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Sabeth schreibt - Lebenskunst für Laien

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Über die Liebe - zum Anderen, Fremden, zum Konträren, über die notwendige, unverzichtbare, wohltuende Differenz und Herausforderung

 
Über die Liebe - zum Anderen, Fremden, zum Konträren, über die notwendige, unverzichtbare, wohltuende Differenz und Herausforderung
 
Selbstvertsändlich bringt es kaum Erkenntnis"gewinn", Horizontweitung, wenn man sich nur mit all dem befasst, das der eigenen Überzeugung mehr oder minder entspricht, jedenfalls entgegenkommt oder sie direkt bestätigt. Das braucht man von Zeit zu Zeit auch, ja. Und im "eigenen" Haus gibt es auch immer wieder neue Zimmer und darin neue Nischen ... zu entdecken, zu erkunden.

Die größere Herausforderung besteht jedoch unzweifelhaft darin, sich mit dem auseinanderzusetzen, das der eigenen Überzeugung entgegengesetzt ist.
 
Mir geht es nicht mal mehr um "nur" Toleranz, sondern für mich stellt sich nach wie vor die Frage nach der Möglichkeit der Liebe bei bestehender intensiver Differenz.

Ist es nicht diese Differenz, die an sowohl den Geist, das Denken, als auch die Psyche, den Charakter, die Moral(ität) eines Menschen die höchsten Anforderungen stellt - nicht nur, weil er in der Liebe, als Liebender, das Fremde zulassen kann, nicht nur, weil es ihn interessiert, er darauf neugierig ist, er es erkunden und wenigstens ansatzweise nachvollziehen (lernen) können möchte, sondern weil er es tatsächlich als Liebender annehmen muss, nur kann - nicht assimilieren, nicht imitieren, nicht einverleiben, sondern annehmen, ohne es sich zu eigen zu machen, ohne "konvertieren" zu müssen.
 
Sich selbst also durchaus treu zu bleiben, sich nicht zu verbiegen, zu verraten, zu verkaufen, sich nicht zu unterwerfen, aber trotzdem dabei Grenzen zu überschreiten - nicht die des Anderen (das wäre seine Aufgabe), sondern die eigenen. Die Grenzen, die roten Linien, die Schutzwälle im Denken und mehr noch im Fühlen. D a s ist die eigentliche, tatsächliche Herausforderung, die uns der Andere, den wir lieben - w e n n wir (ihn) lieben - abverlangt, das ist die "Gabe", die wir ihm darbringen, wenn wir dazu imstande sind.
 
Und ja, das sagt sich so leicht - theoretisch. In der Lebenspraxis bleibt es ein immerwährender Streit - mit nicht nur dem Anderen, sondern gerade mit, in sich selbst.
 
Wenn ich nur lieben kann, lieben will, was mir ähnlich ist, kann ich nicht wachsen, nicht reifen, ich bleibe in der Komfortzone hängen, ich verkrieche mich bequem, behaglich und feige in ihr.
Es ist dort zwar relativ sicher und gemütlich, aber auch langweilig, leidenschaftslos, eintönig. Es gibt keinen Impuls zu wachsen, zur Auseinandersetzung mit sich selbst, zur Selbstreflexion - zur Selbstüberwindung, Selbstüberschreitung - letztlich: zur "wahren" Selbsterkenntnis.
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Dieser Impuls kommt mir vom Anderen, vom Fremden zu, der mir durch die Liebe zugleich dennoch vertraut ist, dem ich deshalb vertraue(n) (will, kann), dass er mich nicht aufs Glatteis führt, dass er mich nicht hintergeht, dass er mir nicht wissentlich, absichtsvoll schadet, mich nicht schädigt, dass er mich nicht im Stich lässt - sondern dass er mich begleitet, ohne mich verändern zu wollen, ohne mich regieren, beherrschen, unterwerfen zu wollen, ohne dies zu "müssen" - und gleichermaßen umgekehrt.
 
Es ist die Liebe kein Machtkampf, kein Ringen um das Oberwasser, um den Vorteil, um Terrain, sie ist kein Feldzug, sondern ein Geben und Aufnehmen, ein gemeinsames Erweitern, ein Wechselspiel, ein Austausch und bei all dem ein inniges Verbundensein mit: dem Anderen. W e i l er ein Anderer ist. Weil er n i c h t ich ist, sondern: er.

Und mich in ihm zu finden, ist ein wunderbares, warmes, tragendes Gefühl, noch mehr aber trägt das Wissen, die Gewissheit darum, dass er mir gut ist, auch gerade dann, wenn wir einander nicht sofort oder je gänzlich verstehen (können), wenn es Schluchten zwischen uns gibt, die bleiben, trotz der "Liebesbrücke", die wir darüber errichten. Und das geschieht nicht von allein, das ist nicht gemütlich - dieses Brückenbauen. Beide müssen es jeweils aktiv, wahrhaftig wollen, beide müssen am Bau beteiligt sein - und die Brücken immer wieder auch instandsetzen, wenn sie baufällig werden.
 
Das gelingt nicht immer (gleich gut, schnell, effektiv, sichtbar).
Aber wenn und wo es gelingt, wird es "belohnt" mit dem Gefühl, dem Erfahren des Wachsens, Reifens - durch den Anderen, mit ihm, an ihm - durch die Reibung, durch die Differenz, durch die Herausforderung, die bisweilen gemeistert wird.

Nicht, weil wir dann der gleichen Meinung, Überzeugung sind, sondern weil wir den Anderen, seine Perspektive einnehmen können, aus seiner Position für ihn Verständnis aufbringen können und weil in den lichtesten, funkelndsten, intensivsten Momenten daraus hervorgeht, dass wir s p ü r e n, wie unser eigener Horizont sich durch den Anderen weitet - ein wundervolles Erlebnis, ein warmes, durchdringendes Gefühl tiefer Dankbarkeit und Freude.
 
Man liebt den Anderen nicht deswegen, nicht als Mittel zum Zweck (der jeweils eigenen Persönlichkeitsreifung), sondern weil man nicht anders kann - die Reifung ist, im Idealfall, der Nebeneffekt, der sich, im Idealfall, einstellt - wegen der Differenz, nicht aufgrund der völligen Gleichheit, Übereinstimmung.

Und vielleicht fühlen wir uns genau deshalb zu jenen intensiv hingezogen, die uns gerade nicht ähnlich sind.
 
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