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Sabeth schreibt

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Über das Alter(n)

 
Über das Alter(n) 
 
Alt werden ist wahrlich eine Kunst. - Vergeht doch (seit Jahren) kein Tag mehr, an dem dir nicht irgendwas wehtut ... .
 
Muss man denn immer noch mehr Zeit `rausschinden? Wozu? Es ist kein Mehr an Qualität, das Mehr an Jahren und Ballast.
Wer will denn bitte ernstlich 70 oder 80 oder älter werden - wenn: sie/er körperlich und mental nicht mehr gesund, vital ist, sondern versehrt, gebrechlich, schwach, hilflos, abhängig, nicht (mehr) selbständig, noch weniger selbstbestimmt: l e b e n kann.
 
Nein, es ist n i c h t das Gleiche, ob man abhängig und bedürftig ist: als kleiner niedlicher, glatter Säugling - der noch alles vor sich, der eine Zukunft hat, der noch im Aufbau befindlich ist.
 
Nein, ich finde nicht, dass es Ausdruck von Würde ist, zu vergreisen, dement und gebrechlich, zum Pflegefall zu werden - es ist dies das Gegenteil von Würde.
 
Leben ist (das) Sterben lernen.
 
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update 19. April 2021
 
Ja, mein derzeit "zentrales Thema" ist nach wie vor das Altern, damit einhergehende, zahlreiche Verluste, Einschränkungen, Belastungen.
Nein, ich werde mit dieser "Herausforderung" bislang nicht "fertig".
Wenn ich mir alleine diverse berühmte Persönlichkeiten ansehe - jung und alt - könnte ich im Grunde jedes Mal heulen.
 
Denn ja: unser Aussehen spielt in unserem Leben eine gravierende Rolle und hat eine Menge mit gerade auch Identität, mit Identifikation, Selbst- und Fremdwahrnehmung und -einordnung zu tun.
 
Du siehst, erlebst, erfährst dich Jahre, Jahrzehnte lang als junger, zumeist vitaler, gesunder, vielleicht auch attraktiver Mensch, es ist dies für dich so viele Jahre eine "alltägliche Selbstverständlichkeit, Normalität".
Und dann: verändert sich dein Körper spürbar, wahrnehmbar - merklich. Und das üblicherweise nicht zum "Vitaleren, Attraktiveren" hin - im Gegenteil.
Von all den weiteren Verlusten, Einschränkungen, Belastungen, dem ganzen Erfahrungsballast, den Verletzungen, Beschädigungen, Narben gar nicht erst angefangen.
 
Altern i s t nun einmal sukzessiver Abbau, Verlust, Selbstverlust, Weltverlust, Verfall - Sterben "auf Raten".
 
Bei mir persönlich fing das (sicht- und spürbar) im Alter von 44 Jahren an, verstärkt durch chronische Krankheit.
 
Nein, nichts wird da irgendwie "besser".
 
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Es ist natürlich nicht möglich, sich auf den, auf insbesondere seinen "eigenen" Tod tatsächlich auch nur ansatzweise vorbereiten zu können.

Wenn du nicht bereits als Kind bzw. junger Mensch mit schwerer Not, Armut, Hunger, Gewalt, Krieg, schwerer Krankheit, schwerer (geistiger und/oder körperlicher) Behinderung belastet bist und/oder wenn du nicht bereits im Alter weit fortgeschritten und ebenfalls mit einigem des Genannten belastet bist, verhält es sich üblicherweise so, dass du jeden Abend mehr oder weniger bewusst mit dem Gedanken, der Erwartung, der vermeintlichen "Gewissheit" einschläfst, am nächsten Tag und auch an noch zahlreichen darauffolgenden sehr wahrscheinlich wieder aufzuwachen, weiterzuleben, jedenfalls weiterzuexistieren - Tag für Tag und auch noch die nächsten Monate und ggf. Jahre oder gar Jahrzehnte.

Je jünger, vitaler und unbelasteter du bist, umso sicherer bist du dir dessen üblicherweise, wenngleich häufig unbewusst, vorbewusst.

