Gefährtensein, "Gefährtigkeit" - über Einsamkeit, Verbundensein, Leiden, Leidenschaft, Sehnsucht, Angst, Zen, Mystik - über (das) Leben
"Gefährtigkeit ist nicht Freundschaft", heißt es in der Sendung.
Ich frage mich ein Mal mehr: Was haben (viele?) Leute für eine Vorstellung von Freundschaft? Und welche von Beziehung, von Liebe?
Selbstverständlich ist "Gefährtigkeit" - ich nenne es Gefährtensein, Gefährtentum - genau das: Freundschaft, Liebe.
Selbstverständlich erwächst Authentizität aus Verletzlichkeit, daraus, die je eigene Verletzlichkeit zuzulassen, auszuhalten, sich ihr zu stellen.
Selbstverständlich wachsen, reifen wir je persönlich am Du, am Anderen, der gerade n i c h t ständig in Harmonie, in Übereinstimmung mit uns befindlich ist, der uns nicht einfach folgt, sich uns schon gar nicht fügt, gar unterwirft.
Selbstverständlich wachsen, reifen wir nicht, wenn wir uns aus Angst, aus Sicherheitsbedürfnis an einen "Führer" hängen, der uns vor Gefahr, vor dem Verletztwerden, vor also Schmerz, Leid bewahren, "beschützen" soll.
Selbstverständlich wachsen, reifen wir g e r a d e an der Differenz - am Anderen als Anderen.
Es sei hinsichtlich dessen nochmals ausdrücklich auf Emmanuel Lévinas - Verantwortung gegenüber dem Du, dem Anderen, dem Fremden, Liebe - verwiesen und abermals auf Arno Gruen - Schmerz, Mitgefühl, "Verrat am Selbst", Autonomie, Gehorsam und Verletzlichkeit ... - und Erich Fromm - Lieben: ist aktives Tun, Handeln, Sich-Verhalten, kein passiver Zustand der beständigen Glücksseligkeit, kein passives Geliebtwerden.
Selbstverständlich geht es im Leben darum, Herausforderungen zu bewältigen, nicht, um damit zu prahlen, um sich in narzisstischer Selbstverliebtheit, Selbstgerechtigkeit zu suhlen, um sich damit vermeintlich aufzuwerten, sein Ego zu balsamieren, sondern um zu lernen, sich zu entwickeln, zu reifen.
Selbstverständlich ist der Weg "das Ziel" und geht es basal und grundsätzlich um Selbsterkenntnis, Persönlichkeitsreifung und Verbundensein.
Selbstverständlich erwächst aus Einsamkeit (nicht zu verwechseln mit Alleinsein), aus Abgetrenntheit, Ausgegrenztsein, Unverbundensein Schmerz, Leid.
Selbstverständlich ist Lieben n i c h t Verschmelzen, k e i n e Symbiose.
Gefährtensein ist, die Herausforderung, die der Andere für mich mit seinem Sein, durch seine Existenz, durch seine Persönlichkeit, durch seine "Andersartigkeit", Differenz darstellt, mit der er mich konfrontiert, aktiv anzunehmen, Ja zu sagen und das Ungewisse, die "Gefahr", die Unsicherheit, das Risiko, also die Angst, das Verletzlichsein anzunehmen, zuzulassen, mich darauf bewusst, wissentlich, absichtsvoll einzulassen, dieses Wagnis beherzt, c o u r a g i e r t einzugehen.
Gefährtensein heißt, miteinander sein - verbunden sein, ohne zu verschmelzen, ohne "Einswerdung", sondern immer verschieden zu bleiben: im Verbundensein immer selbst, authentisch zu sein, zu bleiben, das dem jeweils Anderen selbstredend gleichermaßen "zuzugestehen" - und das auszuhalten, es zu wünschen, zu wollen, anzustreben.
Gefährtensein hat nichts mit "Ewigkeit", Unzertrennlichkeit zu tun. Aber mit Entschlusskraft, mit Mut, mit Leidenschaft, Offensein, Neugier, mit Zugewandtsein, Verantwortungtragen, mit Fürsorglichkeit ohne Paternalismus, mit Teilen, Geben und Empfangen, Erhalten und mit Konfliktfähigkeit.
Es ist getragen von Vertrauen, Vertrauenkönnen, Bindung.
Es gibt "Scheitern" und es gibt Gräben, Schluchten, die es zu überbrücken gilt - auch das ist aktives Tun aller Beteiligten: Gefährten. Entgegenkommen, Verständnis, Empathie, Versöhnlichsein. Handreichung.
Gefährtensein ist n i c h t Monogamie, keine ausschließliche, "exklusive", exkludierende Zweier-, Paarbeziehung, ist nicht romantische "Liebe"/Verliebtsein, ist nicht ein Garantieschein für Beständigkeit.
Es ist ein Angebot, ein Geschenk, das auf Reziprozität und Loyalität gründet, auf dem Wagen - es ist ein Wagnis. Mit offenem Ausgang und immer: auf Zeit.
