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Sabeth schreibt

Poesie Melancholie Philosophie Feminismus Anarchismus - non serviam.

Charles Baudelaire

 
Alchimie des Schmerzes
 
Der Eine füllt die Welt mit Glühn,
Dem Andern ist sie Schmerz und Grauen,
Er kann nur die Verwesung schauen,
Wo Jener Leben sieht und Blühn.

Du unbekannter Gott voll Listen,
Der meine Kräfte hemmt und spannt,
Du machst dem Midas mich verwandt,
Dem traurigsten der Alchimisten.

Du wandelst mir das Gold in Blei,
Das Paradies in Wüstenei;
Du lässt in lichten Wolkendecken

Geliebte Leichen mich entdecken
Und auf den himmlisch heitren Auen
Prunkvolle Sarkophage bauen.
 
-
 
Schwermut II
 
Der Himmel, schwer wie eines Deckels Last,
Sinkt auf die Seele voll verhaltenem Weinen,
Bleiern und dumpf hält er das All umfasst,
Trüber als Nacht will uns der Tag erscheinen.

Es wandelt sich die Welt zum finstern Haus,
Zum feuchten Kerker voller Angst und Schauer,
Und flatternd, scheu wie eine Fledermaus
Rennt Hoffnung sinnlos gegen Wand und Mauer.

Der müde Regen, der die Welt umfängt,
Spannt um das Haus die engen Gitterstäbe,
Verwünschtes Ungeziefer kommt und hängt
In unser Hirn die grauen Spinngewebe.

Und plötzlich heulen Glocken dumpf empor,
Zum Himmel heben sie ihr furchtbar Tönen,
Wie irrer, heimatloser Geister Chor,
Ein eigensinnig, unaufhörlich Stöhnen.

Und lautlos zieht ein langer Leichenzug
Durch meine Seele seine schwarzen Bahnen,
Die Hoffnung weint. Das Grauen, das sie schlug,
Das Grauen pflanzt in meinem Hirn die Fahnen.
 
-
 
Liebe zum Nichts
 
Du trüber Geist, einst voller Kampfverlangen,
Die Hoffnung spornt nicht mehr den trägen Mut,
Streck' dich nun hin, verbirg die Schamesglut,
Ross, dessen Hufe vor dem Sprunge bangen.

Schweig, Herz, gib dich in dumpfem Schlaf gefangen!

Geschlagner Geist, besiegter Tunichtgut,
Die Lust an Streit und Liebe ist vergangen,
Lebt, Flöten, wohl, und Saiten, die verklangen!
Versuch nicht, Lust, dies trotzig trübe Blut!

Für mich verlor der Frühling Glanz und Glut!

Wie Eis und Schnee den Leib, den sie umschlangen,
Verzehrt die Zeit mich mit der zähen Flut;
Stumm nun der Erdball mir zu Fassen ruht,
Ich trag nach Schutz und Hütte nicht Verlangen!

Lawine komm, im Sturz mich zu umfangen!
 
-
 
Bitte
 
Dir, Satan, Lob und Preis im hohen Himmelszelt,
Wo du geherrscht dereinst, bis zu der finstren Welt,
Wo du besiegt nun ruhst und träumst in tiefem Schweigen!
Lass meine Seele sich ganz nahe zu dir neigen,
Wenn der Erkenntnisbaum sein üppiges Geäst
Hoch über deinem Haupt zum Tempel werden lässt!
 
-
 
Das Gift
 
Der Wein verwandelt oft die schmutzigsten Spelunken
          In Schlösser voller Märchenpracht,
Und Säulenhallen er vor uns erstehen macht
          Aus rotem Dunst und goldnen Funken,
Wie eine Sonne, die versinkt in Nebelnacht.

Das Opium weitet aus, was ohne Grenz' und Schranken,
          Es dehnt die Unermesslichkeit,
Es höhlt der Wollust Rausch, vertieft das Meer der Zeit,
          Und mit Genüssen, schwarzen, kranken
Macht es die Seele übervoll und weit.

Nichts aber gleicht dem Gift aus deinen grünen Augen,
          Den tiefen Seen, drin gramerfüllt,
Verzerrt und zitternd malt sich meiner Seele Bild,
          Aus denen durstige Träume saugen
Die tiefe Bitternis, die Qualen weckt und stillt.

Nichts aber gleicht dem Gift, dem Gift von deinem Munde,
          Das in mir wühlt und mich verzehrt,
Die Reue tötet und schamlos Vergessen lehrt,
          Den Wahnsinn träufelt in die Wunde
Und mit dem irren Geist taumelnd zur Hölle fährt.
 