Du kannst nicht vorgreifen.
 
Es gibt nichts, das zu deinen Lebzeiten auch nur annähernd dem Tode, dem Tot"sein", dem Nicht- m e h r -Sein vergleichbar wäre - eine solche Erfahrung macht, kennt der Mensch zeitlebens nicht.

Er mag schweres Leid kennen, erfahren, erleiden und ggf. auch überwinden und den intensiven Wunsch, nicht mehr existieren, nicht mehr leiden, nicht mehr sein zu müssen. Was er nicht kennt, ist das Nichts. Er kann es sich nicht einmal vorstellen. Immer noch nicht.

Du magst dich noch so viel, lange, intensiv mit Tod, Sterben, Endlichkeit, Vergänglichkeit und "Metaphysik" befassen - es ändert nichts daran, dass du nur ein Mal stirbst und diese Erfahrung "einzigartig", überdies deine absolut letzte ist, sein wird.

Es gibt keine Möglichkeit, das tatsächlich mental und/oder emotional im Vorhinein zu fassen, zu begreifen, zu "verinnerlichen". Dir bleibt nichts, als es hinzunehmen, darauf "zu warten", es geschehen-, es zuzulassen, wenn es so weit und wenn es unabänderlich ist - gleich, ob es sich dabei um deinen "eigenen" Tod oder den anderer (bspw. nahestehender) Menschen, Lebewesen handelt.

Einzig der Suizid gibt dir ein wenig (mehr) Selbstbestimmung, Entscheidungsspielraum, auch wenn es wiederum der letzte Akt, deine letzte, mehr oder weniger freiwillige, selbstbestimmte Entscheidung und Tat ist.

W i e es ist, zu sterben, gar "tot zu sein", das wird kein Mensch zu Lebzeiten wissen, erfahren oder lernen können.
 
Wir wissen - im Gegensatz zu anderen Säugetieren - nur, d a s s uns dies unumgänglich, unabänderlich und absolut gewiss alle erwartet, widerfährt. Und damit kommen wir zumeist eher schlecht als recht zurande, jedenfalls dann, wenn wir es nicht verdrängen, sondern uns mit dieser Tatsache, diesem Wissen, dieser vielleicht einzigen absoluten Gewissheit gelegentlich bewusst konfrontieren, uns ihr stellen, statt ihr - mittels Eskapismus´, Hedonismus´, Konsumismus´, religiösen Glaubens, Aberglaubens, Esoterik, Mystik, Drogen, mittels also Selbstbetrugs, Selbstflucht - auszuweichen, vor ihr zu fliehen.
 
Du wirst geboren, um zu sterben. Dazwischen - ist eine Episode.

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update 09. und 10. Oktober 2023
 
"Ruhestand"
 
Ich weiß nicht, wie´s euch geht, aber für mich steht spätestens und jedenfalls jetzt, im Alter von 50 Jahren fest: Das Leben findet statt bis zum Alter von max. 45 Jahren. Alles danach ist überflüssiges, zumeist leidvolles Verrotten. Sinnlos.
 
Zugegeben, es hat selbstredend immer auch mit dem jeweiligen sozio-ökonomischen Hintergrund, den Lebensumständen, also Politik, Regierungen zu tun: Wohlhabende, vermögende Menschen können zweifelsohne leichter und länger "jung, vital, gesund" bleiben als mittellose, arme Menschen.
 
Denn wir alle wissen - einige von uns aus persönlicher, zumeist lebenslanger Erfahrung:
Armut macht krank und (früher, schneller) alt und gerade im Alter sind viele Menschen krank und arm - weltweit aus längst und hinreichend bekannten Gründen mehrheitlich biologische Frauen. Kapitalismus, Patriarchat.
 
