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Sabeth schreibt

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Macht (-missbrauch) und Widerstehenkönnen

 
Macht (-missbrauch) und Widerstehenkönnen
 
„Wenn Pippi Langstrumpf jemals eine Funktion gehabt hat, außer zu unterhalten, dann war es die, zu zeigen, dass man Macht haben kann und sie nicht missbraucht. Und das ist wohl das Schwerste, was es im Leben gibt.“
Astrid Lindgren
 
Zu diesem Zitat gestatte ich mir folgende Anmerkungen:
Nein, es ist keineswegs schwer, dem Machtmissbrauch zu widerstehen, es ist viel mehr völlig selbstverständlich - wenn: man ein mitfühlender und reflektierter Mensch ist, wenn man psychisch "gesund", stabil ist und über sowohl Ur- als auch Selbstvertrauen, gesundes Selbstwertgefühl verfügt, wenn man insbesondere kein pathologischer Narzisst ist, keine narzisstische, keine anti-, dissoziale, keine psychopathische Persönlichkeitsstörung hat.

Denn das Streben nach Macht, Kontrolle und Unterwerfung anderer ist ein stets kompensatorisches, ein typisch narzisstisches.
 
Ein mitfühlender, prosozialer Mensch hat ein solches Kompensations"bedürfnis" nicht, er möchte andere nicht beherrschen, unterwerfen, unterdrücken, ausbeuten, missbrauchen, beschädigen, es bereitete ihm solches (eigenes) Verhalten selbst Schmerz, Leid, weshalb er sich nicht in dieser Weise verhält, es auch nicht will und daher keinem Machtmissbrauch widerstehen muss, da er gar nicht nach Macht strebt.
 
Eine andere Sache ist es, dass wohl jeder Mensch gesehen, gehört, d.h. respektiert, wertgeschätzt werden und Teil einer Gemeinschaft, dieser zugehörig und in ihr anerkannt sein möchte, dass er auch Mitsprache-, Mitgestaltungsrechte und -möglichkeiten haben, dass er mitentscheiden und nicht übergangen werden möchte.
Das aber hat nichts mit Machtstreben, Machtwünschen zu tun, sondern es ist ein von jeher natürlich menschliches Bedürfnis, nicht ausgerenzt zu sein, da das Ausgegrenztsein in frühen und langen Zeiten der Menschheitsgeschichte üblicherweise den sicheren Tod bedeutete. Und so ist es für Menschen auch heute noch (evolutionär bedingt) eine intensive psychisch-emotionale Schmerzerfahrung, ausgegrenzt, auch gemobbt ... zu werden.
 
Auch an dieser Stelle sei nochmals auf Joachim Bauers hervorragendes Buch "Schmerzgrenze - Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt" verwiesen, in welchem er die Hintergründe und Zusammenhänge auf neurowissenschaftlicher Basis erläutert.
 
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update 15. Oktober 2023
 
Menschen brauchen keine Hierarchien, keine "Führung", sondern Reife.
Und die Möglichkeit, Umstände, Verhältnisse, Umgebung, Austausch, zwischenmenschliche Kontakte, Beziehungen, Erlebnisse, Erfahrungen, Reflexionsfähigkeit, um je persönlich reifen zu können: emotional, sozial, intellektuell.
 
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01. Mai 2024
 
Das stets kompensatorische Streben nach Macht, Kontrolle, Herrschen, Unterwerfen, das Machtgebaren, das leider nach wie vor zahlreiche Männer für Stärke, Souveränität halten, ist im Grunde nichts anderes als Angst, Feigheit, Schwäche, Selbstbetrug. Unreife.
 
03. Mai 2024
 
Macht, Reichtum, Vermögen, Status, Stellung, Posten, Karriere - vermeintlicher "Erfolg" = Selbstbetrug, Selbstsucht/Egomanie, charakterliche Armut, Schwäche, Unreife.
Siehe Kapitalismus, Neoliberalismus und den entsprechenden Menschentypus.
 
