Ist die Liebesfähigkeit der Frau – die Fähigkeit, geben zu können - letztlich doch (nach wie vor) ihr Verhängnis?
Es sind offensichtlich doch mehrheitlich Frauen, die ihre Peiniger, den "Feind", tatsächlich lieben können, die ihren Peinigern verzeihen können und wollen – weil sie es wollen, weil sie lieben können.
Allgemeinhin wird diese Liebesfähigkeit bekanntermaßen pathologisierend und abwertend dargestellt als bspw. Stockholm-Syndrom oder auch als Co-Abhängigkeit, "Helfer-Syndrom", "Mutter-, Weibchen-Syndrom", als Ausdruck, Zeichen jedenfalls von Krankheit, Störung oder auch Traumatisierung (durch bspw. Misshandlung, auch sexuellen Missbrauch in der Kindheit). Als Schwäche also, als Nachteil, als etwas, das es zu beheben, zu reparieren, zu überwinden gilt.
Keinesfalls als etwas Positives, Unterstützens- wie Erhaltenswertes.
Warum ist das so?
Vielleicht, weil es offenbar etwas typisch, ja Ur-Weibliches ist. Die Fähigkeit, einfühlsam, mitfühlend, feinfühlig, empfindsam und fürsorglich sein zu können. Die Fähigkeit, sich selbst für andere zurücknehmen, für das Wohl anderer (mehr oder weniger) freiwillig Opfer bringen und bewusst Verzichte leisten zu wollen und zu können. Die Fähigkeit also, geben zu können – das genuin weibliche, da mütterliche Prinzip, das spezifisch Weibliche, Mütterliche.
Nein, keine Biologismen, sehr wohl aber Biologie.
Ja, es gibt sie: die Geschlechterdifferenz, nicht nur je individuelle Differenz (von Personen, Persönlichkeiten, Menschen).
Wir sind nicht nur "Wille, Geist", sondern erheblich nach wie vor Körper, Leib.
Und wir sind unserer Leiblichkeit täglich in erheblich stärkerem Maße "unterworfen" als uns das häufig (im Alltag) bewusst ist – nicht nur Hormonen, auch Neurotransmittern, unserer "inneren Uhr" (Biorhythmus), unseren größeren und kleineren Befindlichkeitsstörungen, sowieso: unseren Schmerzen und diversen leiblichen Bedürfnissen (Durst, Hunger, Verdauung, sexuelle Lust …).
Und mit allen gedanklichen Prozessen gehen ohnehin stets Gefühle einher, auch dies zumeist und zunächst unbewusst, wir sind folglich nicht nur leiblich, sondern auch emotional bedürftig. Immerhin darüber besteht inzwischen weithin Konsens.
Doch scheint gerade diese emotionale, wie aber auch leibliche, vor allem sexuelle Bedürftigkeit insbesondere Männern große Schwierigkeiten zu bereiten. Sie interpretieren das als Zeichen von Schwäche, von Unterlegensein, Abhängigsein, Machtverlust – und all dem gilt es für die Mehrheit der Männer global noch immer vorzubeugen, das zu vermeiden, zu bekämpfen, jedenfalls mindestens zu unterdrücken und zu verbergen – auch und gerade leider vor sich selbst. Selbstbetrug also.
Den Schein nach außen hin wahren. Die Fassade aufrechterhalten. Koste es, was es wolle.
Warum ist das so?
Es lässt sich mit einer langen Tradition erklären – dem Patriarchat und damit zwangsläufig einhergehend, dem inhärent: die patriarchale Erziehung, nicht nur, aber bspw. auch in Form der Schwarzen Pädagogik, in Form von psychischer wie physischer, teils auch subtiler Gewalt, Unterdrückung, Bestrafung, in Form von Dominanz, Hierarchie, Dogmen, Indoktrination mittels verschiedener, u.a. und besonders religiöser Ideologien, in Form von Verweigerung von Zuwendung, Zärtlichkeit, Nähe, Trost, Halt, Respekt sowie durch Bestrafung, Demütigung bis hin zur Misshandlung – Gefügigmachen, den Willen brechen, in Abhängigkeit halten … .
Doch auch hier stellt sich die Frage: Warum hat sich das so "entwickelt", warum ist das über Jahrtausende so vonstatten gegangen und noch immer wirksam, warum wird das noch immer angewandt, verteidigt, teilweise sogar propagiert, gepriesen, verherrlicht?
Weil dem das Vermeiden(wollen) von Schmerz zugrunde liegt.
