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Sabeth schreibt

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Loslassen dürfen

 

Loslassen dürfen

 

Ich wäre so gerne - nach mehr als zwölf Jahren - mal wieder tanzen gegangen – und wenn´s nur zwei-, dreimal im Jahr gewesen wäre.

Ich wäre so gerne mal ins Theater gegangen – und wenn´s nur ein Mal alle zwei, drei Jahre gewesen wäre.


Ich wäre so gerne mal mit meinen Kindern verreist – nur innerhalb Europas: Schweiz, Österreich: Berge. Die Orte meiner Kindheit, das Schönste, das ich im Leben gesehen und erlebt habe: die Urlaube mit meinen Pflegeeltern in meiner Kindheit. Ich hätte das so gerne auch mit meinen Kindern geteilt, es ihnen/uns ermöglicht, sie das erleben, erfahren lassen – denn es sind dies die lebenslangen, späteren Erinnerungen … .


Ich hätte so gerne wenigstens ein Mal die Stadt meines leiblichen Vaters besucht: Barcelona.


Ich hätte so gerne wenigstens zwei-, dreimal im Jahr einen Ausflug mit meiner Tochter in die umliegende Natur/Umgebung gemacht – für ein paar leichte, unbeschwerte Stunden, für ein paar neue Eindrücke, für ein wenig Abwechslung, für ein wenig Freude.


Ich hätte so gerne ein Auto wenigstens dafür gehabt, weil es so vieles erleichtert bzw. überhaupt erst ermöglicht hätte, insbesondere aufgrund meines physischen Zustands.


Ich hätte so gerne mal wieder einfach alles bedenkenlos, mit Genuss essen können – ohne Beschwerden, ohne danach leiden zu müssen.

Ich hätte so gerne das Geld für gesunde und ausreichend Nahrung für den gesamten Monat gehabt.


Ich hätte so gerne – nach mehr als zwölf Jahren - mal wieder gelegentlich Spieleabende erlebt, mit netten Menschen, mit Freude oder einfach in geselliger Runde zusammenzusein, anregende, horizontweitende Gespräche mit Erwachsenen zu führen.


Ich hätte so gerne Geselligkeit für meine Tochter gehabt – statt seit elf Jahren mit ihr in der sozialen Isolation zu vegetieren, nicht einmal das Geld für Bastelmaterialien, ein Fahrrad und die Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr zu haben, geschweigedenn für einen Kindergeburtstag … .


Ich wäre so gerne mit ihr wenigstens ein Mal ins Kindertheater gegangen und hätte ihr wenigstens gerne mal die Stadt gezeigt, in der sie lebt, von der sie noch kaum etwas gesehen, in der sie bisher nichts erlebt hat.


Ich hätte mir so gerne wenigstens ein Mal Kleidung und qualitativ gute Möbel neu, statt nur gebraucht, und nach meinem Geschmack anschaffen können – um mich wenigstens zu Hause einigermaßen wohlzufühlen und Dinge/Haushaltsgegenstände, die nach vielen Jahren (und stets bereits in gebrauchtem Zustand angeschafft worden seiend) kaputtgehen, ersetzen, reparieren oder austauschen können.


Ich hätte so gerne mal das Geld und die Möglichkeit gehabt, das Zimmer meiner Tochter neu zu streichen – ich könnte nicht einmal die Farbeimer besorgen – womit/wie nach Hause transportieren? Ich kenne niemanden mit Auto. Es gibt keinen Baumarkt in der Nähe.
Ich hätte so gerne Großeltern für meine Kinder gehabt.


Ich hätte so gerne (verantwortungsbewusste, erwachsene, liebevolle, verlässliche, fürsorgliche) Väter für meine Kinder gehabt.


Ich hätte so gerne einen Bruder für meine Tochter gehabt, der wenigstens ein Mal alle zwei, drei Monate etwas Schönes, Lustiges mit ihr unternimmt (ohne mich im Übrigen), damit sie ein bisschen Abwechslung, ein bisschen Freude und ein bisschen Verbundenheit, Zugehörigkeit und Halt hätte erleben, erfahren können – statt dass er sie gewissenlos und selbstsüchtig völlig im Stich lässt (… wie sein Vater ihn).


Ich hätte so gerne wieder in meiner Heimat gelebt, wenn es bezahlbare Wohnungen, geeignete Schulen für die Kinder und nette Nachbarn dort gegeben hätte - statt wiederholte Denunziationen beim Jugendamt, die sämtlich ins Leere liefen und aus Neid und Rache getätigt worden waren und Mieten (Betriebskosten), mittels derer man Menschen in Schulden, Sorgen, Verzweiflung treibt.


