"[...] Der finstere Giordano Bruno des Bildhauers Ettore Ferrari schaut pfeilgerade zum Petersdom, ins Herz der Christenheit. Er starrt den Erben seiner Exekutoren entgegen. Und was sähe er 2016, über vier Jahrhunderte nach seinem Tod? Eine Kirche, die auch nur eines ihrer Dogmen modifiziert hätte (statt ihnen das vermessene der „päpstlichen Unfehlbarkeit" hinzuzufügen)? Nein, er sähe wie damals das bunte Treiben eines „Jubeljahres“: Fußwaschungen und Massentaufen, Bußliturgien, Nachtwachen und Generalaudienzen, Spendenaufrufe und Kollekten, Passionen und Prozessionen: „Götzendienst“, wie Bruno lästerte. [...]
Dabei gab es einmal eine Zeit, in der all dieser ritualisierte katholische Zauber kaum noch Macht über Italien hatte. Im Jahre 1889, exakt hundert Jahre nach der französischen Revolution, ist der Vatikan kein Kirchenstaat mehr und steht kurz davor, als politische und geistige Kraft aus Italien hinauskatapultiert zu werden. Das von einer revolutionären Studentenbewegung initiierte, vom Papst unerbittlich bekämpfte Denkmal ist dabei, von den antiklerikalen Kräften Italiens, von Garibaldisten, Anarchisten und Freidenkern, Sozialisten und Gewerkschaftlern am Ort des Autodafés errichtet zu werden. Fast in Sichtweite von Sankt Peter! Die Konfrontation, in der die Existenz der Kirche und die Zukunft Italiens auf der Kippe stehen, ist von unvorstellbarer verbaler Brutalität. Weltberühmte Dichter, Walt Whitman, Henrik Ibsen, Viktor Hugo werfen sich für das Projekt in die Schanze. Giuseppe Garibaldi, der die Einigung Italiens vorantreibt, nennt das Papsttum „ein Krebsgeschwür, das man aus Italien herausreißen muss“, und unterstützt mit einer symbolischen Geldspende die Denkmals-Idee. Der „Osservatore Romano“, das Sprachrohr des Heiligen Stuhls, tauft es das „schwarze Schiff des Satans“. [...]
Die Mächte der Aufklärung haben verloren, die des Glaubens auf ganzer Linie gesiegt. Staatschef Renzi macht mit seiner Frau, die er bei den katholischen Pfadfindern kennenlernte, dem „Heiligen Vater“ regelmäßig seine Aufwartung, und der von Mussolini und dem Vatikan 1929 unterschriebene Lateran-Vertrag, der den Katholizismus als Staatsreligion einsetzte – samt obligatorischem Religionsunterricht und Kruzifix in allen Schulen –, ist heute wirksamer denn je.
Die Prozessionen des „Barmherzigkeitsjubiläums“ locken zehntausende Gläubige an. Der Wundmale-Heilige Padre Pio, der in Italien der „Heiligen Jungfrau“ den Rang abgelaufen hat und dessen Konterfei uns vom Rückspiegel jedes zweiten Taxis in Rom entgegenlächelt, wurde am 5. Februar 2016 von uniformierten Motorradstaffeln zum Petersdom eskortiert. Papst Franziskus empfing die Gebeine des Mussolini-Verehrers mit feierlichem Pomp.
Sein Verbrechen: er leugnet die Dreieinigkeit Gottes
Giordano Bruno hätte diese Rituale mit Verachtung quittiert. Er verabscheute den Heiligen- und Reliquienkult, jenes kollektive Anhimmeln von Knochen und Kleidungsresten. Als Zögling im Dominikanerkloster von Neapel riss er die Marien- und Heiligenbilder von den Wänden seiner Klause; man hielt es für jugendliche Verirrung. Als er aber, als 28-jähriger Mönch in den Orden aufgenommen, die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes anzweifelte, handelte er sich ein Exkommunikationsverfahren ein, dem er nur durch Flucht nach Rom entkam - aus dem er Hals über Kopf weiterfliehen musste, weil man die Schrift "de trinitate" des Kirchenvaters Augustinus, von ihm zerrissen, in der Latrine des Klosters gefunden hatte. Seine Weiterreise glich einem gezackten Blitz durch die Saaten Europas.[...]
Die Priester aller Religionen verhöhnte er als „heilige Esel, deren Unterhalt man in Hafer und Heu entrichten“ müsse, und in der Alpenrepublik musste er die „Diffamierung“ eines Professors, dem er 26 Fehler in einer Vorlesung nachgewiesen hatte, mit zwei Wochen Zuchthaus bezahlen. Exkommuniziert hatten ihn die Schüler Calvins freilich, weil er die kopernikanische These ausstreute, die Erde drehe sich um die Sonne, was mit der Bibel kollidierte. [...]