Verpanzerung, Abwehr, Verhärtung, Maskierung, auch Verdrängung, Ignoranz, Verleugnung (wiederum also vor allem Selbstbetrug) sind das Vehikel, gleichzeitig aber auch die Folge des Versuchs, des Wunsches, Schmerz zu vermeiden, zu umgehen.
All die Gefühle von Unterlegensein, sich bedürftig, auch "abhängig" fühlen, sich schwach fühlen, das Gefühl des Entbehrenmüssens, das Leiden daran – all das will nicht erlebt, empfunden, erlitten, ertragen werden, sondern vermieden, verdrängt, verdeckt. Es wird im Verborgenen gehalten oder auch vollständig geleugnet und zu vernichten versucht.
Es darf nicht sein, dass "der" Mann "der" Frau gegenüber unterlegen, gar von ihr abhängig ist, von der Aufmerksamkeit, Zuwendung, Zuneigung, dem Respekt, der Zärtlichkeit, der Lusterfüllung, der Bestätigung, Anerkennung, Wertschätzung, der Fürsorge, der Liebe, die sie ihm zuteil werden lässt – oder auch nicht.
Im Patriarchat muss der Mann die Oberhand, die Macht haben und behalten. Unbedingt. Anderenfalls würde das gesamte zugrundeliegende "Fundament", das gesamte Menschen-, Welt-, Selbstbild zunichte gemacht, es würde zu Staub zerfallen – und der patriarchal-autoritäre Mann damit ins Bodenlose fallen.
Er darf, soll, will sich "so wenig als möglich" verletzlich und bedürftig zeigen.
Daher kann und wird er sich solche Gefühle auch selbst nicht eingestehen (wollen, können).
Warum ist das so?
Weil der patriarchal-autoritäre, nicht selten auch pathologisch narzisstische Mann sich "der" Frau gegenüber grundsätzlich ohnehin (bewusst oder nicht bewusst gemacht) abhängig, ja mitunter ausgeliefert fühlt, schon deshalb, weil er – jeder einzelne Mensch, folglich auch jeder einzelne Mann – nur durch eine Mutter ins Leben kommen konnte. Er verdankt seine Existenz einer Frau, die den gezeugten Embryo und Fetus über Monate getragen und geboren und danach am Leben erhalten hat: durch ihre Fürsorge, durch ihr Geben.
Es scheint für unzählige Männer schon dies eine Art nicht hinnehmbarer Affront zu sein. Schon also das vorgeburtliche Ausgeliefert-, Abhängigsein, jedoch auch besonders das "nachgeburtliche".
Die mütterliche Liebe, die unverzichtbar, unentbehrlich ist, was sich gerade dann besonders deutlich zeigt, wenn sie doch entbehrt werden musste oder aus vielerlei Gründen nur unzureichend erfahren werden konnte.
Darum ist die Mutter, die Frau, "das Böse" schlechthin. Sie ist es, die (vordergründig betrachtet) die eigentliche, die absolute "Macht", Entscheidungs-, Verfügungsgewalt über "das Leben", über das Kind, seine Existenz, seinen Gedeih und Verderb hat (wenn wir es ganz basal betrachten).
So zumindest stellt es sich offenbar etlichen Männern dar – und das bereits seit sehr langer Zeit, siehe das Entstehen/Bestehen des Patriarchats (siehe hierzu auch und besonders die nach wie vor bestehende, wirkmächtige strukturelle Gewalt …).
Die Frau als Mutter ist jene, die "Macht" über Sein oder Nicht-Sein, über Geborenwerden oder Sterbenmüssen des (weiblichen oder männlichen) Säuglings hat sowie über sein Überleben; zumindest war es über lange Zeit so und letztlich ist es auch heute noch so, siehe Kinds-, Säuglingstötungen von Müttern – ein ganz eigenes Thema, insbesondere dessen Hintergründe, das jedoch des Umfanges wegen nur gesondert, nicht an dieser Stelle diskutiert werden kann.
Deshalb ist sie "böse", gefährlich. Auch furchterregend. Deshalb gilt sie als "übermächtig", bedrohlich – als vermeintliches Monster.
Da eine Frau selbst jeweils auf biologischer Basis Mutter werden kann, das zumindest viele Jahre so annimmt, unbewusst so verinnerlicht hat (als Kind, als Mädchen bereits so lernt …), scheinen Frauen bzw. Mädchen diesen Umstand des Abhängigseins von der Mutter – zunächst – nicht als solche "Beleidigung", narzisstische Kränkung zu empfinden wie es viele Männer offenbar taten und noch heute, auch unbewusst, tun.