Ich hätte so gerne einen Partner gehabt, der mich hin und wieder einfach in den Arm nimmt, hält, körperliche Nähe, Wärme, Zuwendung gibt, wenn ich sie grade nötig brauchte, der ein bisschen fürsorglich ist (mal eine Suppe kocht, mal den Rücken, schmerzende Muskeln massiert), der tatkräftig und eigeninitiativ, gerne unterstützt – wenn ich einfach absolut keine Kraft mehr hatte, aufgrund all der jahrelangen Existenzsorgen und der seit mehr als zwei Jahrzehnten alleinig zu tragenden Verantwortung für zwei Kinder – für all deren Belange, Wünsche, Bedürfnisse, Nöte und für eigene Sorgen, Zukunft, Existenz(sicherung) … .


Ich hätte so gerne mal Wertschätzung erhalten – statt von frühester Kindheit an kontinuierlich abgelehnt, weggegeben, abgewertet, benutzt und entwertet worden zu sein.


Ich hätte so gerne einen Beruf gehabt, mittels dessen ich die Existenz meiner Kinder und meine hätte selbsttätig und vollständig sichern können und in dem ich nicht täglich das Gefühl gehabt hätte, am völlig falschen Platz zu sein … .


Ich hätte so gerne meinen Vater kennengelernt und meinen Halbbruder.

Ich hätte so gerne meine Pflegeeltern noch mal gesehen, mit ihnen gesprochen, sie so vieles so gerne gefragt …, nach so vielen getrennten Jahren … - bevor sie gestorben sind.


Ich hätte so gerne ein paar Jahre länger Eltern gehabt (als nur bis zum 13. Lebensjahr; meine ersten Pflegeeltern waren meine Eltern - die einzigen, die ich je hatte, obgleich sie dem Alter nach eher meine Großeltern hätten sein können).
 

Ich hätte so gerne ein bisschen selbstbestimmt(er), mit mehr Freude und Zuversicht gelebt.


Ich wäre so gerne etwas länger als nur ein, zwei Jahre jung und ungebunden gewesen – nur allein für mich verantwortlich, mit allen einhergehenden Freiheiten, Möglichkeiten und allen Konsequenzen.

Ich hätte so gerne auch mal eine Party mit jungen Leuten erlebt – fröhlich, ausgelassen, unbeschwert.


Ich wäre so gerne auch mal mit Freunden wenigstens für ein Wochenende in ein Nachbarland gefahren – für ein wenig Spaß, Abwechslung, Tapetenwechsel.


Vielleicht wäre ich auch gerne ein einziges Mal wenigstens in einem Flugzeug geflogen.


Ich hätte so gerne mein Studium beenden können/dürfen.  

 

Ich hätte so gerne Sicherheit für die Zukunft meiner Kinder schaffen können.


Ich hätte so gerne eine ursachenbehebende, heilende Therapie für meine physischen Erkrankungen gehabt – ich habe so vieles über so viele Jahre versucht, ausprobiert, experimentiert, auf so vieles verzichtet … - vergeblich.
 

Ich wäre so gerne stärker, mutiger, disziplinierter gewesen.

 

Ich kann nicht mehr.

 

Ich kann nichts mehr `rausholen – es ist nichts mehr da.
Seit vierundzwanzig Jahren versuche ich täglich, mich zusammenzunehmen – zunächst für meinen Sohn, dann für meine Tochter. Weil sie nichts dafür können. Weil sie es sich nicht ausgesucht haben, schon gar nicht so … . Weil ich sie geboren habe – statt sie abzutreiben oder wegzugeben, weil ich nicht wollte, dass ich mit ihnen wiederhole, was mit mir getan wurde. Weil ich nicht wollte, dass sie ähnliche Schmerzen, Beschädigungen erleiden, die lebenslang wirken.

Weil ich die Verantwortung trage. Weil es meine Pflicht ist.

Weil meine Tochter die einzige Freude, das einzige Licht, das einzig Gute in meinem Leben ist.

Ich habe drei Psychotherapien – "erfolglos", vergeblich – gemacht.

 

Ich habe Hilfe beim Jugendamt erbeten, als ich sie mit meinem pubertierenden Sohn dringend gebraucht hätte – sie wurde verweigert und auch sonst hilft das Jugendamt nicht, du musst es alles selbst, alleine schaffen; wenn du dich an eine staatliche Institution wendest, in der Hoffnung und mit der Bitte um Entlastung, um bedürfnisorientierte, wirkliche Unterstützung, wirst du nur abgewiesen oder noch zusätzlich beschädigt. Alles, das es zu regeln, zu organisieren, zu bewältigen gab, galt und gilt es daher alleine zu bewältigen – wenn du nicht eine Familie, einen Partner, Geld und/oder anderweitig ein "soziales Netz" hast, das dich trägt.

