Overblog
Edit post Folge diesem Blog Administration + Create my blog

Sabeth schreibt - Lebenskunst für Laien

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Über Muße, Müßiggang und die Hintergründe des heute gängigen Begriffs/der Definition von Arbeit ...

Ein ausgezeichneter Artikel (taz - "Wer faul ist, muss bestraft werden").
Es ist darin nur leider ausschließlich von Müßiggang, Faulsein die Rede, nicht von Muße.
Nein, niemand möchte lebenslang tagein, tagaus "nichts tun, `rumhängen" oder dem grenzenlosen Hedonismus frönen. Warum nicht? Weil es nicht glücklich, resp. lebenszufrieden macht, weil es nicht erfüllt.

Wir alle möchten uns einbringen, wir alle brauchen die Anerkennung und Wertschätzung anderer, das Zugehörigsein zu, Eingebundensein in eine Gemeinschaft, zugleich Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit.
Wir fühlen uns gerade dann "gut" (Zufriedenheit, Wohlbefinden, auch Glücksgefühle, Harmonie, innerer Frieden, Freude), wenn wir etwas getan haben, das uns erfüllt, womit wir uns identifizieren können, das uns am Herzen liegt, wofür wir uns überzeugt einsetzen, anstrengen, einbringen und: was uns je persönlich liegt, unserem Wesen, unserer Persönlichkeit entspricht, worin wir also Fähigkeiten, Stärken, Interessen haben.
 
Nur ist das, das wir auf diese Weise tun nicht zwangsläufig Erwerbstätigkeit, sondern andere Arbeit, anderes Tätigsein.
 
Bspw. indem wir kreativ tätig sind oder sozial, indem wir mitfühlend sind, Anteil nehmen, anderen zuhören, uns um sie auf verschiedene Weise bedürfnisorientiert, respektvoll, empathisch, verantwortungsvoll kümmern (Fürsorglichkeit), indem wir Sorge-Arbeit leisten, indem wir kognitiv, mental, intellektuell tätig sind, gestalterisch, handwerklich ... .
Dabei allerdings selbst-, nicht fremdbestimmt und: um der Sache und Gemeinschaft willen, nicht, weil wir damit unsere Existenz sichern müssen. D a s ist der entscheidende Punkt, eben deshalb ist ein emanzipatorisches Grundeinkommen, BGE erforderlich, um endlich auf solche Weise je individuell tätig sein zu können: selbstbestimmt, individuell, selbstwirksam, prosozial.
 
Es geht also darum, den gängigen Arbeitsbegriff anders als bisher zu definieren, ihn im Sinne dessen zu erweitern, das real passiert, das alles an Arbeit getan, geleistet wird, die nicht kapitalistisch ausbeutbare Erwerbs-, Lohnarbeit ist.
 
Und es geht desweiteren darum, anzuerkennen, zu etablieren, dass Muße unabdingbar ist, weil sie für geistiges, soziales und emotionales Reifen, Reflektieren, für Persönlichkeitsentwicklung und natürlich für Regeneration essentiell ist.
 
Stattdessen rennen die Menschen mehrheitlich im Hamsterrad der Erwerbsarbeit und versuchen, ihren Selbstverlust, ihre Entfremdung, ihre Fremdbestimmtheit mittels Selbstbetrugs zu kompensieren - durch Hedonismus, Konsumismus und/oder Eskapismus, Glaube, Esoterik und nicht zuletzt: Sucht.
 
Auf diese Weise - ohne wirkliche, echte Muße - kommen sie jedoch bekanntlich erst gar nicht zum Reflektieren, zum Analysieren, zum Erkennen, zur Selbsterkenntnis und ebensowenig zum wohltuenden Selbstgestalten, Mitgestalten.
 
