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Sabeth schreibt

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Ludwig Feuerbach

 
"Der Gottesgedanke: eine Projektion menschlicher Wünsche und Hoffnungen. (...)
 
Der Glaube an Gott entfremdet den Menschen von sich selbst. Der Gottesglaube in jeder Variante verhindert, dass die Menschen ihre wahren Interessen erkennen. Sie bleiben politisch unmündig. (...)
 
Religion: ein Betäubungsmittel, zu dem der Mensch greift, um die unmenschliche Wirklichkeit ertragen zu können. Religion behindert so die Herstellung humaner Verhältnisse. (...)
 
Gott ist tot und das Ende aller Werte - genau das passiert bei Feuerbach nicht. (...)

Der Mensch ist Zweck an sich selbst. (...)
 
Wo die Moral auf die Theologie gegründet wird, da kann man die unmoralischsten, unrechtlichsten, schändlichsten Dinge rechtfertigen und begründen.
Feuerbach will die Moral auf den Menschen gründen, nicht auf Gott und nicht auf eine Pflichtethik.
(...)
 
Liebe nennt Feuerbach das Prinzip der Moral, es ist eine vom Gottes- und Jenseitsglauben befreite Liebe. (...)
 
Und dieses verständige Wesen ist der ganze Mensch. Feuerbach trennt ihn nicht in zwei Hälften, in einen sündigen sinnlichen und in einen höheren geistigen Teil. (...)
 
Um den Menschen zu erkennen, muss man ihn lieben. (...)
 
Lieben kannst du nicht ohne deine Liebe zu bekennen, zu äußern, zu betätigen, denn die Liebe hast du nicht für dich, sondern für den Anderen. (...)
 
Erst im Kommunikationsprozess realisiert sich die Erkenntnis. (...)
 
Außer der Natur und den Menschen existiert nichts. Und die religiösen Wesen, die unsere Phantasie schuf, sind nur die phantastischen Rückspiegelungen unseres eigenen Wesens. (...)
 
Tue das Gute um des Menschen willen.
 
Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde."
 
Zitiert aus oben verlinktem Video "Ludwig Feuerbach - Der Philosoph, der die Menschen liebte", von Rolf Cantzen.
 
Und den Bezug zum Anderen, zum Du finden wir auch bei Emmanuel Lévinas.
 
 
"[...] In seiner Studienzeit in Berlin hatte sich Feuerbach persönlich dem angestammten protestantischen Glauben entfremdet. Bereits in der ersten öffentlich verbreiteten, allerdings anonym herausgegebenen Schrift Gedanken über Tod und Unsterblichkeit (1830) verwarf er den Unsterblichkeitsglauben als lebensfeindlich: Ein Leben nach dem Tod zu wünschen, widerspräche dem Funktionieren der Natur, in der alles, also auch der Tod, „wahr, ganz, ungeteilt vollständig“ sei: „Der Tod ist daher die ganze, die vollständige Auflösung deines ganzen und vollständigen Seins.“[22] Vor allem aber gelange man erst durch die ungeteilte Bejahung des Todes zur ungeteilten Bejahung des Lebens. Auch den Glauben an einen persönlichen Gott lehnte er in dieser ersten Schrift bereits entschieden ab. Dieser Glaube sei selbstsüchtig, denn der Personen-Gott sei für den Gläubigen nur „Gewährleistung seiner selbst und seines eigenen Daseins“.[23] Offen bekannte sich Feuerbach zu jenem Pantheismus, dem im Gefolge Spinozas die meisten Denker und Dichter der Spätaufklärung und der Weimarer Klassik insgeheim anhingen. Die deftig-satirischen Xenien im zweiten Teil des Buches dokumentieren die Abkehr von traditioneller und kirchlicher Gläubigkeit.
 
