überrascht nicht. Denn nur mit Kunden kann man Gesundheitsleistungen abrechnen.
Wie man diese Zunahme auch interpretiert, ein soziales Faktum ist, dass sich stets mehr Menschen eine psychologisch-psychiatrische Behandlung angedeihen lassen beziehungsweise dies ihren Kindern auferlegen. Ein Erklärungsansatz hierfür, den die Autoren nicht miteinbeziehen, ist die voranschreitende Medikalisierung und Pharmakologisierung von Lebensproblemen. [...]
 
Ähnliches lässt sich für Angst oder Störungen des Sexuallebens nachweisen. Transhumanisten wie Aubrey de Grey wollen sogar das Altern schlechthin zu einer behandelbaren Erkrankung umdefinieren: Dadurch würde jeder Mensch unausweichlich zum chronischen Dauerpatienten. Durch die Ausdehnung des medizinischen Bereichs auf immer weitere Felder, verdienen eine ganze Reihe von Spezialisten sehr gut mit und es ist sogar dem Bruttoinlandsprodukt zuträglich.
Anstatt nach der "echten" Depression zu fahnden oder sich das epidemiologische Plazet abzuholen, hätten Dornes und Altmeyer einige harte Gesundheitsdaten in Betracht ziehen können, die aus der von ihnen konstatierten Periode der Ausbreitung des Kapitalismus fallen. So ist weithin bekannt, dass die Anzahl verschriebener Antidepressiva oder Medikamente zur Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen seit den 1980er Jahren explodiert ist. [...]
 
Warum so viele Menschen heutzutage auf dieser allgemein auch "Stimulanzien" genannten Mittel angewiesen sind, ist ein soziales Phänomen, das einer Erklärung bedarf. In den USA kam es trotz der drastisch erhöhten Produktionsmenge wiederholt zu Engpässen. Für diejenigen, die die Substanzen nicht nur zum Durchhalten brauchen, sondern sogar körperlich abhängig sind, sind die Folgen nicht einlösbarer Rezepte dramatisch. Wohl deshalb packte die US-Regierung von 2012 auf 2013 noch einmal 32 Tonnen MPH (+ 50 Prozent) und 14 Tonnen AMPH (+ 41 Prozent) drauf.
 
Manche Experten versuchen, die steigenden Verschreibungszahlen auf einen Durchbruch in der Wissenschaft, also der Pharmakologie oder weit gefasst den Neurowissenschaften, zurückzuführen. Diese Erklärung überzeugt jedoch nicht: AMPH ist seit über 100 Jahren bekannt und wird spätestens seit den 1930er Jahren zur Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern (und zur Leistungsoptimierung von Soldaten) eingesetzt, das pharmakologisch ähnliche MPH wurde schon in den 1940er Jahren entdeckt.
 
Pillen zur Leistungsoptimierung…
Zudem haben Medizinanthropologen wie Nicolas Rasmussen von der australischen University of New South Wales festgestellt, dass der heutigen Stimulanzienepidemie bereits eine in den USA der 1950er und 1960er Jahre vorausging.3 Die Substanzen wurden damals offensiv als Mittel zur Leistungssteigerung am Arbeitsplatz und im Haushalt beworben und auch dafür verschrieben, dass Menschen ihre sozialen Rollen erfüllen. Das Verschreibungsniveau von AMPH für das Jahr 1969 wurde, zählt man nun MPH und AMPH zusammen, 2005 wieder überschritten. [...]
 
Darin äußert sich auch eine Doppelmoral der Gesellschaft im Umgang mit Drogen: Konsumieren junge Menschen AMPH - Szenename: Speed - als Spaßdroge, dann kommt die Polizei; neben Geldstrafe und Sozialarbeit drohen Führerscheinentzug, psychiatrische Zwangsbehandlung und/oder Inhaftierung. Verschreiben Ärzte Stimulanzien zum besseren Funktionieren in Schule oder am Arbeitsplatz, dann wird dies "Therapie" genannt. Auch viele Medizin- und Neuroethiker, die auf staatliche oder privatwirtschaftliche Forschungsmittel angewiesen sind, schauen dann weg.
 
…und moralischen Erziehung
Ein einflussreiches Beratergremium des US-Präsidenten legte 2003 in einem öffentlichen Bericht nahe, dass die Mittel Kindern zur Leistungssteigerung, für bessere Chancen im Wettbewerb und zur moralischen Erziehung verschrieben werden: Es gehe darum, sich zu Hause und in der Schule, in Reaktion auf Autorität und im Umgang mit Familien und Freunden sozial angemessen zu verhalten; Stimulanzien für mehr Rücksicht, Aufmerksamkeit, die Ausführung von Aufträgen, das Übernehmen von Verantwortung, den Umgang mit Stress und Enttäuschung sowie das Einüben von Selbstkontrolle.4 Webers protestantischer "Geist des Kapitalismus" lässt grüßen.
Wissenschaftler liefern Klinikern die passende Rechtfertigung für die Verschreibungspraxis: Die Kinder hätten eben eine Gehirnstörung. In den 1960er Jahren nannte man es noch Minimal Brain Disorder (MBD), heute nennt man es Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Der (Trug-) Schluss ist, dass Kinder, die sich nicht so verhalten, wie die Erwachsenen es für normal halten, auch nicht richtig im Gehirn "ticken".
 
Wissenschaftler rechtfertigen Hirneingriffe
Damals wie heute suchen deshalb zahlreiche Pharmakologen und Hirnforscher nach dem biologischen Korrelat dieser Störung; vergebens. Damals wie heute diagnostizierte man die Gehirnstörung komischerweise nicht im Gehirn, sondern durch Gespräche und Verhaltensbeobachtung. Dennoch greift man ins Hirn ein, wo man freilich alles menschliche Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen kann.
 
Auch wenn man sich einen Zeh bricht, dann kann man den Schmerz im Fuß behandeln, wo er entsteht, oder im Gehirn, wo er bewusst wird. Kinder haben keine Chance, die Denkfehler der Erwachsenen, die es ja nur gut mit ihnen meinen, zu durchschauen. Für manche sind die Stimulanzien zweifellos eine wichtige Hilfe; andere bezahlen mit psychischen und physischen Nebenwirkungen, Folgen der Stigmatisierung, der Idee, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, und fehlender Erfahrung von Selbstwirksamkeit einen ungerechtfertigten Preis.
 
