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Sabeth schreibt - Lebenskunst für Laien

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Was ist allen AfD-Anhängern, -Sympathisanten, -Wählenden gemein und warum dies - mit welchen Zielen, Absichten, Folgen, zu welchen Zwecken, zu wessen Nutzen/Vorteil?

20. Dezember 2023
 
Womit diese konservativen, patriarchal-autoritären, unreifen Männer - die v.a. sich selbst zumeist für intelligent, gebildet, "stark, mächtig" halten - psychisch, emotional, sozial nicht zurandekommen, ist ihr Verlust an Einfluss, Macht, Deutungshoheit, Privilegien.
backlash - Patriarchat
 
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"[...] Und dennoch ist die aktuelle gesellschaftliche Situation in Deutschland durchaus mit dem Vorfaschismus der späten 20er und frühen 30er Jahre des 20. Jahrhunderts vergleichbar. Eine breite, reaktionäre, ins Rechtsextreme tendierende gesellschaftliche Dynamik hat sich der Bundesrepublik bemächtigt. Eine ideologische Massenbewegung, die sich im Wahn verliert, ist sehr wohl wieder präsent in Deutschland.
 
Die Wahlerfolge der AfD sind nur Ausdruck dieser reaktionären Dynamik, die in der Mitte der Gesellschaft in Reaktion auf deren krisenhafte Erschütterungen aufkommt. Diese derzeit sich ausformenden rechtsextremen Ideologiesplitter, die keine Kohärenz eines in sich geschlossenen Wahnsystems wie des Nationalsozialismus ausbildeten, sind Teil einer Organisations- und schichtenübergreifenden protofaschistischen Bewegung. Neben offen reaktionären Teilen der Mittelklasse sind auch die "zu kurz gekommenen" Kleinbürger mit einem spezifischen Unterschichten-Rassismus hierin stark vertreten. Seine politische Heimat hat der neue deutsche Protofaschismus, neben der AfD, insbesondere in weiten Teilen der CDU/CSU, der FDP, sowie im geringeren Ausmaß in der "Sarrazinpartei" SPD. Der rechtsextreme Mob und die erzreaktionäre Elite finden hier - mal wieder - im Gemeinsamkeit stiftenden Hass zusammen. Doch selbst in der Linkspartei gibt es Auseinandersetzungen mit einem aufkommenden national-sozialen Flügel, der mit "Patriotismus-Parolen" und Ressentimentproduktion auf Wählerabwanderungen von der Linken zu der AfD reagiert.
 
Ideologische Radikalisierung und das Fallen der Tabus
Die braune Bewegung - in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wie auch gegenwärtig - muss somit auch als Bewegung analysiert werden. Woher kommt sie? Wohin treibt das Ganze? Der Tendenz zu "Verdinglichung" gesellschaftlicher Prozesse ("was ist"?) muss das Denken in eben diesen Prozessen entgegengesetzt ("was wird"?) werden. Es ist somit nicht entscheidend, was die AfD jetzt gerade "ist", sondern wohin sich die "Bewegung" entwickeln wird, sobald neue Krisenschübe über den Spätkapitalismus hereinbrechen werden, die sich bereits überdeutlich (etwa in Gestalt der italienischen Bankenkrise) abzeichnen. Dies kann durch eine ideologische "Radikalisierung" der AfD geschehen, oder auch durch das Aufkommen neuer rechtsextremer Gruppierungen und Massenbewegungen, die den Prozess des "Ins-Extreme-Treibens" fortsetzen.
 
Diese Dynamik der "ideologischen Radikalisierung" ist ja gerade anhand der "Alternative für Deutschland" bestens nachvollziehbar. Die prominenten rechtspopulistischen Gründerväter der ehemaligen "Professorenpartei" AfD, der Ökonom Bernd Lucke und der Manager Hans-Olaf Henkel, haben diese angesichts zunehmender rechtsextremistischer Tendenzen bereits verlassen, um ihre rechtspopulistische Partei "Alfa" zu gründen. Für das rechte Alfamännchen Henkel sei die Entwicklung der AfD "in Richtung einer NPD" schon seit einiger Zeit absehbar, wie er im Interview mit dem Handelsblatt ausführte. Parteigründer Lucke erklärte bei seinem Parteiaustritt wiederum, er wolle nicht als "bürgerliches Aushängeschild" für ausländerfeindliche Ansichten missbraucht werden.
 
