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Sabeth schreibt - Lebenskunst für Laien

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Pierre Bourdieu - in Wort und Bild

Wenngleich ich seine Ideen, Gedanken, Feststellungen insbesondere in oben stehendem Wikipedia-Artikel über den "Habitus" (das dort darüber Ausgeführte) nur zustimmen kann, ist es dennoch etwas "davor, darunter", das mich außerdem anspricht - es ist dies tatsächlich sein persönlicher "Habitus", sein Auftreten, seine Feinsinnigkeit, die bzw. wie sie in seiner persönlichen Art zu sprechen, sich zu bewegen, seiner Mimik und Gestik sowie seiner Stimme, seinem Tonfall zum Ausdruck kommt - und natürlich auch in seinen Gedanken, Worten, Schriften.
 
"[...] Bourdieu: "Die Macht der männlichen Ordnung zeigt sich an dem Umstand, daß sie der Rechtfertigung nicht bedarf."
 
Das Herrschaftsmodell der Berbervölker hat Bourdieu auf die moderne westliche Gesellschaft übertragen. Die alten Muster seien hier nur verdeckter und verfeinerter. Es handle sich lediglich um graduelle Unterschiede. Die Gleichberechtigung etwa, wie sie im Grundgesetz verankert ist, täusche:
 
Bourdieu: "So verschleiert die formelle Gleichheit von Männern und Frauen tendenziell auf jeder Ebene, daß die Frauen bei gleichen Voraussetzungen stets die weniger günstigen Positionen bekleiden."
 
Dabei räumt er durchaus positive Veränderungen ein:
 
"Eine der wichtigsten Veränderungen in der Situation der Frauen und einer der maßgeblichen Faktoren für ihre Umgestaltung ist ohne jeden Zweifel der vermehrte Zugang der Mädchen zum Gymnasial- und Hochschulunterricht."
 
"Wir haben unerhört viel erreicht!" hat Deutschlands populärste Feministin Alice Schwarzer im Rückblick auf 30 Jahre Frauenbewegung einmal geschrieben. Doch da ist Bourdieu sehr skeptisch. Er glaubt nicht an tief greifende Veränderungen. Nach wie vor werden Frauen von Führungspositionen von politisch-wirtschaftlicher Relevanz ausgeschlossen.
 
Bourdieu: " … weil sie maßgeschneidert sind für die Männer. Um eine Position wirklich erfolgreich bekleiden zu können, müßte eine Frau nicht nur über das verfügen, was in deren Beschreibung explizit verlangt wird. Sie müßte überdies eine ganze Reihe von Eigenschaften besitzen, die ihre männlichen Inhaber gemeinhin mitbringen, eine bestimmte körperliche Statur, Stimme oder Dispositionen wie Aggressivität, Sicherheit im Auftreten, "Rollendistanz", so genannte natürliche Autorität usw., auf deren Ausbildung die Männer als Männer stillschweigend präpariert und trainiert worden sind."
 
Bourdieus Dilemma ist, er möchte dieses Ungeheuer "Die männliche Herrschaft" mit seinen scharfsinnigen wissenschaftlichen Analysen bannen. Doch je tiefer er seinen Gegenstand betrachtet, umso stärker unterliegt er selbst seiner Magie. So ist ein Buch voller Zweifel und Einwände entstanden, in dem Gleichberechtigung nur als kunstvolle Arabesque, als Fiktion vorkommt.
 
Bourdieu hat diese Fatalität wohl selbst gespürt. Dem "fragwürdigen Vergnügen der Desillusionierung", dem die große englische Schriftstellerin Virginia Woolf sich hingab, sei er nicht erlegen, meint er beschwichtigend. Als Beweis hat er seine Untersuchung ein romantisches "Postskriptum über die Liebe" angefügt, in dem er seine Utopie, das Wunder der Gewaltlosigkeit beschwört:
 
"… das durch die Herstellung von Beziehungen ermöglicht wird, die auf völliger Reziprozität beruhen und Hingabe und Selbstüberantwortung erlauben (...), die auf dem Glück beruhen, Glück zu schenken." "
 
Zitiert aus "Über männliche Herrschaft", einem Beitrag des Deutschlandradio Kultur. Farbliche Hervorhebungen habe ich vorgenommen.
 
Und ein weiteres Mal begegnen wir der unentbehrlichen, notwendigen "Geste" des Gebens - der Empathie vorausgehen, der Mitgefühl einhergehen muss. Denn nur durch Mitgefühl wird dem Ego ermöglicht, sich dem Du, dem Anderen wohlwollend und wohltuend gebend, schenkend zuzuwenden, sich ihm gegenüber entsprechend - prosozial, wohltuend - zu verhalten.
 
-
"(...) Jenes Unbewußte, das für die strikte Geschlechtertrennung in den Berbervölkern und in den westlichen Gesellschaften verantwortlich ist.
 
Deswegen nennt Pierre Bourdieu sein Vorgehen "objektive Archäologie unseres Unbewussten" (S. 10). Ihr geht es um das Enthüllen von Machtmechanismen, die selbst an entlegendsten Orten Ähnlichkeiten aufweisen. Bourdieu versteht diese stillschweigenden Unterwerfungen als symbolische Gewalt:
 
"Es ist jene sanfte, für ihre Opfer unmerkliche, unsichtbare Gewalt, die im wesentlichen über die rein symbolischen Wege der Kommunikation und des Erkennens, oder genauer des Verkennens, des Anerkennens oder, äußerstenfalls, des Gefühls ausgeübt wird (S. 8)."
 