Elite-Studierende brauchen Motivationspillen
Scott Vrecko vom Londoner King's College führte mit Studierenden Interviews, die an einem Elite-College in den USA MPH konsumierten. Seine Analysen ergaben, dass die Studierenden damit vor allem Motivationsprobleme beheben und ihr Durchhaltevermögen verbessern wollten.5 Obwohl sie sich bereits in den harten Aufnahmeprüfungen als Top-Performer bewiesen hatten, schien ihnen ihr Studienstoff nicht interessant genug, um ihn ohne Stimulanzien zu bewältigen.
Dies sind anekdotische Befunde, die vorsichtig interpretiert werden müssen. Doch es gibt auch quantitativ erhobene repräsentative Zahlen, die Leistungsdruck und Wettbewerb mit dem Konsumverhalten psychopharmakologischer Substanzen in Zusammenhang bringen.6 Wie schon erwähnt, muss man sich davor hüten, aus Korrelationen vorschnell einen Kausalzusammenhang abzuleiten. Doch solche Daten liefern zumindest Indizien dafür, dass es Interaktionen zwischen Gesellschaftsform, psychischer Gesundheit und pharmakologischem Konsumverhalten gibt.
 
Soziale Verhältnisse können krank machen
Erhärtet sind die sozialen Mechanismen psychischer Störungen schon lange - und zwar durch empirische Daten. In jahrzehntelangen Bemühungen haben Sozial- und Verhaltensforscher zahlreiche Evidenzen dafür zusammengetragen, dass zum Beispiel die Gesundheitsversorgung, sozioökonomischer Status, Partnerschaftssituation, Kinder im Haushalt, Geschlecht, schwierige Lebensereignisse und Alter mit der psychischen Gesundheit zusammenhängen.7 Auch führende Biopsychiater anerkennen wieder zunehmend Umwelt- und kulturelle Einflüsse, beispielsweise der Schizophrenie oder Depression. [...]
 
Damit will ich nicht abstreiten, dass das vorherrschende Behandlungssystem Vorteile hat. Viele Kunden der Gesundheitsdienstleister sind dankbar dafür, sich beim Experten eine medizinische Entschuldigung für ihr Scheitern abholen zu können: Es ist nicht mein Fehler, ich bin bloß (gehirn-)krank! Durch den Konsum mancher psychopharmakologischer Mittel fühlt man sich einfach besser und macht gesellschaftliches Funktionieren wieder mehr Spaß.
Zudem freuen sich Biopsychiater über den milliardenschweren Geldsegen von Staat und Industrie zur Produktion in der Regel praktisch irrelevanter wissenschaftlicher Publikationen, etwa zur "molekularen Psychiatrie". Als Gegenleistung liefern sie eine Rechtfertigung für den Status quo und stabilisieren somit das vorherrschende System. Psychiatrie ist eben politisch.
 
Kritische Reflexion statt rosaroter Brille
Dennoch, Transparenz, Ehrlichkeit und Authentizität genießen in diesem System keinen hohen Stellenwert. [...]
 
Zusammenfassend lässt sich also feststellen: Die psychologische Unbedenklichkeitserklärung des Kapitalismus von Dornes und Altmeyer greift zu kurz. Im Gegenteil sind soziale, einschließlich wirtschaftliche Faktoren für die psychische Gesundheit gut belegt. Das Gesundheitssystem ist heute selbst als Markt organisiert und seine Akteure haben ein großes Interesse an der Ausdehnung ihrer Dienstleistungen; dazu passen steigende Diagnose-, Behandlungs- und Verschreibungszahlen.
 
Wissenschaftler verdienen eifrig mit und liefern eine inhaltliche Rechtfertigung für das System, vor allem durch die biologische/neurowissenschaftliche Sichtweise, obwohl trotz jahrzehntelanger Forschung keine einzige der 400 Störungen zuverlässig im Gehirn diagnostiziert werden kann. Das Individuum wird in Form von Aufmerksamkeit und/oder Psychopharmaka funktionstüchtig gehalten und erhält obendrein, durch das biologische Modell, eine Entschuldigung angeboten: Psychische Störungen sind dann nichts mehr, wofür irgendjemand verantwortlich gemacht werden müsste, sondern Naturereignisse, die uns überkommen. [...]"
 
Quelle: heise.de - "Kapitalismus und psychische Gesundheit"
 
Wir sollten in diesem Zusammenhang Folgendes nochmals explizit festhalten:
Emphase und/oder auch Impulsivität sind nicht generell, zwangsläufig oder für sich alleine genommen überhaupt etwaige Symptome für eine Borderline Persönlichkeitsstörung.
 
Festhalten sollten wir auch, dass die Suche nach Identität eine menschliche und im Grunde lebenslange ist, denn was genau meint wer mit "Ich" oder (seinem) Selbst? - Wer bin ich? Erkenne dich selbst. - Das kann und sollte man durchaus auch aus philosophischer Perspektive betrachten, statt die "Selbstfindung" und Persönlichkeitsentwicklung, Identitätsbildung, nur rein zu pathologisieren.

Gerade Selbstkritik, auch Selbstzweifel, das Hinterfragen eigener Einstellungen, Haltungen, Meinungen, eigenen Verhaltens, spielt eine unverzichtbare Rolle für Persönlichkeitsentwicklung.
Diese Reflexion findet häuifg jedoch gerade dann verstärkt statt, wenn Menschen schon fortgeschritteneren Alters sind, also bereits einige Lebenserfahrung(en) haben.
 
Und grundsätzlich sollte längst auch der Suizid nicht (mehr) unter rein medizinischem, psychiatrischen und/oder psychologischem, also pathologisierenden Blickwinkel betrachtet werden, sondern gerade unter philosophischem.
 
Anmerken sollten wir unbedingt auch, dass aggressives Reagieren normal menschliche Folge sein kann bzw. ist von intensivem und/oder langandauernden oder wiederholten Überschrittenwerden der je individuellen Schmerzgrenze - siehe dazu Joachim Bauers herausragendes Buch "Schmerzgrenze - Vom Umgang alltäglicher und globaler Gewalt".
 
Vor allem sollten wir uns vergegenwärtigen, dass es auch Situationen gibt, in denen Menschen emotional "unausgeglichen" sind, also sehr wütend, enttäuscht, traurig, verzweifelt, erschüttert - und das spüren sie durchaus sehr genau selbst, dass sie genau diese Gefühle "haben", erleben - auf Grund, als Folge von Geschehnissen, Widerfahrnissen bzw. Verhaltensweisen anderer Menschen, die massiv verletzend, auch erniedrigend, demütigend, entwertend, also beschädigend sind: physisch und/oder psychisch-emotional.
 