Beim Thema Religion notierte Feuerbach auch früh einen Dissens mit seinem Lehrer: Hegel hatte auf einer grundsätzlichen Übereinstimmung von Philosophie und christlichem Glauben beharrt. Feuerbach war gegensätzlicher Meinung, doch er kritisierte Hegels Auffassung im Frühwerk nur implizit, so etwa in der Einleitung der Geschichte der neuern Philosophie, wo er die historische Entwicklung nicht, wie Hegel, als „Stufengang des Geistes“ sah, sondern auf einen scharfen Gegensatz zwischen dem Christentum und dem „denkenden Geist“ hinauslaufen ließ: Der Geist habe sich (wie übrigens auch die Kunst) aus der „drückenden Herrschaft“ der Religion zu befreien gehabt.[24] Deutlicher wurde er im Aufsatz gegen Friedrich Julius Stahl, wo er – zum Befremden auch vieler Hegelianer – radikal jede Gemeinsamkeit zwischen der Religion und säkularen Institutionen wie dem Recht verneinte; die beiden Bereiche seien einander dem Wesen nach fremd, ja entgegengesetzt.[25]
 
Erst als er der universitären Philosophie endgültig den Rücken kehrte und sich als freier Schriftsteller im ländlichen Bruckberg etablierte (1837), machte Feuerbach die Religionskritik zu seinem Hauptthema. Schon im letzten Kapitel der Leibniz-Monografie und vor allem in der Monografie über den Begründer der französischen Aufklärung Pierre Bayle sprach er mit einer für die damaligen deutschen Verhältnisse unerhörten Direktheit aus, was die französischen Aufklärer schon im 18. Jahrhundert mehr oder weniger offen vertreten hatten: Der religiöse Glaube habe sich überlebt, er sei des „denkenden Menschen“ unwürdig. Anders als viele Aufklärer führte Feuerbach aber die religiöse Gläubigkeit nicht auf kirchliche Bevormundung („Pfaffenbetrug“) zurück oder, wie Immanuel Kant, auf die Scheu, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Er arbeitete vielmehr zwei gegensätzliche Geisteshaltungen heraus: auf der einen Seite der in Dogmen befangene und die Einsprüche der Vernunft abwehrende „Geist der Theologie“, auf der anderen Seite der „Geist der Wissenschaft“, der die Vernunft und die Gesetzmäßigkeit in der Natur als einzige Erkenntnisinstanz anerkennt. Vernunft und Wissenschaft seien aber in der Neuzeit zu so unabweisbaren Ergebnissen gelangt, dass es zur Frage der intellektuellen Redlichkeit werde, ob man noch an den religiösen Dogmen festhält; der Glaube hatte für Feuerbach seine einstige Unschuld und Berechtigung verloren, er wurde für ihn zur „Heuchelei“ vor sich selbst und der Mitwelt.
 
Diese Argumentation hatte eine historisch-gesellschaftliche Stoßrichtung, sie richtete sich gegen restaurativ-religiöse Tendenzen der Zeit, denen Feuerbach schon in der Polemik gegen Friedrich Julius Stahl den Kampf angesagt hatte.[26] Das bezeugen zwei weitere Schriften, die etwa zur selben Zeit wie die Bayle-Monografie entstanden, allerdings als Beiträge zu aktuellen Debatten für eine Tageszeitung (die „Hallischen Jahrbücher“) gedacht waren: Zur Kritik der 'positiven Philosophie' und Über Philosophie und Christentum in Beziehung auf den der Hegelschen Philosophie gemachten Vorwurf der Unchristlichkeit.[27] In teilweise scharfer Polemik spitzte Feuerbach hier das Argument der unvereinbaren Standpunkte zu: Wenn konservative Philosophen und Politiker forderten, die Philosophie habe sich an der Christlichkeit auszurichten, so entgegnete er mit vehementer Ablehnung jeglicher Vermittlung zwischen Religion und Philosophie. Bei der Philosophie könne es kein Mehr oder Weniger an Christlichkeit geben, die Philosophie habe mit Christlichkeit so wenig zu tun wie etwa die Mathematik. [...]
 