Die Frau als sexuell begehrenswertes Wesen ist wiederum deshalb "böse, gefährlich, bedrohlich, falsch, schlecht, verdorben, schmutzig, nieder, verachtenswert" und daher vom Mann vermeintlich "legitimerweise" entsprechend geringschätzig, demütigend, unterdrückend, strafend, paternalistisch bis misshandelnd und vernichtend zu behandeln, weil sie "Macht" durch das Erwecken von Lust, von Begehren, sexuellem Verlangen ausübt, weil sie als verführerisch, als unwiderstehlich (!) gilt, weil der Mann sich in seinem drängenden Begehren, dem er nicht immer "Herr zu werden" vermag, ihr wiederum unterlegen, ihr ausgeliefert, von ihr abhängig fühlt. Bedürftig also. Vermeintlich schwach. Nicht selbstbestimmt, nicht "frei" – nicht: stark, groß und mächtig. Sondern das Gegenteil dessen.
Das erträgt der patriarchal geprägte, so eingestellte Mann häufig nicht.
Denn das Begehren, das Sich-bedürftig-Fühlen geht wiederum nicht selten mit Schmerz einher:
Man muss sich eingestehen, dass man angewiesen ist, auf (einen) andere(n) Menschen, gerade also auch auf "das andere Geschlecht" – auf die Frau.
Man erkennt dabei (nicht selten schmerzvoll, zumindest widerstrebend), dass mann nicht "Herr im eigenen Haus" ist, dass mann keineswegs so stark, unabhängig, mächtig, selbstbestimmt, frei und willensstark ist, wie mann es gerne wäre, wie mann sich selbst gerne sähe.
Der diese unangenehmen Einsichten und Gefühle auslösende "Peiniger" ist: die Frau. Folglich kann sie nur "das Böse" sein, das mann sich unbedingt vom Leib halten muss, dessen mann sich zu erwehren sucht – und es letztlich gerade nicht (dauerhaft) kann.
Auch nicht mittels Glaube, religiöser Praxis, Selbstkasteiung, Selbstgeißelung, auf welche Weise und in welcher Intensität auch immer ….
Auch nicht mittels Verdrängung, Leugnung, Ignorieren, Selbstbetrug.
Nicht einmal, indem mann Frauen erniedrigt, herabwürdigt, hasst, misshandelt, sogar tötet, vernichtet. Genau dies aber ist bekanntermaßen die seit Jahrtausenden übliche, global verbreitete "Umgangsweise" des Mannes mit seiner gefühlten, erlebten Unterlegenheit, Abhängigkeit, Bedürftigkeit von Frauen.
Statt: die Frau wertzuschätzen, respektvoll, fürsorglich zu behandeln, eben weil der Mann ohne sie nicht sein kann … .
Denn dieser Weg wäre durchaus auch ein möglicher – der gebotene. Und er wurde vor Entstehen des Patriarchats auch gegangen.
Nach diesem etwas ausführlicheren Exkurs nun zurück zur eingangs gestellten Frage:
Ist es "typisch weiblich" und ist es für die Frau ein Verhängnis, dass sie Mitgefühl haben kann für jene, die sie peinigen, unter denen sie – auch ganz persönlich, je individuell, sogenannt privat, siehe in Beziehungen, zu leiden hat, oft sogar täglich und über viele Jahre bis lebenslang?
In einem anderen Text, siehe unten verlinkt, hatte ich bereits versucht, die Frage zu erörtern, was unter "sich selbst (auf-) opfernder Liebe" zu verstehen sein könnte, ob das überhaupt als Liebe bezeichnet werden kann – ob es also ein moralisch legitimes bzw. menschlich, ethisch begründbares Gebot ist, "seine Feinde lieben" (können) zu sollen und ob das realistischerweise überhaupt möglich ist, vor allem langfristig und je nach erfahrenem Leid … .
Wie weit darf man beim Lieben gehen? Wie weit soll man gehen? Wieviel Selbstverletzung bis möglicherweise hin zur Selbstzerstörung, zumindest Selbstaufgabe ist erforderlich oder "gut, richtig, gesund"?
Wie verhält es sich also mit Grenzüberschreitungen?
Wie weit will man – wer jeweils? – aus welchen Gründen gehen und wie weit kann man je individuell gehen … ?