"(...) 70 Prozent der 1,4 Milliarden armen Menschen weltweit sind Frauen. Sie sind nicht nur stärker von Armut betroffen als Männer, sie haben auch einen schlechteren Zugang zu Bildung und unsicherere Einkommensverhältnisse. Ihre rechtliche Stellung ist vielerorts mehr als prekär. Frauen leisten laut UNICEF mit 66 Prozent einen weitaus größeren Anteil an der weltweiten Arbeit – bezahlt und unbezahlt, können jedoch lediglich 10 Prozent des Einkommens auf sich vereinigen. Ihr prozentualer Anteil am Zugang zu Ressourcen, inklusive zu Land und Krediten, liegt lediglich bei 1 Prozent. Armut ist weiblich. Frauen stellen das Gros der working poor. Es ist daher notwendig und sinnvoll zu fragen, wie sich die Armutsverteilung jenseits geografischer Analyse darstellt und was die Ursachen sind. (...)"
 
Die MDGs basieren auf einem auf materielle Aspekte verengten Entwicklungsbegriff. Die Vielgestaltigkeit der Ursachen von Armut und sozialer Ausgrenzung werden erst gar nicht adressiert. Entwicklung und Armutsüberwindung werden völlig unterkomplex behandelt. Strukturelle Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, asymmetrische, ungerechte weltwirtschaftliche Handelsbeziehungen und vor allem zentrale Aspekte der demokratischen und politischen Entwicklung (Rechtsstaatlichkeit, demokratische Partizipation, Transparenz, Menschen und Bürgerrechte) blenden die acht MDGs, ihre Unterziele und Indikatoren, die mittlerweile erarbeitet wurden, aus. „In den MDGs erscheint Armut als ein macht- und verteilungsunabhängiges Symptom eines gesellschaftlichen Ungleichgewichts. Das Problem der Armut ist abgelöst von seinen strukturellen Ursachen, von makro-ökonomischen Prozessen, sozialen Ungleichheiten…“ (Christa Wichterich 2006:126). (...)
 
Auch strukturelle Ursachen von Armut – nationale wie internationale – werden nicht thematisiert. (...)
 
Unübersehbar ist jedoch, dass mangelnde Rechte, keine Eigentumstitel für Land usw. in den MDGs überhaupt nicht mehr vorkommen. Auch reproduktive und sexuelle Rechte für Frauen sind in der Zielformulierung der MDGs komplett entfallen. Dies ist ein absoluter Rückschritt im Vergleich zu den verabschiedeten Dokumenten der Weltfrauenkonferenz wie der Aktionsplattform von Peking 1995 und zur Antidiskriminierungskonvention CEDAW aus dem Jahr 1979. (...)
 
Christa Wichterich fasste dies präzise wie folgt zusammen: „Frauen sind arm an Ressourcen, Bildung, Gesundheit, Beschäftigung, Einkommen, etc., weil sie arm sind an Rechten, Chancen, Macht, sozialer Sicherheit, Zeit, Gewaltfreiheit etc. (Wichterich 2006: 127). (...)
 
40 Prozent aller Erwerbstätigen weltweit, wenn auch mit signifikanten regionalen Unterschieden, sind heute weiblich – vor 30 Jahren waren es nur halb so viele. Verglichen mit der Situation von Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich eine beachtliche Transformation vollzogen. Den unbestrittenen Fortschritten gegenüber steht, dass – national wie global gesehen – die Hierarchien, Machtunterschiede und Dominanzverhältnisse zwischen den Geschlechtern noch längst nicht abgebaut sind. Die Armutsstatistiken sind ein Spiegelbild dessen.

Frauen sind im informellen Sektor (ohne Landwirtschaft), in dem soziale Sicherung kaum gewährleistet ist, überrepräsentiert. Und in den Spitzenjobs sind Frauen nach wie vor stark unterrepräsentiert . Geschlechterungleichheit besteht nicht nur in der Erwerbsarbeit, sondern vor allem auch in der Sorgearbeit (Haushalt, Pflege, Reproduktion) weiter. Sorgearbeit wird weitgehend unbezahlt von Frauen geleistet, u.a. weil sie nicht mit dem dominierenden Männerbild in Einklang zu bringen zu sein scheint. Frauen und Männer lösen das Vereinbarkeitsproblem durch die Beschäftigung niedrig entlohnter Putzhilfen, Kindermädchen, Altenpflegerinnen – häufig Migrantinnen. Die Neuverteilung von Sorgearbeit findet derzeit rund um den Erdball statt, aber nicht in ausreichendem Maße zwischen Männern und Frauen, sondern durch eine globale Versorgungskette zwischen sehr verschiedenen Frauen aus verschiedenen Ländern, sozialen Klassen und Kulturen. (...)"
 
