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Sabeth schreibt

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Clara Müller

 
Vorbei
 
Und wenn du wieder zu mir trätest
und weinend um Verzeihung bätest,
es wird doch nimmer, wie es war:
das Glück ist tot, das wir genossen,
die Blüte, die sich uns erschlossen,
ist nun verwelkt, für immerdar.
 
Mir würde stets vor Augen stehen,
wie ich so maßlos dich gesehen
im Zorn, dem jeder Grund gebrach -
und bei dem Kuß von deinem Munde
gedächt ich doch der bösen Stunde,
als er so bittre Worte sprach.
 
In jener Stunde sank für immer
der fromme Glaube mir in Trümmer,
daß du mein Bild im Herzen trugst,
daß ich dein tiefstes Sein besessen - - -
vergeben kann ich - nicht vergessen:
die Wunde brennt, die du mir schlugst.
 
Nein, geh: ich hab es überwunden,
den Frieden hab ich jetzt gefunden,
den deine Liebe mir nicht gab.
Geh hin, vor deinen Gott zu treten -
und wenn ich sterbe, magst du beten
und weinen über meinem Grab.
 
Clara Müller
 
So sieht es aus, so äußert, zeigt es sich, wenn man einen Menschen n i c h t liebt, sondern ein Idealbild von ihm zeichnet, statt Mensch als komplex, vielschichtig, facettenreich, widersprüchlich, ambivalent, auch irrational und entwicklungsbedürftig zu akzeptieren - seine Schwächen anzunehmen, ohne sie dauerhaft tolerieren zu müssen, wenn: sie andere (auch einen selbst) beschädigen.
 
Clara Müller legt mit ihrem Gedicht "Vorbei" offen, was leider wohl nach wie vor eine Mehrheit von ("erwachsenen") Menschen teilt: die Vorstellung von "romantischer Liebe", die keine Liebe ist, sondern Verliebtsein, Idealisieren, Naivität, Unreife; begleitet vom Groll, der nach Verletzung erhalten bleibt, w e n n man gerade nicht in der Lage ist, zu verzeihen, wiedergutzumachen, sich zu versöhnen. Wer die Brücke zum "Feind" nicht baut, nicht bauen will, bleibt im Groll, in Verbitterung, in Leid, vor allem in Selbstbetrug, Selbstschonung, Trotz, Schwäche, Unreife verhaftet.
Er ist nicht bereit oder nicht fähig, mitzufühlen, wirklich zu verzeihen, denn das erforderte auch von ihm selbst ein anderes, angemessene(re)s Verhalten und Verständnis des anderen. Und eben dies ist er zu geben, zu leisten, zu tun nicht willens - weil: er es selbst nicht kann, siehe Unreife, Mangel an Mitgefühl und (Selbst-) Reflexion, stattdessen Selbstgerechtigkeit, Selbstmitleid, Selbstbezogenheit.
 
Der Brückenbau, die Handreichung kann dabei selbstredend nicht einseitig sein, so grundsätzlich nicht gelingen, sondern stets nur beidseitig.

Allzu viele Menschen weltweit sind hierzu nach wie vor nicht in der Lage - sie haben katastrophale Vorstellungen von Liebe, Beziehung, Heilung und Prävention. Mit entsprechenden, wahrnehmbaren Folgen.
 
-
 
Genug der Qualen!
 
Ich ging mit dir durch alles Elends Tiefen,
geknechtet Volk, durch einen Pfuhl der Schmach;
die Stimmen hört' ich, die nach Freiheit riefen,
und meine Seele hallte zitternd nach.
Ich schlief mit dir in deiner Armut Hütten,
in die kein Mondlicht mild verklärend scheint,
all deinen Jammer hab' ich durchgelitten,
all deine Tränen hab' ich mitgeweint!
 
Ich frohnt' wie du dem Sausen der Maschine
im grauen Tagewerk voll Staub und Dunst;
mit deinen Töchtern ging ich, daß ich diene, -
um trocken Brot verkauft' ich Geist und Gunst!
Ich ballt' die Faust - und doch: das Joch zu tragen,
beugt' ich die Stirn vor des Gesetzes Fluch -
und deine Zähne hört' ich knirschend schlagen
und knirscht mit dir ein trotziges: »Genug!«
 
Genug des Knechttums und genug der Qualen!
Der Gott des Zorns, den deine Sehnsucht träumt,
geht durch die Welt. - Und wenn aus seinen Schalen
der erste Tropfen brausend überschäumt,
dann weh dem Götzen, der auf ehrnen Achsen
das Feld zerstampft, von deinem Schweiß beträuft:
aus deinen Tränen wird die Sturmflut wachsen,
die seine goldne Herrlichkeit ersäuft!
 
Dann aus den Himmeln fällt der Wahrheit Feuer
in deine Nacht, das einst Prometheus stahl -
an ihrem Brand entzündet sich ein neuer:
der Welterlösung leuchtend Flammenmal!
Lichttrunken will ich dann die Arme heben
und jauchzen in den glühen Glanz hinein -
und wenn des Liedes Gabe mir gegeben,
laß mich die Stimme deiner Freiheit sein!
 

Clara Müller
 
[Was kommst du zu mir alle Nacht]
 
Was kommst du zu mir alle Nacht
und pochst an meine Fensterscheiben?
Ich darf nicht auftun, armes Kind -
du mußt im kalten Grabe bleiben.
 
Ich darf nicht auftun, süßes Kind,
darf dich nicht hegen, dich nicht tränken ...
Ich darf an dich nur alle Nacht,
nur alle Nacht in Tränen denken.
 