Das sind schon Fragen, denen es eigentlich vorab intensiver nachzugehen gälte. Möglichst ohne stets alles sofort nur zu pathologisieren. Es stattdessen nicht nur psychologisch, psychoanalytisch, medizinisch zu durchleuchten, sondern auch in Einbeziehung anthropologischer, ethnologischer, soziologischer, biologischer und vor allem auch philosophischer Beobachtungen, Erkenntnisse, Überlegungen und Perspektiven.
Dennoch: Nach meiner persönlichen Beobachtung, Wahrnehmung, meinem Wissensstand sowie auch selbst gemachten Erfahrungen verhält es sich offenbar tatsächlich so, dass es mehrheitlich Frauen sind, die ihren Peinigern, gerade übrigens, wenn es sich dabei um Männer handelt, eher verzeihen und ihnen gegenüber sogar "positive", wohlwollende (!) Gefühle haben (können).
Dass es mehrheitlich Frauen sind, die fürsorglich denken, fühlen, sich verhalten, die geben – die aufmachen, die Hand ausstrecken, trotz des ihnen zugefügten Schmerzes, Leids, Unrechts … .
Dass sie ihre Peiniger also tatsächlich lieben können. Weit mehr als dies umgekehrt der Fall ist: Männer verbarrikadieren, verpanzern sich nach Schmerzerfahrung deutlich mehr, länger, intensiver als Frauen bzw. wehren ab, verweigern die Kommunikation, fliehen oder versuchen, zu bestrafen – in Form von Vergeltung (auf unterschiedliche Weise), Verweigerung, sowieso: Schuldzuweisungen, Abwehr, bis hin zu Hass, zu Misogynie.
Doch sind dies nur auf den ersten Blick Selbstschutzmaßnahmen, letztendlich vergiftet mann sich mittels solchen Verhaltens doch nur selbst immens. Denn mann leidet. Trotzdem.
Und es geht gerade darum, das Gegenteil dessen zu tun: aufmachen, einsehen, sich eingstehen, sich hin- und zuwenden, den Schmerz zulassen, das Gefühl der Bedürftigkeit, des Sehnens, des Entbehrens ertragen zu lernen, statt es zu verdrängen, zu übertünchen, zu verleugnen, zu bekämpfen.
Sich offen verletzlich und bedürftig zeigen.
Bitten, verzeihen und geben: lernen wollen.
Und erkennen, dass es der Schmerz im Anderen ist, der ihn sich auf bestimmte Weise verhalten lässt; dass es auch der eigene Schmerz ist, den der Andere spiegelt – den eigenen Schmerz im Anderen erkennen und ihn zulassen.
Aufeinander zugehen, statt abzuwehren, zu fliehen, zu bekämpfen – denn es ist die Flucht vor sich selbst, vor dem eigenen Schmerz und der Scham über eigene Defizite, Unzulänglichkeiten. Und diese kann, wird niemals gelingen.
So lange es aber als Schwäche gilt, die Fähigkeit zum Mitfühlen, zum Mitleiden, zum Schmerzzulassen, zum Lieben, zum Geben zu haben, so lange sind es diese Menschen – und das sind mehrheitlich augenscheinlich Frauen – die darunter zu leiden haben, auf mehreren Ebenen.
Denn sie werden für dieses Zulassen- und Aushaltenkönnen, für das Offen-, Zugewandtbleiben und Geben noch zusätzlich bestraft, indem man es und sie, siehe eingangs bereits dargelegt, pathologisiert, mindestens aber abwertet, lächerlich macht und als defizitär darstellt.
So lange der "männliche Weg" des Unterdrückens, Leugnens, Ignorierens und Bekämpfens von Schmerz bzw. des "Peinigers" als der richtige betrachtet und Entsprechendes angewandt wird, sind es Frauen, die in mehrfacher Hinsicht eben hierunter zu leiden haben.
Es ändert nichts am ebenfalls fortbestehenden Leiden des Mannes, er steht aber nach außen hin zunächst als der "Bessere", als der Starke, der vermeintliche Sieger dar, als der Mächtige, der Kämpfer, der Bezwinger, der "Willensstarke", der "Held".
Selbstbetrug. Tatsächlich. - Beklagenswerterweise.
Denn sein Entbehrungsschmerz bleibt. Sein Verlustschmerz, sein Begehren, sein Verlangen, seine Bedürftigkeit.
Und er weiß es. Eben drum.
Der Ausweg aus diesem Dilemma kann daher nur Wahrhaftigkeit sein.