 
Hervorhebungen habe ich vorgenommen.
 
Jeden Tag denken wir und verhalten uns, als währte unser Leben ewig.
 
Als reihte sich bis in alle Ewigkeit ein Tag an den nächsten. Als erlebten wir gewiss weiterhin Jahr um Jahr.
Als hätten wir endlos Zeit.
 
Zeit, unsere Angelegenheiten zu regeln, bestimmte Unternehmungen aufzuschieben, erforderliche Taten hinauszuzögern, gebotene Verhaltensweisen zu verdrängen, zu vertagen, zu unterlassen.
 
Zeit: bewusstes Leben, Denken, Fühlen, Sich-Verhalten auf später zu verschieben, auf irgendwann - in einer Zukunft, die wir möglicherweise nicht (mehr) erleben werden.
 
Wir wissen um all das und "leben" dennoch Tag um Tag, Alltag - unbewusst. Selbstverständlich.
 
Als währte unsere Existenz ewig.
 
Als wären wir nicht sterblich. Als wüssten wir nicht um unsere begrenzte Zeit, um die Kontingenz, um die Unvorhersehbarkeit, um die Ungewissheit über die uns noch verbleibende Lebenszeit.
 
Als gäbe es, wenn nicht gegenwärtig, so doch gewiss zukünftig endlose, zumindest weitere, neue, andere Möglichkeiten.
Als gälte es nur, daran zu glauben, darauf "hinzuleben" oder dies geduldig abzuwarten.
 
Als hätten wir uns mit allen Gegebenheiten, Umständen und Widerfahrnissen schlicht abzufinden, alles anzunehmen, auszuhalten, zu "bewältigen", zu ertragen, zu erdulden, zu durchleiden.
Gerade so, als hätten wir keinen Verstand, keine Vernunft, keine Gefühle - keine Nöte, Ängste, Schmerzen. Als kennten wir keine Verluste, Trauer, Verzweiflung.
 
Als wären wir Kreaturen ohne Bewusstsein, ohne Reflexionsfähigkeit, ohne Gedächtnis, Erinnerung, Zeitverständnis - ohne Reife.
 
Bis die, "unsere" Zeit schließlich allmählich oder abrupt, unerwartet verbraucht ist. Abgelaufen. Abgerissen. Irreversibel.
 
Jeden Tag denken wir und verhalten wir uns, als wüssten wir nicht um all das. Als gäbe es immer wieder ein Morgen, einen weiteren Tag, ein weiteres Jahr. Gedankenlos. Verschwenderisch. Bequem. Unbewusst. Feige. Einfältig.
 
Wir sind sterblich.
Alle.
Jeden Tag. Zu jeder Zeit. Lebenslang.
Gewiss.
 
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Alter(n) ist, wenn du deinen Körper, ob gravierender innerlicher wie äußerlicher, dich wesentlich beeinträchtigender Veränderungen, nicht mehr als deinen eigenen erkennen kannst.
 
Identitätsverlust. Persönlichkeitsverlust. Selbst-Verlust.
 
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Conditio humana
 
Als sterblich, einhergehend dann zumeist auch sterbewillig, erfährt, empfindet Mensch sich vor allem in Situationen und Phasen leidvoller Krankheit, intensiven, insbesondere langanhaltenden physischen und/oder psychischen Schmerzes und spürbaren Alterns, im "Erleben", Erleiden von existenzbedrohender bis eben tatsächlich existenzvernichtender Belastung, Gefahr, Beschädigung, absoluter Ausweglosigkeit, Unabänderlichkeit, Unentrinnbarkeit - somit im Zustand fehlender oder nicht mehr erkennbarer, nicht mehr erfahrbarer Selbstwirksamkeit.
 
