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Sabeth schreibt

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Arthur Schopenhauer

"[...] "Die Welt ist die Hölle und die Menschen sind einerseits die gequälte Seele, andererseits die Teufel." [...]
 
"Sie meinen, der Mensch ändert sich nie? - Wer sich darüber aufklären möchte, der kann die Überzeugung, dass der Mensch in seiner Grausamkeit keinem Tiger und keiner Hyäne nachsteht, aus 100 alten und neuen Berichten schöpfen. - Das mag sicherlich zutreffen. Wenn man gerade aus der Geschichte weiß, wozu der Mensch fähig ist, verliert man ja den Glauben an ihn. - Beim Anblick der Laster, Fehler, Mängel und Unvollkommenheit kann es so weit kommen, dass die Welt ästhetisch als Karikaturenkabinett, von der intellektuellen als ein Narrenhaus und von der moralischen Seite als eine Gaunerherberge erscheint. Bleibt dieser Eindruck bestehen, entsteht Misanthropie." [...]
 
Prof. Matthias Koßler, Philosoph an der Universität Mainz und Präsident der Schopenhauer-Gesellschaft:
 
"Man kann sagen, er steht an der Wende von der klassischen deutschen Philosophie zur Moderne. Und die Hinwendung zum Irrationalen ist ein Punkt, die Konzentration auf den Leib als wichtiger Bestandteil des Menschen. (...)" [...]
 
Mit seiner Behauptung, dass die Welt nicht von der Vernunft, sondern vom Willen beherrscht wird und dass die "Genitalien" der eigentliche "Brennpunkt des Willens" sind, bereitete Schopenhauer den Erkenntnissen Darwins und Freuds den Weg. Vom Willen beherrscht werden, heißt aber auch: dass der Mensch nie zur Ruhe kommt, sondern dass sein Wille ihn immer weiter treibt.
 
"Unser Dasein ist im Wesentlichen ein rastloses. Es gleicht einem Bergabrennenden, der wenn er stille stehen wollte, fallen müsste und nur durch Weiterrennen sich auf den Beinen hält. - Diese Diagnose stimmt vermutlich, wenn man sich unsere Arbeitswelt und die Produktionsweise ansieht, ganz zu schweigen vom Konsumieren. Die Frage ist doch deshalb, warum der Stress, warum tut er sich das an? - Alles Treiben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit seinem Zustand. Keine Befriedigung ist dauernd, sondern nur der Anfang eines neuen Strebens."
 
Kaum hat der Mensch ein Ziel erreicht, steht ihm die Schalheit des Erreichten vor Augen. Dann muss er weiter, zum nächsten Ziel. Das menschliche Leben schwankt derart zwischen dem Empfinden eines Mangels - und der Langeweile, die entsteht, wenn der Mangel befriedigt ist. [...]
 
Sobald Not und Leiden dem Menschen eine Rast vergönnen, ist gleich die Langeweile so nahe, dass er des Zeitvertreibens notwendig bedarf. - ... Was meinen Sie? Wer langweilt sich besonders? - Wo die Not die beständige Geißel des Volkes ist, so die Langeweile die der vornehmen Welt. Im bürgerlichen Leben ist sie durch den Sonntag wie die Not durch die sechs Wochentage repräsentiert.. ... Sagen Sie, was ist denn so schlimm an der Langeweile, was sind die Folgen? - Aus der inneren Leerheit, welche die Quelle der Langeweile ist, entspringt die Sucht nach Gesellschaft, Vergnügung, Zerstreuung und Luxus jeder Art, welche viele zur Verschwendung und dann zum Elend führt."
 
Schopenhauer entdeckt eine Welt ohne Gott, ohne höhere Weihen, ohne letzten Sinn. Das Leben in dieser Welt ist - endlich, erbärmlich und zufällig.
 
" Was die Radikalität Schopenhauers ausmacht, ist die Abwendung von dem Gedanken einer göttlichen Ordnung. [...]
 
"Das Besondere an ihm ist, dass es bei ihm auch die andere Seite noch gibt. Es gibt nicht nur die Feststellung, wie er ganz radikal gesagt hat, dass das Leben des Menschen nichts anderes ist als ein Schimmelüberzug über einer Kugel im Weltraum, also diese rein illusionslos naturwissenschaftliche Sicht. Sondern dass es bei ihm auch noch diese anderen Bereiche gibt, an denen er festhält: die Ethik, Ästhetik, die Betrachtung des Schönen und die Möglichkeit die Welt mit anderen Augen zu betrachten."
 
Es ist einerseits die Erfahrung der Kunst, insbesondere der Musik, die uns eine Weile zur Ruhe kommen lässt im geschäftigen Treiben der Welt. Doch vor allem ist es das Mitleiden mit den anderen, die Einsicht, dass alle Menschen vom gleichen blinden Wollen, von Qual und Schmerz gezeichnet sind, das aus dem Zirkel des Begehrens führt. Im Mitleiden macht der Mensch sich den Schmerz der ganzen Welt zu eigen (...). [...]
 