Was heißt "im Leben vorankommen": für neoliberale, kapitalistische, narzisstisch-egomane, antisoziale Menschen?
Für mich ist es: reifen (Persönlichkeitsreife), wohltuende Beziehungen mit prosozialen Menschen zu leben, sinnvolle, gemeinwohlförderliche! Arbeit zu tun, lieben.
 
Arbeit, Leistung: für das Gemeinwohl - statt Ausbeutung, Ausgebeutetwerden für Kapitalismus, für den Wohlstand, Reichtum einer globalen Minderheit.
Männer, die kinderlos sind oder die die unentbehrliche Sorge-Arbeit, die Lohnarbeit, Erwerbstätigkeit überhaupt erst ermöglicht, noch nie über Jahre für andere Menschen unbezahlt täglich, inkl. nachts, ohne geregelte Freizeit GELEISTET haben, schweigen gefälligst über Arbeit!
 
Sorge-Arbeit, Care: ohne Einkommen weltweit nach wie vor von mehrheitlich Frauen unbezahlt geleistet - systematische staatliche, kapitalistische, patriarchale Ausbeutung und Zementieren von Armut: Frauenarmut, Mütterarmut, Kinderarmut Altersarmut.
Und Zementieren von Ehe und Kleinfamilie: Frauen abhängig, unter Kontrolle halten - oder kinderlos.
 
Fremdbetreuung, systematische Auslagerung von bedürftigen, verletzlichen Menschen ist nicht Lösung, sondern Teil des Problems, erhält, zementiert die bestehende Ungerechtigkeit, Dreifachbelastung, Ausbeutung von Frauen, Müttern, Sorge-Arbeit Leistenden.
 
Wie geistig arm und seelisch verarmt kann ein Mensch nur sein, der reich werden will - der nach monetärem Reichtum, Vermögen strebt.
Denn niemand, der geistig und seelisch gesund ist, kann nur eigenen Reichtum, Wohlstand im  Wissen um Armut, Not, Leid, Elend anderer genießen.
 
Wenn der Kaiser nackt ist, kommt seine ganze abstoßende Hässlichkeit und Kleinheit, Schwäche zum Vorschein. Drum will er diese Blöße, diese Wahrheit mit allen Mitteln verborgen halten.
Was bleibt von einer Person übrig, wenn ihr alle Titel, alles Vermögen, sämtliche Statussymbole genommen werden, verlustig gehen  - welcher Mensch, welche: Persönlichkeit?
Woran es diesen vermeintlich Reichen, Mächtigen fehlt, ist Würde, Mitgefühl, Verantwortungsbewusstsein, Liebesfähigkeit.
Es sind sämtlich arme Teufel.
 
Der Wert eines Menschenlebens bemisst sich nicht nach akademischen Titeln, Einkommenshöhe, Vermögensumfang, Narzissmusgrad (besetzten Machtpositionen), Ruhm, wirtschaftlicher Funktionalität und Verwertbarkeit. Menschenwürde.
 
Was ist Reife, Persönlichkeitsreife:
Erkenntnis-, Urteils-, Reflexions- und Selbstreflexionsfähigkeit, Vernunft, Empathie, Mitgefühl, Authentizität, Integrität, (Zivil-) Courage, Rückgrat, Prosozialität, Liebesfähigkeit.
 
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04. Mai 2024
 
Macht macht einsam. Trotz auch.
Es gibt diese Menschen, die Starrsinn und Unversöhnlichkeit für Stolz halten, Stolz nicht von Würde unterscheiden können, hinter ihrem antisozialen Verhalten ihre Selbstsucht, Liebesunfähigkeit und Schwäche verbergen zu können glauben. Unreife.
 
Pathologischer, maligner Narzissmus -> Selbstwertproblematik, deshalb: Autoritarismus, Macht, Kontrolle, Herrschen, Unterwerfen, Ausbeuten, Egomanie, Selbstbetrug, Liebesunfähigkeit.
Unreifes, selbst- und fremdschädigendes Kompensationsverhalten.
 