Und sie halten all das noch immer mehrheitlich für vollkommen "normal", sogar für richtig, kennen nichts anderes, können oder wollen sich anderes, realistische, realisierbare "Alternativen", oft nicht einmal vorstellen. - Wie überaus praktisch. Nicht wahr? ... ;)
 
-
Die Leute kennen oft leider den Unterschied zwischen Langeweile und Muße in der (Lebens-) Praxis nicht.
 
Natürlich geht es nicht darum, in wirklich frei verfügbarer Zeit nur irgendetwas passiv zu konsumieren, sondern: sich mit Dingen, Umständen, Sachverhalten, Menschen, Verhältnissen, Theorien ... aktiv zu beschäftigen, auseinanderzusetzen, dies aber tatsächlich freiwillig und nicht, um damit vorrangig eigenes Einkommen, Vermögen, Ansehen zu mehren, zu steigern oder sich beliebt zu machen, anzubiedern, einzuschleimen, sich zu profilieren, zu taktieren, auszubeuten, andere zu übervorteilen, zu schädigen.
 
Sondern um Zeit, Raum, Möglichkeit zu haben, sich mit den wirklich existenziellen Fragen auseinandersetzen zu können.
Dass daran offensichtlich Bedarf besteht, sieht man am Bedürfnis der Menschen nach "Spiritualität" - und den nicht selten fragwürdigen Folgen, die dieses nach sich zieht ... .
 
-
Zum oben verlinkten Artikel "Arbeit: Macht nichts" auf zeit.de

So nett die Idee ist, sie ist nicht umsetzbar - immer dann nicht, wenn man für andere Menschen Verantwortung trägt - Kinder z.B., Kranke, Alte, Pflegebedürftige und wenn man fürs Gemeinwohl arbeitet, Nahrung anbaut und erntet z.B., ein paar doch ganz nützliche, hilfreiche Gegenstände herstellt, kreativ, künstlerisch tätig ist, die nützlichen Dinge doch ab und zu repariert, wenn sie kaputtgehen, Feuer löscht, wenn´s brennt und Müll beseitigt, da wir doch noch nicht alles kompostieren können.
 
Die grundsätzliche Haltung, nicht sinnlose, schädigende, schädliche Jobs zu machen, nicht in selbst und andere schädigender Weise e r w e r b s t ä t i g zu sein und überbies erheblich mehr Muße zuzulassen, sich auf das Wesentliche zu besinnen, auf nicht nur materielle, sondern gerade auch immaterielle menschliche Bedürfnisse, zu versuchen, diese sich und anderen angemessen, wohltuend zu erfüllen, all das ist durchaus geboten. Aber es ist eben nicht "Nichtstun".
 
Arbeit gibt es letztlich immer genug, tatsächlich für alle, nur ist Arbeit eben nicht gleichbedeutend mit Erwerbstätigkeit und auch wer kreativ, schöpferisch, künstlerisch, geistig tätig ist, arbeitet, nicht nur, wer das Bruttosozialprodukt steigert und die Wachstumsrate hebt, wer dafür außerdem vor allem eifrig unreflektiert konsumiert.
 
Wir müssten also tatsächlich vor allem weniger und besonnener konsumieren, was wiederum ein gewisses Bewusstsein, Reflexionsvermögen, kognitive Fähigkeiten, Charakter- und Herzensbildung, Persönlichkeitsentwicklung, -reifung voraussetzt, weniger nach Anerkennung, Wertschätzung durch Leistung streben d ü r f e n, was völlig andere (staatliche) Schulen zur Vorbedingung hat (!) und einen zeitgemäßen Arbeitsbegriff etablieren, jenseits des nach wie vor gängig verbreiteten Erwerbsarbeitsfetischs.
 
Ich empfehle nochmals folgenden Artikel zur anregenden Horizontweitung:
 
"Erzählungen aus der Zukunft (II) Wider das Arbeitsethos 1" von Dr. Roland Wagner, auf freitag.de

Diesen Post teilen

Repost0
Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:

Kommentiere diesen Post