-
 
Berthas Augen
 
Vor dir verblasst des schönsten Augs Gefunkel,
Du Kinderblick, darin ein Rätsel ruht,
Ein Etwas, wie die Nacht so sanft und gut!
Ihr Augen, hüllt mich ein in euer Dunkel!

Ihr Kinderaugen gleicht dem Zauberschacht,
Zu euren letzten Tiefen dring' ich nimmer,
Dahin, wo seltner Edelsteine Flimmer
von schlafbefangner Schatten Heer bewacht.

Mein Kind hat Augen dunkel, tief und weit,
Wie du unendlich, Nacht, und klar wie du!
In ihrem Glanz wohnt Leidenschaft und Ruh',
Sprüht Lieb' und Treue keusch und lustbereit.
 
-
 
Das Bild
 
Krankheit und Tod verlöschten längst die Funken
Des Feuers, das uns lohend einst umfing,
Der Augen Leuchten sanft und liebestrunken
Und jenen Mund, an dem mein Herz verging.

Was blieb von unsrer Küsse mächtigen Schauern,
von der Verzückung Rausch so stark und wild?
Ach meine arme Seele, du magst trauern!
Nichts blieb zurück, als ein verwischtes Bild,

Das stirbt wie ich, in Einsamkeit verborgen,
Und das die Zeit, der Greis voll böser Gunst,
Mit rauher Schillinge streift an jedem Morgen ...

Du düstrer Feind des Lebens und der Kunst,
Du sollst mir niemals im Gedächtnis morden
Sie, die mein Glück war, die mein Ruhm geworden!
 
-
 
Aufforderung zur Reise
 
          Kind, Schwester, hold ist's zu träumen,
          Wir zögen zu zwein ohne Säumen
Nach jenem herrlichen Land.
          In Lieb uns verstehend,
          In Liebe vergehend,
Dort wo die Welt dir verwandt.
          Wo die feuchten Sonnen,
          Von Schleiern umsponnen,
Erwecken so seltsame Glut,
          So rätselhaft Sehnen
          Wie dein Auge voll Tränen,
Drin verräterisch Leuchten ruht.
          Dort, wo Frieden, Lust und Prangen,
          Glanz und Wollust uns umfangen.
          Viel blankes Gerät
          Im Saale steht,
Die Jahre gaben ihm Schimmer.
          Fremder Blumen Duft,
          Weiche Ambraluft
Durchwehen wie Träume das Zimmer.
          Die Wände so weich,
          Die Spiegel so reich,
Des Orients leuchtend Gepränge
          Fast scheint es dir,
          Als vernähmest du hier
Der Seele Heimatklänge.
          Dort wo Frieden, Lust und Prangen,
          Glanz und Wollust uns umfangen.
          Sieh auf dem Kanal
          Im sonnigen Strahl
Die träumenden Schiffe gleiten.
          Dein kleinstes Begehr,
          Sie bringen es her
Von der Erde entlegensten Weiten.
          Den Fluss und das Land
          Umschlingt wie ein Band
Der Schimmer der sinkenden Sonne,
          In goldlila Glut
          Die Erde ruht,
Hinsterbend in glühender Wonne.
          Dort wo Frieden, Lust und Prangen,
          Glanz und Wollust uns umfangen.
 
-
 
Wahnsinn
 
Ihr Wälder ängstigt mich wie Kathedralen,
Ihr seid durchheult von wildem Orgelklang,
Und des Verdammten Herz in ewigen Qualen
Stöhnt Echo eurem De-profundis-Sang.

Dich hass ich, Ozean! Dein sinnlos Tosen
Find' ich in mir. Wut und Verzweiflungswahn,
Schluchzendes Lachen eines Hoffnungslosen
Tönt mir aus deinem Lachen, Ozean!

Dich liebt ich, Nacht, liess nicht der Sterne Strahl
Vertraute Sprache zu mir niedergleiten,
Ich suche tote, schwarze Einsamkeiten,

Doch Finsternis ist nur ein schwarzer Schal,
Tausend Gesichter schau'n aus seinen Falten
Verwandten Blicks, verlorene Gestalten.
 