Mensch ist mit seinem Leib, seiner Leiblichkeit untrennbar verbunden, d.h. ein Mensch, ein Individuum i s t dieser, sein je persönlicher Leib, durch, mit, in dem er alle (!) sinnlichen, mentalen, psychisch-emotionalen Erfahrungen macht, Erlebnisse, Empfindungen, Gefühle, Eindrücke, Erinnerungen hat und auf dieser materiellen, "stofflichen" Basis - in, mit seinem Gehirn (stets in Verbindung mit dem gesamten Körper, Nerven, Nervenverbindungen ...), durch selbiges - all diese Eindrücke, Wahrnehmungen, Empfindungen, Gefühle, Erlebnisse, Gedanken, Denkprozesse (bewusst, unbewusst, vorbewusst) "verarbeitet", ein-, zuordnet, bewertet, beurteilt, abspeichert, kombiniert, analysiert, erinnert, verändert und auch: vergisst.
 
Daran ändert auch Drogenkonsum, Medikamenteneinfluss oder Meditation nur wenig:
Kein Mensch kann ohne seinen Leib, seine Leiblichkeit - als Mensch - existieren, existent sein, mag er sich - aus bekannten Gründen - noch so oft einen "übergeordneten" oder irgendwie vermeintlich von seiner Physis, seiner Leiblichkeit unabhängigen "Geist" herbeiwünschen und zusammenphantasieren.

Es hilft nichts - Mensch ist und bleibt lebenslang, bis zu seinem Tod, eben dies: auf vielerlei Weise bedürftig und verletzlich.
Ob es ihm gefällt, ob er das zu akzeptieren befähigt ist oder nicht.
 
Es ist allerdings so hilfreich und entlastend wie empfehlenswert, diesen Umstand, diese unumstößliche, evidente Tatsache so früh als möglich im je persönlichen Leben zu erkennen und zu akzeptieren, da dies sowohl dem jeweiligen Individuum selbst als auch es umgebenden und mit ihm interagierenden anderen viel unnötiges Leid erspart.
 
Es gibt kein "Heraus" aus der Conditio humana, jedenfalls nicht, so lange Mensch Mensch ist (und nicht etwa Cyborg oder Androide).
Weder mittels Drogen, (Aber-) Glaube, Esoterik, Okkultem, Mystik, Meditation, Selbst- und Weltflucht, Selbstbetrug oder irgendetwas anderem.
 
So lange Mensch Mensch ist, erlebt, erfährt, empfindet, fühlt er Schmerz, Leid, Begehren, Bedürftigkeit, Verletzlichkeit, Sehnsucht, Freude, Trauer, Angst, aber auch ggf. Erkenntnis, Zugehörigkeit, Wertschätzung, Neugier, Entwicklung, Persönlichkeitsreifung, Mitgefühl, Verbundenheit, Solidarität, Erfülltsein, Dankbarkeit, Liebe - so er liebesfähig ist.
 
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Eine in jeder Hinsicht herausragende Stellungnahme, Rezension des von mir überaus geschätzten Jean Améry über Simone de Beauvoirs "Das Alter" - und seine persönliche, gleichermaßen brillante Beurteilung, der ich mich (ein Mal mehr/auch hier) in vollem Umfange anschließen nur kann.
 
"[...] Ebensowenig tröstlich ist der zweite Teil, der vom "In-der-Welt-Sein" der Alten handelt. Hat die Verfasserin bei der Darlegung geschichtlicher Objektivitäten sich an historisches und soziologisches Informationsmaterial gehalten, so zieht sie in ihrer Beschreibung der Befindlichkeit im Alter, also der Subjektivität, zahlreiche Zeugnisse aus der Geistesgeschichte heran, Äußerungen bedeutender Menschen über ihr eigenes Alter, das Alter überhaupt. War die Betrachtung "von außen" erschreckend durch die Unbarmherzigkeit, mit welcher die Welt allezeit den Endlebenden entgegenkam, so sind diese Zeugnisse erschütternd durch ihreMelancholie und Resignation. Als Motto kann über ihnen der Satz von Sainte-Beuve stehen: "Man verhärtet an manchen Stellen, man verfault an anderen; man reift niemals." Hier treten uns Magnifizenz-Greise von teilweise gewaltiger Werkkraft entgegen, die gleichwohl diese Lebensphase als ein Ungemach, ja als Qual empfinden. Die Verfasserin spricht von Victor Hugo, von Verdi, Goethe, Michelangelo, von François Mauriac, von Jonathan Swift, Chateaubriand, von Gott weiß wie vielen anderen Großen.
 