Und solche Situationen erleben bspw. solche Menschen, die erheblicher psychisch-emotionaler Gewalt in Beziehungen ausgesetzt sind, die bspw. Opfer von narzisstisch, antisozial persönlichkeitsgestörten Menschen wurden/werden/sind. Eben daher können dann gerade solche Gefühle oder Eindrücke rühren von "Ich hasse dich - Ich liebe dich".

Auch hier sollten wir unbedingt beachten, wie leicht leider so etwas auch einfach dahingesagt wird, ohne, dass Menschen sich wirklich bewusst sind bzw. (sich) selbst hinterfragen, ob sie tatsächlich lieben oder hassen und was genau sie unter "lieben" und/oder "hassen" überhaupt verstehen - und: was gesellschaftlich (Bücher, Filme, Musik, also "Kultur") diesbezüglich vermittelt, transportiert, auch propagiert wird ... . Siehe "romantische Liebe", Verliebtsein, die nicht mit Liebe(n) verwechselt werden sollten, leider jedoch genau in dieser Weise häufig gleichgesetzt, missverstanden werden.
Ebenfalls ist auch hier das Alter der Betroffenen zu berücksichtigen - somit ihre geistige Reife.
 
Was die "negativen Kindheitserlebnisse" anbelangt: Ja sicher: Die meisten, wenn nicht alle, psychischen Störungen, die Menschen im Lebensverlauf "entwickeln", gehen auf Kindheitserfahrungen zurück - und es können viele Störungen, psychische Erkrankungen (?) die Folge dessen, von Beschädigungen, die in der Kindheit erlitten wurden, sein - nicht nur oder generell "Borderline", sondern gerade auch bspw. Narzissmus oder auch Depression ... .
 
Dass gerade Jugendliche, Heranwachsende, Adoleszente mit sich (Persönlichkeitsentwicklung, Selbstfindung) und der Welt zurandezukommen, Schwierigkeiten haben, auch das hat sicher eine Menge damit zu tun, welche familiären, haltenden oder auch gerade nicht haltenden gesellschaftlichen Strukturen, gerade nicht nur rein persönlichen Verhältnisse vorhanden bzw. nicht vorhanden sind - siehe besonders Bindung, Beziehung, bedürfnisorienterter Umgang mit Säuglingen und Kindern, siehe mobbing in Schule und Beruf, siehe soziale Isolation durch materielle Armut, Ausgrenzung, durch auch physische Erkrankungen oder auch durch Mobilseinmüssen (häufige, erforderliche Umzüge ...), durch die Art, wie wir gerade in (größeren) Städten leben, siehe die vielen Single-Haushalte, Anonymität etc..
 
Und wie immer ist das generelle Problem, dass die Übergänge fließend sind - zwischen Eigenarten, Eigenheiten und "psychischer Störung, Erkrankung". Und wie immer sind bisher geltende Erkenntnisse bzw. Definitionen falsifizierbar.
 
Ja, wir kennen das bspw. auch von Depression, auch von AD(H)S ... .
 
Und übrigens (weil es in der Sendung vorkam): Nein, Trotz ist bei Kleinkindern keineswegs "normal" - muss überhaupt nicht vorkommen, hat jedoch wiederum eine Menge mit dem Umgang mit Kleinkindern zu tun - der häufig beobachtbar ein falscher, ein schädigender ist. Trotz all der zahlreichen Eltern- und Erziehungsratgeber, vielleicht auch wegen dieser. - Eigenes Thema, aber: Es muss der Schwerpunkt generell ja auf Prävention liegen. Damit diverse Störungen, Erkrankungen möglichst erst gar nicht entstehen.
 
Und wenn schon jeglicher intensive Sport eine Form von selbstverletzendem Verhalten darstellt (wie es so in der Sendung gegen Ende suggeriert wird - siehe, was ein Hörer äußerte) und ein Hinweis auf Borderline sein soll/kann, dann müssten sämtliche Leistungssportler eine solche Störung haben, insbesondere dann, wenn sie doping einsetzen. Und jeder Substanzabhängige (Drogensüchtige) müsste demnach auch als "borderlinegefährdet" gelten, da auch diese Menschen sich selbst verletzen.
 
Fazit: Es bleibt schwierig, mit der Definition und Diagnose diverser psychischer Störungen, Erkrankungen, aber es wird zunehmend alles Mögliche pathologisiert. Siehe: Auf welcher Grundlage bestimmt wer, was wann welche psychische Erkrankung, Störung (anhand welcher Symptome ...) ist - DSM ..., siehe den Einfluss der Pharmaindustrie etc., also Interessenkonflikte, zweifelhaft finanzierte Studien, eigenes berufliches Fortkommen als Motivation, fehlende Unabhängigkeit und Korruption also.
 
Unzweifelhaft gibt es verschiedene Arten des Fühlens, Denkens und Verhaltens, das Menschen selbst und auch ihr Umfeld belastet, die Frage ist nur: wie gehen wir damit um - und gehen wir durch Pathologisieren und der bisherigen Form des (lukrativen ;) ) Therapierens tatsächlich angemessen damit um? Oder beschädigen wir Menschen auf diese Weise manches Mal eher noch zusätzlich, etikettieren und stigmatisieren wir sie überdies - mit welchen Folgen gerade auch für ihr Selbstbild?
 
Oder anders gefragt:
Sollten wir nicht deutlich mehr Anstrengung und auch Mittel, Geld investieren in Prävention - siehe also den Umgang mit Kindern, siehe unsere gesellschaftlichen, politischen Strukturen, Verhältnisse, unsere Lebensweise: Druck, Stress, diverse Belastungen, siehe wirtschaftliche, berufliche Zwänge, dies auch bereits in Schulen - Leistungsideologie, Wettbewerb, Konkurrenz, Mangel an Mitgefühl, Herzens- und Charakterbildung.
 
-
Ein weiteres Mal frage ich mich:
 
Ob man mittels solcher Pathologisierung (siehe oben verlinkten "Spektrum"-Artikel über die Borderline-Persönlichkeitsstörung: "Borderline - ein emotionaler Ausnahmezustand") Menschen tatsächlich hilft - oder ob das Pferd nicht ein weiteres Mal von hinten aufgezäumt wird.
 
Zu den Borderline-Symptomen:
 
- Ab wann ist Gereiztheit Borderline - und nicht eben Gereiztsein, aufgrund bspw. phyischer schlechter Befindlichkeit (Schmerzen, Unwohlsein, Schlafmangel, starker Hunger etc.) oder in Folge eines kurz vorausgegangenen, negativen Erlebnisses oder grundsätzlich langanhaltender Belastung (durch belastende Lebensumstände bspw.)?