" Es gibt da verschiedene Äußerungen, also die radikale Askese, also das man auf das für das Leben Wichtige völlig verzichtet. Aber es gibt auch Interpretationen, die das zusammenbringen mit seiner Mitleidsethik. Wenn ich nicht immer nur an mich denke, sondern den anderen mit einbeziehe und erkenne, dass er gar nicht so getrennt ist, wie das die unmittelbare Erfahrung nahe legt, das hat ja auch schon eine Wirkung, die dieses Egoismus dämpft." [...]
 
Schopenhauer selbst freilich entsprach diesem Ideal demutsvoller Bescheidenheit keineswegs. Er kämpfte um die Anerkennung seines Werkes. Er wollte gehört werden, sah sich von der akademischen Welt zurückgesetzt, ja ignoriert. Er war verbittert, weil kaum jemand seine Schriften zur Kenntnis nahm. Berühmt wurde er erst in den letzten Jahren seines Lebens und erst recht posthum. Neun Jahre nach Schopenhauers Tod schrieb etwa sein Bewunderer Leo Tolstoi:

"Wenn ich ihn lese, ist mir unbegreiflich, weshalb sein Name (so lange) unbekannt bleiben konnte. Es gibt höchstens eine Erklärung, eben jene, die er selber so oft wiederholt, nämlich dass es auf dieser Welt fast nur Idioten gibt." "
 
Quelle: Deutschlandfunk (siehe oben stehenden Link), farbliche Hervorhebungen wurden von mir vorgenommen.
"[...] In seinem grandiosen Brief an Goethe vom 11. November 1815 lässt Schopenhauer den Weimarer Gottvater wissen, dass es »der Muth« sei, »keine Frage auf dem Herzen zu behalten«, der den Philosophen macht. Der furchtlose Frager Ödipus ist sein Vorbild, während dessen Mutter Jokaste diesen Fragefuror vermissen lässt und ihren lauen Frieden mit den Göttern macht. Kein anderer Philosoph unter den Vorgängern und Zeitgenossen hat es so radikal gesagt: Philosophie ist Mutsache. [...]
 
Das Wesen der Welt ist nicht der Geist, die Vernunft, der »Logos«, sondern der Wille, und zwar kein rational lenkbarer, verfügbarer, sondern ein blinder, drängender, treibender Wille. Er ist ein »Durst« im buddhistischen Sinn, der die scheinautonome reine Vernunft in Gier, Hass und Verblendung am Gängelband führt. Dieser Wille bleibt ziellos, heillos. Er ist wie der »Hans im Schnakenloch« des gleichnamigen elsässischen Volkslieds: »Was er hat, das will er nicht, und was er will, das hat er nicht.« Zwischen Langeweile, »Not« und Entbehrung schwankt er, übersättigt und unersättlich zugleich.
 
Vor allem im Trieb manifestiert sich seine Macht – über allem, in allem: der Geschlechtstrieb, die Sexualität. Hier wird Schopenhauer zum Vorläufer Sigmund Freuds, der ihn als Ahnen anerkennt. Schopenhauer entdeckt lange vor ihm und auch vor Friedrich Nietzsche die Kräfte des Unbewussten: Das individuierte, bewusste Ich ist nicht »Herr im eigenen Haus«.
 
In der »Hölle« nie zu sättigender »Wollust« aber, so heißt es in einem freimütigen Jugendgedicht Schopenhauers, ist am wenigsten die Befriedigung zu finden, auf die sich der Wille vergeblich richtet. Ja, mit dem Dasein und Wohlsein ist es im Ganzen nichts. Beides löst sich vor der »Nichtigkeit und des Leidens des Lebens« in eine Schimäre auf. Das Leben verrinnt in Qual und Selbstquälerei. Bleibt nur die Einsicht, dass man sich mit dem Tod über die Leiden des Lebens hinwegtrösten kann – wie freilich nur mit den Leiden des Lebens über den Tod.
 
Aber warum ist überhaupt etwas? Die harte, desillusionierende Antwort, die der Philosoph gibt, wird gern als bloß »pessimistische«, »schwarzseherische«, als Stimmungsphänomen der Gemütspathologie missverstanden. Doch Schopenhauer zielt aufs Prinzipielle, auf einen gänzlich dunklen Seinsgrund. Im Widerspruch zur abendländischen Tradition erklärt er: Das Sein ist nicht das Gute, wie es seit Platon die Metaphysik will. Das wahre Sein ist vielmehr das Leiden. Glück gibt es, jedoch nur episodisch. Das Leiden aber, so lautet Schopenhauers negative Ontologie, bleibt fatal unnachgiebig, der Schmerz penetrant. »Denn alles, was besteht, ist wert, dass es zu Grunde geht. Drum besser wär’s, daß nichts entstünde«, wie Schopenhauer mit Goethes Mephistopheles sagt.
 