Feuerbach gelangte so zu einer Erklärung, die im modernen Sinne humanwissenschaftlich ist: Die Religion ist nicht einfach „Unsinn“ oder „Aberglaube“, sie ist die bildhafte Äußerung von Eigenschaften und Impulsen, von „Kräften“, die der Mensch als so wichtig und wesentlich empfindet, dass sie für ihn sein „Wesen“, sein eigentliches Menschsein ausmachen: Die Religion ist „identisch … mit dem Bewusstsein des Menschen von seinem Wesen“.[31] Diese Kräfte erscheinen ihm nicht als individuell begrenzt, sondern als über den einzelnen Menschen hinausgehend: „Wille, Liebe oder Herz sind keine Kräfte, welche der Mensch hat“, sie sind „die ihn beseelenden, bestimmenden, beherrschenden Elemente, denen er keinen Widerstand entgegensetzen kann“.[32] Und weil der Mensch diese Kräfte oder Fähigkeiten als über seine individuelle Beschränktheit hinausgehend empfindet, hypostasiert und verabsolutiert er sie, er setzt sie „aus sich hinaus“ und verehrt sie „als ein andres, von ihm unterschiednes, eignes Wesen“.[33]
 
Dieses Verständnis des Gottesglaubens erlaubt im Rückschluss die anthropologische Deutung der Religion: „Die Religion ist die Reflexion, die Spiegelung des menschlichen Wesens in sich selbst.“ – „Gott ist der Spiegel des Menschen.“ – „Gott ist das offenbare Innere, das ausgesprochene Selbst des Menschen.“[34] Die religiösen Glaubensinhalte vermitteln also eine Botschaft, sie geben Aufschluss über das „Wesen“ des Menschen: Gott ist für den Menschen das „Stammbuch, in welches er die Namen der ihm teuersten, heiligsten Wesen einträgt“. [...]
 
Bemerkenswert ist, dass Feuerbach hinter den „Geheimnissen“ des Glaubens stets das „Herz“ oder „Gemüt“ vorfand, wobei er beide Wörter synonym und paarweise verwendete; Begriffe wie „Empfindung“, „Gefühl“, „Phantasie“ treten oft ergänzend hinzu. Feuerbach hatte damit offensichtlich etwas im Blick, wofür es seinerzeit noch keinen adäquaten Begriff gab („Seele“ und „Geist“ waren religiös oder philosophisch besetzt), und was wir heute als Psyche bezeichnen: das Zusammenspiel der teils bewussten, teils unbewussten Regungen, Empfindungen und Vorstellungen, die im Menschen das affektiv-emotionale Verhalten und weitgehend auch die Wahrnehmung bestimmen.
 
Vielfach wird versucht, Feuerbachs Religionskritik mit dem Begriff der „Projektion“ zu erläutern, den Feuerbach selbst nie verwendet hat. Tatsächlich blendet der Ausdruck einen wichtigen Aspekt der Intention Feuerbachs aus: Ihm ging es nicht nur um die Feststellung von psychischen „Fehlleistungen“, sondern positiv um die Freilegung des unter den religiösen Bildern verdeckten Inhalts.
Diesen Inhalt wollte Feuerbach freilegen, um ihn für das menschliche Zusammenleben nutzbar zu machen. Seiner Deutung lag also eine therapeutische Intention zugrunde. Er habe sich, sagte er im Vorwort zum ersten Band seiner Sämmtlichen Werke, „die Ergründung und Heilung der Kopf-, auch Herzkrankheiten der Menschheit zur Aufgabe gemacht“. [...]
 
Wenige Monate nach dem Erscheinen des Wesen des Christentums wandte er in Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie (die Anspielung auf Luther ist beabsichtigt) das auf die Religion angewandte Verfahren auch auf die Philosophie des Absoluten an, indem er sie anthropologisch deutete: Hinter dem „absoluten Geist“ Hegels stecke das christliche Gottesbild. Ein Jahr später explizierte er seine Kritik in Grundsätze der Philosophie der Zukunft.[40]
Feuerbach kritisierte an Hegels Philosophie nicht einzelne Auffassungen oder Schlüsse, sondern das Fundament, auf dem sie steht: die Identität zwischen Denken und Sein, d. h. die Grundannahme, dass das logisch-begriffliche Denken des Philosophen die Welt zutreffend darstellt und letztendlich nichts anderes ist als die „Selbstentfaltung des Weltgeistes“. Diese Identität, die er früher bejahte, verwarf Feuerbach nun als „rationale Theologie“: „Die Identität von Denken und Sein ist daher nur der Ausdruck von der Gottheit der Vernunft – der Ausdruck davon, dass […] die Vernunft alles ist, wie in der strengen Theologie Gott alles ist.“[41]
 