Auch kommt es bei Frauen durch hormonelles Ungleichgewicht ("PMS") je nach Zyklusphase zu u.a. Gereiztheit, auch Niedergeschlagenheit etc..
- Ab wann ist Impulsivität (die also "möglicherweise" eine genetische Komponente hat - siehe Wesen/Temperament/Naturell) Borderline - und nicht "einfach" also: Impulsivität/"Temperament" - siehe auch generell intensives Empfinden, Leidenschaftlichkeit, aber auch tiefes Mitfühlenkönnen, Feinfühligkeit ... ?
 
- Ab wann ist Suchtverhalten Borderline - und hat nicht möglicherweise ganz andere Ursachen - siehe Narzissmus, siehe Kompensationsbedürfnisse, siehe Depression, siehe wiederum Auslöser auch sehr belastende Lebensumstände/persönliche Widerfahrnisse (materielle Armut, damit einhergehende, gesellschaftliche Ausgrenzung, damit einhergehender Verlust des Selbstwertgefühls - oder auch Verlust durch Tod eines nahestehenden Menschen etc.)?

Anders: Wieviele Menschen verhalten sich heute - aus welchen Gründen ;) - "selbstschädigend" - durch Konsum(sucht), Substanzabhängigkeit (gerade Alkoholismus ist in unserer Gesellschaft sehr verbreitet) etc. - sind sie deshalb (!) letztlich möglicherweise alle "Borderliner"? ;)
 
- Verlustängste: Haben solche nicht die meisten Menschen? Anders gefragt: Wer möchte schon gerne von nahestehenden Menschen verlassen werden - wer sorgt sich nicht um nahestehende Menschen (hat also Verlustangst!), wenn diese sich bspw. in Gefahr befinden (Unfall, Krankheit ...)?
 
- Verändertes Verhalten in Stresssituationen: Wer ist unter Stress nicht "in seinem Verhalten verändert" - auch in seiner Wahrnehmung? Ist das nicht gerade wegen der Stressvorgänge (im Körper) "normal"/natürlich? - Ab wann ist dies ein Zeichen für eine Borderline-Störung - wodurch wird es zum Symptom für eine solche?
 
- Identitäts"schwierigkeiten": Wer kann von sich selbst genau sagen, wer er ist, was dies bedeutet, was er darunter versteht, wie er sich selbst definiert, was ihn als diese Person/Persönlichkeit spezifisch ausmacht, worin seine "Identität" also besteht? - Ist Identitätsfindung nicht letztlich ein lebenslanger Prozess, eben weil wir uns lebenslang verändern können und dies bspw. gerade durch Widerfahrnisse, Krisen besonders intensiv tun?

Anders: Sollte man sich gerade den Fragen nach der (eigenen) Identität statt auf pathologisierende Weise nicht stattdessen viel mehr philosophisch zu nähern versuchen, diese Fragen auf philosophische Weise ergründen ... ?
 
- Zwischenmenschliche Beziehungen sind sehr intensiv, aber auch instabil: Was genau ist damit gemeint? Ist es heute nicht "üblich", sich häufig und auch relativ schnell zu trennen, auch: scheiden zu lassen, siehe auch "serielle Monogamie", viele Singles ... ?
Sind all diese Menschen deshalb also "Borderliner"?
 
- Sollte gerade auch der Suizid nicht endlich enttabuisiert und entpathologisiert werden? Statt diesen stets ausschließlich als Ausdruck von psychsicher Krankheit zu interpretieren.

Auch der Suizid ist ein Phänomen, das sich keineswegs nur rein pathologisierend ergründen lässt - sondern wiederum gerade philosophisch - siehe selbstbestimmter, würdevoller Tod ... .
 
Fazit:
Sind all diese "Symptome" also nicht viel mehr "natürliche" Reaktionen auf vor allem gesellschaftliche Umstände, Verhältnisse, Gegebenheiten und daraus entsprechend resultierende zwischenmenschliche "Beziehungen" und Kontakte sowie eben auch: "Schwierigkeiten" ... ?

Wie lassen sich die genannten Symptome also als tatsächlich "Borderline-verursacht" erkennen bzw. warum werden sie so i n t e r p r e t i e r t - und nicht bspw. den oben genannten anderen - ebenso möglichen - Ursachen zugeordnet?
 
Und werden alle Menschen, die eine "schwierige Kindheit" hatten, zwangsläufig "Borderliner"? Oder werden sie nicht bspw. auch Narzissten oder auch "depressiv" ... ? (Oder auch nicht psychisch krank - siehe durch bspw. Resilienz(faktoren).)
 
Das einzige Symptom, das sich nicht durch auch anderes (andere Ursachen, Gründe) als "Borderline-Persönlichkeitsstörung" erklären lässt, ist wohl das selbstverletzende Verhalten sowie ggf. noch das Gefühl "innerer Leere".
 
Was sich an vermeintlich "harten Fakten" durch vermeintlich neutrale/objektive "wissenschaftliche Untersuchung" ergibt: ist, wie wir wissen, stets genau das: ein vorläufiges, ein falsifizierbares Wissen. Grundsätzlich. Das ist eines der seriösen Kriterien/Merkmale für Wissenschaftlichkeit.
 
Und was wir gerade hinsichtlich psychischer sowie psychiatrischer Erkrankungen ebenfalls wissen, ist, dass es immens davon abhängt, wer auf Basis welchen jeweils persönlichen sowie Ausbildungs-, Forschungs-, Qualifikationshintergrunds, auf Basis auch welchen jeweiligen (aktuellen?) Kenntnisstands sowie auf Basis welcher (etwaigen) Beeinflussung durch "Interessenkonflikte" und fehlende Unabhängigkeit ... zu welchen Überzeugungen und Interpretationen gelangt.
 
Worum es letztlich, ich wiederhole mich ein weiteres Mal hinsichtlich dessen, eigentlich vor allem gehen müsste, ist Prävention.

Und diese setzt tatsächlich rund um den Globus bei jedem Menschen grundsätzlich in der Kindheit an bzw. hätte in selbiger "stattzufinden/angewandt zu werden" - und dies hat wiederum eine Menge mit Lebensbedingungen, gesellschaftlichen Strukturen, politischen Verhältnissen zu tun: Mit Rechten, Freiheiten, Möglichkeiten, Teilhabe, materialler Armut, mit Chancengleichheit, mit Wertschätzung, Beziehung(en), Gesundseinkönnen, auch mit Bildung, Wirtschaft(en), Handel, Verteilungs- und sozialer Gerechtigkeit und einigem anderem mehr.
 