Die symbolische Gewalt findet Bourdieu in den Grundformen männlicher Herrschaft und weiblicher Zustimmung wieder. Sie manifestiert sich in einem System geschlechtlicher Unterschiede, die der französische Soziologe zu Konstanten menschlicher Verhaltensweisen erklärt. Was bedeutet es aber, wenn Bourdieu von Invarianz spricht?
Findet man sie ebenso in den Sprach- und Verhaltenscodes der Kabylen und in denen westlicher Gesellschaften? Anders gefragt: Ist das konstante Schema, das Bourdieu für die Ausprägung männlicher Herrschaft verantwortlich macht, wirklich überall auffindbar?
 
Als ein Schema, das dem Mann das Hohe, das Oben, das Gerade, das Trockene, das Harte, das Helle und das Öffentliche zuweist? Und entsprechend der Frau das Tiefe, das Unten, das Krumme, das Feuchte, das Weiche, das Dunkle und das Private? (...)
 
Diese ins Extreme verformte Konstellation männlicher Herrschaft und weiblicher Unterwerfung findet Bourdieu bei den algerischen Berbern, während er in den westlichen Gesellschaften die Entwicklung subtilerer Herrschaftsformen entdeckt. (...)
 
Was gemeinhin als natürliche Unterschiede ausgegeben wird, entlarvt der Pariser Soziologe als gesellschaftlich konstruiert. Diese Unterschiede haben sich derart verfestigt, derart im Denken und Handeln, derart im Körper der Individuen eingegraben, dass es kaum ein Entrinnen gibt. In der Kabylei gehorchen die weiblichen Verhaltensweisen erstarrten Codes. Sie werden nicht angezweifelt, denn beide Geschlechter betrachten sie als natürliche Gegebenheit:

(...) Pierre Bourdieu erzählt den Ursprungsmythos der Kabylen. Er berichtet vom ersten Mann und der ersten Frau, von ihrer Begegnung an einem Brunnen und dem darauffolgenden Geschlechtsverkehr, bei dem die erfahrene Frau den unkundigen Mann in den Liebespraktiken unterweist. Bis zu diesem Zeitpunkt herrschte noch eine "verkehrte" Welt vor, da die Frau die obere Position beanspruchte. Das sollte sich aber schnell ändern:

"Eines Tages sagte der Mann zur Frau: 'Ich möchte dir auch etwas zeigen; ich weiß auch etwas. Leg dich hin und ich leg mich auf dich.' Die Frau legte sich auf den Boden, und der Mann legte sich auf sie. – Er empfand dasselbe Vergnügen und sagte zur Frau: 'Am Brunnen bist du es [die das Sagen hat], im Haus bin ich es.' Im Kopf des Mannes sind es immer die letzten Worte, die zählen, und seither lieben es die Männer, auf die Frauen zu steigen. So kam es, dass sie die Ersten wurden und dass sie regieren müssen."
 
So oder ähnlich, meint Pierre Bourdieu, habe sich die männliche Herrschaft in allen Gesellschaften entwickelt. Ihr Gefüge ist deswegen so unerschütterlich, weil sie sich niemals rechtfertigen muss. Wird sie dennoch angegriffen, dann gilt dies als Verstoß gegen die Naturordnung. Gegen eine Ordnung, die biologische Geschlechtsunterschiede und gesellschaftlich sanktionierte Geschlechtsteilung zusammenschweißt. "Willkürliche Konstruktion des Biologischen" (S. 44) nennt dies Bourdieu. Dass diese Konstruktion von den Beteiligten, von den Herrschenden und den Beherrschten, nicht durchschaut wird, liegt für Bourdieu an einem Verblendungszusammenhang. Um diesen fatalen Zusammenhang für alle durchschaubar zu machen, verlangt er eine "historische Archäologie des Unbewussten" (S. 97).
 
Historisierung des mythischen Verblendungszusammenhangs lautet Bourdieus Devise. Erst wenn erkannt wird, dass auch diese Herrschaft ihren Ursprung hat, dass die geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen zu Instrumenten männlicher Herrschaftssicherung geworden sind – erst dann ist wirklicher Wandel möglich. (...)
 
"Die von der feministischen Bewegung geforderte symbolische Revolution kann sich nicht auf eine bloße Umkehrung des Bewußtseins und des Willens beschränken. Das Fundament der symbolischen Gewalt liegt ja nicht in einem mystifizierten Bewußtsein, das es aufzuklären gälte, sondern in Dispositionen, die an Herrschaftsstrukturen angepasst sind. Infolgedessen kann man eine Aufkündigung des Einverständnisses der Opfer der symbolischen Gewalt mit den Herrschenden allein von einer radikalen Umgestaltung der gesellschaftlichen Produktionsbedingungen jener Dispositionen erwarten."
 
Quelle: Deutschlandfunk - "Von den Unterschieden zwischen Mann und Frau"
 
... man(n) hätte auch "zwischen Frau und Mann" schreiben können ;)
Farbliche Hervorhebungen habe ich vorgenommen.
 
Pierre Bourdieu hat - erfreulicherweise als Mann - die Verhältnisse, die Hintergründe, Ursachen erkannt und vortrefflich aufgezeigt, diese für gerade Männer unbequemen Wahrheiten, Tatsachen, Missstände.
 
Und also mit verfestigten, auch heute noch gebetsmühlenartig von noch immer zahlreichen Männern heruntergeleiert werdenden, biologistischen Scheinargumenten, Scheinbegründungen (in Bezug auf eine auf diese Weise vermeintlich zu rechtfertigende "natürliche Ordnung" bzw. das Bestehenbleibenmüssen der Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern) aufgeräumt.
 
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Pierre Bourdieu, Foto aus dem Jahr 1969

Pierre Bourdieu, Foto aus dem Jahr 1969

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