-
 
Das Fass des Hasses
 
Der Hass ist bleicher Danaiden Fass;
Umsonst mag Rache mit den rauhen Händen
Ins weite Dunkel ohne Unterlass
Aus grossen Eimern Blut und Tränen senden,

Geheim durchbohrt ein Dämon das Gelass,
Und Schweiss und Blut von tausend Jahren schwänden,
Selbst wenn die Opfer, neubelebt vom Hass,
Aufs neue bluten müssten und verenden.

Dem Trinker gleicht der Hass, dem in Spelunken
Mit jedem Schluck der wildre Durst erwacht
Und sich der Hydra gleich verhundertfacht.

Doch weiss der Trinker, wenn er hingesunken,
Wer ihn besiegt; des Hasses Straf und Bann,
Dass er nicht unterm Tische schlafen kann.
 
-
 
Das Gespenst
 
Bösen Engeln will ich gleichen,
Fahlen Blicks mich zu dir schleichen,
Gleiten an dein Lager sacht,
Wie ein Schattenspuk der Nacht.

Schenken dir zu tausend Malen
Küsse kalt wie Mondesstrahlen,
Wie die Schlange schlüpfrig feucht,
Die um Gruft und Steine kreucht.

Kommt der bleiche Tag daher,
Ist die Stelle kalt und leer
Bis die Abendnebel brauen. –

Wenn es Andrer Kunst gelingt,
Dass dich Zärtlichkeit bezwingt,
Will ich Herr sein durch das Grauen.
 
-
 
Mitternächtige Selbstprüfung
 
Die Uhr verkündet uns die Mitternacht,
Und spöttisch klingt aus ihrem Schlage
An unser Herz die leise Frage,
Wie wir den Tag genutzt, die Zeit verbracht.
Den dreizehnten und Freitag, Tag der Leiden,
Drin Schuld und Qualen festgebannt,
Den Schicksalstag, der uns bekannt,
Verlebten wir wie Ketzer oder Heiden.

Wir haben frech geschmäht und prahlerisch
Christum, den göttlichsten der Götter,
Wie die Schmarotzer und die Spötter
An eines ekelhaften Krösus Tisch.
Wir haben um des Haufens Gunst und Gnaden,
Des Bösen Knechte, voller List
Umschmeichelt, was uns feindlich ist
Und was uns lieb, verleugnet und verraten.

Wir haben, Henkersknechten gleich, verhöhnt
Die Schwachen, frech vom Volk Bedrohten,
Der Dummheit lächelnd Gruss geboten,
Die blöder Tiere Stirnen ehern krönt.
Dem Irdischen unsre Huldigung erwiesen,
Den Staub geküsst, das Nichts verklärt,
Die Stumpfheit andachtsvoll verehrt,
Der Fäulnis Glanz verherrlicht und gepriesen.

Und endlich, wir erstickten die Begier,
Die Tollheit mit des Rausches Schleier,
Wir, Priester unsrer stolzen Leier,
Wir, deren hohes Amt auf Erden hier
Mit Schimmer zu umkleiden Nacht und Schrecken,
Wir labten ohne Hunger uns am Schmaus! –
Rasch, löschen wir die Lampe aus!
Lasst unsre Scham im Dunkel sich verstecken.
 
-
 
Trübsinn
 
Mir ist, als lebte ich schon über tausend Jahr
Nie barg ein alter Schrein, so überfüllt er war
Mit Rechnungen und Akten, Versen, Briefen,
Mit Locken, die verwahrt in Scheinen schliefen,
So viel geheimes Leid wie längst mein Hirn es barg.
Das ist ein Riesenbau, ein ungeheurer Sarg,
Ist eine Gruft, die zu viel Tote fasst.

Ich bin ein Kirchhof, den das scheue Mondlicht hasst,
Durch den die Würmer ziehn, Reu und Gewissensqual,
Zernagend meiner liebsten Toten Mal.
Ich bin ein alt Gemach, wo welke Rosen schauern,
Und wie ein fahl Gewirr verblichne Trachten trauern.
Wo nur ein matt Pastell, ein blasser Stich geniesst
Den süsslich schalen Duft, der dem Flakon entfliesst.

Nichts gleicht an Langsamkeit der lahmen Tage Stocken,
Wenn unter schwerer Zeit eisgrauen kalten Flocken
Der Überdruss, der dumpf aus müder Unlust steigt.
Anschwellend dir das Mass der Ewigkeiten zeigt.

Hinfort, beseelter Staub, wirst du nichts andrem gleichen
Als dem granitnen Stein, den Schrecknisse umschleichen,
Der in dem Nebeldunst der stummen Wüste träumt!
Der Sphinx, die man vergass, vor der kein Fuss mehr säumt,
Die niemand kennt, und die in wilder Laune Qualen
Ihr einsam Lied nur singt den roten Abendstrahlen.
 