-
 
Die grundsätzliche Frage ist doch: Wem hilft und wem nützt all das viele, heutige Pathologisieren.

Hilft es Menschen tatsächlich? Falls ja: Wem aus welchen Gründen und vor allem auf welche Weise - mit welchem "Ergebnis"?

Oder hat es auch hier möglicherweise viel mit Placebowirkung - auch von bspw. Psychotherapie - zu tun?

Und vor allem: Was bezweckt wer damit, sich selbst oder andere zu etikettieren? Um sich selbst als etwaig "psychisch Kranker" damit (vermeintlich) schonen zu können?

Oder sind es (auch) die Anderen, die sich schonen, ihr eigenes Denken, Fühlen, Eingestelltsein und Verhalten, indem sie andere, die in irgendeiner Weise "abweichen" von der Norm - wer setzt diese in welcher Kultur zu welcher Zeit auf welcher Basis - eben pathologisieren, denn auch das kann aus Absichten und zu Zwecken geschehen, bspw., um solche pathologisierten Menschen weniger ernstnehmen oder ganz direkt diffamieren zu können oder auch, um sie eben als "nicht ausreichend, nicht vollumfänglich" urteilsfähig bezeichnen zu können, um somit ihre Aussagen zu untergraben usw..

Im privaten Kontakt: Wenn man andere pathologisiert, kann das auch sehr bequem und selbstschonend dahingehend sein, dass man sich mit eigenen Defiziten, Fehlern, Schwächen, eigenem Fehlverhalten nicht intensiver oder überhaupt auseinandersezten, es vor allem nicht ändern muss.

Und natürlich ist das Pathologisieren nicht zuletzt für eben Mediziner und diverse andere Therapeuten einträglich. - Je mehr "Patienten", umso lukrativer. 
 
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"(...) BPD und komplexe PTBS haben einiges gemeinsam, zum Beispiel Probleme mit der Emotionsregulation und dem Selbstbild. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass die komplexe PTBS als Reaktion auf ein Trauma beschrieben wird und die BPD nicht. Viele Menschen erfüllen die Kriterien für beide Störungen. Inwieweit ein Trauma bei der BPD eine Rolle spielt, ist aber Gegenstand intensiver Debatten in der Psychiatrie und Psychologie.
 
Studien zeigen, dass zwischen 30 und 80 Prozent der Menschen mit BPD die Kriterien für eine traumatische Störung erfüllen oder über frühere traumabedingte Erfahrungen berichten. Den meisten klinischen Fachleuten zufolge, die Menschen mit BPD untersucht oder behandelt haben, hat zwar nicht jeder, bei dem diese Störung diagnostiziert wird, ein Trauma erlebt – zumindest nicht in der herkömmlichen Form. Es gibt allerdings immer mehr Belege dafür, dass ein »Trauma« nicht eindeutig zu definieren ist: Selbst wenn die belastenden Erfahrungen nicht der Lehrbuchdefinition entsprechen, können sie bleibende Spuren im Gehirn hinterlassen und das Risiko für die Entwicklung psychischer Erkrankungen wie der BPD erhöhen.
 
Diese Erkenntnisse stellen die Definition und Behandlung der BPD in Frage. Einige Fachleute und Betroffene fordern, die BPD in komplexe PTBS umzubenennen. Sie argumentieren, die Überschneidungen seien groß genug. Die BPD wurde lange Zeit stark stigmatisiert – selbst von vielen Fachkräften: Sie halten die betroffenen Patientinnen und Patienten für schwierig, manipulativ und behandlungsresistent. Andere sind der Meinung, dass zwar nicht jede BPD eine komplexe PTBS ist. Es gebe aber genug Beweise dafür, dass frühe Stressfaktoren eine Rolle bei der Entwicklung der BPD spielen, um die Störung entsprechend umzubenennen.
 
»Die Borderline-Persönlichkeitsstörung passt nicht in das Konzept der Persönlichkeitsstörung«, sagt Martin Bohus, Psychiater am ZI. »Sie passt viel besser zu den stressbedingten Störungen, denn wir wissen, dass es keine Borderline-Störung ohne schwere frühe zwischenmenschliche Belastungen gibt.«
Als Bohus sein ärztliches Praktikum auf einer psychiatrischen Station absolvierte, sah er eine Patientin, die auf dem Boden saß und sich mit dem Blut aus selbst zugefügten Verletzungen bemalt hatte. Er erkundigte sich im Team nach ihr. Der leitende Psychiater sagte dazu nur: »Eine Borderline-Patientin, da kann man nichts machen. Entlassen Sie sie einfach.« »Und was, wenn sie Suizid begeht?«, fragte Bohus. »Sie bringen sich nie um«, antwortete der Psychiater, »sie sagen nur, dass sie es tun werden.« Bohus folgte dem Rat und entließ die Patientin. Kurz darauf nahm sich die Frau das Leben.
 
Für Bohus, inzwischen Mitte 60 und ein etablierter Psychiater, war diese Erfahrung die erste von vielen, die ihn an der Art und Weise zweifeln ließen, wie Menschen mit BPS behandelt wurden. »Damals herrschte eine extrem konservative, ich würde sagen feindselige, paternalistische, bevormundende Haltung gegenüber den Klienten vor«, sagt Bohus.
 
Die Geschichte einer höchst umstrittenen Diagnose
 
Der Begriff »Borderline« wurde in den 1930er Jahren von dem deutsch-amerikanischen Psychiater Adolph Stern geprägt. Er beschrieb damit eine Grauzone zwischen Neurose – psychischen Leiden wie Depressionen und Angstzuständen – und Psychose, bei der die Menschen den Bezug zur Realität verlieren und zum Beispiel unter Halluzinationen oder Wahnvorstellungen leiden. Diese Patienten, schrieb er, sind »mit psychotherapeutischen Methoden extrem schwer zu behandeln«.
 