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Nachgesetztes
Das Unheil für die Frau besteht offensichtlicherweise darin, dass ihr zugewandtes, fürsorgliches, großherziges Geben nicht nur skrupellos vom Mann ausgenutzt werden, sondern sie überdies für ihr Geben noch zusätzlich anderweitig bestraft, pathologisiert, verlacht ... werden kann und ihr aus beidem für ihr Leben, ihr Sein, auch ihren Alltag erhebliche Nachteile resultieren können, meist werden.
Sie wird demzufolge in mehrfacher Hinsicht geschädigt. Und selten bis gar nicht je rehabilitiert, sondern im Gegenteil wird dieses Gebenkönnen – das aktive Lieben – ihr als genuine Schwäche, die wiederum "spezifisch weiblich" sein soll, ausgelegt.
Mann spricht dann gerne von der nicht nur, aber besonders auch sexuell "hingebungsvollen" (bis submissiven, "devoten") Frau, als sei dies generell kennzeichnend für Frauen, für "das weibliche Wesen"; ähnlich, wie mann der Frau lange Zeit auch Hysterie als typisch weiblich zuschrieb sowie noch viele andere Schwächen, Laster, Leiden, Niederheiten mehr.
Und trash-Texte wie "50 shades of Grey" zementieren dieses Bild ebenso wie gängige, verbreitete Pornographie.
Nicht wenige Frauen sind beklagenswerterweise bereits so indoktriniert, so durch den allgegenwärtigen Sexismus - siehe hierzu anschaulich bspw. die 3sat-Dokumentation "Vom Strampler zu den Strapsen" oder auch Laurie Penny´s "Fleischmarkt" - und die verbreitete Pornographie (auch entsprechende Anspielungen in Musikvideos, in der Mode, im Film, ohnehin in der Werbung), dass sie dies, insbesondere als junge Frauen, selbst nicht (mehr) erkennen, reflektieren, sondern bereits verinnerlicht haben, das alles sei fester Bestandteil und sicherer Ausdruck ihrer weiblichen sowie je individuellen "sexuellen Freiheit und Selbstbestimmtheit".
Nicht nur erkennen sie ihr Ausgebeutetwerden, ihr Erniedrigt- und Unterworfenwerden nicht (mehr bzw. überhaupt erstmals), sie folgen der Manipulation sogar so weit, diese Schädigungen, ihr Beschädigtwerden als das anzunehmen, als das es ihnen suggeriert, verkauft wird: als ihre vorgeblich/vermeintlich ureigene Lust, als ihr eigenes Wollen, als Ausdruck ihres vermeintlich "authentischen Frauseins".
Diese systematische Manipulation, Indoktrination kann unstrittig nur als perfide und infam benannt werden.
Warum widersetzen sich dem nicht deutlich mehr Frauen deutlich vehementer?
Das hat mehrere, unterschiedliche Gründe. Ich hatte sie an anderer Stelle bereits genannt, nachfolgend nochmals:
Frauen möchten durchaus begehrt werden, begehrenswert sein. Sie möchten anerkannt, wertgeschätzt, geliebt sein. Sie glauben, wenn sie nur attraktiv, sexy, fürsorglich, liebevoll, aber auch witzig, humorvoll, gebildet, intelligent und beruflich erfolgreich, selbständig, unabhängig "genug" seien, könnten sie den (jeweils "anwesenden") Mann halten, emotional an sich binden. Was selbstredend eine Illusion ist, jedoch eine wirkmächtige, eine, die eben doch funktioniert … .
Ein anderer Grund kann sein, dass die Frau einen Kinderwunsch hat, noch immer haben mehrheitlich Frauen einen solchen. Sie macht dann nicht selten diverse Zugeständnisse in der Beziehung, Hauptsache, der Mann bleibt und zeugt (ein) Kind(er) mit ihr.
Ein weiterer Grund ist auch noch immer finanzielle Abhängigkeit oder auch anderweitige (ökonomische, soziale Abhängigkeit) – die Frau glaubt, ohne den Mann nicht zurechtkommen zu können, insbesondere dann nicht, wenn sie Kinder hat und kein oder nur ein geringes Einkommen … .
Weltweit sind mehrheitlich Frauen - und ihre Kinder - von materieller Armut betroffen, beschädigt, darunter leidend, daran sterbend. Die zahlreichen Gründe hierfür sind längst hinreichend bekannt.
Und es spielt auch die nach wie vor weitläufig verbreitete Vorstellung von der "romantischen Liebe" als echter, "wahrer" Liebe eine bedeutende Rolle, die Vorstellung also von der möglicherweise lebenslangen, monogamen Paar-Beziehung.