Allerdings ist auch diese Kritik nicht nur negativ, sie hatte, genau wie seine Religionskritik, eine positive Zielrichtung: Feuerbach ging es um die Anerkennung von etwas Wesentlichem, das die Hegel’sche Philosophie wie jede spekulative Philosophie vom Ansatz her verfehlt und das er die „Sinnlichkeit“ nannte. In der spekulativen Philosophie ist dieses „Sinnliche“ (das „den Sinnen Gegebene“, auch der Sinnentäuschung Ausgesetzte) negativ besetzt. Es gilt als Hindernis bei der Wahrheitserkenntnis, das mit begrifflichem „Abstrahieren“ zu überwinden ist. Dieses Abstrahieren geht nicht vom Sinneneindruck aus, sondern beginnt, wie Hegel in der Einleitung zur Phänomenologie betonte, vom „reinen Selbsterkennen“: dieses sei der „reine Äther“, in dem man Wissen erlangen könne. Feuerbach nahm nun die genau gegenteilige Position ein und sagte: Das Sinnliche ist die erste Wirklichkeit, alles Denken muss damit beginnen, dass es sich dieser Wirklichkeit stellt und sie ernst nimmt. Alles andere ist sterile Beschäftigung des Denkens mit sich selbst: Weil es bereits mit abstrakten Gedanken beginnt, kommt es „nicht von sich weg“ und gelangt „immer nur zur Realisation seiner eignen Abstraktionen“. So verhindert es die „Freiheit des Geistes; denn nur die Anschauung der Dinge und Wesen in ihrer objektiven Wirklichkeit macht den Menschen frei und ledig aller Vorurteile“. [...]
 
Feuerbach forderte also eine „neue Philosophie“, welche „die Wahrheit der Sinnlichkeit mit Freuden, mit Bewusstsein[43] anerkennt. Anstatt im reinen Selbsterkennen, beginnt sie mit einer Konfrontation: Das denkende Ich macht zunächst die Erfahrung, dass ein Du existiert, das ihm einerseits Grenzen setzt, andererseits über sich selbst hinaus hilft. Erkenntnis beginnt also da, wo das Ich an einem anderen Wesen Widerstand findet: „Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du“.[44] Das Du wirkt auf den Erkennenden zurück, denn als Sinnenwesen sind Menschen nicht neutral den Dingen oder Lebewesen gegenüber, sie sind von ihnen „betroffen“: sie lieben, hassen, bewundern, lehnen ab usw. So wird „Leidenschaft“ geradezu zum Kriterium der Existenz: „Nur was – sei es nun wirkliches oder mögliches – Objekt der Leidenschaft, das ist.“ Kurz: „Was nicht geliebt wird, nicht geliebt werden kann, das ist nicht. Was aber nicht geliebt werden kann, das kann auch nicht angebetet werden. [...]
 
Die „neue Philosophie“ ist also dezidierter Humanismus. Da alles Übersinnliche oder Übernatürliche, sei es ein außerweltlicher Gott oder ein absoluter Weltgeist, ausgeschlossen wird, ist diese Philosophie auch materialistisch. Einen platten Materialismus, der bei der Anschauung stehen bleibt und nur die Materie gelten lässt, lehnte Feuerbach jedoch ab, er verstand seine Philosophie als „das zu Verstand gebrachte Herz“. Die Denkarbeit, das Theoretisieren, darf nicht unterbleiben, denn objektives Denken ist durchaus möglich, sofern dieses Denken „nicht in gerader Linie, in der Identität mit sich fortläuft, sondern sich durch die sinnliche Anschauung unterbricht“. Das Denken muss allerdings in Kauf nehmen, dass das Wirkliche „nicht in ganzen Zahlen, sondern nur in Brüchen darstellbar[46] ist, und vor allem muss es sich damit abfinden, dass es nie absolute Objektivität erreicht. Es wird immer in einem bestimmten Gesichtskreis befangen bleiben, denn wir denken immer als Mensch, alles geistige Verarbeiten der sinnlichen Wirklichkeit wird immer das von Menschen sein: „Was der Mensch auch immer nennt und ausspricht – immer spricht er sein eigenes Wesen aus.“[47]
 