Und selbstverständlich geht dieser Prozess des ideologischen "Ins-Extreme-Treibens" reaktionärer - und inzwischen ordinär faschistischer - Ideologeme munter weiter. Inzwischen droht das letzte noch intakte zivilisatorische Tabu zu fallen, das in der Bundesrepublik in den Nachkriegsjahrzehnten erreichtet werden konnte: das Tabu antisemitischer Hetze. Die Auseinandersetzungen in der AfD um offen antisemitische Äußerungen in der Parlamentsfraktion in Baden-Württemberg, führten nicht etwa zum Ausschluss des Täters, sondern zu einer Spaltung der Fraktion. Dieses Verhalten, das den zunehmend offen agierenden Rechtsextremisten nun eine Beobachtung seitens des Verfassungsschutzes einbringt, wird durch den zunehmenden ideologischen Druck motiviert, den unterdrückten Antisemitismus nun endlich voll ausleben zu können. Das latente antisemitische Ressentiment will manifest werden, die krisenbedingten Verwerfungen und Spannungen sollen endlich öffentlich als "Judenwerk" halluziniert werden können.
 
Dieser letzte öffentliche Tabubruch, vor dem der deutsche Rechtsextremismus nun steht, verweist auch die Ursprünge dieser reaktionären gesellschaftlichen Dynamik. Der Prozess der Faschisierung der deutschen Gesellschaft wird ja auch von "mutigen" Tabubrüchen und "klaren Worten" rechter Demagogen begleitet. Und es war der SPD-Politiker und Bundesbank-Hinterbänkler Thilo Sarrazin mitsamt seinem Machwerk "Deutschland schafft sich ab", der sich 2010 im Verlauf der Sarrazin-Debatte tatsächlich durchsetzen und die öffentliche Artikulierung von Ressentiments etablieren konnte. Sarrazin kann getrost als der Urknall der neuen deutschen Rechten bezeichnet werden. Und es ist bezeichnend, dass es die SPD-Führung aus Angst vor Stimmverlusten nicht wagte, Sarrazin aus der Partei zu werfen.
 
Seit Sarrazin, seit der Etablierung eines ressentimentgeladenen, offen reaktionären Diskurses in der Öffentlichkeit (der zuvor nur am Stammtisch gepflegt wurde), setzte der Prozess der massenwirksamen "Radikalisierung" der rechten und rechtsextremen Ideologie ein, an dessen - vorläufigen - Ende die antisemitischen Ausfälle und Auseinandersetzungen von Stuttgart stehen. Gewissermaßen gibt es kein Halten mehr, nachdem 2010 der Sozialdarwinismus und der antimuslimische Rassismus, die in Sarrazins Bestseller propagiert wurden, sich öffentlich etablieren konnten. Sarrazin kann getrost als einer der Vordenker der AfD bezeichnet werden.
Falls man hier überhaupt noch vom Denken sprechen kann. Die ganze intellektuelle Erbärmlichkeit der neuesten deutschen Rechten, die schlicht eine Biologisierung der Krisenfolgen betreibt, wird gerade an Sarrazin offensichtlich. Seinen politischen Aufstieg erlebte der SPD-Politiker während seiner Amtszeit als Berliner Finanzsenator, als er eine knallharte Sparpolitik mit ungehemmter Hetze und Pöbeleien gegen die Opfer seiner Politik, gegen Arbeitslose und Hartz-IV-Bezieher anreicherte. Sarrazin war somit daran beteiligt, den massiven Verelendungsschub, ja die Ausformung einer breiten Unterschicht in Berlin zu exekutieren, die im Rahmen der Agenda 2010 von Rot-Grün eingeleitet wurde. Hiernach erklärte Sarrazin das von ihm mitgeschaffene Massenelend zu der Folge einer übermäßigen Vermehrung genetisch minderwertiger Menschen, die aufgrund einer jahrzehntelangen "negativen Selektion" durch den deutschen Sozialstaat einsetzte. [...]"
 
Quelle: heise.de / Telepolis - "Die Bewegung als Bewegung", farbliche Hervorhebungen habe ich vorgenommen.