Jahrelang blieb »Borderline« ein nebulöser Begriff. Erst in den 1970er Jahren wurde er zu einer offiziellen Diagnose. Damals untersuchte der Psychiater John Gunderson vom McLean Hospital in Massachusetts eine Gruppe von Patienten, die fälschlicherweise eine Schizophrenie diagnostiziert bekommen hatten. Er definierte sechs Hauptmerkmale, die sie gemeinsam hatten: intensive Emotionen, typischerweise feindselig oder depressiv; eine Vorgeschichte mit impulsivem Verhalten; kurze psychotische Erfahrungen; chaotische Beziehungen; unlogische oder wirre Gedankengänge, die sich beispielsweise in bizarren Antworten bei unstrukturierten psychologischen Tests zeigten – und die Fähigkeit, nach außen hin einen Anschein von Normalität zu wahren.
Kurz darauf, im Jahr 1980, fand die Borderline-Persönlichkeitsstörung Eingang in die dritte Ausgabe des »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (DSM), des wichtigsten Handbuchs, das Psychiater und Psychologen weltweit zu Forschungszwecken verwenden. Sie zählt dort zu den Persönlichkeitsstörungen, deren Kennzeichen charakteristische Denk- und Verhaltensmuster sind, die von den gesellschaftlichen Erwartungen abweichen und individuelle sowie zwischenmenschliche Probleme verursachen.
 
Die Diagnose trug dazu bei, die Grundlagen der Störung zu erforschen und die Behandlungsmethoden voranzutreiben. Langzeitstudien von Gunderson und seinen Kollegen zeigten auch, dass sich die meisten Patienten trotz der vorherrschenden Meinung, Borderline sei eine chronische, unheilbare Krankheit, letztlich doch wieder erholen. Umstritten ist nach wie vor, wie sich Borderline zu anderen Persönlichkeitsstörungen verhält.
 
Die BPD wird häufiger bei Frauen diagnostiziert, aber einige Studien deuten darauf hin, dass der Anteil bei Männern und Frauen eigentlich ungefähr gleich groß ist. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern könnte darauf zurückzuführen sein, dass sich Frauen eher in psychiatrische Behandlung begeben und dass bei Männern eher eine narzisstische, antisoziale oder andere Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wird. Wegen dieser und anderer Überschneidungen weisen viele Fachleute darauf hin, dass es an Belegen für eine solche Unterscheidung mangelt. Sie plädieren stattdessen für ein so genanntes dimensionales Modell, das eine einzige, breit angelegte Diagnose »Persönlichkeitsstörung« vorsieht und unter anderem durch die Schwere der Symptome charakterisiert.
 
Andere Experten sprachen sich vehement gegen eine Überarbeitung des bestehenden Systems aus. Zu ihnen gehörten Gunderson und Bohus. Sie argumentieren, die vielen Forschungsergebnisse zu spezifischen Störungen – insbesondere zur BPS – hätten zu maßgeschneiderten Behandlungen geführt; ein neues Modell würde diesen Fortschritt zunichtemachen und den Patienten schaden. Die neue, elfte Ausgabe der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD), des von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen Diagnosesystems, übernahm zwar ein dimensionales Modell, behielt aber eine separate Borderline-Kennzeichnung bei. Das DSM, das zuletzt 2013 überarbeitet wurde, arbeitet noch mit den alten Kategorien, bietet jedoch zusätzlich den dimensionalen Ansatz an.
 
Es gibt viele Unstimmigkeiten. Einige Fachleute wie Carla Sharp, Leiterin des Labors für Entwicklungspsychopathologie an der University of Houston, vertreten die Ansicht, dass sich die Merkmale der BPD nicht sehr von denen der übrigen Persönlichkeitsstörungen unterscheiden. Andere, darunter Bohus, sind der Auffassung, die BPD sei einzigartig und spezifisch mit vergangenen traumatischen Erfahrungen verbunden. Wie solche Ereignisse zu anderen Persönlichkeitsstörungen beitragen, sei dagegen unklar. In den meisten bisherigen Studien zu Persönlichkeitsstörungen wurden Menschen mit BPD untersucht, weil sie am häufigsten Hilfe suchen.
 
Julian Ford, klinischer Psychologe an der University of Connecticut School of Medicine, hält Traumata für eine mögliche Ursache aller Persönlichkeitsstörungen. »Es gibt genügend Befunde, die darauf hindeuteten, dass Traumata bei praktisch jeder Persönlichkeitsstörung eine Rolle spielen können«, sagt Ford. Welche Rolle das genau sei, dazu fehle es an Forschungsergebnissen.
Einstige Borderline-Therapie: »Abstieg in die Hölle«
 
Bohus erinnert sich an die Zeit in seinen ersten Jahren als Psychiater am Weill Cornell Hospital in White Plains, New York. Dort war er mit zwei radikal unterschiedlichen Methoden zur Behandlung von BPD konfrontiert. Bei der einen wurden die Patienten in eine geschlossene Abteilung gesperrt und mit starken Medikamenten behandelt. Das Klima um sie herum war feindselig und misstrauisch, und die meisten blieben ein Jahr oder länger. In der anderen war die Abteilung offen, die Atmosphäre warm und unterstützend. Die Patienten wurden ermutigt, sich gegenseitig bei der Entwicklung von Fähigkeiten zu unterstützen, die ihnen im Umgang mit ihrer Notlage helfen. Den meisten ging es nach einigen Monaten spürbar besser und sie konnten die Einrichtung verlassen.
Letztgenannte Abteilung arbeitete nach einer Methode der US-Psychologin Marsha Linehan, bei der selbst eine BPD diagnostiziert worden war. Kurz vor ihrem Schulabschluss wurde sie in eine geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik eingewiesen. Dort schnitt sich Linehan mit scharfen Gegenständen die Gliedmaßen auf, verbrannte sich mit Zigaretten und schlug ihren Kopf auf den Krankenhausboden. Ihre Ärzte behandelten sie unter anderem mit Medikamenten, Elektroschocks, Isolation und Kältetherapie: Sie wickelten sie in kalte Decken ein und schnallten sie an ein Bett.
Linehan beschreibt diese Zeit in ihren Memoiren als »Abstieg in die Hölle«. (...)
 
Scheinbar unbedeutende Provokationen könnten bei ihnen extreme Wut, Scham oder Verzweiflung auslösen. (...)
 