Dieser Materialismus wird in der Sekundärliteratur als „anthropologischer Materialismus“ bezeichnet. Er unterscheidet sich vom Materialismus des 18. Jahrhunderts durch seine Blickrichtung. Dieser betrachtet den Menschen gleichsam vom Großen Ganzen der Natur aus als bloßen „Sonderfall“ und ist bestrebt, alles Menschliche auf physiologische Vorgänge und Mechanismen zurückzuführen (man spricht deshalb von Reduktionismus). Feuerbach anerkannte vorbehaltlos die zu seiner Zeit als „materialistisch“ geltenden Erklärungsbemühungen: Auch wenn die Wissenschaft noch weit davon entfernt sei, die Entstehung des Lebens nachweisen zu können, so bedeute das keinesfalls, dass sie es prinzipiell nicht könne.[48] Mit seinem berühmt gewordenen Diktum „der Mensch ist, was er isst“ kommentierte er zustimmend das Buch des Physiologen Jakob Moleschott, der erstmals einem breiten Publikum die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Stoffwechsel und körperlich-seelischem Wohlbefinden dargelegt hatte. Doch Feuerbachs Perspektive war die entgegengesetzte: Die Natur, wie sie den Wissenschaftlern Gegenstand ist, war für ihn „das physisch, aber nicht moralisch erste Wesen; das bewusste menschliche Wesen ist mir das […] dem Range nach erste Wesen“.[49] Seine Forschungsperspektive war also die „anthropologische“ oder, um einen heutigen Begriff zu verwenden, die humanwissenschaftliche: Ihn interessierte die theoretische Aufarbeitung der menschlichen Phänomene vom Gesichtspunkt des menschlichen Lebens aus. Diese Perspektive muss zwar ohne das Instrumentarium der „exakten“ Wissenschaften auskommen, gleichwohl muss sie sich auf empirische Untersuchungen stützen und nachvollziehbare Deutungen versuchen. Feuerbach nahm also bereits die Position ein, wie sie für die heutigen Humanwissenschaften – Psychologie, Soziologie, Ethnologie usw. – selbstverständlich ist. Und wie diese ging er nicht mehr „systematisch“ vor, sondern beschränkte sich auf ein Forschungsfeld, nämlich die Religion. Die meisten seiner Schriften nach dem Wesen des Christentums (das er zweimal bearbeitete) haben diese als Thema, auch die berühmten Vorlesungen im Heidelberger Rathaus; [...]
 
Auf den Glückseligkeitstrieb muss auch die Moral aufbauen. Ihr erstes und einziges Prinzip lautet: Meinem eigenen Recht auf Glückseligkeit entspricht das Recht auf Glückseligkeit des anderen. Gut und Böse sind keine metaphysischen Werte: „Es gibt kein anderes Kennzeichen für Bösesein als Übeltun, kein anderes für Gutsein als Wohltun.“[51] Die Grundlage für moralisches Verhalten hat die Natur vorgegeben, die einen „zwei- und gegenseitigen Glückseligkeitstrieb hervorgebracht hat“. Dieser gründet darauf, dass der Mensch „von Mutterleibe an die Güter des Lebens mit seinen Nächsten teilen muss, schon mit der Muttermilch […] mit den Elementen des Lebens also auch die Elemente der Moral einsaugt, als das sind Gefühl der Zusammengehörigkeit, Verträglichkeit, Gemeinschaftlichkeit, Beschränkung der unumschränkten Alleinherrschaft des eignen Glückseligkeitstriebes“.[52] Aufgabe jeder Moral muss also sein, dieser natürlichen Gegebenheit zur Entfaltung zu verhelfen: „Was anderes kann also die Aufgabe der Moral sein, als dieses in der Natur der Dinge […] gegründete Band zwischen eigener und fremder Glückseligkeit mit Wissen und Willen zum Gesetz des menschlichen Denkens und Handelns zu machen?“ Heftig distanzierte sich Feuerbach deshalb auch von Kants Pflichtethik (die im Wilhelminischen Deutschland besonders hoch im Kurs stand): „Eine Moral dagegen, welche dieses Band zerreißt, welche die Fälle, wo Pflicht und Glückseligkeitstrieb in Widerstreit geraten, zu ihrem Ausgangspunkt, zum Grunde dieser Zertrennung macht, was anderes kann sie sein als willkürliche Menschensatzung und Kasuistik?“ [...]"
 
