Abschied
Und als ich fortgezogen,
Hab' ich in der letzten Nacht
Der Straße, wo er wohnte,
Eine Abschiedsvisite gemacht.
Hab' angesehen die Steine,
Die oft sein Fuß betritt,
Und dachte, wär' ich reich,
Ich nähme sie alle mit.
Ich kam zu seinem Hause
Und wußte selbst nicht wie,
Und hin bis an das Thor -
Dort sank ich in die Knie'.
Und sah empor zum Fenster
Und hab' es schmerzlich gegrüßt;
Ich habe mit heißer Lippe
Die Stufen am Thore geküßt.
Ja selbst die kalte Mauer
Berührte mein brennender Mund;
Doch hielt ich zitternd inne,
Denn an mich hinan sprang sein Hund.
Und er stand hinter mir;
Ich sah ihn schweigend an.
Da fragte er mich lächelnd,
Was ich denn hier gethan?
Dies Lächeln war vernichtend,
Ich rang nach einem Wort;
Dann sagte ich kaum hörbar:
»Herr, morgen geh' ich fort.«
Und abermals dies Lächeln,
Das mich so elend gemacht:
»Ich wünsche glückliche Reise -
Und mithin gute Nacht.«
Ada Christen
Vermälte
O sieh', wie von der Wahrheit Wort
Die kalten gift'gen Nebel schwanden,
Gesegnet sei der Tag hinfort,
An welchem wir uns wieder fanden.
Wie lange hielt uns Menschen Trug
Und stolzes Schweigen dumpf umfangen,
Wie hemmten wir der Seelen Flug,
Die zweifelnd in dem Dunkel rangen.
Und stehen wir uns weltenfern,
Ist auch vergeudet unser Leben,
Ich habe jedes Leid doch gern
Aus tiefstem Herzen Dir vergeben.
Es ist des Glückes letzte Huld,
Das wir uns heut' die Hände reichen;
Wir büßen ja die alte Schuld,
Gekettet an lebend'ge Leichen.
Ada Christen
Zu spät!
Uns're Schiffe willst Du lenken
Nun nach einem gleichen Ziel?!
Fern Dir, losgerissen treib' ich,
Längst der wilden Stürme Spiel.
Fürchte Du das böse Zischen,
Kalte Grollen, fürcht' das Meer,
Lass' mich ringen mit den Wogen,
Einsam, haltlos, ohne Wehr!
Bleibe still und unbekümmert
Ferne mir und nah' dem Strand,
Bald entsinket ja das Ruder
Meiner kraftlos müden Hand -
Oder - stürze muthig nach mir,
Wenn mein Fahrzeug untergeht -
Sterben können wir zusammen,
Doch zum Leben ist's zu spät!
Ada Christen
Asche
III.
Wilde, ungeberd'ge Flammen,
Die sich suchen und verstecken,
Wie sie zischeln, wie sie schmeicheln
Und sich schlängeln und sich necken;
Wie sie prasseln, knistern, jubeln,
Sich verfolgen und umschlingen,
Wie sie zu dem heißen Reigen
Ihre lockern Lieder singen!
Wie sie endlich glühend züngeln,
Jauchzend hoch und höher schlagen,
Mit den schlanken rothen Armen
Gierig in einander ragen!
Welches glühend frische Leben
Seh' ich in den Flammen treiben -
Und nichts als ein Häuflein Asche
Soll von all' den Gluthen bleiben? ....
IV.
Todte Liebe, - kalte Asche!
Armer, längst zerstob'ner Traum -
Wie ein geisterhaftes Mahnen
Weht es durch den öden Raum!
Oft ist mir, als müßt ich hüten
Dich, wie einst, mein sterbend Kind -
Doch ein Luftzug - und die Asche
Fliegt hinaus in Nacht und Wind!
Ada Christen
Herzblut
IV.
Ach nur einmal möcht ich sinken
Noch in deine Arme hin,
Und nur einmal noch vergessen
Was ich war und was ich bin!
Ach nur einmal so dich sehen
Wie du einst gewesen bist;
Und dann Alles wieder leiden,
Was schon war und was noch ist.
VI.
Ach, ihr wißt nicht, wie sich's lebt,
Athmet in der Trunkenheit
Einer Liebe, die befreit,
Die begeistert, die erhebt!
Ach, ihr wißt nicht, wie sich's lebt,
Athmet in Versunkenheit
Einer Liebe, die entweiht,
An der Schmach und Elend klebt!
XV.
Ich sehne mich nach wilden Küssen,
Nach wollustheißen Fieberschauern;
Ich will die Nacht am hellen Tag
Nicht schon in banger Qual durchtrauern.