Der pathologische Narzisst, siehe malignen Narzissmus, antisoziale PKST, kennt, hat, fühlt keine Sehnsucht nach anderen, ihm nahestehenden Menschen, er hat lediglich das Verlangen danach, andere Menschen - wie Objekte, Gegenstände - zu konsumieren. Er will nur bewundert werden, Applaus, Macht und Kontrolle. Nicht Liebe, nicht wohltuende, prosoziale Beziehung.
 
Der pathologische Narzisst ist nicht liebesfähig - es fehlt ihm hierfür an der basalen Grundvoraussetzung: dem intakten Mitgefühl.
 
Nach einer Trennung leidet der path. Narzisst nicht unter dem Verlust als solchem, er vermisst die andere Person, Persönlichkeit nicht: psychisch-emotional, physisch, er hat keine Sehnsucht nach ihr.
Was ihm Schmerz bereitet bzw. bei ihm Wut, Jähzorn, Trotz, auch Hass und Rachegefühle auslöst, ist lediglich das Gefühl der Demütigung und Scham über das Verlassenwordensein, über die Zurückweisung - es ist bloße gekränkte Eitelkeit und das durch das Verlassen- und Kritisiertwordensein massiv getriggerte Gefühl der Scham und Minderwertigkeit, siehe die typisch zugrundeliegende Selbstwertproblematik des pathologischen Narzissten und sein daraus resultierendes selbst- und fremdschädigendes Kompensationsverhalten.
 
Der pathologische Narzisst verträgt Kritik an seiner Person, seinem antisozialen Verhalten nicht einmal in homöopathischen Dosen.
 
Er will, wünscht keine Konfliktbewältigung, kein Verhältnis auf Augenhöhe, keinen gegenseitigen Respekt, Achtung, Wertschätzung und echte Zuneigung, sondern lediglich - erneut - Macht, Kontrolle, totale Unterwerfung - zum Zwecke des Ausbeutens, Erniedrigens, Verletzens und Beschädigens seines Opfers, um sich auf diese Weise wieder "gut, stark, groß, mächtig, wertvoll" fühlen zu können. Nur so kann er es, nur so will er es. Inklusive Sadismus.
 
Wenn der Narzisst weint, auch schluchzt, verzweifelt, haltlos ist, beweint er stets nur sich selbst - Selbstmitleid. Nie vergießt er emotional authentisch, wahrhaftig eine Träne über den Schmerz, das Leid anderer. Weil es ihm am dafür erforderlichen Mitgefühl mangelt.
 
Toxische Männlichkeit - Männergewalt:
Autoritarismus, kompensatorisches Streben nach Macht, Kontrolle, Herrschen, Unterwerfen, Selbstwertproblematik, Minderwertigkeitskomplexe, Unterlegenheitsgefühle, Mangel an Mitgefühl: maligner Narzissmus. Unreife.
 
Es ist nicht Aufgabe von Frauen, Männern "zu helfen", ihre toxische Männlichkeit, Männergewalt, Unreife, Patriarchat zu überwinden. Es ist Aufgabe der Männer: Emanzipation. Frauen haben diese ihrerseits bereits geleistet.
 
Diese Arbeit der Selbstkritik, Selbstreflexion, der Reifung, des Entwickelns einer nicht-schädigenden "Männlichkeit", eines entsprechenden Männer-, Selbstbildes und prosozialen, respektvollen Verhaltens: ist Aufgabe von Männern - nicht von Frauen.
 
Nein, es sind nicht Frauen, Mütter, die für die toxische Männlichkeit, für also patriarchal-autoritär-narzisstisches Verhalten von Männern verantwortlich sind. Es sind all die patriarchalen "Vorbilder" in Gesellschaft, Religion, Politik, Verantwortungspositionen und: Väter ... .
 
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04. Mai 2024
 
Für Narzissten:

Wenn du weißt, dass ein dir gut bekannter Mensch in physischer, psychischer, gesundheitlicher, sozialer, existenzieller Not ist, deine! Hilfe braucht - sozial, emotional, praktisch, tatkräftig, finanziell - lässt du ihn nicht betteln, sondern agierst wohltuend!
 