Was Feuerbach äußert, meint, ist eben das jedem Menschen angeborene Mitgefühl intrinsische Moral, im Gegensatz zur religiös-ideologisch oktroyierten, indoktrinierten.
 
"[...] Wenn moralisches Verhalten die Entfaltung natürlicher Gegebenheiten ist, bedeutet dies umgekehrt, dass die Moral an menschenwürdige Lebensverhältnisse geknüpft ist. Feuerbach wurde in diesem Punkt politisch, er berief sich auch ausdrücklich auf die Beschreibung des Arbeiterelends im Kapital von Karl Marx: „Es gibt keine Glückseligkeit ohne Tugend, ihr habt Recht, ihr Moralisten […] aber merkt es euch, es gibt auch keine Tugend ohne Glückseligkeit – und damit fällt die Moral ins Gebiet der Privatökonomie oder Nationalökonomie“. Unter unmenschlichen Verhältnissen, betonte er, sei „auch der Moral aller Spielraum genommen […] Wo das zum Leben Notwendige fehlt, da fehlt auch die sittliche Notwendigkeit“. Seine Folgerung lautete: „Wollt ihr daher der Moral Eingang verschaffen, so schafft vor allem die ihr im Wege stehenden, materiellen Hindernisse hinweg!“ [...]
 
Bei der Frage der Willensfreiheit vertrat Feuerbach Positionen, die den Ansichten heutiger Psychologen und Hirnforscher nahekommen. Er verneinte zwar den freien Willen nicht grundsätzlich, sah ihm jedoch recht enge Grenzen gesetzt; eine „reine Unbestimmtheit des Willens“, wie Hegel sie postuliert hatte, lehnte er als theoretisches Abstraktum der traditionellen Philosophie und Moral von vornherein ab. Als Ausgangspunkt sah er auch hier den Glückseligkeitstrieb, denn Wille sei wesentlich Etwas-Wollen, und dieses Etwas könne nur „Wohlsein“, „Bienêtre“ sein: „Ich will, heißt: ich will nicht leiden, ich will glücklich sein.“[55] Das gelte sogar für den Selbstmord: „Ich kann nur dann den Tod wollen, wenn er für mich eine Notwendigkeit ist“.[56] Da sich das Wollen „nicht jenseits, sondern diesseits“ der natürlichen Bedürfnisse abspiele, könne man unabhängig vom Glückseligkeitstrieb überhaupt nicht von Willen reden: „Wo aber ein Wesen aufhört, Glückseligkeit zu wollen, da hört es auf überhaupt zu wollen“.[55] Oder kürzer: „Wille ist Glückseligkeitswille.“
 
Die zweite Grenze für die Willensfreiheit sah Feuerbach im individuellen Charakter. Hier traf er die Feststellung: „Mein Wesen ist nicht Folge meines Willens, sondern umgekehrt mein Wille Folge meines Wesens.“ Der Mensch sei also nicht, was er wolle, sondern er wolle, was er sei: Dem arbeitsamen Typ fällt es leicht, arbeiten zu wollen, das Genießenwollen hingegen fällt ihm schwer; beim Genießertyp ist es umgekehrt. Den Menschen ist dies zumeist nicht bewusst, deshalb verwechseln sie die Leichtigkeit, mit denen sie das eine oder andere wollen können, mit Willensstärke – und unterdrücken damit anders Veranlagte, denen sie entsprechende Willensschwäche vorwerfen: Weil „der Mensch von dem Wesen hinter seinem Bewusstsein nichts weiß, als was eben mit dem Willen vor sein Bewusstsein tritt, so setzt er den Willen selbst vor sein Wesen, macht ihn zum Apriori desselben, sein individuelles Wesen andern zum Gesetz, sein Sein zum Sein-Sollen für sie. ‚Ich bin heilig, darum sollt ihr heilig sein‘“. [...]
 