Gide sagte, er glaube nicht an die Weisheit des Alters, fühle nichts als Kälte und Indifferenz. Einstein erkannte mit fünfundfünfzig Jahren seine "wachsende Schwierigkeit, sich neuen Gedanken anzupassen". Der alternde Flaubert schrieb an seine Nichte: "Um gute Sachen zu schreiben, bedarf es einer gewissen Gelöstheit, die ich nicht mehr habe." Madame de Beauvoir selber kommentiert: "Das Alter vermindert die Kräfte, dämpft die Leidenschaften. Der Verlust der Libido hat ... auch den Verlust einer gewissen biologischen Aggressivität zur Folge: die körperliche Ermattung, die Müdigkeit, die Gleichgültigkeit, die sich im Alter oft einstellen, halten von der Beschäftigung mit den anderen ab."
 
Auf eigene Hand füge ich hinzu: Die Altersinvolution bringt unweigerlich eine dramatische Form des Alters-Narzißmus mit sich. Der alte Mensch ruiniert sein Geschick, seine Vergangenheit. Er geht an der Welt vorüber, als wäre sie nichts. Die wenigen in der Geistesgeschichte uns entgegentretenden Exempel für ein humanes und soziales Engagement im Alter, wie der von Simone de Beauvoir angeführte Bertrand Russell, sind frappierend gerade durch ihre Seltenheit. Entgegen ihrer Intention, die aus den Konklusionen ihrer Arbeit heraustritt, führt die Verfasserin den Nachweis, daß das Alter eine öde und verödende Lebensregion ist, darin Geist und Tat und Liebe nur noch schlecht gedeihen.
 
Der Gegensatz zwischen ihrer Elaboration und ihren Schlußfolgerungen ist flagrant. Denn am Ende, nachdem sie uns durch die Jammertäler der Alterslandschaft gelotst hat, verkündet sie eine ganz und gar unwahrscheinliche frohe Botschaft: das Elend des Alters sei wesentlich ein gesellschaftliches. Mit einer radikalen Änderung der sozialen Strukturen, einem verwandelten Leben in Jugend und Reife, werde auch das Alter seine Schrecken verlieren. "Wie müßte eine Gesellschaft beschaffen sein", so fragt die Autorin, "damit ein Mensch auch im Alter ein Mensch bleiben kann?" Und von der Antwort sagt sie, daß sie "einfach" sei, und das ist sie wahrhaftig – einfach auf erschreckende Weise: "(Der Mensch) muß immer schon als Mensch behandelt worden sein. Das Schicksal, das sie ihren nicht mehr arbeitsfähigen Menschen bereitet, enthüllt den wahren Charakter der Gesellschaft..." Und schließlich: "In der idealen Gesellschaft ... würde, so kann man hoffen, das Alter gewissermaßen nicht existieren: der Mensch würde, wie es bei manchen Privilegierten vorkommt, durch Alterserscheinungen unauffällig geschwächt, aber nicht eigentlich vermindert, eines Tages einer Krankheit erliegen."
 