Anfang der 1990er Jahre schlug Judith Herman, Psychiaterin an der Harvard University, nach Sichtung der Literatur über Traumaüberlebende die Diagnose »komplexe PTBS« vor. Sie sollte ein Bündel von Symptomen beschreiben, die nach einer extremen chronischen Belastung entstehen können, etwa wenn eine Person unter der Kontrolle einer anderen stand, wie in Gefängnissen, Arbeitslagern oder in manchen Familien. Zu den typischen Symptomen zählen Schwierigkeiten mit der Emotionsregulation, instabile Beziehungen, pathologische Veränderungen der Identität und des Selbstbilds sowie selbstzerstörerisches Verhalten.
»Die derzeitige Formulierung der PTBS-Diagnose geht in erster Linie zurück auf Beobachtungen an Überlebenden von relativ begrenzten traumatischen Ereignissen«, schrieb Herman 1992 in einem Aufsatz. »Sie erfasst nicht die vielfältigen Folgen lang anhaltender, wiederholter Traumata.« Die Symptome von Menschen mit komplexer PTBS könnten »zu leicht auf charakterliche Probleme zurückgeführt« und als Persönlichkeitsstörung fehldiagnostiziert werden. (...)
 
In der fünften (und jüngsten) Ausgabe des DSM umfasst der Begriff Trauma zum einen Ereignisse, bei denen eine Person selbst und unmittelbar dem Tod, einer schweren Verletzung oder sexueller Gewalt ausgesetzt ist. Zum anderen kann sie auch »nur« Zeuge davon werden, zum Beispiel bei der Arbeit wiederholt mit solchen Ereignissen konfrontiert sein oder erfahren, dass ein solches Ereignis einer nahestehenden Person widerfahren ist.
 
Für viele Menschen, die im Gesundheitssektor arbeiten, ist die Sache jedoch nicht so eindeutig. Die offizielle Definition beschreibt ein Trauma »mit großem T« – im Gegensatz zum »kleinen T«, dem Trauma belastender Erfahrungen wie verbalem Missbrauch, Vernachlässigung, Mobbing und Armut, die nicht als schwer wiegend genug angesehen werden. »Die Definition von Trauma ist immer äußerst heikel«, sagt Andreas Maercker, klinischer Psychologe an der Universität Zürich und einer der Befürworter der komplexen PTBS.
 
Eine große US-Erhebung erfasste potenziell traumatische Erfahrungen, die von Gewalt und Vernachlässigung bis hin zum Aufwachsen in einem instabilen Elternhaus reichen. Ergebnis: Fast zwei Drittel der Erwachsenen haben mindestens eine solche Erfahrung gemacht. Neuroimaging-Studien zeigen, dass auch mehrere kleine Traumata bleibende Spuren im Gehirn hinterlassen können, vor allem, wenn derartige Belastungen in der Kindheit oder Jugend erlebt werden, während sich das Gehirn noch entwickelt.
Einige Veränderungen sind sehr spezifisch. So fand man bei Menschen, die in der Kindheit von ihren Eltern beschimpft wurden, Veränderungen in der Hörrinde, die mit sprachlichen Schwierigkeiten einhergehen. Zu den umfassenderen Auswirkungen gehören ein verkleinerter Hippocampus (eine Struktur, die an Gedächtnis und Lernen beteiligt ist), eine erhöhte Aktivität in der Amygdala (einem wichtigen Zentrum für die Emotionsregulation) und Störungen in den Verbindungen zwischen diesen und anderen Hirnregionen.
»Die Auswirkungen von emotionaler Misshandlung und Vernachlässigung sind wirklich sehr tief greifend«, sagt Martin Teicher, Direktor des Developmental Biopsychiatry Research Program am McLean Hospital. »Sie sind in Bezug auf die Auswirkungen auf das Gehirn völlig gleichwertig mit körperlicher Misshandlung oder sexuellem Missbrauch.« (...)
 
»Traumatische Erlebnisse, sei es Mobbing in der Kindheit oder Vernachlässigung durch Eltern oder Betreuer, haben langfristige Folgen für den Menschen. Sie beeinflussen seine Fähigkeit, anderen zu vertrauen, seine Emotionen zu regulieren und zu lernen, mit ihnen umzugehen«, sagt Shelley McMain, klinische Psychologin am Centre for Addiction and Mental Health in Toronto. »Sie haben weit reichende Folgen in verschiedenen Lebensbereichen.« Deshalb sei es sehr wichtig, die Auswirkungen negativer Kindheitserfahrungen in der Therapie zu berücksichtigen. (...)
 
Eines der größten Rätsel ist, weshalb negative Erfahrungen in der Kindheit bei manchen Menschen zu Störungen wie BPD, komplexer PTBS, Depression oder Drogenkonsum führen – bei anderen aber nicht. (...)
 
Was anfällig macht, bleibt jedoch eine offene Frage. Wer später eine BPD entwickelt, ist möglicherweise in einem Umfeld aufgewachsen, das Linehan als »traumatisch entwertendes Umfeld« bezeichnet. Beispiele dafür sind ein Mangel an elterlicher Fürsorge und Mitgefühl in Zeiten der Not, ständige Missbilligung oder Mobbing durch Gleichaltrige. Häufen sich solche Erfahrungen, kann das Folgen haben, wie ein Gefühl der Entfremdung und eine besondere Empfindlichkeit gegenüber Ablehnung, sagt Bohus. (...)
 
Bei Frauen, die in ihrer Kindheit schweren sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren, fanden Bohus und seine Kollegen Hinweise darauf, dass diejenigen, die darüber hinaus keine Entwertung erfuhren, erfüllende Partnerschaften aufbauen können und psychisch gesund bleiben. Entscheidend ist laut Bohus, dass sie immer jemanden hatten, mit dem sie über ihre Erfahrungen sprechen konnten: »Natürlich ist es eine Katastrophe«, sagt er, »aber es ist nicht so katastrophal, wenn man es mit jemandem teilen kann.« (...)
 
Es ist Nachmittag, die meisten Patienten sind unterwegs oder machen ein Nickerchen. Viele sind mittags erschöpft von den Einzel- und Gruppentherapiesitzungen, die vormittags stattfinden, erklärt sie.
Mall berichtet von einer Patientin, die nach einem Suizidversuch in die Klinik kam. Sie war sehr krank, äußerst depressiv, sprach kaum und schnitt sich ständig so tief in den Arm, dass sie genäht werden musste. Zunächst wurde bei ihr eine BPD diagnostiziert, aber: »Wir entdeckten gemeinsam, dass sie an einer PTBS litt«, erzählt Mall. Die Frau hatte schwere Gewalt erlebt. Erst nachdem sie mit dialektisch-behavioraler Therapie und dazu traumaspezifisch behandelt wurde, zeigte die Patientin erste Anzeichen einer positiven Entwicklung. »Sie verletzt sich nicht mehr selbst«, sagt Mall. Sie sei auch nicht mehr suizidgefährdet. Zuvor hieß es, sie sei manipulativ und lehne sich ständig auf – »doch niemand fragte, warum«. (...)"
 
