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Sabeth schreibt - Lebenskunst für Laien

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Du sollst dir kein Bildnis machen - oder: Kann Liebe sterben?

 
Du sollst dir kein Bildnis machen - oder: Kann Liebe sterben?
 
Es ist eine wundersame Sache mit Bildern, Darstellungen von Menschen, welche Wirkung sie auf den Betrachtenden haben können - nicht erst seit es Photographie gibt, wie wir wissen - "Dies Bildnis ist bezaubernd schön ...".
 
Manchmal fühlt man sich von einem einzigen Bild, dem bloßen Gesicht eines einem völlig fremden Menschen, den man persönlich, leibhaftig nie je sah, den man nie je erlebte (sprach, hörte, roch ...), so an-, hingezogen, allein aufgrund bspw. seines (Gesichts-) Ausdrucks, dass man wie gebannt ist.
 
Ich meine damit nicht den Eindruck bloß äußerlicher, etwaig bestehender Attraktivität eines Menschen, die durchaus sehr beeindruckend sein kann, sondern eher, dass man meint, am Gesicht eines Menschen doch ein Stück weit seinen Charakter, seine Persönlichkeit herauslesen zu können - wiewohl mir bewusst ist, dass und wie sehr man sich hier täuschen kann.
Es verhält sich dann so, dass man den Mensch gar nicht unbedingt real kennenlernen möchte, gerade weil man sich das Bild, das man sich von ihm macht(e), erhalten, es nicht zerstört sehen möchte.
 
Ähnlich kann es einem auch mit der nur gehörten Stimme eines Menschen gehen oder mit von ihm schriftlich Formuliertem, das Gesicht aber "ergreift", wirkt (über eben das Sehen) wohl letztlich doch sehr viel direkter, unmittelbarer.
 
Es ist gerade der Ausdruck in, auf, aus einem Gesicht, der einen so anspricht, in seinen Bann zieht - die Gesamterscheinung, nicht nur einzelne Details wie Blick, Nasen- oder Lippenform, Hautbeschaffenheit ....
Und der so viel Interpretations-, auch Projektionsspielraum bietet.
 
Ich bin fasziniert davon, dass ein Gesicht eines fremden Menschen so faszinieren kann. Unabhängig übrigens von Alter und/oder Geschlecht.
 
Aber es gibt natürlich auch ein erotisches Hingezogensein durch ein Bildnis oder auch den eigenen, subjektiven Eindruck von "Seelenverwandtschaft", des Gleichgesinntseins - von Gemeinsamkeiten also - in Bezug auf Charakter, Persönlichkeit, "Temperament", Wesensart.
 
In letzterem Falle - dem Eindruck der "Seelenverwandtschaft" - ist es besonders bewegend. Und genau deshalb ist man besonders vorsichtig, zurückhaltend, will man einen "Realitätsabgleich" deshalb vielleicht vermeiden, weil man sich seine Illusion bewahren möchte.
 
Warum schreibe ich darüber, über etwas so vielleicht Banales, Profanes? Weil es mir persönlich bisher nur selten passiert (ist).
Man findet Menschen attraktiv oder auch nicht, interessant oder auch nicht, reizvoll oder auch nicht - aufgrund von Bildern, Fotos, die man von ihnen sieht, nur selten aber hat man, so meine ich, dieses Angerührtsein und dabei zugleich dieses Gefühl von Fragilität, Zerbrechlichkeit, Verletzlichkeit - des Bildes, der Illusion letztlich.
Mit der Folge, dass man trotz durchaus bestehender Neugier (ob die Realität das selbst gemachte Bild verifiziert oder zerstört) lieber auf den Realitätsabgleich (in welcher Form auch immer) verzichtet. Einfach, um sich diesen schönen Eindruck zu bewahren.
 
Denn letztlich ist es wohl doch so, dass in den seltensten Fällen die Realität dem zuvor gemachten Bild entspricht, sondern eher Ent-Täuschung erlebt wird - und das gerade nicht (nur) bezogen auf Äußerlichkeiten, sondern insbesondere gerade den Charakter, die Persönlichkeit des betreffenden Menschen.
 