Es soll diese Denk- und Arbeitsleistung von Kraft und Würde nicht herabgesetzt werden durch den Trick psychologisierender Kritik. Es darf, des weiteren, was ich hier noch anmerke, keinesfalls dahin mißverstanden werden, als wollte ich durch eine Ausweichbewegung ins Ontologische der Gesellschaft, die ja in der Tat den alten Menschen das Los schlimmster Entfremdung (wo nicht nackten Elends) bereitet, ein Alibi sichern. Nur komme ich nicht umhin, die das Werk durchziehende Kontradiktion als ein unbewußtes Strategem zu verstehen: Simone de Beauvoir flüchtete aus ihrem eigenen Alter, das sie zu überwältigen drohte, als sie die letzten Seiten von "Der Lauf der Dinge" schrieb, in die Arbeit (eben das hier rezensierte Werk) und enthob sich zugleich, indem sie dieses Werk der Gesellschaft als eine Anklage entgegenschleuderte, der Klage, die sie vordem rechtens angestimmt hatte. Sie konnte ihr eigenes Alter, wie sie einmal in einem Interview selber gestanden hat, nicht verantwortend übernehmen ("assumer") – also leugnete sie das Alter als Verhängnis und Menschengeschick schlankweg ab und übergab das Unannehmbare der Gesellschaft zur Abfertigung. [...]
 
Man kann es ihr nicht als Schuld aufrechnen, denn vor dem Alter und dem Tode, vor jenem Negativen, das keinerlei Positivität mehr enthält, muß jegliche Dialektik zuschanden werden. Simone de Beauvoirs Revolte wäre sinnvoll nur durch die Annahme des Widerspruches, das heißt: die totale Anerkennung der Hoffnungslosigkeit. Die Introduktion einer Hoffnung auf die "ideale Gesellschaft" als Waffe gegen das Nichts macht den Aufstand Madame de Beauvoirs zu einem blind irrenden.
 
Wer gleichwohl bei diesem Unternehmen, wie immer es um dessen philosophische Haltbarkeit auch bestellt sei, den Gewinn einstreicht, ist der Leser. Simone de Beauvoirs Buch ist der ernsteste, umfassendste Versuch, die Kondition alter Menschheit zu untersuchen. Die Fülle des vor uns hingebreiteten Materials ist ebenso achtunggebietend wie die schriftstellerische Organisation. Überflüssig zu sagen, daß es bei einer solchen Autorin natürlich auch nicht an scharfsinnigen Beobachtungen und eigenständigen Gedanken fehlt. [...]"
 
Quelle des zitierten Textes: zeit.de - "Der Skandal des Alterns", von Jean Améry
 
Was ich in jungen Jahren nicht kannte, nicht hatte, ist ein gewisses Anlehnungsbedürfnis. Dass da jemand ist, der es deutlich besser kann und besser weiß als ich, der es vielleicht auch sogar besser m a c h t als ich und zu dem ich berechtigterweise tiefes Vertrauen habe(n) (kann).
 
Es ist nicht der Wunsch nach "Aufschauenkönnen", sondern nach Horizontweitung, nach Wachsen, Reifen am Anderen, durch den Anderen, mit dem Anderen - aufgrund der Differenz und aufgrund seiner Reife, Güte und zugleich seiner eigenen "Unvollkommenheit", Bedürftigkeit.
 
Es ist auch nicht das Bedürfnis nach Geborgenheit, Getragensein, Schutz oder Sicherheit, sondern nach Verbundensein sowie Loslassenkönnen, -dürfen - ohne den Halt zu verlieren.
 
Loslassen. Abgeben. Die Last der alleinigen Verantwortung für gerade nicht nur das "eigene" Leben, sondern das anderer Menschen (der "eigenen" Kinder bspw.).
 
Loslassen, ausatmen, ohne aufzugeben, ohne zurückzulassen, ohne im Stich zu lassen. Verantwortungtragen: teilen können.
 
Das gab es: nie. Jedenfalls in 26 Jahren Mutterschaft nonstop nicht.
 
Das Altern. Man wird müde, kraftlos - physisch und psychisch. Stress, Armut, soziale Isolation, Krankheit, Bürokratie ... zermürbt, schwächt, schleift ab.
Und für die Kinder immer wieder zu verzichten, zu entbehren, sich selbst zurückzunehmen.
 
Liebe. Ja. Aber noch einmal: Lieben bedeutet nicht, sich zu unterwerfen, sich selbst aufzugeben, sich vollständig zu opfern.
Wer liebt, ist kein Masochist und kein Märtyrer, sondern: Mensch. Auch als Mutter btw - keine eierlegende Wollmilchsau, schon gar nicht über Jahrzehnte.
 
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