Dann überstieg er völlig den Denkhorizont seiner Zeit und hob das Alte wie das Neue Testament aus den Angeln. In seinem 1584 veröffentlichten Buch „Über das Unendliche, das Universum und die Welten“ postulierte er die Unendlichkeit des Weltalls und die ewige Dauer des Universums und zertrümmerte das theologische Weltbild. Bei Bruno gibt es keine Genesis und kein Jüngstes Gericht, keine Apokalypse, keine Vertreibung aus dem Paradies. Gottvater, Allah, Adonai, kurz, der Weltenschöpfer des Alten Testaments hatte in Brunos „pantheistischem“ System („Die Natur ist Gott in den Dingen“) keinen Platz mehr. Seine von modernen Astronomen geteilte Intuition, dass es unendlich viele Welten gebe, stieß die Erde aus dem Zentrum des Alls, und mit ihr die Kirche als exklusivem Stellvertreter Gottes. Da es keinen persönlichen Gott gab, war Jesus nicht sein Sohn, Maria keine Jungfrau, das Abendmahl und dessen behauptete Gleichsetzung von Brot und Wein mit Christi Fleisch und Blut ein abwegiger Ritus und die Wiederauferstehung von den Toten eine Absurdität. [...]
Über den Marienkult und das Fegefeuer durfte man streiten, aber zu behaupten, dass die Propheten Epileptiker waren und Jesus ein Magier und Betrüger, das galt auch hier als Sakrileg. [...]
Trieb ihn das Heimweh oder ließ er sich von der Nachricht verführen, ein liberaler Papst, Clemens VIII., habe den Hedasiligen Stuhl erobert? Hatte er vergessen, dass die Wunder und Wahrheiten der monotheistischen Religionen keine Diskussion dulden? Dass „ketzerische“ Thesen mit Verfemung, Exkommunizierung, Elimination bestraft werden? Bruno kehrte heim, nach 16-jähriger Abwesenheit. Ein venezianischer Adliger hatte ihn eingeladen, um in der Technik der Erinnerung, aber vermutlich in der Magie instruiert zu werden. Als Bruno, ein anerkannter Experte der schwarzen Kunst, ablehnte, denunzierte ihn Giovanni Mocenigo bei der venezianischen Kirche, die ihn am 27. Februar 1593 an die römische Inquisition auslieferte.
Seine letzten sieben Jahre verbrachte Giordano Bruno in den Verließen des Vatikans. Man zog dem „verstockten und hartnäckigen Häretiker“ die Finger- und Fußnägel, verkohlte seinen Unterleib, riss ihm auf dem Rad die Arme aus den Gelenken, vergeblich. Im Dezember 1599 richtete er Clemens VIII. aus, dass es „nichts zu bereuen, nichts abzuschwören“ gebe.
Das folgende Blutgericht vom 8. Februar 1600, das wir auf dem zweiten Denkmalsrelief bewundern können, zeigt den Philosophen, wie er den allmächtigen Inquisitoren den unsterblichen Satz entgegenschleudert: „Ihr verkündet Euer Urteil vielleicht mit mehr Furcht, als ich es entgegennehme“. [...]
Kardinal Bellarmin, der die Inquisitionsprozesse gegen Bruno und Galilei leitete, wurde 1930 heiliggesprochen. Galileo Galilei, der die Bewegung der Erde nachgewiesen, aber aus Angst vor der Folter widerrufen hatte, wurde 1992 nach 13jähriger Beratung „rehabilitiert“. Und Bruno? „Nein zum Scheiterhaufen, ja zum Urteil“, hieß es am 18. Februar 2000 in einer endgültigen Stellungnahme der Kurie. Brunos Exkommunikation wurde, exakt 400 Jahre nach der Hinrichtung, bestätigt.
Giordano Bruno ist nicht rehabilitierbar
Der schöne Gedanke, dass Freiheit die des Andersdenkenden sei, ist im Vatikan nicht angekommen. Aber glauben nicht alle monotheistischen Religionen und totalitären Ideologien, im Besitz der exklusiven Wahrheit zu sein? Werden die Andersdenkenden nicht weiterhin als „Häretiker“, „Apostaten“, „Renegaten“, „Verräter“ denunziert, mit dem Tod bedroht? Wie etwa heute der Dichter der „Satanischen Verse“, Salman Rushdie? Giordano Bruno ist nicht rehabilitierbar. Er bleibt ein „Ketzer“ für die einen, für die anderen ein „Märtyrer der Gedankenfreiheit“. [...]"
Quelle: tagesspiegel.de - "Das schwarze Schiff des Satans", farbliche Hervorhebungen habe ich vorgenommen.
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