"[...] Unter den Kritikern rechtspopulistischer Bestrebungen, Organisationen und Parteien ist höchst umstritten, ob die Alternative für Deutschland (AfD) ihre jüngsten (Wahl-)Erfolge den sozial Benachteiligten, Ausgegrenzten und Abgehängten verdankt. Oder hauptsächlich wohlhabenderen Bevölkerungsgruppen, die ihre materiellen Privilegien nicht zuletzt durch Diskriminierung von Migranten, Flüchtlingen oder Muslimen behaupten möchten. [...]

Es fragt sich jedoch, ob die rassistischen Einstellungen nicht unabhängig vom sozialen Status der AfD-Klientel bestehen. Möglicherweise finden die rechtspopulistischen Kräfte gerade deshalb so viel Zuspruch, weil sie insgeheim bestehende Vorurteile gegenüber Erwerbslosen öffentlichkeitswirksam bestätigen und gleichzeitig Sozialneid nach unten schüren. [...]
 
Was die soziodemografische Struktur der Anhänger, Parteimitglieder und Wählerschaft von AfD, Pegida und ähnlichen Gruppierungen betrifft, widersprechen sich die wenigen bisher dazu publizierten Forschungsergebnisse teils diametral. Weder die Bezeichnung der AfD als „moderne Arbeiter-“ oder „Arbeitslosenpartei“ noch die Charakterisierung als „Partei des gehobenen Mittelstands“, der sich teilweise vom sozialen Abstieg bedroht fühlt, kann überzeugen. Plausibel erscheint vielmehr die These, dass der Rechtspopulismus mit seinen Stammtischparolen gewissermaßen schichtübergreifend anschlussfähig ist, also privilegierten Bevölkerungsschichten ebenso attraktiv erscheint wie sozial Benachteiligten, die Transferleistungen beziehen oder zu den Geringverdienern zählen.
 
Wohlhabende, Besserverdienende und Hyperreiche fühlen sich von der AfD offenbar genauso angezogen wie die vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelschichtangehörigen und die von Erwerbslosigkeit betroffenen Modernisierungsverlierer. Für beide Zielgruppen bieten Rechtspopulisten unterschiedliche ideologische Zugänge: Während sich deutsche Angestellte, Selbstständige und Freiberufler gegen soziale Aufsteiger, unangepasste Mitbewerber und ehrgeizige Migranten wehren, die angeblich nicht so fleißig sind wie sie, fürchten einheimische Unterschichtangehörige die Konkurrenz der Zuwanderer auf dem Arbeits-, Wohnungs- und Heiratsmarkt. [...]

Heute sind die Aufstiegskanäle der Gesellschaft für Kleinbürger so verstopft, dass deren sozialer Absturz viel wahrscheinlicher ist. Umso energischer wenden sich Teile der Mittelschicht gegen „Faulenzer“, „Drückeberger“ und „Sozialschmarotzer“, seien es nun einheimische oder zugewanderte.

Der frühere SPD-Politiker und Bundesbanker Thilo Sarrazin war einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste geistige Wegbereiter des Rechtspopulismus à la AfD. Wer erfahren möchte, wie deren Funktionäre über Armut in Deutschland und die am meisten darunter Leidenden denken, sollte Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ lesen. Dieses Pamphlet handelt nicht, wie fälschlicherweise meist angenommen, primär vom Thema Migration und Integration, sondern war als Diskussionsbeitrag zum deutschen Sozialstaat gedacht.

Schon als Berliner Finanzsenator hatte sich Sarrazin wiederholt abfällig über Hartz-IV-Empfänger geäußert und ihnen etwa geraten, sich – statt die Wohnung zu heizen – einen Pullover anzuziehen und kalt zu duschen. [...]
 
Zweifellos verhindern Bildungsdefizite vielfach, dass junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt sofort Fuß fassen. Auch führt die Armut von Familien häufig dazu, dass deren Kinder keine weiterführende Schule besuchen oder sie ohne Abschlusszeugnis wieder verlassen. Der umgekehrte Effekt ist hingegen kaum signifikant: Ein schlechter oder fehlender Schulabschluss verringert zwar die Erwerbschancen, wirkt sich aber kaum nachteilig auf den Wohlstand einer Person aus, wenn diese vermögend ist oder Kapital besitzt. Sarrazin vertauscht hier augenscheinlich Ursache und Wirkung miteinander: Armut macht zwar auf die Dauer eher dumm, Dummheit aber keineswegs arm. [...]"
 
Quelle: taz.de - "Selbst schuld"

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