Das heißt: Dieser in Not befindliche Mensch muss dich nicht erst demonstrativ bitten, sich nicht erndiedrigen, unterwerfen, sondern du hilfst ihm bedürfnisorientiert, nicht-paternalistisch, tatsächlich wohltuend, prosozial: eigeninitiativ, dabei unaufdringlich.
 
Vor allem knüpfst du deine Unterstützung nicht an Bedingungen, unmoralische Voraussetzungen oder Verhaltensweisen: du erpresst, benutzt, erniedrigst die bedürftige Person nicht und speist sie weder mit bloßem Gelaber ("Ratschlägen, Tips", Belehrungen) ab noch mit Geld.
 
Prosoziale Taten, statt anstrengungslose, heuchlerische, manipulative Worte - Lügen.
Eine Frage des Charakters, der Persönlichkeit.
 
Es kommt grundsätzlich - auf privater wie politischer, öffentlicher Ebene - nicht darauf an, was eine Person nur, auch wiederholt und mit Nachdruck äußert, ankündigt, verspricht, beteuert, behauptet, sondern wie sie sich verhält, wie sie agiert.
An Taten messen, nicht an Worten.
 
Wer nicht ehrlich, wahrhaftig, aus innerem, echten Bedürfnis heraus um Verzeihung bitten kann - für von ihm wissentlich verursachtes Leid - drückt damit nicht Macht, Stärke, gar Würde aus, sondern Selbstgerechtigkeit, Selbstbetrug - Scham, Feigheit, Schwäche.
Unreife.
 
Wer nicht ehrlich, wahrhaftig, von Herzen um Verzeihung bitten kann, kann nicht lieben.
Wer nicht zugewandt, bedürfnisorientiert geben kann, kann nicht lieben.
Wer nicht eigene Defizite, Unzulänglichkeiten, Fehlverhalten zugeben, wiedergutmachen will, kann, kann nicht lieben.
 
Wiedergutmachung, Versöhnung, Frieden schaffen und erhalten:
 
Frieden schaffen und erhalten bedeutet nicht, den anderen vor ein Ultimatum zu stellen, ihn zu unterwerfen, zu manipulieren, arglistig zu täuschen - also nach wie vor oder erneut: zu beschädigen.
Es ist kein "Friss oder stirb!".
Es geht nur mittels Dialog. Und Mitgefühl.
 
Konflikte, gleich ob auf "privater" oder politischer Ebene, inkl. Krieg, behebt man nicht effektiv, wenn die Konfliktbeteiligten oder einer derer keinerlei Einsicht, Entgegenkommen, Versöhnungsbereitschaft zeigt, nur auf seinem vermeintlichen "Recht", auf Macht beharrt.
 
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Zweifelsohne ist jeder Täter selbst Opfer.

Zugleich ist er als Täter jedoch Verletzungen, Beschädigungen, Leid anderer, somit weitere Opfer verursachend und dafür zur Verantwortung zu ziehen - mittels Um-Verzeihung-Bittens (auf Basis von Schuldeinsicht, von Mitgefühl), Wiedergutmachung, idealerweise sich anschließender Versöhnung mit jeweiligem/-n Opfer/n, nicht: durch Strafe, nicht durch Gewalt. Nicht auf Basis von Hass, Rache, Vergeltung.
 
Nur durch Mitgefühl und Wiedergutmachung sowie Versöhnung kann der Kreislauf der Gewalt, der Vergeltung, die Destruktionsspirale durchbrochen, d.h. bewältigt werden.
 
Die einzige Art der gewaltlosen, somit der gebotenen Konfliktbewältigung ist dialogische Kommunikation, falls erforderlich mit Unterstützung durch je angemessene, passende, versierte Mediation (unabhängiger, neutraler Mediatoren) oder aber unter Umständen, situationsbedingt auch nonverbal: eine direkte menschliche, zugewandte, gebende, versöhnliche, mitfühlende Geste, entsprechende Tat.
 