Dabei wird geflissentlich ignoriert, dass es sich zumeist um serielle Monogamie, um "Lebensabschnittspartner" handelt und dass es bei länger andauernden Beziehung nicht selten zu "Fremdgehen, Seitensprüngen" kommt und dies mehrheitlich ohne Wissen des Partners praktiziert wird.
Außer Acht gelassen bzw. missverstanden wird dabei häufig auch, dass Liebe allgemeinhin noch immer mit Verliebtheit verwechselt bzw. gleichgesetzt wird, was zu etlichen, bekannten Schwierigkeiten führt und zu eben serieller Monogamie, zu Trennungen, zu Partnerwechseln oder auch dem gänzlichen Meiden, Vermeidenwollen, Ablehnen von Beziehung(en).
Schließlich verwechseln Frauen selbst – auf Basis oben genannter, systematischer wie auch je individuell erlebter Manipulation - Gebenkönnen, Hingabebereitschaft, Fürsorglichsein-, Liebenwollen mit Ausgebeutet-, Benutzt-, Unterdrücktwerden.
Es ist zweifelsohne ein gutes, schönes, angenehmes Gefühl, einem anderen, nahestehenden bzw. geliebten Menschen zu geben, ihm unter anderem auch sexuelle Erfüllung zu schenken – dies kann als bestätigend und mitunter auch überwältigend … erlebt werden.
Aber nur, weil Frauen diese Fähigkeit zu Geben, zu Lieben, fürsorglich zu sein, sich einfühlen, empfindsam sein zu können haben, lässt sich daraus nicht legitimerweise für Männer ableiten, dies einfach selbstverständlich in Anspruch nehmen und die Frau benutzen, erniedrigen, ausbeuten zu dürfen – ihr zu unterstellen, sie sei vorgeblich "natürlicherweise" devot bzw. manipulativ formuliert "von Natur aus hingabebereit".
Nein: es ist nicht "die Bestimmung der Frau qua Natur", dem Mann als sexuelle Erfüllungsgehilfin, als Sexdienstmagd, als fleischliches Objekt, Gegenstand seiner Triebbefriedigung und seines Machterhalts zur Verfügung zu stehen.
Nein, ein Mann hat k e i n "natürliches Ur-Recht auf Sex" mit einem anderen Menschen, mit Frauen.
So lange jedoch die positive, erhaltenswerte und erweiterungswürdige Liebesfähigkeit der Frau vom Mann als "typisch weibliche" Schwäche, als außerdem jederzeit rechtmäßig verfügbar, benutzbar interpretiert wird und so lange es die männlicherseits bestehende Nachfrage nach Pornographie und Prostitution gibt, den Wunsch also nach Verfügen-, Erniedrigen-, Ausbeuten-, Entwerten- und sogar Misshandelnkönnen, so lange ist die Liebesfähigkeit der Frau unzweifelhaft ihr Verhängnis.
Statt die Frau für ihr Geben-, Liebenkönnen zu achten und entsprechend zu behandeln, wird sie dafür verachtet und verlacht.
Denn, siehe oben: Es ist dem Mann ein Affront, er fühlt sich durch diese ihre Fähigkeit gedemütigt, erniedrigt, unterlegen – was er nicht erträgt, weshalb er diese Fähigkeit kompensatorisch diskreditieren muss bzw. will. Mit den hinlänglich bekannten, oben bereits erwähnten Folgen - seit Jahrtausenden, bis heute.
Nein, diese Erkenntnisse sind weder neu, noch bin ich die Erste oder Einzige, die sie nennt. Leider ist es jedoch nach wie vor erforderlich, sie zu nennen und gegen diese noch immer bestehenden, gravierenden Missverhältnisse anzugehen.
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"[...] Das Gefühl der Panik, das uns ergreift, sobald die Liebe bedroht wird, ist ein klarer Hinweis auf ihre politische Bedeutung. Ein weiterer Hinweis, dass die Liebe der zentrale Punkt jeder Analyse der Frauen oder der Sexualpsychologie ist, besteht darin, dass sie aus dem kulturellen Leben ausgeschlossen ist und in den „persönlichen Bereich“ abgeschoben wird (Wer hat jemals von Logik im Schlafzimmer gehört?).