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"Du sollst dir kein Bildnis machen" - aber du machst es dir, für dich - weil du Mensch bist, weil es in deinem Menschsein (letztlich in Gehirnvorgängen) begründet liegt.
 
Hiermit - mit dem genannten Verbot, aus dem religösen Kontext genommen und auf die zwischenmenschliche Ebene gestellt - ist ja zuvorderst ein Urteilen gemeint, ein Verurteilen, von dem man Abstand nehmen soll, ein Offenbleibensollen bzw. -wollen, wenn: man liebt.
 
Der Andere soll nicht reduziert, zurechtgebogen werden, er soll keine passende Schablone oder Matrize, kein (Zweck-) Objekt werden.
 
Und doch können wir nicht umhin, einzuordnen, zu beurteilen, zu bewerten, zu hinterfragen, zu erforschen, zu analysieren - u.a. auch andere Menschen. Das hat mit unserem Wunsch und Bedürfnis nach Gefahrenabschätzung, Sicherheit zu tun (verkürzt formuliert: wer ist Freund, wer Feind, wem können wir vertrauen ...), aber auch damit, dass der Andere uns nur deshalb so erscheint, von uns so gesehen, erkannt wird, wie es uns jeweils persönlich (nur) möglich ist - auf Basis also unserer je persönlichen Erkenntnis-, Reflexions-, Liebesfähigkeit, auf Basis unserer je eigenen Reife (in Folge gemachter Erfahrungen und Reflexion derselben) und unseres Charakters, unserer eigenen Persönlichkeit.
 
Eben deshalb sind wir nicht alle von denselben Menschen beeindruckt, fühlen uns nicht zu denselben Menschen hingezogen oder von ihnen abgestoßen und das ist wiederum in Bezug auf uns selbst wandel-, veränderbar; wenn wir uns verändern, verändert sich auch unser Blick, unser Urteil ... .
 
Hier stellt sich die Frage, ob Liebe sterben kann. Und wie stets beziehe ich mich damit nicht auf die monogame "romantische Liebe", das Verliebtsein, sondern auf tatsächliche(s) Liebe(n).
 
Kann man einen Menschen, den man einmal wirklich liebt(e) - wie bspw. "eigene" Kinder, Eltern, Freunde, Partner - irgendwann nicht mehr lieben?
 
Weil er sich geändert hat oder man sich selbst?
Weil er einen nicht (auch) liebt oder weil man von ihm schwer verletzt, ggf. absichtsvoll beschädigt wurde?
Stirbt wirklich die Liebe in diesen Fällen?
Oder zwingt man sich aus Selbstschutz- oder anderen Gründen dazu, emotional "loszulassen"?
 
Liebe ist es dann gerade nicht, wenn bzw. nur weil man "gegengeliebt" wird, weil sie etwa reziprok wäre oder zu sein hätte.
Liebe ist es auch dann nicht, wenn der geliebte Mensch nur so lange vermeintlich "geliebt" wird, wie er eigenen Erwartungen, Wünschen, Bedürfnissen entspricht oder eben der selbst gemachten Illusion von ihm, seiner Persönlichkeit.
Liebe ist es auch dann nicht, wenn bzw. nur weil man harmonisch miteinander auskommt.
 
Man kann Menschen lieben - mehrere zugleich. Das sollte man sogar.
Man kann Menschen auch dann "noch" lieben, wenn sie tot "sind".
Man kann Menschen sogar dann lieben, wenn man durch sie verletzt, beschädigt wurde.
 
Und man liebt einen Menschen gerade mit der und durch die je eigene Persönlichkeit - der Andere ist für mich der, der er ist und er kann niemals irgendwie objektiv sein oder geliebt werden. Ich liebe ihn, weil ich ihn wahrnehme, erlebe, betrachte, wie ich persönlich es tue - weil ich selbst bin, wie, wer ich bin und nicht jemand anderer und n i c h t "objektiv", kein Objekt, sondern Subjekt. - Objekte können nicht lieben.
 
Du sollst dir kein Bildnis machen. - Wie solltest du ohne "Bildnis" lieben können?
 
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