Wem es jedoch um Macht, Kontrolle, Unterwerfung, zumeist auch Ausbeutung geht, wird zu solcher Konfliktbewältigung weder willens noch fähig sein. Siehe pathologischer, maligner Narzissmus, antisoziale Persönlichkeitsstörung.
 
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"[...] Aus dem Selbsthaß wächst der Haß. Woher aber kommt der Selbsthaß?
 
Geläufig ist die Einfühlung des Opfers in den Täter, die beflissene Anpassung an den Unterdrücker - als "Identifikation mit dem Aggressor" einer der klassischen "Abwehrmechanismen", mit denen nach der Lehre der Psychoanalyse das bedrohte Ich eine unerträgliche Situation zu meistern sucht.
 
Die meisten Menschen haben diese Anpassung geleistet, als Erziehungsdruck sie lehrte, daß Liebe (oder was dafür ausgegeben wird) nur um den Preis der Fügsamkeit zu haben ist, daß es also nicht ratsam ist, ein eigenes Selbst zu sein. Wer sich so akzeptabel macht für eine lebensängstliche Umwelt, zahlt mit dem Verzicht auf die eigene Lebendigkeit, die er hinfort fürchten und hassen muß, ohne es selber zu wissen.
 
Nur der Machtbesitz, im großen wie im kleinen, kann nun die innere Leere verdecken, die Angst betäuben, die heimliche Selbstverachtung beschwichtigen. Machtstreben durchwirkt dann verfälschend alle menschlichen Beziehungen und knüpft immer verstrickender das Netz einer entfremdeten "Realität", die immer neue Anpassung erzwingt. Der Haß der Betrogenen, der damit genährt wird, bleibt gewöhnlich latent. Grausamkeit und Mord sind die Extremfälle einer pathologischen "Normalität".
 
Gewöhnlich bieten die alltäglichen Beziehungsspiele genügend Möglichkeiten zu sublimer Manipulation und verschleierter Rache durch Selbstzerstörung. Sozialpsychologen aber haben auch reichlich Stoff zum Nachdenken über messianische Räusche, die Ekstasen des Gehorsams bis zum Untergang, die Erlösungshoffnungen, die sich auf menschenverachtende Führergestalten richten. [...]
 
Wenn von Autonomie die Rede ist, denkt man gewöhnlich an Selbstbehauptung und Durchsetzungskraft. Autonom bin ich, wenn Erfolg im Daseinskampf mich unangreifbar macht, doch dies ist für Gruen das genaue Gegenteil wahrer Autonomie: nämlich Hingabe an die herrschende Ideologie von Leistung und Macht, bestenfalls also eine geglückte Kompensation für den Verlust der ursprünglichen Autonomie. Diese ist für Gruen "derjenige Zustand der Integration, in dem ein Mensch in voller Übereinstimmung mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen ist".
 
Wer so in Freuden und Schmerzen seine eigene Lebendigkeit erfährt, braucht sich nicht durch die Ersatzbefriedigung vermeintlicher Überlegenheit zu beweisen, daß er etwas ist - er ruht in sich selbst. Die Fähigkeit dazu kann er erwerben, wenn er in früher Kindheit erfahren hat, daß er um seiner selbst willen geliebt wird und Liebe nicht verdienen muß durch das Selbstopfer der Unterwerfung. Wer dies nicht erfährt, der lernt, sich selber zu verachten und seinen Gefühlen zu mißtrauen, und sucht sein Heil hinfort in manipulierender Anpassung.
 
Dieser Mensch verrät sein Selbst, wird Untertan und Komplize einer Machtwelt, deren Gesetze er als auftrumpfender Erfolgsmensch oder als sich selbst bestrafender Versager, als williger Funktionär oder als aggressiver Rebell bestätigt. Es sei denn, er geht den paradoxen Weg des "Geisteskranken", der im lebendigen Tod des isolierenden Rückzugs sein Selbst zu wahren sucht. Zerstörerisch aber sind beide Fluchten. Denn der Haß, entstanden aus pervertiertem Liebesbedürfnis, schafft sich Ventile.
 