Genau das ist Liebe, aktives Lieben.
Und darauf gründet sich die Sehnsucht im Menschen - auf dieses Leben, Lebendigsein, Verbundensein, Eingebundensein, ohne das Selbst aufzugeben, ohne Unterwerfung, Gehorsam, Masochismus, Auflösung.
Es ist mir unbegreiflich, dass, warum Menschen für solche Erkenntis und Erfahrungen irgendwelche Religion(en) oder "spirituelle Anleitung", Mystik, Metaphysik brauchen, suchen, wollen - man gelangt dazu durch das Leben, durch Erfahrung, Erkenntnis, Reflexion, Reife: je selbst, persönlich und nur dann wirklich, echt, authentisch.
Im blog habe ich mich an verschiedenen Stellen, in verschiedenen Einträgen hierzu bereits geäußert, siehe bei Interesse dort, nachfolgend verlinkte blog-Einträge.
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Und so gibt es auch Leute, die unreflektiert, substanzlos von Liebe schwafeln, dabei unfreiwillig offenlegen, dass und warum sie nicht ansatzweise begriffen, wohl auch nicht erfahren haben, was Liebe ist:
aktives Tun, Sich-Verhalten, Tätigsein, gerade nicht bloßes Unterlassen schädigenden Verhaltens, sondern bestimmtes, prosoziales, eigeninitiatives wie reaktives Verhalten.
Nach Erich Fromm, dessen "Definition" von Liebe ich mich seit Jahren anschließe, die ich teile, ist LiebeN vor allem geprägt, getragen von/durch:
Erkenntnis, Achtung, Freiheit, Fürsorge, Verantwortung und Verbundensein.
Hierbei ist jeder einzelne dieser Begriffe (in seiner jeweiligen Bedeutung) seinerseits wiederum richtig zu verstehen, zu erfassen und sorgfältig zu verwenden.
Aber schon daran hapert es augenfällig. Siehe, wer was aus welchen Gründen unter Freiheit, Fürsorge, Verantwortung ... versteht, was wer mit solchen Begriffen jeweils assoziiert, was von wem wie interpretiert, missverstanden wird.
Abhilfe schafft hier die Auseinandersetzung mit, die Horizontweitung durch (akademische) Philosophie, in der Begriffe grundsätzlich präzise, sorgfältig zu verwenden sind.
Es sei daher immer wieder die Lektüre Erich Fromms und Arno Gruens, insbesonere zum Mitgefühl, empfohlen.
Zu Liebe und Verantwortung, Ethik gerade auch, was Emmanuel Lévinas hierzu äußerte.
Und noch einmal: Es bedarf hierfür - des aktiven Liebens, der Liebesfähigkeit - keines "übergeordneten, metaphysischen Prinzips", dem man sich etwaig demütig zu unterwerfen hätte.
Um diverse Determiniertheiten, Wechselwirkungen, Grenzen erkennen zu können, muss man sie persönlich erfahren (haben, können, wollen) und bedarf es einhergehend, daraus resultierend der (Selbst-), Erkenntnis, Einsicht, des Reflexionsvermögens, der Vernunft, der Persönlichkeitsreife - nicht der "Demut", wem oder was auch immer gegenüber.
Demut ist ein vor allem in christlichem, religiösem Kontext gebräuchlicher Begriff, wobei es hier stets darum geht, sich "etwas Höherem" unterzuordnen, zu fügen - siehe Unterwerfung, Gehorsam, Macht (-verhältnisse, -strukturen), Autoritarismus, Paternalismus - das Gegenteil von Autonomie, das Gegenteil von Emanzipation, Selbständigkeit, Selbstwirksamkeit, Selbstverantwortlichkeit, Rückgrat, Courage, Charakterstärke, Reife.
Wer das devote Bedürfnis hat, sich jemandem oder etwas, auch einem "Gott", einem "metaphysischen Prinzip" unterzuordnen, demütig zu unterwerfen, drückt damit seine Unreife demonstrativ, wenngleich unbeabsichtigt, unbewusst, aus.
Er/sie braucht etwas "Übergeordnetes", von dem er/sie sich führen lassen kann - es geht um nichts anderes als den kindlichen, unreifen Wunsch nach einem Beschützer, darum, die Richtung gewiesen bekommen und vor allem Verantwortung (ein Stück weit, bis auch umfangreich) abgeben zu können, dies zu wollen - ohne sich dabei schlecht, klein, schwach, feige, falsch, unmoralisch, defizitär fühlen zu müssen.
Deutlich(er) erkennbar finden wir das in Sadomasochismus, worin es um Macht, Kontrolle, Unterwerfen, Beherrschen geht, wodurch der jeweils andere, nicht nur sexuell objektifiziert, damit entmenschlicht, zum Objekt, Gebrauchs-, Verfügungs-, Kompensationsgegenstand wird - zu je persönlichen, sadistischen und/oder masochistischen Kompensationszwecken.