Es gab wenige Menschen auf dem Weg, die mitfühlend waren, die erkannten, was hilft – und was nicht. Die geben wollten, konnten – die es zeitweise oder auch sogar über Jahre taten – mit Verständnis, mit Zuhören, mit Zuwendung, mit Unterstützung – vor allem für die Kinder. Es waren dies ausnahmslos Frauen. Vor allem eine.

Dafür bin ich sehr, sehr dankbar; ich weiß nicht, was aus uns (meinen Kindern und mir) geworden wäre, hätte sie nicht immer wieder geholfen.

Ich: konnte ihr nie etwas Gutes tun. Ich weiß nicht, wie, ich weiß nicht womit und ich wohne zu weit entfernt, um ihr Halt, Hilfe, Beistand sein zu können – jetzt, da sie sie braucht … .  

 

Die Frau, die nie in meinem Leben je für mich da war (und auch nicht je für eines meiner Kinder), ist meine leibliche Mutter.

Ich will nicht mehr nehmen, ohne geben zu können.
Ich will nicht mehr geben und dabei nur benutzt, geringgeschätzt, erniedrigt, verachtet und verletzt werden.
Ich will nicht mehr warten, dass die politischen, gesellschaftlichen Verhältnisse doch vielleicht irgendwann irgendwie noch "besser" werden.
Ich habe keine Perspektive, keine Zuversicht – so lange schon nicht (mehr), im Grunde nie je.

 

Ich kann meinen Kindern keine solide Basis sein – dafür bin ich materiell zu arm, physisch zu schwach und psychisch zu verbraucht.

Ich will nicht mehr: durchhalten sollen. Tag für Tag. Monat für Monat. Jahr für Jahr. Sinnlos, vergeblich warten, wünschen, hoffen, leiden, ertragen, kämpfen.

 

Es kommt nichts mehr. – Es wird nicht mehr "besser". Es wird nicht: gut.
Ich kann nicht(s) mehr geben. Ich kann nicht mehr tragen, halten, umsorgen.
Ich kann nicht mehr entbehren – sogar das Basalste: gesunde Nahrung.

 

Ich will nicht mehr dafür erniedrigt, beschimpft, bemitleidet, belächelt werden, dass/weil ich Mutter bin: allein alleinerziehende, ledige; dafür dass/weil ich seit so vielen Jahren alleine Sorge-Arbeit leiste – neben all dem anderen … .


Ich will nicht mehr für Männer deren gratis Privathure sein (müssen), um wenigstens ein bisschen Zuwendung, Nähe zu erhalten, zu erfahren – oder was ich dafür hielt.

 

Ich will nicht mehr bitten, betteln, mich unterwerfen, mich selbst verraten, betrügen, mich permanent zurücknehmen (müssen), vergeblich zu informieren, aufzuklären, zu überzeugen versuchen – im Sinne von und für Gemeinwohl, soziale Gerechtigkeit, Geschlechterparität … . Ich will nicht mehr gegen Windmühlen ankämpfen und den Stein mit Mühe immer wieder nach oben rollen – gegen all die massiven Widerstände, unter all den Schmerzen und Beschädigungen. Ohne irgendeine geringfügige Aussicht auf "Verbesserung" der Situation (nicht nur, aber auch meiner persönlichen).

 

Ich will nicht und wollte nie Mitleid – wer will das schon, niemandem hilft das.
Anerkennung, Wertschätzung, das ist, das ich gerne erhalten hätte, wenigstens gelegentlich. Und eine Chance.


Statt all die vielen Jahre: Geringschätzung, Abwertung, Ausbeutung und soziale Isolation/Einsamkeitnur, weil ich Mutter bin (und es erstmalig in jungen Jahren bereits wurde), nur, weil ich l e d i g alleinerziehend war/bin, nur, weil ich materiell arm war und bin.

 

Ich bin kein schlechterer, minderwertiger Mensch deswegen, aber ich werde deswegen so behandelt - und mit mir ungezählte andere: Frauen. Mütter. Weltweit. Auch in Deutschland. Täglich. Jahre lang.

Ich will (das) (so) nicht mehr.

 

Alles, das ich tat, alles, das ich versuchte, alles, das ich kann, ertrug und bewältigte, war und ist offensichtlich doch: nie gut genug.

 

Ich bin 43 Jahre: alt.

Ich will loslassen. Dürfen.

 

Endlich.
 

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