Noch schlägt mein Herz mit raschem Drang,
Noch brennt die Wang' in Jugendgluthen -
Steh' still, lösch' aus mit einem Mal!
Nur nicht so tropfenweis verbluten.
XVI.
Wie unglücklich hast du mich gemacht!
Und doch, ich kann dich nicht lassen;
Ich liebe dich stets mehr und mehr -
Und sollte dich endlos hassen.
Mein letzter Stern ging unter,
Als du dich von mir gewandt:
Da bin ich mit vollem Herzen
In's leere Leben gerannt.
XVII.
»Dein Vers hat nicht das rechte Maaß,«
So will man mich verweisen,
»An Fluß und Glätte fehlt es ihm« -
Und wie sie's sonst noch heißen.
Sie zählen an den Fingern ab,
Verbessern wohl zehnmal wieder;
Ich leg' die Hand auf mein blutendes Herz:
Was das sagt, schreib' ich nieder.
Ada Christen
Elend
II.
Und bist Du auch so höhnisch mit mir,
Und siehst du mich auch nicht gern,
So ist es mir dennoch manches Mal
Als ständ' ich dir nicht so fern.
Als wären deine Gedanken
Dennoch öfter bei mir;
Und wenn ich so denke und sinne,
Dann treibt's mich hin zu dir.
Ich stehe zitternd vor deinem Haus,
Mir ist, du müßtest mich holen;
Doch Niemand kommt und Niemand ruft -
Und weinend enteil' ich verstohlen.
IV.
Lebend unter Niedern und Rohen
Zieht's mich mächtig empor zum Hohen;
Doch die Flügel beschwert mit Steinen,
Sink' ich auf's neue herab zum Gemeinen.
Müde des Eklen und Kleinen
Eil' ich zur Lust, von Schmerz und Noth -
Und so begeistert vom Reinen,
Erstick' ich noch im Koth!
V.
Daß im Herzen mir erstorben
Alle, alle milden Keime,
Daß vom Elend überfluthen
Meine Worte, meine Reime;
Daß in der entweihten Brust
Dunkle Leidenschaften toben:
Menschen, das verdank' ich euch!
Teufel müssen euch belohnen.
VII.
Hab' oft nicht zurecht mich gefunden
Da draußen im Gedränge,
Und oft auch wieder wurde
Die Welt mir fast zu enge.
Dann liebt' ich schnell und lebte schnell
Und schürte mein Verderben;
Der Pöbel johlte - ich lachte
Zu meinem lustigen Sterben.
Ada Christen
Alte Feinde
I.
Wie mit einem einz'gen Schlag
Ist die Welt um mich verwandelt,
Lächelnd knixet Tag um Tag,
Was mich einst so schlecht behandelt.
Heute reichet mir die hand,
Was einst Schmähungen gesendet,
Heute naht im Festgewand,
Was sich einst von mir gewendet.
Euer Haß war die Gewalt,
Die mich einst hinausgetrieben -
Aber unbewegt und kalt
Läßt mich heute Euer Lieben!
II.
Ei, wie mächtig und bezwingend
Dünkt Euch fast ein einzig Wort,
Glaubt Ihr wohl, es nehme plötzlich
Jahrelanges Elend fort?
Ei, versucht des Wortes Allmacht
An dem Meer, das wild empört,
Sturmgepeitscht so düster grollet,
Ob es Euer Wort beschwört.
Und Ihr wähnt, das Herz, das wilde,
Das die Bitterkeit gestählt,
Macht ein mildes Wort vergessen,
Wie Ihr es gepeitscht - gequält?!
III.
Wie so kleinlich, wie erbärmlich
Beugt Ihr Euch vor meiner Macht,
Vor den Herzblut-Purpurfetzen,
Vor der Dornenkrone Pracht.
O, ich hör's, aus Eurem Lobe
Zuckt der alte Spott, die Schmach,
Denn Ihr könnt es nimmer glauben,
Daß ich meine Ketten brach;
Ich zerbrach sie doch! O glaubet,
Meine Selbstverachtung schwand,
Als ich Euch so feig, so hündisch,
So verachtungswürdig fand.
Ada Christen
Allein
Einsam stand ich auf den Bergen,
Wo der Falke kreischend flog,
Über schneebedecktem Gipfel
Seine stillen Kreise zog.
Einsam lag ich auf der Haide
Wenn die Sonne untersank,
Und der dürre glüh'nde Boden
Gierig feuchte Nebel trank.
Einsam saß ich oft am Meere,
Dessen alter Klaggesang
Bald wild-zornig, bald süß-traurig,
Bald wie dumpfes Schluchzen klang.