Für diesen Mangel an Analyse gibt es gute Gründe: Frauen und Liebe sind der Unterbau; werden sie analysiert, dann wird dadurch schon die gesamte Struktur der Kultur bedroht. Die herablassende Frage: „Was haben denn die Frauen gemacht, während die Männer ihre Meisterwerke schufen?“ verdient mehr als die naheliegende Entgegnung: Frauen waren von der Kultur ausgeschlossen und wurden in ihrer Rolle als Mutter ausgebeutet.
Liebe und Kultur sind aber noch sehr viel tiefer miteinander verwoben. Die Männer konnten denken, schreiben und kreativ sein, weil die Frauen all ihre Energie an diese Männer weitergaben. Frauen können keine Kultur schaffen, weil sie ganz von der Liebe in Anspruch genommen sind. Simone de Beauvoir hat es ausgesprochen: „Das Wort Liebe hat für die beiden Geschlechter durchaus nicht denselben Sinn, und hierin liegt eine Quelle der schweren Missverständnisse, die sie voneinander trennen.“
Ich habe einige der traditionellen Unterschiede in der Liebe zwischen Mann und Frau aufgezeichnet, die so häufig bei Party-Gesprächen über die „Doppelmoral“ auftauchen und über die man sich allgemein einig ist: Frauen sind monogam, können besser lieben, sind besitzergreifend, „anhänglich“, haben eher Interesse an (sehr engen) „Beziehungen“ als an Sex und verwechseln häufig Zuneigung mit sexuellem Verlangen. Männer sind vor allem daran interessiert, die Frau rasch „aufs Kreuz zu legen“, oder sie romantisieren Frauen auf geradezu lächerliche Weise.
Haben sie erst einmal eine Frau sicher an der Angel, werden sie zu notorischen Schürzenjägern, die nie befriedigt sind und Sex mit Gefühl verwechseln. Auf Grund dieser Unterschiede ziehe ich drei Schlüsse: 1. Männer können nicht lieben. 2. Die übermäßige Anhänglichkeit der Frauen wird durch ihre objektive soziale Situation verursacht. 3. Diese Situation hat sich nie grundlegend geändert.
Männer können nicht lieben. Wir haben gesehen, weshalb es den Männern schwerfällt zu lieben, und wenn sie lieben, dann „verlieben“ sie sich gewöhnlich in ihr eigenes, projiziertes Bild. Meistens rennen sie einer Frau an einem Tag die Bude ein und sind am nächsten Tag gründlich desillusioniert. Aber die wenigsten Frauen verlassen ihren Mann, und wenn, dann tun sie es gewöhnlich aus mehr als einem guten Grund.
Es ist gefährlich, mit dem eigenen Unterdrücker Mitleid zu haben – Frauen sind ganz besonders anfällig für diesen Fehler –, aber in diesem Fall bin auch ich geneigt, der Versuchung nachzugeben. Nicht lieben zu können, muss die Hölle sein. Und so läuft es dann: Sobald der Mann irgendeinen Druck zur Bindung seitens der Partnerin spürt, gerät er in Panik und kann auf eine von verschiedenen Möglichkeiten reagieren:
1. Er rennt los und bumst mit zehn anderen Frauen, um zu beweisen, dass die erste Frau ihn nicht in der Hand hat. Wenn sie das akzeptiert, kann er die Beziehung zu ihr aufrechterhalten. Die anderen Frauen bestätigen seine (falsche) Freiheit, und gelegentlicher Streit ihretwegen hält seine Panik in Schach. Aber diese Frauen sind nur Papiertiger, es wird sich nichts besonders Tiefgehendes zwischen ihm und ihnen abspielen: Er hält sie in Schach, so dass keine viel von ihm bekommt. Clevere Frauen, die erkennen, dass es sich hierbei nur um ein Sicherheitsventil für die Angst ihres Mannes handelt, werden ihn an der „langen Leine“ halten; denn die wirkliche Ursache bei all den Auseinandersetzungen um andere Frauen ist die Unfähigkeit des Mannes, eine Bindung einzugehen.
2. Er verhält sich permanent unberechenbar. Er versetzt sie häufig, legt sich nicht auf die nächste Verabredung fest, erzählt ihr „Erst kommt die Arbeit …“ oder hat ein Bündel anderer Entschuldigungen parat. Das heißt, er weigert sich, sie irgendwie zu beruhigen, obwohl er ihre Angst bemerkt hat. Oder er weigert sich sogar, ihre Angst als gerechtfertigt anzuerkennen. Er braucht ihre Angst als ständige Gedächtnisstütze, dass er sich immer noch frei fühlen kann und die Tür noch nicht ganz zugeschlagen wurde.