Denn zugrunde liegt stets pathologischer Narzissmus, genauer: eine stark ausgeprägte Selbstwertproblematik, die auf vielerlei bekannte Weise zu kompensieren versucht wird, wobei üblicherweise andere Menschen psychisch-emotional und/oder auch physisch, sozial, materiell ... geschädigt werden.
Zugrunde liegt dem wiederum frühkindliches Beschädigtwordensein bzw. eine unzureichende Persönlichkeitsentwicklung und -reifung, zumeist die in der Kindheit gemachte Erfahrung von schädigendem Autoritarismus, auch Schwarzer Pädagogik (Druck, Zwang, Kontrolle, Härte, Strenge, Strafe - Dressur, Gewalt), die in solcher Weise beschädigten Menschen vertraut ist, sie d e s h a l b diese Verhältnisse, Umgangsweisen, "Beziehungsformen" immer wieder, dabei zumeist unbewusst, unreflektiert, suchen, wollen, "brauchen". Sie kennen es nicht anders bzw. nur so, es gibt ihnen dieses Vertraute ein Gefühl von Sicherheit, auch dann, wenn es sie - nach wie vor, wie schon in ihrer Kindheit - massiv selbst belastet, auch schädigt.
Liebe hat grundsätzlich nichts mit Unterwerfung, Beherrschung zu tun. Wer liebt, hat keinerlei Bedürfnis oder Wunsch, das geliebte Lebewesen zu beherrschen, zu unterwerfen oder sich von ihm unterwerfen zu lassen, sich ihm zu unterwerfen.
Es bedarf in diesem Zusammenhang keinerlei Demut, sondern oben bereits Genanntem:
der Achtung vor dem anderen, der Erkenntnis seiner, seines Selbst sowie des anderen als eine bzw. in seiner je individuellen Persönlichkeit - hierbei handelt es sich um einen üblicherweise lebenslangen Prozess, der Verantwortung dem anderen gegenüber, der Fürsorge (nicht autoritär, nicht paternalistisch, sondern bedürfnisorientiert, empathisch dem anderen gegenüber), der Freiheit und des Verbundenseins.
Das Problem ist, dass viele Menschen all das - Paternalismus, Autoritarismus, Unterwerfung unter einen wie auch immer gearteten Führer, ein vermeintlich "übergeordnetes metaphysisches Prinzip", Demut - mit Fürsorglichkeit, Schutz, Sicherheit, Liebe u.a.m. verwechseln oder gleichsetzen, gerade weil sie nicht kennen, nicht passiv und aktiv erfahren haben, was nicht-paternalistische, bedürfnisorientierte Fürsorge, was gelebte Verantwortung und was aktives Lieben ist und weil sie nicht die erforderliche (Persönlichkeits-) Reifung erlangt, durchlaufen haben.
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29. Februar 2020
Die Frage - nicht erst am Ende - deines Lebens sollte sein, nicht: Hatte ich genug "Spaß"?
"Erkenne dich selbst" und "Tu, was du willst" bedeutet gerade nicht maximaler, egomaner Hedonismus und Eskapismus, sondern das Gegenteil dessen.
Die Frage, die du dir zu Lebzeiten stellen solltest, u m dein Leben als sinnvoll, erfüllt erleben, erfahren, bewerten zu können, ist:
Habe ich mit meinem Wollen, Streben, Verhalten dazu beigetragen, "die Welt ein bisschen besser zu machen", d.h. habe ich nach meinen persönlichen Möglichkeiten, Umständen, Fähigkeiten und Kräften zum (je "privaten", regionalen wie globalen) Gemeinwohl beigetragen?
Deutlicher:
War mein Leben, meine Existenz, mein Wirken, Tun und Unterlassen nach bestem Wissen und Gewissen für auch andere Menschen, schmerzfähige Lebewesen gut, zuträglich, wohltuend, konstruktiv, förderlich, hilfreich, stärkend?
Wann hast du wie lange für wen, für welche Menschen wie oft welche Verzichte geleistet, Entbehrungen durchlitten, Opfer gebracht, Verantwortung getragen, Fürsorge geleistet?
Welchen Menschen hast du wie, wann, wie oft, wodurch, womit wie lange tatsächlich Gutes, Wohl getan - was wem genau?
Ich denke, nur dann, wenn man seine kleine Existenz "in den Dienst einer dem Ego übergeordneten Sache stellt", also nicht in den engen Grenzen des je eigenen Egos - nicht zu verwechseln mit dem Selbst - verhaftet, gefangen bleibt, erfährt man Sinn und Erfüllung.
Und eben dies erfährt, (er-) lebt man vor allem durch das aktive Lieben.
Nein, dafür bedarf es keines "Gottes", keiner Metaphysik, keiner Mystik, keiner Religion, Ideologie, Esoterik, sondern "nur" der je persönlichen Erkenntnis-, Reflexionsfähigkeit, des Mitgefühls, der Vernunft, der Persönlichkeitsreife - der Liebesfähigkeit.
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