"[...] " Ist das relevant, dass man zum Beispiel seine Stimmung situationsangemessen doch ein Stück modulieren kann oder ist das in unserem Verständnis des Menschen gegeben, dass man affektstarr sagen wir mal in der Manie oder in der Depression verharrt? Da gibt es gute philosophische Argumente, dass man eigentlich doch in einem emotionalen Bezug zur Umwelt steht und dass das dazu gehört, dass es auch wechseln kann. Aber darüber kann man sich streiten."
 
Menschliche Psyche ist vielgestaltig
Psychische Krankheiten sind oft schwer diagnostizierbar.
Insofern könnten Psychiater nach Ansicht von Andreas Heinz hier nicht einen Krankheitsbegriff von oben herab bestimmen, auch nicht beim Thema Depression oder Manie. Sie müssten sich vielmehr an kulturellen Diskussionen über den Menschen an sich beteiligen. Im konkreten Fall müssten Sie mit jedem Patienten und seinem Umfeld persönlich aushandeln, wie stark ihn die jeweiligen Probleme belasten und klären, welche Hilfe er benötigt.
 
Forderungen, die bisher vor allem von Psychotherapeuten und kritischen Psychiatern erhoben wurden: Löst euch von einer engen Klassifikation scheinbar objektiver Störungen, erkennt an, wie vielgestaltig die menschliche Psyche ist . Mit Charité-Direktor Andreas Heinz schließt sich jetzt der Leiter einer großen psychiatrischen Klinik diesen Forderungen an:
Es ist ja immer auch ein Kommunikationsprozess, also wie die soziale Teilhabe dann funktioniert, da ist die Rückmeldung aus der Familie wichtig, die mag aber auch nicht immer die exakte Einschätzung haben - das sind Kommunikationsprozesse, die man dann führen muss.
 
Das alles ist aufwändig und erfordert viel Zeit. Andreas Heinz´ Versuch, den Begriff der psychischen Krankheit neu zu bestimmen, fordert also nicht nur die Psychiatrie in ihrer bisherigen Klassifikation und Diagnosestellung heraus. Er verlangt auch, dass Psychiatern und Psychotherapeuten die angemessenen Kapazitäten für einen differenzierten Umgang mit den Erscheinungsformen der menschlichen Psyche zur Verfügung gestellt werden. "
 
Quelle: swr.de, swr2 wissen - "Wer ist psychisch krank?"
"[...] Damit verabschiedet Foucault sich von der Psychologie als positiver Wissenschaft, die sich anmaßt, ihre Gegenstände – das Bewusstsein, seine Störungen sowie psychische Erkrankungen – als von geschichtlichen Entwicklungen unabhängige, objektive Gegebenheiten zu beschreiben. Neben seinem umfassenden Interesse an allem, was mit Psychologie zu tun hat, sind es Ärzte, die Foucault anregen, eine Geschichte ihres Fachs zu schreiben. Dabei interessieren ihn von Anfang an weniger die Psychiater als vielmehr deren Verhältnis zu ihren Kranken, also der Dialog zwischen Vernunft und Unvernunft. [...]"
 
zitiert aus dem Ärzteblatt (siehe darüber stehenden Link)

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S
Ich denke, die Ursache liegt, wie in der Medizin generell, in einer zunehmenden Ökonomisierung. Psychiater und Pharmakonzerne wollen einfache ihr Marktpotenzial ausweiten. <br /> Ich finde das sehr beängstigend, wer darüber bestimmt, ob wir gesund oder krank sind.
K
Das ist unstrittig ein (Haupt-) Grund dieser Entwicklung. Ein anderer scheint mir das "Projekt Ökonomisierung des Menschen" zu sein - den Mensch fast nur noch als verwertbaren Wirtschafts-, Leistungsfaktor, als funktionales (Zweck-) Instrument (unter fast ausschließlich ökonomischen Aspekten) zu betrachten, zu bestimmen, ihn dahingehend abrichten, fügsam und ihm das obendrein noch auf eine Weise schmackhaft machen zu wollen, dass er meint, es sei dies sein ureigenes Ziel, Streben, sein eigener Wunsch, womöglich gar "Sinn"/Grund seines Daseins, seiner (individuellen/persönlichen) Existenz -> "Erfolg" in Beruf, Familie, Freizeit, Partnerschaft zu haben, haben zu sollen und also mittlerweile längst ja auch zu wollen - dabei jedoch eigentlich also als Verfügungsmasse zu fungieren, als berechneter, kontrollierter Konsument, überwachter, "transparenter" (einschätzbarer, kalkulierbarer) "Bürger" - als funktionierendes Rädchen im Getriebe (im Hamsterrad ;) ). - Und "der Mensch" stellt dabei zwar durchaus (immer wieder) fest, dass ihn das stark beansprucht bis auslaugt, zermürbt, u.U. also sogar eben "krank" ;) macht (auch physisch bekanntermaßen), stellt auch die "Sinnfrage", sucht (nach Orientierung, Halt, Rückhalt, Bestätigung, Anerkennung, Angenommensein, auch aber nach Entfaltung, Freiraum, Entwicklungsmöglichkeiten, Betätigungsräumen - möglicherweise "sogar" ;) nach "Selbsterkenntnis", Ruhe, Spiritualität, Tiefe, Langsamkeit, Bewusstheit, Ankommen ...) - aber er ist dennoch so mannigfach und vielschichtig in die alltäglichen Abläufe des "Systems" ;) verstrickt, dass ihm nichts als ein Mitvollziehen derselben ja nur übrigbleiben k a n n - abgesehen von wenigen "Auszeit-Inseln", die er sich - je nach gesellschaftlicher Stellung/Status Lebensumständen/Herkunft, Einkommen etc. - gelegentlich leisten kann/darf, möchte. - Es wird ihm sein Tun, sein Streben, sein Pflichterfüllen ... als eigener "Wille", als eigenes Konzept, als "Selbstverwirklichung" - wörtlich: verkauft. - Und er kauft es. Oder ... es bleibt ihm als einzige Alternative nur, total "auszusteigen" ... . (Was durchaus allerdings mit beträchtlicher Courage und ebensolchem Risiko sowie einem nicht zu unterschätzenden Maß an Unbequemlichkeit(en), Unsicherheit und Ungewissheit verbunden/"behaftet" ;) ist - weshalb die meisten Zeitgenossen diesen Weg ja auch nicht gehen.) - Es gibt kein richtiges Leben im falschen. ;D