3. Wenn er zu einer (lästigen) Bindung gezwungen wird, zahlt er es ihr heim: Er schielt in ihrer Gegenwart nach anderen Frauen, vergleicht sie ganz und gar nicht schmeichelhaft mit früheren Freundinnen oder Filmstars, erinnert sie vor Bekannten hämisch daran, dass sie sein „Klotz am Bein“ sei, oder nennt sie seinen „Quälgeist“, „dumme Kuh“ oder „Xanthippe“. Oder er deutet an, dass er als Junggeselle sehr viel besser dran wäre.
Seine ambivalente Haltung zur „Minderwertigkeit“ der Frauen kommt ans Licht: Durch die Bindung an eine Frau hat er irgendwie die verhasste weibliche Identifikation vollzogen, die er nun immer wieder von neuem verleugnen muss, wenn er seine Selbstachtung in der (männlichen) Gesellschaft aufrechterhalten will. Diese ständige Herabsetzung ist nicht nur Angabe. Denn tatsächlich sieht auf einmal jedes andere Mädchen sehr viel attraktiver aus, und er kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass er etwas versäumt hat – und natürlich macht er seine Frau dafür verantwortlich.
Er hat nämlich die Suche nach dem Ideal niemals aufgeben, und sie hat ihn gezwungen, darauf zu verzichten. Ganz sicher wird er sich bis zum Grab betrogen fühlen und nie begreifen, dass zwischen der einen Frau und der anderen kein großer Unterschied besteht und dass die Liebe diesen Unterschied erst hervorruft.
Es gibt viele Möglichkeiten, um den heißen Brei zu schleichen. Viele Männer haben eine oberflächliche Affäre nach der anderen und ziehen sich immer dann zurück, wenn es brenzlig wird. Und dennoch, ein Leben ohne Liebe ist letztlich für Männer genauso unerträglich wie für Frauen. Die Frage, die sich deshalb jedem normalen Mann stellt, lautet: Wie kriege ich eine Frau dazu, mich zu lieben, ohne dass sie den gleichen Einsatz als Gegenleistung verlangt?
Die Situation der Frauen hat sich niemals grundlegend geändert. Seit 50 Jahren haben die Frauen doppelt unter der Liebe zu leiden: Unter dem Vorwand der „sexuellen Revolution“, die angeblich stattgefunden hat, sind die Frauen dazu verleitet worden, ihre Rüstung abzulegen. Die moderne Frau hat einen Horror davor, als prüde Zicke angesehen zu werden, während ihre Großmutter das als den natürlichen Lauf der Dinge betrachtete. Selbst die Männer erwarteten zu Großmutters Zeiten, dass jede Frau mit Selbstachtung sie warten lassen und die angebrachten Spielchen ohne Scham spielen würde: Eine Frau, die nicht auf diese Weise ihre Interessen wahrte, wurde nicht respektiert. Das lag auf der Hand.
Das Gerede von der sexuellen Revolution aber erwies sich als praktisch für die Männer, auch wenn es keine Verbesserung für die Frauen brachte. Die modernen Frauen wurden davon überzeugt, dass die üblichen weiblichen Spiele und Forderungen grauenhaft, unfair, prüde, altmodisch, puritanisch und selbstzerstörerisch seien.
Dadurch wurde ein neues Reservoir verfügbarer Frauen geschaffen und der magere Nachschub für die sexuelle Ausbeutung vergrößert, weil die Frauen sogar des geringeren Schutzes, den sie sich so mühsam erworben hatten, beraubt wurden. Die Frauen wagen heute nicht, die alten Forderungen zu stellen, aus Angst, dass ihnen dann ein ganz neues Vokabular, das nur zu diesem Zweck erfunden wurde, entgegengeschleudert wird: „verklemmte Ziege“, „Pissnelke“, „zugenäht“. Das Idealbild dagegen ist das „scharfe Klasseweib“.
Ja, Liebe bedeutet für Männer etwas vollkommen anderes als für Frauen: Sie ist Besitz und Kontrolle, bedeutet Eifersucht dort, wo er sie nie vorher gezeigt hat, selbst wenn sie sich danach gesehnt haben sollte (Was geht es ihn an, ob sie pleite ist oder vergewaltigt wurde, solange sie nicht offiziell zu ihm gehört: Erst dann ist er unheimlich geladen, ein wahrer Tornado, weil sein Besitz, die Ausdehnung seines Ichs bedroht worden ist). [...]"
Quelle: emma.de - "Shulamit Firestone"
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