Konsequent wird der alte Gott, dem selbst die Theodizee der Leibnizschen Aufklärung nicht mehr aufhelfen konnte, als der angebliche Schöpfer aller guten Dinge aus der verpfuschten Welt verjagt. Ja, er wird getötet, wie Schopenhauers bedeutendster Schüler Nietzsche verkündet, der seinen Lehrer als »Ritter zwischen Tod und Teufel«, als »ersten eingeständlichen und unbeugsamen Atheisten, den wir Deutschen gehabt haben«, rühmt. Wenn ein Gott diese Welt gemacht hätte, bekennt Schopenhauer, dann wollte er dieser Gott nicht sein. Das Leiden seiner Geschöpfe würde ihm das Herz zerreißen. Die Schöpfung wäre besser »zu Hause« geblieben. Schopenhauers Philosophie der verfehlten Schöpfung verweigert das Einverstandensein.
 
Das ist in der Philosophiegeschichte eine radikal neue Geste. Sie entspricht nicht mehr als konforme Metaphysik dem, was sie als die Substanz der Welt bestimmt, sondern sie widerspricht. In diesem Sinn ist Schopenhauers negative Ontologie die kritischste Theorie des Weltgrundes. Weswegen der Philosoph, unerachtet seines reaktionären politischen Denkens, auch kein affirmativer Geist ist: »Seht ihn nur an, niemandem war er untertan« (Nietzsche). Seine Philosophie sagt Nein, am Schluss des vierten Buchs des Hauptwerkes wagt sie sogar explizit das großgeschriebene »Nichts« zu sagen. Darin liegt nach wie vor seine größte Provokation.
 
Erlösung ist für Schopenhauer nur möglich, wenn der weltschaffende Wille – durch Selbsterfahrung klug geworden, dem Irrsal des Lebens in der Kunst und der Philosophie episodisch entronnen und im Mitleid mit dem universellen Leidenscharakter der Welt vertraut – durch Askese die fatale Triebstruktur überwindet. Wenn er sich von den Phantasmagorien des Daseins und Wohlseins abwendet. Erst als »vollständig Erwachter«, der den »Jammer des Lebens« erkannt hat und dem Durst nicht mehr nachgibt, kann der Mensch zum Buddha werden.
 
Schopenhauer selber ist dieser Buddha freilich nicht geworden. Dafür ist er viel zu sehr inkarnierter Wille geblieben. Biografisch zeigt er sich als triebhafter genitaler Wille, der sich der Geschlechtsliebe in leidenschaftlichsten Beziehungen hingibt. Durchaus mit fatalen »schöpferischen« Folgen: Zwei Kinder hat er gezeugt, die beide früh sterben. Er ist polemischer Wille zum Dasein als fortwährender Kriegsführung, gleich, ob es (vor allem in seiner Zeit als Privatdozent in Berlin von 1820 bis 1831) gegen die Professorenphilosophie der Philosophieprofessoren geht, gegen die pflichtvergessenen Verleger, die »Weiber« oder, 1821 in der Affäre Marquet, ganz konkret um die erst handgreifliche, dann juristische Auseinandersetzung mit der verzeihlich neugierigen Berliner Näherin Caroline Marquet – von der lebenslangen Entzweiung mit der Mutter ganz zu schweigen.
 
Als egoistischer Wille eines bourgeoisen Couponschneiders und Rentiers verleugnet Schopenhauer die sozialphilosophischen Konsequenzen seiner Mitleidsethik samt ihrem bemerkenswerten Plädoyer nicht nur für die Linderung, sondern auch die sozialpräventive Verhinderung des Leidens auf den Galeeren der Industrie. Als politisch reaktionärer Wille ergreift er, der sich 1833 endgültig in Frankfurt am Main niedergelassen hat, in den Kämpfen des Revolutionsjahres 1848 rückhaltlos die Partei von Law and Order, meilenweit von jener Subversion entfernt, die er als Philosoph vollzieht. Das ist der unselige, friedlose Schopenhauer, weiß Gott kein Buddha des Westens und nicht einmal ein Buddha von Frankfurt. [...]
 
Trotz deprimierender Erfolglosigkeit schreibt er weiter. Autor zu sein, weiß er, heißt, einen langen Atem zu haben. Und wenn er sich doch öfter am Rand der Selbsttötung bewegt, so als »der Selbstmörder, der am Leben bleibt«. [...]
 
Und dennoch entspricht seine neu gewonnene aphoristische Lebensweisheit noch in ihrer schwungvollsten Wendung der grimmigen Substanz seiner Philosophie. Einen plausiblen Grund, weswegen das Leben und die Welt überhaupt sein sollten und nicht vielmehr nichts, hat er auch jetzt nicht anzubieten. Doch gerade angesichts der letzthinnigen Dominanz des Leidens kommt es darauf an, es nicht unnötig zu mehren, vor allem vom Leben nichts zu erwarten, was es nicht geben kann. Denn nichts stürzt sicherer ins Unglück als die Schimäre des Glücks. [...]
 
"(...) Besser als liegen ist schlafen, und besser als schlafen ist todt seyn." "
 
Quelle: oben stehender ZEIT-Artikel (siehe entsprechenden Link); farbliche Hervorhebungen habe ich getätigt.

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