Auf dem Boden dieser „theoretischen Revolution“, die die materielle Wirklichkeit als die primäre erklärt und damit die idealistische Philosophie „vom Kopf auf die Füße stellt“, steht auch noch Das Kapital: „Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“ [...]
 
In der marxistischen Literatur herrschte bis vor wenigen Jahrzehnten die Tendenz vor, Feuerbachs Materialismus lediglich als fortgeschrittenste Stufe des vormarxschen Materialismus anzuerkennen. Entsprechend galt der marxsche Materialismus als theoretisch höher entwickelt, während man Feuerbach vorwarf, er habe Wesentliches „übersehen“ oder nicht zu leisten vermocht. Die verbreitete Aneignung der marxschen Perspektive verstellte den Blick für die Kernpunkte der Philosophie Feuerbachs, so dass von dieser oft nur Rudimente übrigblieben. Das im 20. Jahrhundert erworbene Wissen über die menschliche Psyche und die Humanbiologie einerseits, die vom „tätigen“ Menschen an der Natur angerichteten Schäden andererseits verschafften in letzter Zeit Feuerbachs eindringlichem Verweis auf „Natur“ und „Sinnlichkeit“ eine neue Legitimität. So steht Feuerbachs anthropologischer Materialismus heute wohl gleichberechtigt neben Marx’ historischem Materialismus. [...]"
 
Deckt sich mit auch meinem Eindruck, dass Marx Feuerbach missinterpretiert bzw. reduziert hat, reduzieren wollte - war er doch ein s e h r von sich Überzeugter, der gute Marx, der dann mal eben bequem ausblendete, überging, diskreditierte, was/wer nicht exakt seinen Zielen und Überzeugungen entsprach.
 
Was im Übrigen die Kritik Nietzsches und Stirners an Feuerbach anbetrifft, so lässt es sich auf einen Satz bringen:
 
Beide konnten Feuerbachs erkanntes und ihm unzweifelhaft innewohnendes, in ihm lebendiges Mitgefühl (seine Liebesfähigkeit) nicht nachvollziehen, weil beide dies selbst nicht von sich kannten, es ihnen beiden hieran mangelte; und es fehlte ihnen auch am Verständnis für Feuerbachs Spiritualität, die gerade nicht gleichbedeutend ist mit Gottgläubigkeit, mit Religiösität, Aberglaube, Esoterik, sondern dem Menschen ebenso innewohnend, angeboren wie das Mitgefühl.
 
"[...] Feuerbach zählt sicherlich auch zu den Wegbereitern der modernen Humanwissenschaften. Im Falle der Freud'schen Psychoanalyse ist sein Beitrag unleugbar. Max Scheler bezeichnete ihn als einen der „großen Triebpsychologen“, und Simon Rawidowicz meinte in Bezug auf Freuds Schrift Die Zukunft einer Illusion: „Hätte Freud hier seine Vorgänger aufgezählt, so hätte Feuerbach in vorderster Reihe stehen müssen“.[86] Auch Max Webers grundlegender Begriff der „Deutung“ erinnert an das Verfahren von Feuerbachs Religionskritik. Feuerbachs Beitrag zum Entstehen dieser Wissenschaften ist sicherlich nur mittelbar, doch alle heutigen Humanwissenschaften sind ja durchaus in Feuerbachs Sinne „anthropologisch“, sprich materialistisch. Feuerbach hat damit – neben anderen – den Weg freigemacht für eine Erklärung menschlicher Realitäten, die von realen, „objektiven“ Befunden ausgeht und konsensfähige Theoriemodelle entwickelt anstatt, wie es vor ihm der Fall war, mit spekulativen Gedankengebäuden zu operieren.
 
Insgesamt hat Feuerbach, zu seiner Zeit gegen heftigste Widerstände, Positionen formuliert und verfochten, die bis in die Gegenwart zunehmend an Geltung gewonnen haben. „Feuerbachs Versinnlichung und Verendlichung von Hegels philosophischer Theologie ist schlechthin zum Standpunkt der Zeit geworden, auf dem wir nun alle – bewusst oder unwissend – stehen.“ (Karl Löwith). [...]"
 
Quelle: Wikipedia - "Ludwig Feuerbach", farbliche Hervorhebungen habe ich vorgenommen.

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