Es sind gewöhnlich die Mütter, die die erste Entscheidung für oder gegen die Machtlust vorbereiten - durch emphatische Zuwendung oder durch wohlmeinenden Mißbrauch des Kindes für eigene neurotische Bedürfnisse. Doch Gruen klagt nicht die Mütter an. In einer von Männern geprägten Welt ist ihnen die ungebrochene Lebensbejahung schwergemacht, aus der allein die nicht durch Besitzanspruch verfälschte Liebe wachsen kann. Weniger geschädigt als die Männer, die im Wahn männlicher Unerschütterbarkeit nicht einmal ihre Selbstzweifel gestehen dürfen, können Frauen ihren Gefühlen näher bleiben.
Doch Selbstwert daraus zu schöpfen, gelingt den Frauen selten, denn was ihre Stärke ist, verachtet die erfolgsbewußte Umwelt als Schwäche. So retten sie sich in Zweideutigkeiten und stürzen damit die Söhne in eine innere Spaltung, die ihren eigenen Widerspruch spiegelt und fortsetzt. Ein Teufelskreis hat sich geschlossen [...]
 
Diese Deutung scheint eine Gesellschaft zu unterstellen, die nur aus Opfern besteht. Doch die Opfer sind Täter zugleich. Die anpassende Unterwerfung unter die Macht ist, wie erzwungen auch immer, nicht nur passives Erdulden, sondern aktive Leistung. In der Unterwerfung wird die Macht anerkannt und verinnerlicht, somit auch unbewußt ausgeübt. Der Unterdrücker sitzt fortan nicht mehr draußen, sondern drinnen, und drinnen muß er überwunden werden. Dies ist ein dorniger Weg, für den es keine einfachen Rezepte geben kann. Ob mit therapeutischer Hilfe oder ohne sie - dieser Weg führt durch Angst und Schrecken.
 
Denn eben, weil es Angst macht, ein eigenes Selbst zu sein, wurde das Selbst ja verraten. Es wiederzugewinnen heißt zunächst, die Gefühle von Hilflosigkeit, Schmerz und Wut zu durchleiden, die einmal so überwältigend waren, daß es ratsam schien, das Selbst zu opfern, um nichts mehr von ihm zu spüren. Anders als jene Reagans, die überall "Fenster der Verwundbarkeit" abzudichten suchen und auf diese Weise den Angstgrund ihres Machtgebarens verraten, findet der zur Autonomie Ermutigte Freiheit im Akzeptieren seiner Verwundbarkeit.
 
Gruen findet darum die therapeutische Arbeit gerade mit solchen Patienten am hoffnungsvollsten, die als besonders schwer gestört gelten: Ihre "Krankheit" ist Ausdruck der Unfähigkeit, mit der Spaltung zu leben; sie sind ihrem Selbst weniger entfremdet als der anpassungswillige Normalneurotiker, dessen Sehnsucht danach geht, reibungsloser zu funktionieren.
 
Gruens "Verrat" ist auch ein politisches Buch. Es ist politisch in seiner Analyse des Geschlechterkampfes, in dem verschwiegene Selbstverachtung zur gefährlich stumpfen Waffe eines trügerischen Zusammenspiels wird: einer des anderen Krücke und Pfahl im Fleisch.
Es half zum faulen Frieden mit den Verhältnissen, nicht zum Frieden des Menschen mit sich selbst.
Dieser Friede aber fordert nicht den Triumph rigoroser Vernunft (Freud: "Wo Es war, soll Ich sein"), sondern eher etwas, das sich mit so altmodischen, fast unaussprechbar gewordenen Vokabeln wie "Barmherzigkeit", "Liebe", "Herz" umschreiben läßt. [...]"
 
Quelle: spiegel.de - "Nur der verwundbare Mensch ist stark", Spiegel 32/1985, farbliche Hervorhebungen habe ich vorgenommen.

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