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Sabeth schreibt - Lebenskunst für Laien

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Müssen Männer trauern lernen?

 
07. April 2025
 
Zu oben verlinkter arte Reportage "Wie Männer trauern lernen" 
 
Viele Männer müssten wohl erst einmal "lernen", begreifen, dass Trauer zuzulassen, zu durchleben, zu durchleiden (!) Stärke, nicht Schwäche ist. Es erfordert enorm viel innere, mentale, emotionale Stärke, Gefühle von intensiver Verzweiflung, von totaler Haltlosigkeit nüchtern, bewusst zu ertragen und überdies täglich über einen längeren Zeitraum oder immer wieder phasenweise, zumeist über Jahre, bspw. eben dann, wenn ein geliebter Mensch verstorben ist, bspw. auch durch Suizid oder ein Kind ... .
 
Schwäche ist es, sich diesen oft überwältigenden, sehr kräftezehrenden Gefühlen nicht "zu stellen", sich mit Alkohol oder anderen Substanzen zu betäuben, die Gefühle zu verdrängen - sich selbst zu betrügen, um es sich vordergründig zunächst leichterzumachen. Es hilft nur nichts, solches Verhalten, Flucht, Verdrängung macht es nur schlimmer, hat häufig weitere zusätzliche Belastungen, auch Erkrankungen oder existenzielle Nöte zur Folge.
 
Nein, man muss nicht Masochist sein oder werden, um Trauer auszuhalten, denn man will ja gerade nicht leiden, aber bestimmter emotionaler Schmerz, wie bspw. Verlustschmerz, auch Mitgefühl braucht "Raum", muss erfahren, durchlebt werden, um ihn - mit der Zeit - zu bewältigen oder "anzunehmen", zu integrieren - statt ihn abzuwehren, zu unterdrücken oder zu bekämpfen.
 
Klar bricht man als erwachsener Mensch nicht auf offener Straße ständig in Tränen aus - aber genau das ist mir wiederholt passiert, auch in der U-Bahn und auch beim Job - den ich dann verlor.
Man braucht eine "zugestandene" Trauerphase, in der man nicht so leistungs-, arbeitsfähig ist, nicht im Alltag, bei der Arbeit funktioniert, funktionieren muss oder soll wie zuvor, der Mensch ist keine Maschine - unterschiedliche Menschen brauchen dafür unterschiedlich lange, die meisten ganz besonders in der ersten Zeit, ca. ein halbes bis ein Jahr, ggf. auch zwei Jahre; "danach" ist die Trauer meistens nicht verschwunden, aber zumindest abgemildert.
Wenn man die Trauer unterdrückt, verdrängt, kann sich das alles "nach hinten" verschieben oder anderweitig verlagern, zeigt sich dann in physischen und/oder psychischen Symptomen, u.a. auch in Reizbarkeit, Aggression ... .
 
Und nein, das Trauern kann einem niemand abnehmen - das ist eine persönliche, individuelle und zugleich "kollektiv" menschliche Erfahrung, oft Grenzerfahrung. Es gibt nicht für alles ein "Netz und Boden". Das ist Teil der Conditio humana, des Menschseins.
Ja, das erfordert die Erkenntnis, dass der Mensch ab Geburt bis zum Tod lebenslang jeden Tag bedürftig, verletzlich und sterblich ist.
Dass es keine wirkliche existenzielle Sicherheit, keine Gewissheit, keine Teleologie, faktisch kein "metaphysisches" Ziel oder "übergeordneten Sinn" gibt, dass der Mensch ein "Geworfener" ist und im Lebensverlauf mit Widerfahrnissen konfrontiert wird, denen er immer wieder auch nicht gewachsen ist. Und es erfordert die Erkenntnis, das Bewusstsein e x i s t e n z i e l l e r Einsamkeit. Eigenes, umfassendes Thema.
Dem kann man sich natürlich durch Religion, Ideologie, Gott-Krücke, Esoterik - also Selbstbetrug - ein Stück weit entziehen und zahlreiche Menschen tun das bekanntlich nach wie vor, aber all das ist nicht "Spiritualität" - es ist intellektuelle, soziale und emotionale Unreife.
 
Trauer zuzulassen, bedeutet eben genau das: verletzlich, bedürftig, empfindsam, mitfühlend, liebesfähig zu sein. Zumindest dann, wenn man nicht "nur" um den eigenen Verlust trauert (Verlustschmerz), sondern auch um das zumeist vorausgegangene Leid des verstorbenen Menschen und um die für ihn nicht mehr erlebbare Gegenwart, Zukunft, "Welt" - um sein "ihm genommenes Leben".
 
Und ja: Sorge-Arbeit ist unentbehrliche Arbeit, Leistung - viele allein alleinerziehende Frauen wissen das, wenn sie mittellos sind, ist es übrigens noch schlimmer. Würden weit mehr Männer "häusliche" Sorge-Arbeit, Care (das ist nicht "nur" Putzen, Waschen, Kochen, Einkaufen, Organisieren, sondern sehr viel emotionale Arbeit, erfordert Empathie, Feinfühligkeit, eigenen Verzicht u.a.m.) - alleine - leisten müssen, würde sie sicher längst monetär wertgeschätzt: Sorge-Gehalt, keine "Herdprämie".
 
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