-
 
Tagesende
 
Unter einem fahlen Glanze
Lärmt das Leben ohne Sinn,
Tollt und taumelt wild im Tanze.
Sieh, da kommt die Trösterin,

Kommt die Nacht vom Himmelsrande,
Alles stillend, selbst die Gier,
Alles löschend, selbst die Schande,
»Endlich!« sag' ich froh zu mir.

Denn mein Geist und meine Glieder
Flehen heiss die Ruhe nieder;
Müd von finstrer Träume Streit

Will ich mich zum Schlafe strecken,
Hüllen mich in deine Decken,
Wohlig kühle Dunkelheit!
 
-
 
Das Unlösbare
 
I

Eine Form, ein Hauch, ein Seelenschwingen
Schied vom Äther, fiel aus lichtem Blau
In des Sumpfes Schlamm und bleiern Grau,
Wo kein Himmelslicht zu ihm kann dringen,

Und ein Engel, töricht und verirrt,
Liess von Liebe sich ins Dunkel locken,
Wilder Albdruck macht das Herz ihm stocken,
Und er wehrt sich angstvoll und verwirrt,

Wie ein Schwimmer in der Nacht, o Grausen!
Gegen eines Wirbelstroms Gewalt,
Dessen Sang wie Sang von Narren schallt,
Der im Kreis sich dreht mit tollem Brausen;

Und ein Mensch, behext von böser Macht,
Will mit nutzlos hastigem Tasten fliehen
Einen Ort, wo Wurm und Schlangen ziehen,
Sucht umsonst die Tür in finstrer Nacht;

Ein Verdammter muss zum Abgrund steigen,
Keine Lampe in der Hand er trägt,
Fauler Dunst ihm feucht entgegenschlägt,
Endlos sich die steilen Treppen neigen,

Scheussliches Getier harrt unten sein,
Dessen wilden Blickes Phosphor funkeln
Macht die schwarze Nacht noch schwärzer dunkeln,
Macht nichts sichtbar als den Blick allein.

Im Polareis liegt ein Schiff gefangen,
Wie in einer Schlinge von Kristall,
Sucht vergebens in dem Riesenwall
Nach dem Spalt, durch den es einst gegangen.

Bilder eines Lebens, welches nie
Aus den Netzen des Geschicks zu lösen,
Bilder, die da zeigen, dass dem Bösen
Alles, was er tat, nach Wunsch gedieh.

 
II

Zweisamkeit, drin Licht und Dunkel streitet,
Lebt im Herzen, das sein Spiegel ward!
Born der Wahrheit klar und schwarz, drauf zart
Eines Sterns blasszitternd Licht hingleitet.

Doch ein Leuchtturm, höhnend in der Nacht,
Eine Fackel von des Satans Gnaden,
Einziger Trost und Ruhm auf irren Pfaden
Ist das Wissen um des Bösen Macht.
Die Turmuhr

Turmuhr! Finstrer Gott, taub unsrem Flehen,
Stumm dein Finger droht: »Erinnre dich!«
Und das Leid, das einst mein Herz durchschlich,
Fühl' ich zitternd in mir neu erstehen.

Lust, die zarte, wird ins Weite fliehn,
Wie ein Geist zu luftigen Gebäuden;
Jeder Augenblick raubt von den Freuden,
Die das Schicksal unsrem Los verliehn.

Viele hundert Mal durchraunt's die Stunde
Das »Erinnre dich!« – Insektengleich
Schwirrt das Jetzt: »Ich bin das Einst zugleich,
Saug' dein Leben auf mit meinem Munde!«

Und »Remember« klingt's »Esto memor«
(Der metallne Mund kennt alle Klänge)
»Die Minuten sind wie Felsengänge,
Und aus jeder schlage Gold, o Tor!«

Spielern gleicht die Zeit, die immer wieder
Spiel auf Spiel gewinnen, Schlag auf Schlag!
Länger wird die Nacht und kurz dein Tag,
Durstig ist die Schlucht, der Sand rinnt nieder.

Bald wird Zufall, göttlich blind und stumm,
Wird die Tugend, die jungfräulich-scheue,
Wird, o letztes Obdach, selbst die Reue
Zu dir sprechen: »Stirb, die Zeit ist um!«
 
-
 
CHARLES BAUDELAIRE
 
Quelle: siehe Link unten.
 

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