Clara Müller
 
[Die Erde deckt dich zu, ich weiß nicht wo]
 
Die Erde deckt dich zu, ich weiß nicht wo ...
Auf deinem Grabe blühen keine Blumen,
kein Vogel singt ein Wiegenlied für dich;
und dennoch schlummerst du so tief und süß,
so tief und süß, wie selbst in Mutterhut
kein Kindesauge sich zum nächtigen Frieden schließt.
 
Ein kurzer Frühling war's, ein Lenz von Tagen,
den du gelebt. - Doch war's ein goldener Lenz,
und blauer Himmel lachte über dir,
und lichter Sonnenschein umspann dein Lager.
In deiner Augen sammetbraunen Kelch
fiel keiner Wolke Schatten, süße Knospe -
in deiner Wurzel aber saß der Wurm;
und als der Sturmwind kam, verwehtest du,
mein Sonnentraum ...
 
Seit jenen schmerzenreichen Frühlingstagen
lieb' ich den Lenz, wie ich ihn nie geliebt,
und seine Knospen lieb' ich schmerzlich heiß
und pflückt sie gerne, eh' der Sturm sie bricht,
und sonnenklare Kinderaugen lieb' ich
und küsse gern aus ihrem Sammetkelch
die Tränen fort ... und leg' die Blütenpracht
des Frühlings gern in weiche Kinderhände ...
 
Die Erde deckt dich zu, ich weiß nicht wo,
zu deinem Grab ist mir die Spur verloren.
Doch aus der Veilchen frühem Duft umhaucht
dein Wesen mich, - aus jedem Kindesauge
blickst du mich an - und lächelst
dein Sonnenlächeln mir ins wunde Herz ...
 
Clara Müller
 
Mutter Erde
 
Mitternächtges Dunkel spinnt
um die Welt ein heimlich Träumen;
leise singt der Frühlingswind
in den knospenschweren Bäumen.
 
Fern noch einer Lampe Schein,
und der Himmel schwarz verhangen - -
in den dunklen Birkenhain
bin ich einsam ausgegangen.
 
Schmeichelnd um die Stirne streicht
mir der Lenznacht weicher Odem,
aus den feuchten Beeten steigt
Erdgeruch und Nebelbrodem.
 
Aus dem Schoß der Wolken fällt
groß und warm der erste Tropfen -
und mir ist, das Herz der Welt
hör ich in der Stille klopfen.
 
Durch die Nacht, so kirchenstill,
geht ein Raunen und ein Regen,
jedes kleinste Pflänzchen will
Zwiesprach mit dem Schöpfer pflegen.
 
Was in dunklen Tiefen schlief,
ruft ans Licht ein neues Werde -
und die Kniee beug ich tief
zur gebenedeiten Erde. -
 
Clara Müller
 
Den Frauen
 
Den Frauen einen Frühlingsgruß!
Euch allen, die in Fron und Mühen
ihr dornenreiche Pfade geht,
euch sollen Maienrosen blühen!
Greift lachend in die rote Pracht:
ein Morgen glüht, den keine Wolke
in schwarze Schatten hüllen wird,
ein Festtagsmorgen allem Volke!
 
Den Frauen einen Maiengruß!
ihr tragt die Zukunft unterm Herzen,
ihr säugt die Freiheit an der Brust, -
das ist ein heilig Recht der Schmerzen:
das ist ein göttlich Frauenrecht,
das haltet fest mit starkem Wollen ...
und eure rote Blume blüht,
wenn rings umher die Wetter grollen.
 
Und ob ihr wohnt am Seinestrand,
an Skandinaviens Felsentoren,
ob Londons Nebel euch umspinnt,
ob Rußlands Steppe euch geboren,
ob euch Italiens Sonne scheint,
ob euch Germaniens Eichenstärke
die Muskeln spannt: ich rufe euch
zu einem großen Maienwerke!
 
Den Haß, der die Nationen trennt,
soll eure Liebe überwinden,
wenn schwesterlich die Hände sich
zum letzten, großen Kampfe finden.
Des Sturmjahrhunderts Morgenschein
Soll eurer Rechte Sieg verklären:
erst müßt ihr freie Menschen sein,
um freie Menschen zu gebären
!
 
Aus märchenblauen Zeiten klingt
ein Segenswort: den Fluch des Bösen,
der auf das Haupt der Menschheit fiel,
wird einst die Hand des Weibes lösen.
Aus Lügenschlamm und Gassenstaub
wird sie den Schatz der Wahrheit heben
und segnend ihn als Hort des Rechts
den kommenden Geschlechtern geben.
 
Den Frauen einen Segensgruß!
Aus alter Kindermärchen Klarheit
lacht hell in all den Sonnenglanz
das heilige Angesicht der Wahrheit.
Kein Traumglück mehr, kein Sehnsuchtslaut:
es gilt den Kampf! Auch euch, den Frauen,
und eure Kinder werden einst
der Freiheit Maitag feiernd schauen!
 
Clara Müller
 
Weiterleben
 
Nicht, daß du ihm ein prächtig Denkmal baust,
mit tausend Tränen seine Gruft betaust,
und heimlich hoffst, daß euch der Tod vereint,
nicht dadurch ehrst du den gestorbnen Freund.
 
Wenn du das Werk, das ihm nicht mehr gelang,
bis an sein Ende führst mit Treu und Dank,
wenn deine Hand die Blütenkrone hegt
des Baumes, den er knospend einst gepflegt,
 
wenn dem, was er geliebt, dein Herz erglüht,
so daß in dir sein Wesen nochmals blüht,
so daß du lebst und schaffst in seinem Geist:
das ist's, wodurch du ihn dem Tod entreißt.
 
Clara Müller
 

 

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