Einsam irrt ich durch die Wälder,
Nur die Eul' am Felsenriff
War mein krächzender Gefährte
Und der Wind, der wimmernd pfiff.
Einsam litt ich - aber tröstend
War die hehre Einsamkeit -
Nicht allein trug ich mein Elend,
Die Natur verstand mein Leid!
Doch allein - so ganz alleine -
Abgrundtief von Euch entfernt,
Fand ich mich in Euren Sälen -
Als ich Euch versteh'n gelernt.
Ada Christen
Not
All euer girrendes Herzeleid
Thut lange nicht so weh,
Wie Winterkälte im dünnen Kleid,
Die bloßen Füße im Schnee.
All eure romantische Seelennot
Schafft nicht so herbe Pein,
Wie ohne Dach und ohne Brot
Sich betten auf einen Stein.
Ada Christen
Mein Kind
Ich habe keine Schmerzensworte,
Hab' keine Thränen, kühlend lind,
Hab' nicht Gebete, stille fromme -
Und sterbend liegt vor mir mein Kind!
Es preßt mir Kopf und Herz zusammen
Die Luft, sie flimmert blutig roth -
Stirb nicht! Mit dir stirbt Alles, Alles -
Mein letzter Halt wär' mit dir todt! - -
Ist todt! - Ein leiser, kurzer Schrei -
Das Köpfchen sinkt, das bleiche,
Und an die schmerzerstarrte Bruste
Drück ich die kleine Leiche.
Ada Christen
Gegenüber
Das ist ein Kichern, ein Jubeln und Lachen,
So kindlich heiter und kindlich warm,
Es schäkert drüben am Fenster die Mutter,
Ihr jauchzendes Kindlein im wiegenden Arm.
Und wie sie so tänzelt und singend scherzet,
Das kleine Wesen so innig küßt,
Da fühlt sie, es ist ihr Eines und Alles,
In dem sie das Glück und die Zukunft begrüßt.
O, glückliche Mutter! - Vor Noth und Schmerzen
Behüte Dein Kindlein treu und lind -
Es giebt auf der Erde manch' einsame Mutter
Und unter der Erde - manch' liebes Kind!
Ada Christen
Somnabule
Nur einmal ist das fremde Kind
Im Leben dir begegnet
Und hat den einen Augenblick
Viel tausendmal gesegnet.
Viel tausendmal an dich gedacht
Hat es in schwarzen Stunden,
Nach dir gebangt - nach dir gesucht
Und dich zu spät gefunden.
Oft weckte dich aus tiefstem Traum
Ein leises, bittres Weinen -
Es war die Seele, die dich rief,
Die Seele der armen Kleinen ...
Ada Christen
Sehnsucht
Die Nacht ist ruhig und duftig,
Die Luft weht lau und lind;
Unter den Sternenaugen
Such' ich die deinen, mein Kind!
Ich möcht dich sehen und küssen,
Mein Einz'ges, das Alles mir gab,
Ich möchte still bei dir liegen
Im kleinen stillen Grab.
Ada Christen
Letzter Versuch
Ich habe mich zu erhängen gesucht:
Der Strick ist abgerissen.
Ich bin in's Wasser gesprungen:
Sie erwischten mich bei den Füßen.
Ich habe die Adern geöffnet mir:
Man hat mich noch gerettet.
Ich sprang auch einmal zum Fenster hinaus:
Weich hat der Sand mich gebettet.
Den Teufel! ich habe nun alles versucht,
Woran man sonst kann verderben -
Nun werd' ich wieder zu leben versuchen:
Vielleicht kann ich dann sterben.
Ada Christen
Im Konzert
Die traurige Kindheit,
Des Vaters Tod,
Der Jugend Blindheit,
Die herbe Not,
Die Wintertage,
Das dünne Kleid,
Die Sorg und Plage,
Das Seelenleid ....
Die Gleichgültigkeit,
Die schwer wie Erz,
Die schmerzlose Zeit,
Die mehr als Schmerz ....
Das alles wogte
Wieder vorbei
Mit leisem Schluchzen
Und dumpfen Schrei,
Als deine Hand
Durch die Seiten glitt -
- - - - -
O wie ich litt!
Ada Christen
Epilog
Und sie beugt sich zähneknirschend,
Aber seht, sie beugt sich doch!
Und sie trägt mit dumpfen Schweigen
Jahre lang das schwere Joch.
Sie versteht, ermißt ihr Elend
Ihren Jammer, ihre Schmach;
Sie erkennt, was sie verbrochen
Und was man an ihr verbrach.
Und sie rüttelt an den Ketten -
Fürchtet nicht, das sie sie bricht:
Denn sie beugt sich zähneknirschend
Und - sie jammert ein Gedicht.
Ada Christen
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